Morgengedanken

Sonntag,  6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr, 
ORF Regionalradios

 

 

 

GEDANKEN IM ALLTAG

von Pfarrer Wilfried M. Blum

 

 

Sonntag, 15. November 2009

Der November ist ein Monat des Erinnerns und Gedenkens. Dabei geht es nicht um Nostalgie, sondern um ein Erinnern für die Zukunft.

 

Erinnern heißt auch, aus den eigenen Erfahrungen und jenen der Geschichte zu lernen und die neue Zeit mutig mitzugestalten. So soll eine im Sinne Gottes gerechtere und friedvollere Welt im Großen wie im Kleinen entstehen können.

 

Erinnern für die Zukunft heißt, trotz manch negativer Erfahrungen dürfen Christen Folgendes nie vergessen:

 

Jeder Mensch hat eine ihm von Gott geschenkte Würde. Diese trägt jeder Mensch in sich - egal welcher Hautfarbe, Rasse, Herkunft und Religion. Diese Würde zu achten, respektvoll miteinander umzugehen, das ist Auftrag.

 

Wer sich der Geschichte erinnert, weiß, dass Gewalt und Krieg noch nie ein Problem auf Dauer gelöst haben. Daher heißt es wachsam zu bleiben und allen Anfängen der Gewalt im Großen wie im Kleinen zu wehren.

 

Gläubige aller Religionen und besonders wir Christen haben eine vorrangige Verantwortung, für ein friedliches Zusammenleben und eine lebenswerte Zukunft zu arbeiten.

 

 

Montag, 16. November 2009

In diesen Tagen sind wieder die neuesten Zahlen der Kirchenaustritte veröffentlicht worden. Gründe für Austritte sind meist vielschichtig. Schmerzlich ist es für mich dann, wenn jemand von der Kirche bitter enttäuscht wurde und dadurch sein Glaube wie ein Kartenhaus zusammengebrochen ist.

 

Ein Mann, der eine schwere Krise durchgemacht hat, schrieb mir unlängst: „Ich bin aus der Kirche ausgetreten, und das nach reiflicher Überlegung… In keiner Phase meiner Krise habe ich Hilfe von der Kirche erhalten, niemand hat sich da um mich gekümmert…“ – Und an einer anderen Stelle:„Ja, ich habe mit Gott gebrochen, bin von seiner Existenz auch nicht mehr überzeugt. Erst recht aber bin ich nicht mehr davon überzeugt, dass die Kath. Kirche mir eine Hilfe ist. Vom Umgang mit Geschiedenen will ich gar nicht reden, das ist schlichtweg zutiefst menschenverachtend und unwürdig…“

 

Ich kann Vieles verstehen. Gleichzeitig erinnere ich mich aber auch an die tragische Geschichte des Hiob. Lang und dunkel war sein Weg. Und doch gab es den Moment, wo er beten konnte: „Der Herr hat gegeben, der Herr hat genommen, gepriesen sei der Name des Herrn!“ (Ijob 1,21)

 

 

Dienstag, 17. November 2009

Die erste Welle der Empörung über den Spruch des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, dass Kreuze aus den Klassen Italiens zu entfernen sind, ist verebbt. Manches lässt sich nun ein wenig nüchterner betrachten.

 

Natürlich freut es mich, wenn in Klassenzimmern Kreuze zu finden sind, aber nicht nur dort. Kreuze an einem Weg, in den Häusern und Wohnungen oder auf einem Berg können sinnvolle Zeichen christlichen Glaubens sein. Denn das Kreuz ist und bleibt für mich ein Zeichen der Versöhnung und der Liebe Gottes – für alle Menschen.

 

Was mich aber weniger freut, ja sogar ärgert, ist, wenn es zu Wahlkampfzwecken missbraucht oder – wie in der jüngsten Diskussion – zu einem „Kulturlogo“ degradiert wird. Damit wird es seiner christlichen Botschaft beraubt.

 

Das oft beschworene christliche Abendland wird nicht gerettet, ob Kreuze in unseren Klassenzimmern hängen oder nicht. Vielmehr sind wir Christen selber gefordert, die Botschaft vom Kreuz – Versöhnung und Liebe Gottes – im Alltag glaubwürdig zu leben. Daran entscheidet sich, wie christlich unsere Zukunft sein wird oder nicht.

 

 

Mittwoch, 18. November 2009

Manchmal vermitteln uns die Medien, dass es nur gewalttätige und alkoholisierte Jugendliche gäbe. Tatsache ist aber, dass sie nicht so viel anders sind wie früher. Und Ausreißer hat es früher auch schon gegeben.

 

Wenn junge Menschen gefordert sind, dann engagieren sie sich auch. Ich denke an eine Handvoll Jugendlicher bei uns in der Pfarre, die im vergangenen Frühling und Sommer unzählige Stunden in ein Projekt von Pater Sporschill in Moldawien investiert haben.

