Heute am Allerheiligentag
möchte ich Ihnen zuerst einmal alles Gute zum Namenstag wünschen.
Sie stutzen? Heute Namenstag? Nein. – Freilich! Denn heute wird an
alle Heiligen gedacht.
Ich denke dabei gar nicht
an die von der Kirche auserwählten heiligen Männer und Frauen aus
einer weit zurückliegenden Vergangenheit, die uns mit mehr oder
weniger spektakulären Biographien Staunen machen. Ich denke an Sie
und mich. Denn ein Stück Heiligkeit tragen wir alle ins uns.
Was ist es, das uns normal
Sterbliche auch zu Heiligen machen kann? Was ist mir heilig, was ist
heil in mir und um mich herum?
Wir werden ja nahezu
überschwemmt mit unheiligen Personen und Zuständen. Ist es da nicht
umso wichtiger, den Blick zu schärfen für eine andere Perspektive;
dafür, dass es in jedem Leben sehr wohl Spuren gibt, die von
Heiligkeit erzählen können.
Davon, dass wir Gutes,
Heiliges in uns tragen, selbst wenn im Laufe eines Lebens so manche
Güte abgestorben scheint. Aber sie ist da und wartet auf ihre
Wiederbelebung.
Deshalb ist es gut, sich
heute an Allerheiligen an unsere Begabung zur Heiligkeit zu
erinnern.
Am frühen Morgen mute ich
Ihnen und mir erneut die Frage zu: Was macht uns heilig? Und ich bin
dabei auf einen Begriff gestoßen, der merkwürdig altmodisch klingt.
Auf das Wort TUGEND, das verwandt ist mit dem Wörtchen taugen.
Ich sinniere mutig weiter
und frage: Welche Tugenden braucht es, damit unsere eigene
Heiligkeit tauglich, brauchbar wird? Und flugs bin ich bei den
Kirchenvätern und den alten Griechen. Gab es da nicht so etwas wie
Kardinalstugenden? Kardinalstugend – da steckt das lateinische Wort
„cardo" drinnen, das bedeutet: Türangel, Dreh- und Angelpunkt. Also:
Die Kardinalstugenden sind so etwas wie eine Tür, ein Scharnier zur
eigenen Heiligkeit.
Tugenden, so lese ich bei
Aristoteles, fallen nicht vom Himmel, sie müssen gelernt, eingeübt
werden. Und sie haben nichts gemein mit jenen aus der bürgerlichen
Neuzeit, wie Fleiß, Anständigkeit, Pünktlichkeit und vor allem
Gehorsam.
Die vier aristotelischen
Tugenden lauten: Gerechtigkeit, Klugheit, Mäßigung und Tapferkeit.
Wau! Und die könnten das Scharnier zu unserer Heiligkeit sein?
In diesem Sinn wünsche ich
Ihnen einen tugendhaften Tag!
Wie geht es Ihnen auf
Ihrem Weg durch die Tage nach Allerheiligen? Sind Sie schon wach
genug, um mit mir auf dem Pfad der Tugenden zu gehen, ein paar
Gedankenfäden zu spinnen? Zum Beispiel über die erste
Kardinalstugend, die Gerechtigkeit.
Gemeint ist nicht die
Gerechtigkeit, die als Frau mit verbundenen Augen vor so manchem
Justizgebäude thront. Ich meine auch nicht eine Gerechtigkeit, deren
Triebfedern Unzufriedenheit und Neid sind. Ich meine jene
Gerechtigkeit, wie sie bei Aristoteles, bei Thomas von Aquin aber
auch bei Konfuzius zu finden ist.
Die Gerechtigkeit als
Tugend des Herzens und des Verstandes. Die Gerechtigkeit als Haltung
und Einstellung zum anderen Menschen. Eine solche Tugend ist
verwandt mit der Solidarität. Aber Solidarität ist nie neutral.
Solidarisch kann ich nie mit allen sein, Solidarität wählt aus,
trifft Optionen, hat immer etwas zu tun mit Entscheidung für ganz
bestimmte Menschen, Werte und Überzeugungen. Gerecht ist eine
Gesellschaft nur dann, wenn die Schwachen und Minderheiten in ihr
einen Namen und einen guten Ort haben.
In diesem Sinn wünsche ich
heute einen tugendhaften Tag.
