Morgengedanken

Sonntag,  6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr, 
ORF Regionalradios

 

 

 

von Dr. Walter Ender, Fachinspektor röm.-kath. Religion Wien

 

 

Sonntag, 13.9.2009

Die Frage nach der Aufgabe

Religion in einer Klasse der AHS-Oberstufe. „Was war für heute eure Aufgabe?“ fragt die Lehrerin und die Schüler zählen auf: Mathematik, Deutsch, Englisch. Die Lehrerin fragt weiter: „Und gestern? Und in den Ferien?“ Ein Schüler fragt nach: „Was meinen Sie mit ‚Aufgabe’? Meinen Sie auch eine Aufgabe, die wir uns selbst gestellt haben? In den Ferien war das Surfen meine Aufgabe. Ich wollte es besser können.“

Die Lehrerin holt noch weiter aus: „Was war deine Aufgabe im bisherigen Leben?“ Die Schüler überlegen. Die Antworten sind vielfältig. „Geboren werden. Meine Familie und meine Freunde glücklich machen. Meinem Weg treu bleiben.“

Jetzt geht es nicht mehr um das Alltägliche, jetzt geht es ums Ganze: Was ist meine Lebensaufgabe? Was ist meine Berufung? Was ist „mein Weg“? Welche Gaben habe ich schon bei meiner Geburt – oder noch früher – mitbekommen, aus denen sich meine Lebensaufgabe erschließen lässt?

Die Mitte des katholischen Religionsunterrichts ist das Leben der Schüler/innen. Es werden Fragen gestellt, Fragen nach dem Ganzen, und es werden im Licht des Glaubens Antworten angeboten. Jesus hat einmal die Frage nach seiner Lebensaufgabe so beantwortet: „Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben.“ (Joh 10, 10) Dem weiß sich auch Religion in der Schule verpflichtet.

Was ist eigentlich Ihre Aufgabe für heute?

 

  

Montag, 14.9.2009

Der erste Schultag

Heute beginnt in den westlichen Bundesländern ein neues Schuljahr. Erinnern Sie sich noch an Ihren ersten Schultag? Ich weiß noch, wie mir meine Mutter beim ersten Gang zur Schule gesagt hat, ich solle doch bitte nicht weinen in der Schule. Ich habe dann tatsächlich nicht geweint, aber in mir entstand der Eindruck, Schule müsse zum Heulen sein.

Es sind wohl recht gemischte Gefühle, mit denen die Schülerinnen und Schüler heute in die Schule kommen: Freude, Aufregung, Unsicherheit, Neugier. Am Beginn des Schuljahres stehen Schulgottesdienste, die von den Religionslehrerinnen und –lehrern gestaltet werden. In ihnen kann all das, was Schüler, Lehrer und Eltern bewegt, Gott anvertraut werden. Neben der Vermittlung von Wissen kennt die österreichische Schule eine religiös-ethisch-philosophische Bildungsdimension. Hilfen zur Bewältigung von Alltags- und Grenzsituationen sollen geboten werden, Orientierungen zu einer sinnvollen Lebensgestaltung. Dazu leistet der Religionsunterricht einen wesentlichen Beitrag. Er zeigt Wege zu religiösen Kraftquellen auf, die in Feiern erfahrbar werden. Es ist heilsam und beruhigend, um einen Gott zu wissen, der einen begleitet und zu einem steht, gleichgültig was kommt.

Nein, nein, Schule ist nicht zum Heulen. Und wenn doch einmal, dann ist es gut zu wissen, an wen man sich wenden kann. Ich wünsche allen Schülern und Lehrern einen guten Start in das neue Schuljahr! Und allen Eltern ein großes Vertrauen in ihre Kinder!

 

 

Dienstag, 15.9.2009

Freiwillige Teilnehmer

Der Religionsunterricht kennt ein doppeltes Phänomen: Katholische Schüler, die sich vom Unterricht, obwohl Pflichtfach, abmelden. Und Schüler ohne religiöses Bekenntnis, die sich zum Unterricht anmelden. In den Volksschulen Wiens ist die Nachfrage jener, die sich keiner Religion zugehörig fühlen, besonders hoch. Knapp die Hälfte der Schüler ohne religiöses Bekenntnis nimmt am katholischen Religionsunterricht teil.

