Morgengedanken
Sonntag, 6.05 Uhr -
6.08 Uhr,
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr,
ORF Regionalradios
von P. Petrus Pilsinger, Benediktinerpater im Stift Seitenstetten
und Direktor des Stiftsgymnasiums Seitenstetten (NÖ)
Sonntag, 31.1.2010
„Glaube der nach Freiheit schmeckt“. So der Titel eines Buches, das
ich neulich sah. Was aber ist das: Glaube, der nach Freiheit
schmeckt?
Der Soziobiologe Richard Dawkins erklärt das Phänomen des verliebt
Seins auf folgende Weise: Liebe sei ein von der Evolution in unsere
Gene eingepflanzter irrationaler Mechanismus, ein Griff der Natur in
die Trickkiste der Genetik. Gesunde, fitte Gene seien von einem
skrupellosen Egoismus geprägt. Sie wollten nichts anderes als sich
fortpflanzen, sich vermehren und ihre Inhalte an die nächste
Generation weitergeben. Zur Förderung dieses Vorganges gebe es so
etwas wie das Gefühl des verliebt Seins. Liebe also ein Trick der
Evolution zur Sicherung des Fortbestands der Gene. Sollte Liebe
wirklich nicht mehr sein?
Die Heilige Schrift sagt: Wo geliebt wird, da ist Gott. Gott ist die
Liebe, und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in
ihm.
Was immer also da genetisch abläuft: Soziobiologen halten die Liebe
für einen Trick der Gene. Gottgläubigen begegnet Gott in der Liebe.
Das ist der Glaube, der nach Freiheit schmeckt.
Montag, 1.2.2010
„Wir wollen ja auch einmal leben!“ Diese Antwort kann man von
Schülern und Jugendlichen bekommen, wenn man ihnen empfiehlt zu
lernen, sich anzustrengen und zu arbeiten. Schließlich sei es ja ihr
Beruf, zu studieren und sich auszubilden. Und dann frag ich sie –
und mich: Ist denn die Zeit von Montag bis Freitag kein Leben?
Sind da die launigen und gut gemeinten Worte des Arbeitskollegen am
Montagmorgen, dass es nur mehr fünf Tage bis zum nächsten Wochenende
sind, ein echter Trost und hilfreich? Beginnt das wahre Leben
wirklich erst am Freitagabend?
Der Sinn des Lebens erschöpft sich in einer Erlebnisgesellschaft
jenseits des Alltäglichen, nämlich im außergewöhnlichen Erleben, in
der Erfahrung einer höchstmöglichen Reihe von Events.
Ein Glaubensinhalt ist die Einladung Gottes an den Menschen, alles
Gegebene als seine Gabe zu verstehen, also an den Gegebenheiten,
auch an denen des Alltags, zu wachsen und zu reifen.
Solcher Glaube, der auch von Montag bis Freitag Sinn gibt, das ist
ein Glaube, der nach Freiheit schmeckt.
Dienstag, 2.2.2010
Ein neugeborenes Baby ist von seinen Eltern abhängig. Sie stellen
Nahrung und Kleidung bereit. Sie schenken Zuwendung, Geborgenheit
und Liebe. Erst in dieser Verbundenheit mit den Eltern kann es einem
Neugeborenen gut gehen. Alleine können sie noch nicht leben.
Wenn Kinder zu Jugendlichen werden, wenn sie sich in ihrem Streben
nach Freiheit und Eigenständigkeit vom Elternhaus abnabeln, suchen
sie jemanden, der sie spüren lässt: Ich bin für dich da! Jugendliche
wollen nicht allein leben.
Und trotzdem ist für viele das Maß aller Dinge die Autonomie. Ihr
Credo lautet: Lebe möglichst unabhängig und ungebunden. Bist du auf
andere angewiesen, steht deine Freiheit auf dem Spiel und damit auch
dein Leben.
Die Bibel sagt: Gott ist ein Gott, der Freiheit schenkt! Als Israel
noch jung war, hat es dieser Gott durch die Wüste in die Freiheit,
in das verheißene Land geführt. Dort hat das Volk dankbar seinem
Gott einen Tempel gebaut. Doch als Israel von Gott unabhängig leben
wollte, da ist es in der Gefangenschaft von Babylon gelandet.
Die Bibel ermutigt uns: Häng dich vertrauensvoll an diesen Gott,
denn er sichert deine Freiheit. Der Glaube an ihn ist ein Glaube,
der nach Freiheit schmeckt.
Mittwoch, 3.2.2010
Mir ist es einmal passiert, dass ich jemandem einen G`spritzten
zahlen wollte. Da bekam ich die Antwort: Von Dir lass ich mir keinen
G´spritzten zahlen, den kann ich mir noch selber leisten. Unser
Lebensgefühl und unser Lebenswert hängen vielfach von dem ab, was
wir uns leisten können.
Aber ist es umgekehrt nicht so, dass wir uns die wahren Güter des
Lebens eigentlich nicht leisten können, weil es diese nur geschenkt
gibt? Dass wir ein Zuhause, Heimat haben, dass wir uns wohl und
geborgen fühlen, dass uns jemand liebt: Dieses und Ähnliches gibt es
entweder nur geschenkt oder gar nicht. Wir brauchen es nur dankbar
anzunehmen, verdienen können wir es nicht.
