Morgengedanken
Sonntag, 6.05 Uhr -
6.08 Uhr,
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr,
ORF Regionalradios
von Pfarrer Martin Müller (Waiern, Kärnten)
Sonntag, 25.10.2009
„Stark in der Hoffnung“
19 mal hat er versucht, das Segel wieder hoch zu kriegen. 19 mal!
Bei kräftigem Wind, den man sich als Surfer zum Antrieb wohl
wünscht. Und bei einem Wellengang – nicht gerade lau, wie es an der
Nordsee eben üblich ist. 19 mühsame Versuche! Und beim 20. Mal hat’s
dann geklappt: Der Mast kippt nicht mehr ins Wasser. Der Surfer kann
sich steil in den Bügel hängen, der Wind fährt ins Segel und weiter
geht der Kurs über Wellen und Gischt.
Unbeugsam in der Hoffnung, hab ich mir gedacht.
Stark in der Geduld. Wir verbinden Stärke ja oft mit der Kraft der
Muskeln, mit der Fähigkeit, Gewichte zu stemmen oder Gegner
niederzuringen. Aber mich fasziniert beim Menschen viel mehr die
andere Stärke: Wo ein von Krankheit gezeichneter Mensch auch nach
zehn anstrengenden Chemotherapien nicht aufhört, Genesung zu
erwarten – stark in der Hoffnung. Wo eine Mutter auch nach
zahlreichen Enttäuschungen das Vertrauen nicht wegwirft, dass ihr
Sohn doch noch den rechten Weg findet – stark im Vertrauen. Wo ein
Mensch trotz Anfeindung den Schritt zur Versöhnung wagt – stark in
der Friedfertigkeit.
Ich will mit Ihnen in dieser Woche Menschenbilder betrachten, die
sich durch Stärke ganz besonderer Qualität auszeichnen: Aus der
Kraft des Glaubens werden sie gestärkt zu einer lebendigen Hoffnung.
19 Versuche – und die Liebe Gottes beflügelt sie zum 20. Mal.
Montag, 26.10.2009
Liebe macht stark
Elkanas Ehefrau heißt Hanna. Genau übersetzt heißt das eigentlich
„Anmut“, was so viel bedeutet wie „Liebreiz“. Und weil Hannas
Inneres und ihre äußere Haltung von einer großen Freundlichkeit
geprägt sind, passt dieser Name auch zu ihr. Hanna ist „anmutig“,
sie wird von ihrem Mann Elkana über alles geliebt und geschätzt.
Aber Hanna ist traurig. Denn sie hat keine Kinder, so sehr sie sich
das auch wünscht. Ihre Gebete bleiben zunächst unerhört. Und ihre
Enttäuschung ist groß. Denn sie lebt in einer Zeit, als eine Frau
ohne Kinder nicht wirklich geachtet wurde. Gott sei Dank hat sie
einen Mann, der ganz zu ihr steht. Der sich nichts macht aus dem
Gerede der Leute rund um sie herum. Der sie tröstet und sagt: „Bin
ich dir nicht besser als zehn Söhne? Ich hab dich lieb, so wie du
bist! Und alles andere ist mir egal.“ Diese Liebe trägt Hanna und
macht sie stark. Bis ihre Gebet erhört werden, der Wunsch nach einem
Kind Wirklichkeit wird und sie ihren Sohn Samuel zur Welt bringen
darf.
Faszinierend, wenn die Liebe zwischen Mann und Frau so stark ist,
dass sie sich durch nichts irre machen lässt wie die Liebe Elkanas
zu Hanna. Verunglimpfungen von außen prallen ab, weil innere Stärke
und Vertrauen da sind. Selig, wer in einer solchen Ehe Mann, Frau,
Kind sein darf.
