Morgengedanken

Sonntag,  6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr, 
ORF Regionalradios

 

 

 

von Pfarrer Hans Peter Premur, Krumpendorf

 

 

Sonntag, 18. Oktober 2009

Herbst

Willkommen im Herbst! Jetzt ist es wirklich so weit. Trotz eines  lang anhaltenden Sommers ist dieser nun endgültig vorbei. Die Natur macht sich jetzt durch abgeklärte Schönheit bemerkbar, das ist zu akzeptieren und auch zu genießen.

In der Theologie sagt man, dass Gott sich dem Menschen in zwei Büchern offenbare. Das eine ist selbstverständlich die Heilige Schrift, und das andere sogenannte Buch ist die Schöpfung selbst.

Ich möchte mit Ihnen in diesen Tagen in der Schöpfung lesen und unsere gemeinsame Aufmerksamkeit auf die herbstliche Natur lenken. Vielleicht eröffnet sich uns ein neuer Zusammenhang zwischen dem Schöpfer und seiner Schöpfung, oder längst Gewusstes wird uns wieder neu bewusst. Denn so wie man von einem Bild auf den Maler zurückschließen kann, so könnte es ja auch mit der sichtbaren Welt sein. Gibt sie uns doch durch ihre Schönheit und durch mancherlei allegorischer Symbole den Blick auf den Sinn des Daseins frei. Gerade im Wechsel der Jahreszeiten, den wir eben in der Natur erleben, zeigt sie uns, dass alles im Wandel ist, und trotz dieser Veränderung eine geheimnisvolle Beständigkeit alles trägt.

 

 

Montag, 19. Oktober 2009

Laub

Heute Nacht ist wieder viel Laub von den Bäumen auf die Erde gefallen. Viele, die jetzt im Herbst ihren Garten betreiben, stehen vor der alljährlichen Frage: Wohin bloß damit. Doch die spröden welken Blätter wollen mehr sein als nur belastender Abfall.

Rainer Maria Rilke findet in seinem berühmten Herbstgedicht mitten im normalerweise bedrückenden Fallen der Blätter eine Spur zu Gott. Denn im Fallen, in dieser von „oben“ her auf die Erde fallenden Gebärde der Schöpfung, sieht er auch des Menschen Schicksal mit eingeschlossen.  – „Wir alle fallen. Diese Hand da fällt. Und sieh dir andre an: es ist in allen“ . So stellt sich für Rilke dieses Blätterfallen als der Inbegriff der Vergänglichkeit dar. Alles wird zu Erde.

Im Hinschauen auf dieses Fallen in der Natur, im Sichtbarwerden der Hinfälligkeit allen Lebens, eröffnet sich aber für den Dichter ein inneres Auge, mit dem er mehr sehen kann, als äußerlich wahrnehmbar ist. Mitten im Fallen der Blätter, in diesem scheinbar lebensverneinenden Bild, offenbart sich das GETRAGENSEIN von allem. Der schauende Mensch spürt mit innerer Gewissheit, dass da einer ist, der die Schöpfung doch in seinen Händen hält.

 

 

Dienstag, 20. Oktober 2009

Tau

Heut werde ich wieder früh aufstehen und mit bloßen Füssen in die herbstliche Wiese steigen, um Tau zu treten. Pfarrer Kneipp und viele andere Heilpraktiker wussten um die segensbringende Wirkung dieser „Anwendung“, wie sie sagen. Man sollte am besten noch vor dem Frühstück so lange im Tau treten, bis man die Kälte so richtig verspürt und danach noch einmal kurz mit nassen Füssen ins Bett zurück gehen. Dort entfaltet sich dann die volle Wirkung dieses Wundermittels.

Jetzt im Herbst ist wieder viel Tau am Morgen in der Wiese. Morgentau. Dieser hat die Menschen schon immer fasziniert. Denn wie aus dem Nichts gekommen, liegt er am Beginn des neuen Tages zu unseren Füssen. Vielleicht kommt das umgangssprachliche Wort „ Einen Tau von etwas haben“ genau aus dieser Naturerfahrung. Da ist etwas von oben herabgefallen. Da ist etwas aus dem Unsichtbaren plötzlich sinnlich erfahrbar geworden.

Es wird nicht mehr allzu lang dauern, bis die Kirche wieder vom „tauenden Himmel“ singen wird, obwohl dann im Dezember alles schon zu frieren beginnt. Doch mit dem Tau ist auch eine religiöse Erfahrung gemeint.

So könnten auch wir jeden Morgen sowohl für unsere Gesundheit als auch für unsere spirituelle Praxis die Natur nutzen. Wir bräuchten nur unsere Schuhe auszuziehen, um eine sinnliche Erfahrung von dem zu machen, was von OBEN auf die Erde gefallen ist.

 

 

Mittwoch, 21. Oktober 2009

Luft

Jetzt im Herbst eine Wanderung zu machen ist wunderbar. Es ist nicht so heiß wie im Sommer und man muss nicht in aller Herrgottsfrühe aufbrechen. Nicht nur die Temperatur hat sich geändert, sondern auch das Licht in dem sich die Schöpfung zeigt. Die Dinge in einem anderen Licht zu sehen, ist zuallermeist eine Bereicherung, nur hinschauen und wahrnehmen, das muss man wollen.

Es ist die buddhistische Weisheitslehre, die uns heute neu mit dem Begriff der Achtsamkeit konfrontiert. Da der Mensch in seinen Gedanken zumeist in den Erinnerungen an Vergangenes schwelgt, oder gar in der Zukunft weilt, entgeht uns leicht das Hier und Jetzt. Gerade die asiatische spirituelle Tradition fordert uns Christen auf, eine neue Wachsamkeit zu entwickeln.

