Morgengedanken
Sonntag, 6.05 Uhr -
6.08 Uhr,
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr,
ORF Regionalradios
von
Pfarrer Adolf Karlinger (Innsbruck, Tirol)
Sonntag, 21.3.2010
Noch
nie hatte der Mensch so viel Freiheit. Noch nie war er so
herausgefordert, sein Leben selbst in die Hand zu nehmen. Noch nie
hatte er in diesem Ausmaß wie heute die Möglichkeit, die Welt,
kennen zu lernen, zu verändern, zu behüten oder auch zu zerstören.
Nach dem Vorbild des großen Schöpfers ist er gefordert,
schöpferisch, verantwortlich und frei seinen Beitrag für „Frieden,
Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung“ zu leisten.
Die
Freiheit hat aber auch ihre Kehrseite. Niemand kann alles, was man
sich theoretisch leisten könnte, auch tatsächlich leisten. Das tut
weh!
Freiheit kann auch verkommen und absinken zur Freizügigkeit, zur
Beliebigkeit, zur Unverbindlichkeit. Es liegt im Trend der Zeit,
sich von traditionellen Bindungen zu lösen, und Werte aufzugeben.
Niemandem verpflichtet, an niemanden gebunden, ohne Richtung und
ohne Beziehung, ohne Orientierung, das ist dann „frei“. So träumt
man! Nur der Augenblick gilt. „Frei von allem“ neigt er dazu, im
Namen der Freiheit dahinzutreiben, ohne Sinn und ohne Ziel.
Eines
sollte man dennoch nicht vergessen: Jeder ist hineingestellt in eine
Welt, die ihm diese Freiheit, aber auch ihren Missbrauch erst
ermöglicht; jeder ist vernetzt mit einer Gesellschaft, die ihm Brot
gibt zum Leben; jeder ist gehalten von Menschen, die zu ihm stehen;
und nicht zuletzt ist jeder getragen von den weiten und tiefen
„Wassern des Lebens“. Das sollte man auch bedenken.
Montag, 22.3.2010
„Wo
bleibst du, Trost der ganzen Welt, darauf sie all ihr Hoffnung
stellt? O komm, ach komm vom höchsten Saal, komm tröst uns hier im
Jammertal.“ So heißt es in einem Adventlied: Auch unsere heutige
moderne aufgeklärte Welt ist trotz des Fortschritts ein Jammertal.
Krieg, Terror, Hungersnot, Frust und Verzweiflung. Wir brauchen
heute nur die Nachrichten in Radio und Fernsehen auf uns wirken
lassen. Wir in unserer Fun- und Spaßgesellschaft sind schon in
Gefahr, selbst die schlimmsten Katastrophen unverbindlich und
teilnahmslos anzuschauen, so als wären sie für unsere Unterhaltung
bestimmt. Christus ist am Kreuz für uns gestorben, und dennoch ist
die Welt ein Jammertal. Wo also ist die Erlösung, wo ist sie spürbar
und erfahrbar? Albert Camus schildert in seinem Roman die „Pest“,
wie die Ratten ausgeschickt werden, um den Pestbazillus bis in den
letzten Winkel zu bringen, damit alle einen grauenvollen Tod
sterben. Selbst, die, die die Pest überlebt haben, selbst die tragen
den Bazillus noch in ihren Gewändern. Der Pfarrer predigt zuerst vom
Strafgericht Gottes, das die Menschen wegen ihrer Bosheit verdienen.
Wie er dann unschuldige Kinder sterben sieht, sagt er nur mehr: Es
ist eine „schwierige Liebe“, die Liebe Gottes. Unsere Welt ist nicht
erlöst, sie ist ein Jammertal. Wo ist dann aber die viel gepriesene
Erlösung?