In einer Wiener Volksschule gab es folgende Antworten, warum Eltern ihre konfessionslosen Kinder zum Religionsunterricht anmelden.

 

„Unsere Tochter soll die Möglichkeit haben, die römisch katholische Religion kennen zu lernen, um sich später eine eigene Meinung bilden zu können. Außerdem gehört es auch zur Allgemeinbildung. Ohne religiöses Bekenntnis bedeutet für mich nicht, mein Kind fern zu halten“.

 

Katholische Eltern, die ihr Kind nicht als Baby taufen ließen, meinten:

 

„Wir wollten, dass es sich die Kinder selbst einmal aussuchen können, ob sie der Kirche beitreten wollen. Da sie sich aber sehr interessierten und der Religionsunterricht ihnen sehr gefällt, werden sie heuer im Juli getauft.“

 

Die Teilnahme am Religionsunterricht als Konsequenz gewährter Freiheit. Es klingt logisch: Wer den Kindern im religiösen Bereich die freie Wahl lassen will, der verschafft ihnen durch den Religionsunterricht eine Entscheidungsgrundlage. Um in Religion zu gehen, muss man nicht gläubig sein, aber man kann es werden.

 

 

Mittwoch, 16.9.2009

Warum will Gott den Nebel?

„Ich bin der Einzige, der ein schwarzes Schaf will!“ grinst Sebastian, als es im Religionsunterricht ans Basteln geht. Die anderen Schüler der zweiten Volksschulklasse wollen das Gleichnis vom verlorenen Schaf mit einem weißen Schaf gestalten, nicht so er. 

„Jetzt ist er wunderbar bei der Sache! Aber am Anfang war es nicht ganz leicht mit ihm“, erzählt die Religionslehrerin. „Er stellte Fragen über Fragen. Warum will Gott den Nebel, zum Beispiel. Nur über das, was gerade Thema war, wollte Sebastian nicht so gern sprechen.“

Eines Tages gab sie ihm dann an seine Eltern eine Mitteilung mit, ein Lob für seine besondere Mitarbeit. Sie sagte: „Da werden sich deine Mama und dein Papa freuen.“ „Mein Papa wird sich nicht freuen“, gab Sebastian zurück. „Der bekommt das nicht mit. Der wohnt nicht bei uns.“

In der nächsten Religionsstunde kam Sebastian freudestrahlend auf die Lehrerin zu. „Mama hat sich so sehr über die Mitteilung gefreut, dass sie Papa angerufen hat. Und der ist dann zu uns gekommen, weil er das auch sehen wollte.“

Fast eine kleine Familienzusammenführung, denke ich, ausgelöst durch Lob. Und den grinsenden Sebastian vor Augen vermute ich: Er weiß, es ist nicht schlimm, nein, es ist schön, ein schwarzes Schaf zu sein. Ich darf anders sein als die anderen. Man mag mich, so wie ich bin.

Das Gleichnis vom verlorenen Schaf. Man kann es erzählen, man kann es erleben. Und manchmal will Gott, dass sich der Nebel lichtet.

 

 

Donnerstag, 17.9.2009

Warum Religionslehrer

Religionsstunde in Wien. Die Schüler wollen wissen, warum ihre Religionslehrerin diesen Beruf ergriffen hat. Sie beginnt, von ihrem Religionsunterricht zu erzählen. „Wir hatten da einen Religionslehrer, mit dem wir viel über den Glauben gesprochen haben. Ob man das, was in der Bibel steht, auch heute noch erleben kann. Ich war damals nicht sehr religiös, aber ich habe mir gedacht: Ich glaube ihm zwar nicht alles, was er sagt, aber ich glaube ihm, dass er das glaubt, was er sagt. Und das hat mich beeindruckt.“

Manche Kreise in Österreich wünschen sich, dass der konfessionelle Religionsunterricht durch einen religionskundlichen Unterricht abgelöst wird. Darin soll möglichst objektiv über die Religionen informiert werden, um eine freie Wahl zu ermöglichen. Die eigene Auffassung der Lehrkräfte dürfte nicht in den Unterricht einfließen. Natürlich könnten sie auch atheistisch eingestellt sein.