Dienstag, 27.10.2009
Zivilcourage
„Wer ist denn wirklich stark in den Augen Gottes?“, wird Jesus
einmal gefragt. Und dann erzählt Jesus die Geschichte vom
barmherzigen Samariter: Ein Mann wird in einsamer Gegend überfallen
und ausgeraubt – bewusstlos bleibt er liegen. Zwei Männer kommen
nacheinander an ihm vorbei. Beide sind sogar angesehene und fromme
Leute, aber in einsamer Gegend ist man inkognito. Schließlich kann
Jeder Opfer von Raub und Gewalt werden. Anders handelt der
Samariter, der zufällig des Weges kommt. Als „Ausländer“ tut gerade
er das einzig Richtige - er sieht den Verletzten, fasst sich ein
Herz, geht hin, versorgt ihn mit dem Notwendigsten, verbindet ihm
die Wunden und bringt ihn in eine Herberge. Dort soll er sich
erholen können.
Wer ist nun wirklich stark in den Augen Gottes, fragt Jesus? Die
Antwort versteht sich von selbst – der Samariter ist stark mit
seiner Zivilcourage. Eine solche Stärke ist heute mehr denn je
gefragt: Ob auf der Straße oder in der U-Bahn, in der Schulklasse
oder am Arbeitsplatz. Und auch auf politischem Parkett, wenn mit
ausländerfeindlichen Reden politisches Kleingeld gemacht wird.
Stark ist da nicht das „Miteinstimmen“, sondern das „Dagegenhalten“
und „für andere Eintreten“ im Geiste Jesu. Wie beim barmherzigen
Samariter.
Mittwoch, 28.10.2009
Ein ganz besonderes Testament
Die Geschichte hat mich tief bewegt, auch wenn ich nur kurz daran
teilhaben durfte. Erzählt von einem Mann, für den das Erlebnis aus
Kindertagen schon über 40 Jahre vergangen war.
Er war wohl ein Bub mit vier oder fünf Jahren, als er zum Sterbebett
seines Vaters gerufen wurde. Und für ihn stürzte da eine Welt ein.
Er sollte sich von seinem geliebten Papa verabschieden müssen.
Tränen ohne Ende. „Als Papa schon wochenlang gestorben war, wollte
ich ihn immer noch suchen gehen, zu Hause, in seiner Werkstatt und
am Friedhof“, sagte er. Es hat lange gedauert, mit dem Verlust
seines Vaters leben zu lernen. Aber sein Vater hat ihm am Sterbebett
wichtige Worte gesagt, die ihm geholfen haben und die er bis heute
nicht vergessen hat. „Franz“, hat er gesagt, „du bist wer! Und: Sei
gut zu deinen Mitmenschen!“ Das hat der Vater seinem kleinen Buben
am Sterbebett zugesprochen, und der hat es wie ein Vermächtnis im
Gedächtnis behalten und bis heute als ganz besonderes Lebensmotto
bewahrt.
„Franz, du bist wer!“ – so viel Anerkennung und so viel Zutrauen
wurde für Franz auch als Erwachsener zum Lebensmotto. Stark zum
Selbstbewusstsein, stark zum Gutes Tun.
„Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat“, sagt der
Apostel Paulus. Wie viel Kraft und Stärke können wir durch
empfangene Anerkennung weitergeben?
Donnerstag, 29.10.2009
Schutzbedürftig
Einen Menschen in Schutz nehmen vor selbstherrlichen Anklägern – das
ist wahre Stärke! Das Evangelium erzählt es so: Die Frau wird in
flagranti ertappt. Ehebruch! Das Gesetz verlangt in so einem Fall
eindeutig Todesstrafe durch Steinigung. Also zerren die ehrenwerten
Männer die Frau vor Jesus. Sie wissen das Recht auf ihrer Seite und
meinen, endlich einen Sieg feiern zu können gegen Jesus, den Freund
der Armen und schuldig Gewordenen. Der sitzt da, schreibt
Unverständliches in den Sand und schweigt. Schon heben die Kläger an
zum Triumph – als Jesus sagt: „Wer von euch ohne Sünde ist, der hebe
den ersten Stein!“ Betretene Stille. Keiner der Kläger weiß darauf
zu reagieren. Einer nach dem anderen treten sie ab. Und als Jesus
mit der Frau allein ist, sagt er: „Wenn dich keiner von ihnen
verdammt, verdamme ich dich auch nicht. Geh, und handle von nun an
recht!“
Einen Menschen in Schutz nehmen, wenn andere über ihn her fallen –
das ist wahrhaft Stärke. Sich an seine Seite stellen, wenn andere
ein Opfer suchen, das ist nicht leicht. Aber eine Tugend, die uns
Jesus vorgelebt hat.