Dienstag, 23.3.2010
Viele
Leute erkennen mich an meiner Stimme. Darüber freue ich mich. Auch
ich erkenne Leute an ihrer Stimme. Ich höre z.B. die Stimme meiner
Mutter, die längst tot ist, die immer gesagt hat: „Was auf den
Teller kommt, das wird gegessen!“, „Brot wirft man nicht weg!“, „Das
ist schmutzig, da schaut man nicht hin!“
Dann
höre ich auch die Stimmen meiner Lehrer, Erzieher, des Beichtvaters,
der mir immer gute Ratschläge gab, später die Stimmen der Freunde,
die wie Gegenstimmen bereits manchen Misston bewirkten. Ich vernehme
gütige, harte, Angst machende, aber auch tröstende und aufmunternde
Stimmen in mir. Ich erlebe den Überbau eines mächtigen „Über-Ich“
und ich kann nicht allen Stimmen folgen. Hier stimmt der Satz:
„Allen Menschen recht getan, ist eine Kunst, die niemand kann!“
Andere
Stimmen melden sich auch noch: „Sei nicht so dumm! Lass dich nicht
ausnützen! Zeig’s ihnen!“ Diese Stimmen geben sich harmlos, doch
durch kleine Verdrehungen, durch kleine Übertreibungen erreichen
sie, dass ich etwas will, was ich eigentlich gar nicht will, weil
ich spüre, dass es mir nicht gut tut.
Ich
höre aber noch eine andere Stimme in mir und ich spüre, dass diese
ganz „die meine“ ist. Sie kommt aus meiner tiefsten Mitte – von
dort, wo ich ganz ich selbst bin. Es ist die Stimme meines
Gewissens, wo ich manchmal sogar glaube, Einflüsterungen eines
liebenden Gottes leise zu vernehmen.
Mittwoch, 24.3.2010
Von
den ersten Menschen wird erzählt, dass sie im Paradies waren: Alles,
was das Herz begehrte, haben sie bekommen. Doch „alles“ war zu
wenig, sie wollten noch mehr. Es war die Schlange, die der Frau
einredete, dass Gott kleinlich sei und ihnen gerade das nicht
vergönne, was für ihr Glück das Tüpfelchen auf dem „i“ wäre. „Wie
Gott werdet ihr sein!“, sagte die Schlange und auf einmal war der
Apfel, oder was immer auch damit gemeint ist, das Wichtigste in der
Welt, das Begehrenswerteste, der Inbegriff des Glücks, die Seligkeit
schlechthin.
Gott
sagt, das tut dir nicht gut, der Mensch sagt, das muss ich haben!
Ich will, ich muss es haben! Das war die Versuchung am Anfang. Und
heute? Das ist heute aktueller denn je. In manchen Familien entsteht
ein geradezu unerträglicher Druck, weil die Kinder alles haben
müssen, was auch die anderen haben.
Tragödien in den Beziehungsgeschichten.
Es
wird uns aber auch eingeredet, dass du dies und jenes brauchst, ja
haben musst, um glücklich zu sein.
Adam,
der Mensch ist nackt, er ist bloßgestellt, er versteckt sich,
schiebt natürlich die Schuld auf die Frau, diese weiter auf die
Schlange. Schuld auch für die Maßlosigkeit sind wie üblich und von
Anfang an immer die anderen!
Donnerstag, 25.3.2010
Immer
mehr Haushalte und Privatpersonen in Österreich sind verschuldet.
Man will unbedingt einen Lebensstandard halten, den man sich
eigentlich gar nicht leisten kann.
Es ist
heutzutage auch keine Schande, Schulden zu haben, von den Banken
bekommt man Geld relativ leicht, nicht selten wird es problematisch,
oft sogar tragisch, wenn es um die Rückzahlungen geht.
In der
Bibel wird von einem Fall erzählt, wo ein hoher Beamter eines
orientalischen Königs seinem Herrn 10.000 Talente schuldet, heute
wären dies Millionen von Euro. Weil er aber das Geld nicht
zurückzahlen konnte, befahl der Herr, ihn mit Frau und Kindern und
allem, was er besaß, zu verkaufen und so die Schuld zu begleichen.
Der Diener flehte seinen Herrn um Aufschub an. Dieser wusste genau,
dass der Diener nie imstande ist, das Geld zurückzuzahlen. Und er
erlässt ihm die Schuld.