Ich frage mich, ob es das geben kann: Einen areligiösen Religionsunterricht. Was lernen Schüler von einem Lehrer, der seine eigene Überzeugung nicht zeigt? Was passiert, wenn sich ein Lehrer nicht mehr mit den Inhalten seines Fachs identifiziert?

Ist es eine Einschränkung der Freiheit der Schüler, wenn ein Lehrer zu seiner Glaubensüberzeugung steht? Oder besteht nicht gerade dann die Gefahr von Manipulationen, wenn sein Standpunkt nur unterschwellig, gleichsam „zwischen den Zeilen“, spürbar wird?

Konfession heißt Bekenntnis. Der konfessionelle Religionsunterricht lebt von Lehrkräften, die sich zu dem bekennen, woran sie glauben. Genau das brauchen junge Menschen: Lehrer, denen man glaubt, dass sie glauben, was sie sagen.

 

 

Freitag, 18.9.2009

Schülereinsichten

Wenn man, so wie ich, das Glück hat, oft und an verschiedenen Schulen den Religionsunterricht zu besuchen, kann man von den Kindern viel lernen. Der Religionsunterricht will ja eine Brücke bauen zwischen der Lebenswelt der Schüler und der Glaubenswelt der christlichen Überlieferung. Die Ergebnisse dieser Begegnung sind erstaunlich und oft ganz anders als erwartet.

Zum Beispiel, wenn die ernüchternde Antwort auf die Frage „Was würdet ihr machen, wenn ihr viel Geld hättet?“ lautet: „Gas und Strom bezahlen!“.

Was ist das Besondere an Jesus? Ein Volksschüler weiß es: „Dass Jesus nie still ist, weil er immer Menschen zuredet.“

Wann kommt es vor, dass der Himmel die Erde berührt? „Wenn ein Kind geboren wird und wenn jemand stirbt“, sagt ein 9-jähriges Mädchen.

Über jede einzelne Aussage ließe sich lange nachdenken. Eine Erkenntnis lautet: „Gott beschenkt, auch wenn Menschen sich vor ihm verschließen.“

Als Quintessenz aller Einsichten formuliert eine Schülerin der 1. Klasse Volksschule: „Die Liebe, das ist besser als alles.“ Und schließlich noch ein Wort, das nicht nur für mich als Vertreter der Schulaufsicht besondere Bedeutung hat: „Der Mensch ist manchmal auch mehr wert als die Vorschriften.“

Da sage noch einer, in Religion würde man nichts lernen…

 

 

Samstag, 19.9.2009

Begegnung mit dem Fremden

Elternabend in einer Wiener Volksschule. Die Kinder präsentieren ihr christlich-islamisches Unterrichtsprojekt. Ein Jahr hindurch haben die Schüler einmal im Monat eine gemeinsame katholisch-islamische Religionsstunde gestaltet, um einander von der eigenen Religion zu erzählen. Dabei traten sie abwechselnd füreinander als Lehrer auf und betreuten Lernstationen.

Die Direktorin ist froh über das Projekt: „Ich habe so viele Kulturen im Haus“, sagt sie. „Wenn wir nicht gut miteinander könnten, käme es zum Chaos. Wir müssen offen aufeinander zugehen, damit keine Feindbilder aufgebaut werden.“

Beim Abschlusselternabend fällt auf, dass nun die Eltern die Fragenden sind. „Warum muss man sich in der Moschee anders benehmen?“ Flugs werden die Kinder zu den Lehrern ihrer Eltern. Gemeinsam mit den Religionslehrerinnen und –lehrern geben sie die Antworten. Das Interesse der Eltern ist echt: „Wir haben das ja nie gelernt!“ sagen sie. Die Schule wird zum Lernort der Eltern.

Die Begegnung ist der Königsweg des interreligiösen Lernens. So lassen sich unterschiedliche religiöse Inhalte am besten vermitteln.  Dabei bedarf es der Experten aus den verschiedenen Religionen, die junge Menschen auskunftsfähig machen.

"Schön, dass wir so nett miteinander umgegangen sind, obwohl sie nicht immer das glauben, was wir glauben!" sagt eine Schülerin zum Abschluss. Ich weiß nicht, ob sie eine Muslimin oder eine Christin ist. Aber was sie meint, gilt so und so.