Das Problem Gottes in unserer Leistungsgesellschaft: Was Gott zu
bieten hat, das gibt es nur als Geschenk. Und welcher
Leistungsmensch lässt sich schon gerne etwas schenken.
Der Glaube sagt: Den Himmel kannst Du nicht verdienen, hier auf
Erden nicht und auch nicht in der Ewigkeit. Niemand kann so fromm
und heiligmäßig leben, dass er ein Anrecht auf den Himmel hätte.
Aber jeder kann ihn nehmen als Geschenk. Das ist ein Glaube, der
nach Freiheit schmeckt.
Donnerstag, 4.2.2010
Die Menschen warten auf Botschaften von Außerirdischen. Deswegen
stellen sie riesige Teleskopschüsseln auf und horchen in das
Weltall. Was aber, wenn die Außerirdischen über ein
Kommunikationssystem verfügten, das gar nicht zu den
Teleskopschüsseln passt?
Und wie ist das mit Gott? – Kann es eine Kommunikation zwischen
Mensch und Gott geben, wenn beide so grundverschieden sind?
Die Heilige Schrift sagt: Um das Geheimnis Gottes zu berühren,
braucht es einen sechsten Sinn – einen geistlichen Sinn. Und die
Heilige Schrift nennt diesen sechsten Sinn den Heiligen Geist.
Unser Glaube sagt: Diese göttliche Geisteskraft wirkt seit Beginn
der Schöpfung in der Geschichte. Wer seine geistlichen Antennen
ausfährt, der wird diesen Geist finden. „Wes Geistes Kind bist du?
Ist es der Geist deines ängstlichen Egos, der dich immer fragen
lässt: Gelte ich genug, habe ich genug, werde ich genug geliebt,
oder ist es der Geist der Liebe, der mir ermöglicht, mich zu öffnen
und Beziehungen einzugehen?
Wo die Antennen auf Offenheit und Begegnung gestellt sind, dort ist
ein Glaube möglich, der nach Freiheit schmeckt.
Freitag, 5.2.2010
Es ist heute weniger peinlich, beim Schwarzfahren erwischt zu werden
als beim Beten. Man fragt nicht: Betest Du? – Das tut man nicht.
Beten gilt vielen irgendwie als eine Art Flucht auf die „Insel der
Seligen“, um sich vor den rauen Stürmen des Alltags zu schützen.
Anderen erscheint es infantil: So wie das Kleinkind mit dem
Teddybären spricht, so reden Betende mit einem fiktiven Gegenüber.
Allenfalls kann man den Wert des Betens in seiner autosuggestiven
Wirkung ähnlich dem positiven Denken erkennen.
Was aber soll der Mensch tun, wenn ihn Glück zum Danken und Leid zum
Klagen bringen? Wohin mit der Dankbarkeit, wohin mit der Klage?
Religiöse Menschen glauben, dass es dafür einen Adressaten gibt,
jemanden, der ihr Bitten und Klagen und auch ihren Dank hört und
annimmt. Jemanden der wirklich zuhört. Dieses Geheimnis nennen sie
Gott.
„Gott, wenn es dich gibt, lass mich dich erkennen!“ So hat Charles
de Foucauld gebetet. Betend hat er zu Gott gefunden und von da an
sein ganzes Leben umgekrempelt. Nur wer betet, kann entdecken, ob
Beten sinnvoll ist. Theoretisch lässt sich das nicht klären.
Wenn Ihnen heute zum Klagen oder zum Danken ist: Der Glaube, der
nach Freiheit schmeckt, sagt: Es ist jemand, der wirklich zuhört. –
Sagen Sie es ihm.
Samstag, 6.2.2010
Es kann auf unserem Planeten furchtbar sein, menschlichen Richtern
in die Hände zu fallen. Wie viele Urteile mussten im Laufe der
Geschichte wieder aufgehoben werden.
Auch im privaten Bereich behalten oft Fehlurteile das letzte Wort.
Da wird einer gemobbt und verleumdet. Da gibt es Streit und Zwist,
Rosenkriege und schmerzliche Auseinandersetzungen um Sorgerechte. Da
bleiben klaffende Wunden. Versöhnung findet oft nicht statt.
In unserem Sehnen nach Gerechtigkeit sagen uns viele: Lass dir
nichts gefallen, kämpfe für dein Recht, koste es, was es wolle.
Und trotzdem bleibt viel Unrecht. Jeder Mensch nimmt vieles mit ins
Grab. Manches Unrecht wird für alle Zeit einzementiert.
Die Heilige Schrift sagt uns: Das letzte Gericht vor dem du zu
bestehen hast, ist das Gericht Gottes. Hier brauchst du dich nicht
bis aufs Blut zu verteidigen, denn Gott kennt dich in- und
auswendig, er weiß um deine Möglichkeiten und Grenzen. Sein Maßstab
ist fair. Es ist der Maßstab der Liebe.
Der Glaube sagt uns: Du brauchst dich nicht vor Ungerechtigkeit zu
fürchten, denn der letzte Richter urteilt nicht ab, sondern richtet
auf. Das ist ein Glaube, der nach Freiheit schmeckt.
(verwendete Literatur: Andreas Knapp, Melanie Wolfers: Glaube der
nach Freiheit schmeckt. Eine Einladung an Zweifler und Skeptiker,
Pattloch 2009)
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