Im Hinschauen auf den Herbst und in seinem anderen Lichte kann dies, wenn man will, leicht gelingen. Das Wahrnehmen eines sich färbenden Baumes, das Schauen auf die Bergeshöhen, die nun viel klarer sind als sonst im Jahr, all das schärft unseren Blick für das Wunder der Schöpfung.

Um wieder klar sehen zu können, brauchen wir Menschen den Herbst. Das Reifen des Jahres, der Früchte, ja des eigenen Lebens, das ist ein notwendiger Prozess.

Nutzen wir diese Tage, um mitten in der Schöpfung Achtsamkeit zu lernen.

 

 

Donnerstag, 22. Oktober 2009

Obst

Zum Frühstück frisches Obst zu haben ist herrlich. Im Müsli, oder auch als Ganzes sind Früchte gesund, wohlschmeckend und erfrischend. Sie stillen den Hunger und den Durst auf vitalisierende Weise.

Wann, wenn nicht jetzt im Herbst, ist die beste Zeit zum Auskosten der Schöpfungsgaben. Eine alte Ernährungsregel sagt, man solle die Früchte dann genießen, wenn sie reif sind. Deshalb sind es jetzt im Herbst Äpfel, Weintrauben und Nüsse, die uns in Überfülle zur Verfügung stehen.

Ein gesunder biologisch gezogener Apfel ist ein Wundermittel für die Gesundheit. Ebenso ist ein reifer Apfel ein willkommener Anlass zu einer Herbstmeditation.

Wenn ich heute meinen Morgenapfel essen werde, dann werde ich das ganz bewusst tun, - mit Achtsamkeit. Ich werde ihn in meine Hände nehmen und ihn mit allen Sinnen bewusst wahrnehmen, bevor ich dann hineinbeiße. Dabei werde ich seinem Lebensweg nachspüren. Vom Blühen im vergangenen Frühling, von den vielen Sonnen-, Sternen- und Mondstunden, die in ihm stecken; von den Insektenbesuchen und den Temperatur und Lichtschwankungen, denen er ausgesetzt war, bis zur Ernte durch Menschenhand. All das war notwendig zu seiner Reifung. Ich werde, seine Geschichte ahnend, sein Fruchtfleisch genießen. Die Saftigkeit und Süße eines langen Apfellebens. Nur der Herbst kann uns den Sinn des Reifens schmackhaft machen.

 

 

Freitag, 23. Oktober 2009

Wasser

Ich lebe und arbeite am Wörthersee. Der Sommer ist in dieser Gegend ein sehr bewegter, weil dieser See ein magnetischer Anziehungspunkt für viele Menschen aus nah und fern ist.

Doch jetzt im Herbst ist alles anders. Der See ist zur Ruhe gekommen  und damit auch alle ausgelassene Betriebsamkeit. Wenn ich nun am Wörthersee spazieren gehe, merke ich seine beruhigende Wirkung und es tut meiner Seele gut, an seinem Ufer zu sein.

Besonders mystisch ist es am Morgen, wenn die Wasseroberfläche ruhig und glatt ist. Der See ist dann klar wie ein Spiegel. Ich sehe, wie sich in ihm der Himmel und die Berge widerspiegeln, ja, und wenn er ganz still ist, sogar mein eigenes Gesicht widerspiegelt.

In solchen Momenten fällt mir die „Belehrung der Wüstenväter“ ein, die in den ersten christlichen Jahrhunderten in den ägyptischen Wüstenklöstern das „Stille Gebet“ übten. Diese sagten, dass ein aufgewühlter Geist nicht in der Lage ist, die göttlichen Geheimnisse zu erkennen. Deshalb sei es für den Gottsucher notwendig, in die innere Stille zu kommen. So ein Herbstspaziergang am ruhig gewordenen Wasser kann uns also durchaus Gott, unserem Schöpfer und uns selber näher bringen.

 

 

Samstag, 24. Oktober 2009

Feuer

Ich habe mit Ihnen gemeinsam in diesen Tagen über typische Herbsterlebnisse nachgedacht, die in uns so etwas wie „Schöpfungsspiritualität“ wecken könnten. Es heißt ja, Gott offenbart sich auch in seiner Schöpfung. Nur hinschauen muss man und achtsam sein auf das, was die Dinge einem sagen wollen.

Ich habe einen kleinen Holzofen mit Sichtfenster. Jetzt im Herbst beginne ich wieder mit dem Heizen. Diese Öfen erlauben es, dass man direkt ins Feuer schauen kann. Auch das ist eine schöne Erfahrung in der kälter werdenden Jahreszeit: In die Flammen zu schauen. Schon ein Kerzenlicht vermittelt dieses wohltuende Gefühl.

Mein Ofen wird nun für viele Monate wieder die Mitte des Hauses sein. Ja, Feuer ist MITTE. Das wussten auch die Menschen der Antike. Deshalb sahen sie in ihm auch die Präsenz einer - übrigens weiblichen - Gottheit, die über die Eintracht der Familien zu wachen hat.

So ein Herdfeuer, oder auch das Licht einer Kerze kann so eine neue familiäre Mitte bilden. Nicht umsonst wird dem Feuer eine reinigende Kraft zugesprochen.

Ich werde also mit meinem Holzofen in einen Herbst gehen, der so wie alle Jahreszeiten – und wie im Grunde jeder Moment des Lebens – voller SINN ist. Ich hoffe, ich bin dafür achtsam genug.