Morgengedanken
Sonntag, 6.05 Uhr -
6.08 Uhr,
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr,
ORF Regionalradios
von Christine Pagger-Karner
(Theologin und Seelsorgerin am Landeskrankenhaus Bruck/Mur)
Sieben Gedanken zum Schulbeginn: „Ich packe in Deine Schultasche…“
Wünschenswerte „Mitgebsel“ für einen guten Start in den Schulalltag
Sonntag, 6. September 2009
FREUDE AN NEUEM
Der Schulbeginn steht vor der Tür – zumindest hier bei uns in der
Steiermark, wo ich mit meiner Familie lebe. Als Mutter von drei
Schülern denke ich öfter darüber nach, was ich meinen Kindern
wünsche, damit es in der Schule so einigermaßen „glatt“ geht. Einen
dieser Wünsche stecke ich in ihre Schultasche.
Damit der erste Schritt überhaupt gewagt wird, packe ich die FREUDE
ein, die FREUDE AN NEUEM. Sich über noch Unbekanntes freuen,
neugierig sein, Neues erforschen wollen, das öffnet Türen. Kinder
werden dabei ermutigt, Ungewohntes auszuprobieren. Wenn ich nun an
meine eigene Schulzeit zurückdenke, erinnere ich mich noch ganz gut,
wie glücklich ich gewesen bin, wenn ich neue Zusammenhänge entdeckt
habe. Kurz gesagt: Meine Aha – Erlebnisse!
Staunen können ist für mich der Schlüssel zum Lernen. Um wie vieles
leichter geht das Lernen, wenn diese Freude dabei ist. Manche Hürde
erscheint dann gar nicht mehr so hoch.
Diese kindliche Entdeckerfreude trägt mich selbst heute durch das
Leben. Gerne gebe ich meinen Kindern ein Stück mit!
Montag, 7. September 2009:
SEINEN PLATZ FINDEN
Wie lang ist es her, dass Sie einen Taferlklassler in der Familie
hatten? Die Aufregung am ersten Tag, das manchmal vorsichtige,
manchmal vielleicht auch keckere Auftreten der Sprösslinge! –
Irgendwann muss es dann sein, dass die Hand der Mama losgelassen
wird, hie und da eine Träne – nicht unbedingt immer aus dem Auge des
Kindes. Und dann betritt die Schar das Klassenzimmer und es kommt
die unweigerliche Frage: „Wo wird mein Kind sitzen?“ – „ Ja, findet
es hier einen guten Platz?“
Einen guten Platz zu haben, wo mein Kind sich geborgen und
verstanden fühlt. Einen Ort, wo es sich entwickeln kann.
Ausgesprochen oder unausgesprochen - gehört dies wohl zu den größten
Wünschen, die Eltern an so einem Tag in sich tragen.
Diese Situation vergleiche ich für mich mit dem Bild eines Baumes:
Ein kleiner, zarter Setzling sucht langsam mit seinen Wurzeln im
neuen Erdreich Halt und Nahrung. Er beginnt, sich vorsichtig
auszustrecken. Je verwurzelter er an seinem Ort ist, umso eher kann
er sich dort entfalten und wachsen.
Ja, so seinen Platz im Leben zu finden ist wohl für jede und jeden
von uns ein Thema, das uns im Leben begleitet.
Dienstag, 8. September 2009:
ACHTUNG VOREINANDER
In diesen Tagen vor Schulbeginn, stecke ich als Wunsch ein für mich
besonders bedeutendes „Mitgebsel“ in den Schulrucksack. Es ist die
Achtung voreinander. Dabei denke ich nicht nur an den Respekt, den
Kinder den Lehrpersonen erweisen sollen. Ich meine damit ganz
generell, wie wir alle miteinander umgehen. Es beginnt für mich zum
Beispiel schon beim Grüßen und zeigt sich in vielen „freundlichen“
Kleinigkeiten: Zum Beispiel wenn ich jemand die Tür nicht öffne,
weil er die Hände voll hat. Oder wenn ich das Papierl in den
Mistkübel werfe und nicht darauf warte, dass die Putzfrau alles
aufklaubt. Verschiedenes, wo eben sichtbar wird, wie aufmerksam wir
einander begegnen. Auch wenn einer sekkiert oder ständig gestichelt
wird oder absichtlich etwas hinuntergeschupft wird. Und speziell
dann, wenn nicht nur mit Worten losgeschlagen wird.
Das bedeutet eben auch zuweilen, Grenzen zu setzen - Grenzen mit
Konsequenzen, die auch eingehalten werden müssen. Eines ist für mich
dabei höchst erstaunlich: Meine Kinder erklären mir, dass sie
Letzteres als wichtigsten Gradmesser dafür nehmen, wen sie schätzen
und respektieren.
