Morgengedanken
Sonntag, 6.05 Uhr -
6.08 Uhr,
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr,
ORF Regionalradios
von Altbischof Johann Weber, Diözese Graz-Seckau
Sonntag, 21. Februar 2010
In Graz kenne ich mich doch ziemlich
gut aus, doch ich bin froh, wenn in der Straßenbahn die Stationen
angesagt werden. Und so ist es auch im Leben, es hat bestimmte
Stationen, jeder und jede hat sie.
Eine meiner ersten Lebensstationen ist
meine alte Volksschule, sie steht noch. Eine Volksschule ist schon
etwas Besonderes. Ohne ABC und ohne Einmaleins am Anfang würde es ja
nicht gehen. Und: Eine gewisse, freundliche Ordnung lerne ich halt
auch!
Da wächst die Einsicht, dass ich für
mein Leben – ob nun gern oder weniger gern - auch kleine und große
Regeln brauche.
Die Hefte sollten also stimmen, Fehler
wurden rot angestrichen. Und ebenso kann ich, Schritt um Schritt,
eine tiefere Ordnung für mich lernen. Die Einsicht kann wachsen, was
für mich und die Leute neben mir wirklich gut ist. Wir Christen
sagen, diese Einsicht komme von Gott, aus seiner Zuneigung und Nähe,
bei der wir mitmachen können, auch wenn ich Fehler mache. Und um
diese Ordnung aus Liebe und in Liebe kann ich mein Leben lang
bitten, auch wenn ich schon viele Jahre leben darf. Volksschule ist
eine wichtige Station, am Anfang auf der Fahrt des Lebens, nicht nur
für Rechtschreiben, eben auch für ein wohltuendes Leben.
Danke, liebe Lehrerin von damals!
Montag, 22. Februar 2010
Mein Gymnasium hatte ganz in der Nähe
eine Station der Straßenbahn. Heute ist sie schon längst
aufgelassen. Aber sie fällt sie mir immer wieder ein.
Anderes ist auch längst vorbei, und
doch ist es nicht vergessen. Etwa die Freundschaften, damals, in der
Jugendzeit. Sie kommen und gehen und doch bleibt etwas. Wir haben
gern großartig geredet - von Treue, ewig, ich schreib dir sicher,
Händedruck. Viele von denen leben nicht mehr, etliche sind aus dem
Krieg nicht zurückgekommen. Doch die Erinnerung ist da, sie bleibt
wie von selber. Es ist doch eine wichtige Station des Lebens, wenn
es entdeckt wird, das: „Du und Ich, wir zwei halten zusammen!“
Es hat sich einfach so gegeben, ohne
Pläne und befohlene Anweisungen. Und nun treffen wir uns mitunter.
Nur wenige, alt geworden. Dass wir aber dafür Zeit aufwenden, oft
weit fahren und dann miteinander nachdenklich erzählen, lachen und
auch klagen – das zeigt, ohne davon zu reden, die Kostbarkeit von
einfacher, alter Freundschaft. Sie muss nicht beteuert werden.
Vermutlich ist das ja bei uns allen so, man braucht bloß ein wenig
nachdenken. Und sich freuen darüber.
Dienstag, 23. Februar 2010
Da bleibt auf einmal die Straßenbahn,
bleibt der Bus stehen, fährt nicht weiter.
Was ist los – ist was kaputt, ein
Unfall? Ich komme ja zu spät!
Ähnlich ist es, wenn aus dem Telefon
eine bekannte Stimme zu hören ist: „Du, ich bin seit ein paar Tagen
im Spital – auf einmal – ja, die Untersuchungen laufen noch – ich
weiß nicht…“ Ja, ich kenne dich, mag dich vielleicht und nun bist
du krank, da spüre ich wohl auch etwas für mich selber – die
unerwartete Haltestelle „krank sein“.
Sie ist schwer auszuhalten – hab nicht
damit gerechnet, keine Anzeichen, wieso passiert mir das? Nun ist
es aber so.
Manche haben die Gabe, da im rechten
Augenblick ein gutes Wort zu sagen. Andere schweigen. Wie immer –
vielleicht ist das Beste, einfach da sein. Nicht immer geht es, am
Krankenbett zu sitzen. Oder ich bring es einfach nicht zusammen.
Wohl aber mit den Gedanken bei dir
sein. Und zugleich mit guten Gedanken bei mir selber sein, nicht nur
dann, wenn es mich getroffen hat.
Das heißt auch beten. Oft ist es so,
dass jemand schon lang das Beten vergessen hat. Jetzt aber kommt es
wieder, beinahe von selber. Und auch wenn rundum alles gesund ist –
das passt immer: Vater unser …und erlöse uns vom Bösen!
Mittwoch, 24.Februar 2010
Mit den Bauernregeln für das Wetter
ist es so eine Sache, einmal stimmen sie, einmal wieder nicht. Und
heute ist eine der bekanntesten dran. Es ist nämlich der Apostel
Matthias im Kalender. Und da sagt man: „Mattheis brichts Eis.“ Der
Winter wäre also nun im Allgemeinen vorbei.
Matthias ist erst später als Apostel
gezählt worden. Als Judas nicht mehr dabei war, wurde er als Ersatz
gewählt, salopp gesagt, einer von der Reservebank.
Solche Erlebnisse gibt es ja öfter:
„Jetzt können sie mich also doch noch brauchen….“, so sagen manche.
Und mit einiger Angst: „Hoffentlich gibt es keine Enttäuschung!“
Das alles ist nicht ganz einfach.