Donnerstag, 5. November
2009
Ich erlaube mir heute
wieder laut über eine Kardinalstugend nachzudenken, eine beinahe
ausgestorbene. Ehrlich gesagt, ich hatte auch schon selber fast
vergessen, dass sie bei den alten Griechen und Kirchenvätern eine
Tugend ist, die Klugheit.
Hand auf’s Herz: Wann
haben sie zuletzt einen klugen Menschen getroffen? Oder einen klugen
Kommentar in den Medien gelesen. Ja sicher: Es wimmelt von
Neunmalklugen, Oberg‘scheiten und Besserwissern. Aber die Klugheit
scheint ein rares Gut geworden zu sein. Sie spricht eine leise
Sprache, sie hetzt nicht, sondern wägt ab. Sie wirft nicht alles in
einen Topf, sondern differenziert. Die Tugend der Klugheit ist
anstrengend, weil sie auf schwierige Fragen keine einfachen
Antworten parat hat.
Das Gegenteil von Klugheit
ist Dummheit im Sinne der Ignoranz. Wenn ich mich recht erinnere,
ist bei Thomas von Aquin die „ignorantia" – eine Art von Sünde.
Achtsam werden auf die
Tugend der Klugheit, das wäre doch was für den heutigen Tag. Denn
Tugenden sind doch wie Herzschrittmacher, um das eigene Heiligsein
reifen zu lassen.
In diesem Sinn wünsche ich
Ihnen einen tugendreichen Tag.
Freitag, 6. November 2009
Freuen Sie sich auf das
Wochenende? Haben Sie frei oder müssen Sie arbeiten? Wird es eine
Unterbrechung des Alltags geben oder geht es weiter im gleichen
Trott?
Mich selber beschäftigen
immer noch die Kardinalstugenden und der Weg zum persönlichen
Allerheiligen. Von einer Tugend möchte ich Ihnen heute wieder
erzählen. Es ist die Mäßigkeit. Wieder ein altbackenes Wort, das ein
bisschen muffig riecht. Vielleicht könnte Mäßigkeit heute übersetzt
werden mit: Ein gute Balance finden zwischen Arbeit und Freizeit,
zwischen Genuss und Verzicht, zwischen Hoch-Zeiten und Tief-Zeiten.
Work-Live-Balance heißt das so schön neudeutsch.
Die Tugend der Mäßigkeit
ist nicht zu verwechseln mit Langeweile oder Gleichgültigkeit. Wenn
mir alles gleich gültig ist, habe ich längst vergessen, klug
abzuwägen, wofür ich mich entscheide, was jetzt, an diesem Punkt
meines Lebens angegangen werden muss.
Wenn Tugenden wie
Herzschrittmacher sind, die helfen, das eigene Heiligsein reifen zu
lassen, dann braucht es Mäßigung, ein gutes Augenmaß, um den
Rhythmus des Lebens am Pulsieren zu halten.
In diesem Sinn - einen
tugendreichen Tag für Sie.
Samstag, 7. November 2009
Noch einmal wage ich in
früher Stunde den Griff in die alte, fast vergessene Schatzkiste der
Tugendlehre. Heute geht es um ein seltsam Ding, um die Tugend der
Tapferkeit. Freilich, so wie Aristoteles und die Kirchenväter sie
betrachteten, hat die Tapferkeit wenig mit Medaillen und Orden zu
tun. Und noch weniger mit Mutproben oder Zähne zusammenbeißen, Augen
zu und durch.
Tapferkeit meint das Maß
zwischen Feigheit und Verwegenheit, sie braucht die Fähigkeit
unterscheiden zu können und den Mut zur eigenen Meinung. Tapferkeit
hat also viel mehr mit Klugheit als mit Kühnheit zu tun. Ein anderes
Wort für Tapferkeit heißt heute wohl Zivilcourage. Dazu kann niemand
verpflichtet werden, ich kann sie höchstens lernen, Schritt für
Schritt.
Und für mich wird langsam
verständlich, was die Alten in ihrer Tugendlehre bezweckt hatten:
Sich einzuüben in das große Projekt Menschlichkeit.
So gesehen sind die
Tugenden Gerechtigkeit, Klugheit, Mäßigung und Tapferkeit wahrliche
Schrittmacher, um das zu stützen und zu stärken, was uns heilig
macht: Ein menschliches, warmes, kluges Herz.
In diesem Sinn wünsche ich
Ihnen einen tugendhaften Tag.