Morgengedanken
Sonntag, 6.05 Uhr -
6.08 Uhr,
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr,
ORF Regionalradios
„Erntedank“
von OKR Hannelore Reiner
Sonntag, 27.9.2009
„Wir pflügen und wir streuen den Samen
auf das Land, doch Wachstum und Gedeihen steht in des Himmels Hand.“
Das ist der Beginn meines
Lieblingsliedes zum Erntedank. Matthias Claudius, ein norddeutscher
Dichter und Journalist hat es im 18. Jahrhundert geschrieben. Das
Alter spürt man dem Lied auch an. Die Bilder von Saat und Ernte
kommen wie von einer fernen anderen Zeit in meine Gegenwart. Den
Sämann kennen wir heute höchstens noch aus dem berühmten Gemälde
von Van Gogh, und der Bauer, der den Pflug lenkt, sitzt längst am
hoch technisierten Traktor und hat kaum noch spürbare, greifbare
Verbundenheit mit dem Ackerboden.
Und dennoch: Das Bild vom Pflügen und
Säen ist uns allen längst zu einem Urbild geworden, das wir im
täglichen Leben verwenden. Wir beackern die verschiedensten Felder
in Wirtschaft und Forschung. Wir hoffen, dass die Saat so mancher
guter Ideen unter die Leute kommt und aufgeht. Unsere Sprache lebt
in und mit diesem uralten Bildern.
Der heutige Sonntag, der an vielen
Orten in unserem Land als Erntedankfest gefeiert wird, möge uns
anregen, auch den zweiten Teil des Verses nicht außer Acht zu
lassen: Wachstum und Gedeihen alles dessen, was wir aussäen und
bearbeiten, wo immer es auch sein mag, steht nicht in unserer,
sondern in des Himmels Hand.
Montag, 28.9.2009
Erntedank ist vielleicht das bunteste
und fröhlichste Fest im Jahr.
Die Kirchen werden ausgeschmückt mit
prachtvollen Erntekronen. Die Kinder bringen übervolle Obstkörbe.
Ein Fest zum Anschauen, zum Riechen, zum Hineinbeißen ...
Erntedank lässt sich aber auch ganz
anders feiern, mitten im Alltag, auf dem Weg in die Arbeit, in den
vielen Begegnungen eines Tages.
Matthias Claudius hat eine feinsinnige
Sprache für diese Art von Erntedankfeier gefunden. Er schreibt im
zweiten Vers seines Erntedankliedes: „Gott wickelt seinen Segen gar
zart und künstlich ein und bringt ihn dann behende in unser Feld und
Brot. Es geht durch unsre Hände, kommt aber her von Gott.“
Der Segen Gottes lässt sich selten
eins zu eins feststellen. Die Ernte eines Jahres oder auch nur eines
Tages fällt nicht immer gleich gut aus. Das Lied lehrt: Der Segen
ist eingewickelt, zart und kunstvoll ist er verborgen in allen
unseren Alltagserlebnissen.
Er geht durch unsere Hände, mit denen
wir heute schreiben und tippen, grüßen und kochen, die Maschine
bedienen und das Lenkrad festhalten. Es braucht also weder Obstkörbe
noch Erntekronen um Erntedank zu feiern, nur das feine Gespür für
den Segen, der in und hinter all unserem Tun und Lassen steht.
Dienstag, 29.9.2009
Der Dichter und Journalist Matthias
Claudius heiratete 1772 die damals erst 18-jährige Anna Rebecca
Behn, die aus einer einfachen Handwerkerfamilie abstammte. Ein Jahr
zuvor war der gut dreißig Jahre alte Claudius nach Wandsbek, einer
Stadt im Norden Deutschlands gezogen, um dort als Redakteur der
Handelszeitung „Wandsbecker Bote“ zu arbeiten. Der Name dieser
Zeitung wurde bald zu einem Teil seiner Identität. Auch als das
Journal längst nicht mehr existierte, erschienen Texte und Gedichte
von ihm unter dem Pseudonym „Wandsbecker Bote“.
Das Haus Claudius füllte sich rasch
mit Kinderstimmen. Insgesamt zwölf Kinder wurden den Beiden geboren.
Dieser familiäre Hintergrund floss auch in seine Gedichte ein. So
gelang ihm in einfacher, schlichter Sprache, seine Kinder und viele
Generationen seither auf die Wunder der Schöpfung aufmerksam zu
machen, wenn es etwa in seinem Erntedanklied heißt: „ Was nah ist
und was ferne, von Gott kommt alles her, der Strohhalm und die
Sterne, der Sperling und das Meer. Von ihm sind Büsch und Blätter
und Korn und Obst von ihm ...“
In dieser Aufzählung findet jeder
etwas, was ihn anspricht: Die große Welt der Sterne und des Meeres
wird verbunden mit der kleinen Welt des Sperlings und des
Strohhalms.
Von einem ökologischen Kreislauf
konnte Matthias Claudius noch nicht viel wissen, aber dass alles
miteinander verbunden ist und darum in der jeweiligen Würde auch zu
achten, das konnte er seinen Kindern mitgeben.
Mittwoch, 30.9.2009
„Ihr Pfarrer seid für das Wetter
zuständig, ihr habt schließlich den besten Draht nach oben!“
Oft habe ich diesen Satz schon
schmunzelnd bei irgendwelchen Veranstaltungen und Festen gehört. Als
ob die Geistlichen noch immer so ein bisschen auch die Wettermacher
wären ...
Aber nicht bloß die Pfarrer, auch der
Apostel Petrus muss herhalten, wenn’s ums schöne Wetter geht. Wie er
dazu kommt, kann ich nicht genau feststellen. In den Evangelien gibt
es, soweit ich sehe, keinen Hinweis dafür.