Mittwoch, 9. September 2009:
ZUHÖREN
Ich habe vor Jahren einen Spruch gelesen, der mir nicht aus dem Kopf
geht. Er lautet: „Der liebe Gott hat sich viel dabei gedacht,
dass er uns Menschen zwei Ohren und nur einen Mund gegeben
hat.“ Ja zuerst hören und dann reden und sich eine Meinung
bilden! Gut Zuhören können ist wohl etwas, das wir ein Leben lang
üben müssen. So leicht es auch gesagt ist: Zuhören heißt, mich auf
denjenigen, mit dem ich rede zu konzentrieren. Allzu gern hören wir
zwar irgendwie hin, aber nicht wirklich ganz zu. So vieles wird
„nebenbei“ erledigt. Kein Wunder also, wenn wir uns dann
missverstehen. Dabei ist es ja allein schon schwierig genug, das zu
verstehen, was gesagt und damit gemeint ist.
Und noch einen Gedanken verbinde ich damit: Im Wort gehorchen steckt
auch das „Hören“ drinnen. Wer Gehorsam einfordert, ist zunächst
einmal selbst aufgefordert, hinzuhören. Er muss gut zuhören, sein
Ohr dem zuneigen, der ihm dann gehorchen soll.
Dieses Zuhören können, das lege ich als Wunsch auch in die
Schultasche meiner Kinder!
Donnerstag, 10. September 2009:
SCHÖPFERISCH SEIN
Was belebt denn den schulischen Alltag? Ganz sicher die Möglichkeit,
kreativ zu sein und selbst Hand anzulegen. Es hat für mich ganz
wesentlich damit zu tun, alle Sinne anzuregen. Es macht Spaß
zu musizieren, zu malen, zu gestalten, zu hören, wie Stille sich
anfühlt, zu kochen, zu riechen, zu kosten und vieles, vieles mehr.
Es selber tun und sich nicht nur mit grauer Theorie herumschlagen,
ist anregend. Wie herrlich ist es, wenn Kinder experimentieren
dürfen! Einfach ausprobieren und schauen, was geschieht! Zum
Beispiel: Getreide zu mahlen, Teig zu kneten und Brot zu backen.
Welcher Geruch sich dabei im Klassenzimmer ausbreitet!
Es muss auch nicht jedes Mal schon von vornherein ein bestimmtes
Ziel erreicht werden. Verwunderlich ist für mich immer wieder, wie
viele hochwissenschaftliche Errungenschaften gleichsam „passiert“
sind - oft als Nebenprodukt eines misslungenen Versuchs.
Und so nebenbei bemerkt: Es schadet ganz und gar nicht, wenn sich
Kinder beim schöpferischen Austoben die Hände schmutzig machen.
Freitag, 11. September 2009:
KONFLIKTFÄHIG SEIN
Im Schulalltag – so wie im gesamten Leben überhaupt – bleiben
Konflikte nicht aus. Es wäre fatal, davor die Augen zu schließen.
Aus diesem Grund gebe ich einen Wunsch in die Schultasche aller
Kinder, nämlich: Konflikte auf eine gute Art und Weise austragen zu
lernen. Ja, wie gehen wir es an, wenn ein Schüler sich vom Lehrer
ungerecht behandelt fühlt; wenn ständig über einen Schüler
gestänkert und gewitzelt wird; oder wenn ein nicht ganz ungewollter
Rempler dazu führt, dass sich ein Schüler wehtut. Oder auch, wenn
sich die Klasse nicht einigen kann, wohin der Wandertag führen soll.
Viele verschiedene Herausforderungen – wie geht man gut damit um?
Wie so oft kann es nur heißen: „Red`ma miteinander drüber!“ Nämlich
so, dass sich der Konflikt als Chance erweist, aus der alle
Beteiligten etwas lernen. So, dass sich jeder traut, an Situationen
heranzugehen, wo es sich eben „reibt“. Ziel soll es dabei sein,
dass wir uns danach noch gut in die Augen schauen können!
Wenn wir Erwachsene unseren Kindern vorleben, wie wir Konflikte gut
austragen, ist schon viel gewonnen. Das wäre ein Beitrag, der Schule
machen kann!
Samstag, 12. September 2009:
VERTRAUEN HABEN
Wenn ich zum Schulstart an meine Kinder und die Schule denke, hege
ich einen großen Herzenswunsch:
Ich wünsche ihnen, dass sie das Vertrauen haben dürfen, ihre Fehler
und Schwächen zu zeigen. Sie müssen nicht perfekt sein! - Auf die
Schule bezogen hört sich das vielleicht etwas realitätsfern an. Wie
soll das zusammen gehen? Und doch: Ich empfinde es als direkt
lebensnotwendig, darauf vertrauen zu dürfen, dass ich auch meine
„schwarze Schaf–Seite“ zeigen darf. – Ohne dass ich dabei Gefahr
laufe, lächerlich gemacht zu werden.
Solch ein Vertrauen ist immer mit Personen verknüpft. Meine
persönlichen Erinnerungen gehen dabei zurück zu meiner Großmutter.
Sie ist für uns Kinder so jemand gewesen, wo wir uns ausreden und
ausschimpfen durften. Und jedes Mal bei einer Schularbeit oder einer
Prüfung, hat sie an diesem Tag für uns eine Kerze angezündet und
gebetet. Allein der Gedanke daran, rührt mich noch heute und weckt
dieses Gefühl des Geborgenseins: -„Keine Sorge - Es geht schon alles
gut!“
|