Allerdings, es könnte mich ein Stück weiterführen.
Ich hoffe ja nicht nur auf einen neuen
Platz, ich hoffe auf Wertschätzung. Freilich ist oft keine Spur
davon zu spüren.
Dennoch: Wenn ich auch nur sozusagen
einen Rockzipfel von Glauben zur Hand habe, dann kann ich schon Atem
holen, denn es gibt eine Wertschätzung, die größer und sicherer ist
– nämlich jene, die bei Gott daheim ist. Sonst würde ich ja gar
nicht leben. Denn er hat mich nicht aus Spaß, sondern aus Liebe ins
Leben geholt.
Und wenn es irgendwie recht eisig ist
in meinem Leben, er will einen neuen Frühling für mich – früher oder
später.
Ganz sicher!
Donnerstag, 25. Februar 2010
Mein Großvater konnte wunderbar
Geschichten erzählen, vor allem eigene Erlebnisse. Dabei hat er so
dick aufgetragen und auch geschmunzelt, so dass es allen klar war:
Das ist so eine Art Jägerlatein.
Nun gibt es ja wirklich die großen
Lebensstationen, die nie vergessen werden, ob ich sie nun erzähle
oder sie – was oft auch sehr gut ist – in meinem Inneren bewahre.
Doch die kleinen Zwischenstationen
sind ebenso wichtig. Die sogar ihren eigenen Rhythmus haben. Und da
fällt einem gleich der Sonntag ein, der in unserer Kultur nicht
wegzudenken ist.
Diese wöchentliche Station des Lebens
sollte man nicht übersehen, bloß verschlafen, wie es einem in der
Eisenbahn passieren kann. Das ist für mich ganz wichtig geworden:
Was immer ich am Sonntag zu tun habe, es soll in mir Platz zum
Nachdenken geben. Und dieses schöne Wort sagt ja, dass jemand für
mich vorausgedacht hat.
Deshalb will ich, muss ich – und nicht
allein deswegen, weil es mein Beruf ist – an diesem Tag das Reden
und Denken Gottes in der Bibel hören. Und ebenso das Fühlen in
meinem Inneren und das Schicksal der Menschen neben mir mitbekommen.
Das alles gelingt mir nicht immer so
richtig. Aber in zwei Tagen ist der nächste Sonntag. Es ist gut,
sich vorher auf ihn einzustellen. Und sich auf ihn zu freuen.
Freitag, 26.Februar 2010
Ein Vorgesetzter heißt so, weil er
einem vorgesetzt wird. In den meisten Fällen, man kann sich ja ihn
oder sie nicht aussuchen. Ich hab viel Glück gehabt mit meinem
ersten Chef, jedenfalls war das eine wichtige Lebensstation für
mich.
Gott sei Dank hat sich im Laufe der
Zeit für die „Untergebenen“ – wie es hieß – vieles, freilich nicht
alles, geändert. Doch, wie immer – einen Vorgesetzten beobachten wir
genau. Und wissen meist viel von ihm oder ihr zu erzählen. Nicht
immer nur Gutes.
Doch da ist eine Chance, eine
lebenswichtige Chance: Nicht bloß, weil ich es vielleicht gelernt
habe, sondern weil es gefühlt, geahnt, schließlich gewusst werden
kann. Da gibt es doch einen vor mir, der sich selber einen guten
Hirten nennt und es auch ist, nicht immer schnell verstehbar. Bei
dem jedoch alle Hoffnungen und Fragen zusammenkommen. Der mit uns
geht, mit mir und in mir lebt, Freude mit uns teilt und auch
Bitterkeit. Er hat immer Zeit, ich kann immer mit ihm reden.
Wir nennen ihn Gott, er ist meinem
Leben nahe mit seiner armen Geburt bis zu seinem Sieg über den Tod.
Er lässt uns die Freiheit, er kündigt
nicht. Und wenn ich weggehe, dann wartet er dennoch, schaut mir
nach, ob ich nicht doch wieder kommen will. Mein unruhiges Herz
hofft ganz still darauf.
Samstag, 27. Februar 2010
In einem Fahrplan sind Stationen
vermerkt, Ort und vorgesehene Zeit. Und einmal ist Endstation –
„Alles aussteigen bitte!“
Lebensstationen haben eben auch eine
Endstation. Von dem höre ich auf einmal, von jener, dass sie nicht
mehr am Leben sind. „Was schon? – Ach, hab es mir eh schon gedacht…“
Ja, aber wo sind sie jetzt? Darüber lässt sich endlos diskutieren.
Wir Christen machen es uns jedoch
einfach, weil es einfach ist. Wir sagen Auferstehung. Auferstehung,
damals an einem Sonntag mit dem Jesus von Nazareth und einmal
beginnt auch für mich und dich ein endloser Sonntag. Freilich gibt
es da schwere Gewichte: Trauer, Angst, Gleichgültigkeit, einfach
vorbei – alles gibt es.
Ob ich nun einen solchen Sonntag habe,
der mehr wiegt als das? Ob ich selber wie ein Sonntag bin mit meinen
Gedanken, meiner Hoffnung, meinem Vertrauen?
Niemand ist ein ausgelernter Christ,
ich auch nicht. Aber an diese Endstation zu denken, wo ein neues,
abstrichlos schönes Lebensland beginnt, sollten wir mit Geduld
versuchen, immer wieder, besonders aber und vielleicht mit mehr
Erfolg, gerade am Sonntag.
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