Freitag, 30.10.2009
Stark in der Reue
Eigentlich war David ein König nach dem Herzen Gottes, der das Recht
der Armen geachtet und die Gebote Gottes ernst genommen hat. Aber
dann ist ihm offenbar die Macht zu Kopf gestiegen und er hat sich
die Allüren der Reichen und Schönen zu eigen gemacht. Die Frau eines
seiner höchsten Militärs hat er zu sich ins Bett geholt, und ihren
Mann hat er so in den Krieg geschickt, dass er fallen musste. Jetzt
hatte er freie Hand, um zu dessen Frau zu kommen. Kein
Kavaliersdelikt, sondern machtherrliche Willkür. Aber dann kriegt
König David Besuch vom Propheten. Der kommt und sagt, was Sache ist.
Er nimmt sich kein Blatt vor den Mund. Zuerst sagt er’s in einem
Gleichnis und dann grade heraus, direkt ins Gesicht. „Du, König, Du
bist der Übeltäter“. Die Botschaft schlägt ein. Der König ist bleich
vor Schrecken. Aber in dieser Situation zeigt sich die Stärke
Davids: Er erkennt seine Schuld, lässt sich vom Propheten ermahnen,
bittet Gott um Vergebung und setzt Schritte tätiger Reue.
Es ist unheimlich schwer, eigene Schuld offen einzugestehen und um
Vergebung zu bitten. Und doch kann es so viel Heilsames bewirken.
Die innere Stärke eines David, der den Mut hat zur Reue und Umkehr,
kann man sich nur wünschen.
Samstag, 31.10.2009
Aufrichten
Guten Morgen am Reformationstag, dem 31.Oktober. In den Zeiten
konfessioneller Auseinandersetzungen hat man Martin Luther oft als
starken Helden dargestellt, mit Hammer, Bibel und eiserner Faust.
Aber das ist Geschichte. Das Lutherbild als starker Held hat sich
als unrealistisch erwiesen. Wie meistens große Persönlichkeiten
nicht nur Licht, sondern auch Schattenseiten haben, Stärken und
Schwächen.
Die große Stärke des Reformators sehe ich nicht so sehr in seinen
spektakulären Auftritten vor Kaiser und kirchlicher Obrigkeit, nicht
nur in seiner theologischen Entdeckung vom Geschenkcharakter des
Glaubens, sondern vor allem in seiner seelsorglichen Qualität, wie
er Menschen in ihren Ängsten trösten und ermutigen konnte. Als sein
enger Mitarbeiter Philipp Melanchthon vor dem Kaiser den Inhalt der
Glaubensreform vortragen sollte, kriegt Melanchthon weiche Knie und
will am liebsten abtreten. In einem bewegenden, seelsorglichen Brief
stärkt und ermutigt ihn Luther: „Es ist Christi und Gottes eigene
Sache, nimm dich nicht zu wichtig“, sagt er. „Wirf deine Anliegen
auf den Herrn. Wenn es gut ausgeht, ist es recht. Und wenn nicht:
Besser mit Christus fallen, als mit dem Kaiser stehen.“
Solche Worte machen stark, weil sie gelassen machen. Wir können sie
ruhig auch auf uns beziehen, wenn wir meinen, die Welt stehe und
falle mit unsern Sorgen – aber Gott hat es in der Hand, wie es alles
ausgeht - und dort wollen wir’s lassen.
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