Als
nun dieser Diener hinausging, traf er einen anderen Diener, der ihm
hundert Dinare - eine Lappalie - schuldig war. Er packte ihn, würgte
ihn und rief: „Bezahl, was du mir schuldig bist!“ Er hatte kein
Erbarmen und ließ ihn ins Gefängnis werfen. Als die übrigen Diener
das sahen, waren sie empört und berichteten es dem König. Der König
sagte zu ihm: „Deine große Schuld habe ich dir erlassen. Hättest du
nicht auch deinem Schuldner die ohnehin kleine Schuld erlassen
können? Warum misst du mit zweierlei Maß?“ Und er übergab ihn den
Folterknechten.
Im
Vater unser beten wir: Vergib uns, wie auch wir vergeben!
Freitag, 26.3.2010
Ich
erinnere mich an einen alten Bauern, der mir in freundschaftlicher
Zuneigung sagte: „Du, deine Predigten gefallen mir!“ Ich hake ein
wenig nach und frage zurück: „Was gefällt dir denn an meinen
Predigten?“ Er sagt: „Bei deinen Predigten fällt mir immer jemand
ein, den dies angeht!“ Ich versuche herauszubringen, was sich der
Bauer für sich selber aus der Predigt herausnimmt. Es kommt nur ein
verlegenes, unverständliches Lächeln.
Ich
denke oft an diese Begebenheit, weil sie so typisch ist. In eigenen
Belangen ist man „blind“, bei den anderen sieht man die Fehler
scharf und schnell.
Bei
gemeinsamen „Beichtgesprächen“ in der Schule, wo Kinder freiwillig
zu zweit oder zu dritt kommen können, beginne ich mit einer Übung:
„Sag du zuerst, was dein Mitschüler, deine Mitschülerin gut macht!“
„Mir fällt nichts ein!“, ist die Antwort stereotyp. Mit der Zeit
kommt dann doch etwas. „Er/sie ist verlässlich, freundlich,
hilfsbereit usw.“ „Dann sag du, wo du dich ändern solltest!“ Fällt
einem auch nicht so schnell etwas ein. Würde ich fragen, was der
andere schlecht macht, dann könnte man den Redefluss kaum stoppen.
„Mir
fällt immer jemand ein, den dies angeht!“, sagte der alte Bauer.
Offensichtlich braucht man jemanden, der einem hilft, das Gute auch
bei anderen zu sehen und sich selber gegenüber ein wenig kritischer
zu sein.
Samstag, 27.3.2010
Man freut sich heute schon darüber, wenn ein Bischof
hinter vorgehaltener Hand etwas sagt, was die Spatzen ohnehin schon
seit 40 Jahren von den Dächern pfeifen.
Papst Johannes Paul hat uns verboten, über die
Priesterweihe der Frau auch nur zu reden, der Zölibat für
Weltpriester steht nicht zur Diskussion, obwohl die ganze Welt
darüber spricht.
Ich selber stehe zu meinem Priesterzölibat, hätte
aber keine Probleme, wenn der Priestermangel bei uns anders gelöst
würde, als einem Pfarrer 2 bis 5 Pfarreien aufzubürden.
Der Druck auf die katholischen Priester wächst, noch
bessere Ausbildung, sexuelle Reife. Woher kommen die Kandidaten?
Ich lese gerade mit großer Aufmerksamkeit ein Buch
über das Verhältnis von Kirchenamt und Gottesvolk. „Die gesteigerte
Sehnsucht der Menschen nach Freiheit, Achtung und haltgebender Kraft
bringt Spannung in das Verhältnis von Kirchenamt und Gottesvolk.
Hirten und Herde reden aneinander vorbei, nicht selten herrscht bis
in kirchliche Kernschichten hinein ein Klima, das von Misstrauen und
Maßregelungen geprägt ist.“
Der engagierte Pastoraltheologe aus Tübingen Ottmar
Fuchs plädiert für eine Neuentdeckung des kirchlichen Amtes als
wirksamen Dienst am Volk und an der Erfahrung der Gnade Gottes, die
allen Menschen geschenkt ist.
Ich bin seit 46 Jahren Priester, ich habe intensiv
gelebt und habe ein erfülltes Leben. Vielleicht schaffe ich es bis
zum 50er. Wenn nicht, ist es auch recht.
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