Die Initiative kam vom Altbürgermeister. Ausgemusterte Schul-Computer wurden so hergerichtet, dass sie in den Suppenküchen und in einer Berufsschule wieder bestens verwendet werden konnten. Alles musste transportfähig verpackt und zeitgerecht an Ort und Stelle gebracht werden.

Zwei 16-jährige Jugendliche flogen dann für zwei Wochen nach Moldawien, um alles an Ort und Stelle zu installieren und Verantwortliche einzuschulen. Sie konnten so konkret helfen und gleichzeitig in einem der ärmsten Länder wertvolle Erfahrungen machen.

 

Vielleicht sind in unserem Umfeld noch mehr junge Menschen, die nur darauf warten für eine gute Sache gebraucht zu werden?

 

 

Donnerstag, 19. November 2009

Mit dem Wort „Sünde“ macht man heute in und außerhalb der Kirchen keinen großen Stich. Es ist abgenützt und von der Geschichte her auch für alles Mögliche missbraucht worden. Da darf es nicht wundern, wenn das Sünden- und Schuldbewusstsein stark gesunken ist.

 

Zu früher Stunde möchte ich aber einfach einen Denkanstoß dazu geben. Der bekannte evangelische Theologe Eberhard Jüngel beschreibt es einmal so: „Sünde heißt, sich nicht beschenken lassen“.

 

Vielleicht verwundert diese Definition. Und doch: Wie schwer ist es im Alltag, sich beschenken zu lassen; etwas ohne Wenn und Aber annehmen zu können, einfach so. Viel leichter fällt es uns doch, andere zu beschenken und manchmal dadurch auch ein wenig abhängig zu machen. Vielleicht bekomme ich einmal wieder etwas retour.

Da uns das beschenken Lassen schon nicht leicht fällt, um wie viel mehr können wir es kaum begreifen und glauben, dass Gott einfach liebt und beschenkt – von Anfang an.

 

Der Jesuit und Mystiker Henri Boulad spricht darum lieber von Erbgnade als von Erbsünde. Eine schöne und wohltuende Botschaft!

 

 

Freitag, 20. November 2009

Man hätte eine Nadel fallen hören können, so still war es, als Reinhard D. Jugendlichen im Rahmen ihrer Firmvorbereitung seine Lebens- und Glaubensgeschichte erzählte.

 

„Die Liebe erträgt alles, glaubt alles, hält allem stand“. Diese Worte aus dem Korintherbrief hatten Reinhards Leben entscheidend verändert. Da war seine Frau, die ihn durch ihre Liebe aus seiner Kartenspielsucht befreite. Sie schenkte ihm die Erfahrung, dass mit Liebe alles möglich ist.

 

Im Sommer 2008 wurde Reinhard im Postamt überfallen und mit 28 Messerstichen fast umgebracht. Doch an diesem Tag war sein Leitspruch „In Taten lieben“. Als er bereits mit dem Leben abgeschlossen hatte, konnte er dem Täter noch sagen: „Ich verzeihe dir, was du mir antust!“ In diesem Moment gibt er das Messer aus der Hand und flieht.

 

Reinhard muss heute noch mit Krücken gehen. Doch eine Absicht hat er noch, den inzwischen verurteilten Täter im Gefängnis zu besuchen.

 

Es ist keine alltägliche Geschichte. Doch sie zeigt beeindruckend auf, zu was Liebe und Versöhnungsbereitschaft fähig sind – ganz im Sinne von Jesus: Du sollst auch deine Feinde lieben.

 

 

Samstag, 21. November 2009

Als mein Gebet

immer andächtiger und innerlicher wurde,

da hatte ich immer weniger und weniger zu sagen.

Zuletzt wurde ich ganz still.

 

Ich wurde,

was womöglich noch ein größerer Gegensatz zum Reden ist,

ich wurde ein Hörer.

 

Ich meinte erst, Beten sei Reden.

Ich lernte aber, dass Beten nicht bloß Schweigen ist,

sondern Hören.

 

So ist es:

Beten heißt nicht, sich selbst reden hören.

Beten heißt:

still werden und still sein und warten,

bis der Betende Gott hört.

 

Dieses beeindruckende Gebet hat uns Sören Kierkegaard, ein großer dänischer Philosoph und Theologe des 19. Jahrhunderts, hinterlassen. Es kommt aus einem durch sein Nachdenken und sein Leben gereiften Herzen, das für Gott immer offener geworden ist.

 

Die Praxis des Betens hat sich sehr gewandelt. Fragt man zum Beispiel bei Kindern nach dem Vaterunser, dann können es nur noch ganz wenige. Leichter fällt ihnen schon, mit eigenen Worten zu beten, was sie bewegt.

Ja, das Leben selbst war immer und ist immer neu eine Schule des Betens.

Und ohne still zu werden und hinzuhören, wird man kaum Gott hören können.