Aber das Wetter ist oft entscheidend.
Der Wetterbericht ist auch für mich manchmal der wichtigste Teil der
abendlichen Nachrichten. Sonnenschein und blauer Himmel kann gleich
auch das seelische Wohlbefinden aufleben lassen und umgekehrt: Ein
Nebel verhangener Tag legt sich mitunter wie ein grauer Schleier auf
Tagwerk und Laune.
Im Erntedanklied von Matthias Claudius
kommt auch das Wetter vor. Wachstum und Ernte sind allemal auch vom
richtigen Wetter zur rechten Zeit abhängig. Claudius weiß, dass
weder Pfarrer noch Meteorologen das Wetter wirklich beeinflussen
können, aber er ist überzeugt, dass es gut ist, wie es gerade kommt,
denn von Gott kommt beides, „das schöne Frühlingswetter und Schnee
und Ungestüm“.
Donnerstag, 1.10.2009
Im Hause des Dichters Matthias
Claudius waren Geldnöte an der Tagesordnung. Schließlich galt es
zwölf Kinder zu ernähren. Die Aufträge für Artikel und Aufsätze in
diversen Zeitungen kamen nur zögerlich. Berühmt wurde Claudius wie
viele seiner Dichterkollegen erst am Ende seines Lebens, bzw. nach
seinem Tod.
Jedes Kind im deutschsprachigen Raum
kennt heute sein Abendlied „Der Mond ist aufgegangen“. Weniger
bekannt sind seine Verse zum Entedank. Recht anschaulich beschreibt
er darin Gottes Fürsorge gegenüber den Geschöpfen:
„Er schenkt uns soviel Freude, er
macht uns frisch und rot; er gibt den Kühen Weide und unsern Kindern
Brot“.
Die bäuerliche Welt am Ende des 18.
Jahrhunderts wird hier vor Augen gemalt. Aber – vielleicht weniger
offensichtlich – im Hintergrund beschreibt Claudius auch die
Zustände in der eigenen Familie. So wie auch Eltern im heutigen
Österreich am Beginn eines neuen Schuljahres seufzen und genau
berechnen müssen, wie all die Ausgaben für die Kinder im
Haushaltsbudget untergebracht werden können, so gab es auch im Hause
Claudius immer wieder ähnliche Alltagssorgen. Dass es sich trotz
allem immer wieder und auch Dank fremder Hilfe ausgegangen ist, das
ist für den Dichter ein Geschenk des Gottes, dessen Segen allen
gilt.
Freitag, 2.10.2009
„Er lässt die Sonn aufgehen, er stellt
des Mondes Lauf; er lässt die Winde wehen und tut den Himmel auf“.
Das sind Zeilen aus einem
Erntedanklied von Matthias Claudius, geschrieben im Jahre 1783. In
einfachen Worten gelingt es dem Dichter, große Zusammenhänge für
jedermann einsichtig zu machen.
Claudius ist kein Astronom. Er
berechnet nicht Sternenbahnen oder ökologische Zusammenhänge, die
unser Leben auf diesem Planten beeinflussen. Fast wie ein Kind steht
er staunend vor dem Geschehen in der Natur und freut sich über die
aufgehende Sonne, die den neuen Tag ankündet. Hinter all dem erkennt
der sich mehr und mehr religiösen Themen zugewandte Journalist Gott
als den, „der den Himmel auftut“. Das lässt im Zusammenhang dieses
Erntedankliedes an den nötigen Regen und Schnee zur rechten Zeit für
das Wachstum der Saat denken.
Es kann aber auch viel weiter
verstanden werden. Hier wird ein Schöpfergott beschrieben, der nicht
irgendwo über den Wolken thront und dem wir Menschen gleichgültig
wären, sondern da ist einer, der seine göttliche Sphäre geöffnet und
sich selbst unter die Geschöpfe gemischt hat in Jesus von Nazaret.
Einen solchen offenen Himmel kann freilich nur der Mensch erkennen,
der das Staunen eines Kindes nicht verlernt hat.
Samstag, 3.10.2009
Dankbarkeit ist eine aussterbende
Tugend, hat neulich jemand zu mir gemeint. Er kam zu dieser für ihn
bitteren Erkenntnis angesichts mancher ausgebliebenen Reaktionen
seiner Mitmenschen.
Nun lässt sich ja zwischen Dank und
Dank unterscheiden. Da gibt es jenen höflichen, anerzogenen Dank,
der auch auf jedem Geschäftsbrief zu finden ist und zu unseren
Benimmregeln zählt. Daneben erlebe ich ab und zu aber auch ganz
spontane Dankbezeugungen, die frisch aus der Seele kommen, wo die
Freude noch sichtbar mitschwingt. Beide Formen der Dankbarkeit
möchte ich nicht missen.
Allerdings, Dankbarkeit setzt ein
bewusstes Leben voraus. Die vielen Geschenke, die meine ganz
gewöhnlichen Tage leicht machen, die freundlichen Gesichter, die mir
begegnen, die vielen Hände, die mir zuarbeiten, all das will erst
einmal wahrgenommen sein, damit sich das Gefühl der Dankbarkeit auch
einstellen kann.
Matthias Claudius, der Dichter meines
Lieblingserntedankliedes, lässt jeden Vers mit dem Kehrreim enden:
„Alle gute Gabe kommt her von Gott, dem Herrn. Drum dankt ihm,
dankt, drum dankt ihm, dankt und hofft auf ihn.“
Claudius war ein bewusst lebender
Mensch. Seine offenen Augen für alles, was sein Leben bunt und schön
macht, brachte ihn wie von selbst zur Dankbarkeit. Vielleicht kann
ja sein Lied dies auch bei den heutigen Lesern und Sängern bewirken
...
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