Morgengedanken
Sonntag, 6.05 Uhr -
6.08 Uhr,
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr,
ORF Regionalradios
von Pfarrer Dietmar Stipsits (Bad Tatzmannsdorf, Burgenland)
Sonntag, 28. März 2010
Der Liturgiekreis in unserer
röm.-kath. Pfarrgemeinde Bad Tatzmannsdorf hatte sich für die
heurige Fastenzeit zum Thema gemacht: „Fasten, das bedeutet…“. Fünf
Schritte waren es, die uns Sonntag für Sonntag näher zum Osterfest
geführt haben; fünf Schritte, die aber nicht nur in der Fastenzeit
wichtig sind, so meine ich.
Verweilen, heilen, teilen, verzeihen
und befreien sind diese fünf Schritte. Ich möchte sie mit Ihnen in
der kommenden Karwoche näher beleuchten und aufzeigen, worauf es im
christlichen Leben ankommt, welche Eigenschaften uns Christinnen und
Christen auszeichnen müssen, damit dieser auferstandene Jesus auch
im Heute erfahrbar, ja sichtbar wird durch unser Handeln.
Sandra Synowzik schreibt:
„Ich suche nach einem Sinn des Lebens.
Das tägliche Einerlei,
das bisschen Spaß in der Freizeit,
das Warten auf Festlichkeiten –
kann darin der Sinn des Lebens
stecken?
Ich suche nach etwas Tieferem,
nach etwas Größerem,
nach etwas, das Trost, Halt und
Hoffnung gibt,
etwas, das selbst die Angst vor dem
Ende
nehmen kann.
Ich suche…“
(Sandra Synowzik, aus: Wachsen zur
Fülle. Impuls- und Meditationstexte (nicht nur) zur Fastenzeit, Haus
der Stille, 1996, 25.)
Für dieses Suchen möchte ich Ihnen
jetzt in der Karwoche fünf Glaubens-Schritte anbieten.
Montag, 29. März 2010
Um in meinem Leben voranzukommen,
finde ich es wichtig, immer wieder zu verweilen. Sich Zeit zum Nach-
und Bedenken gönnen, betrachten, was sich im Laufe eines Lebensweges
entwickelt hat, kritisch anschauen, welche Entscheidungen vor mir
liegen.
Israel, Gottes Volk, wird zum Beispiel
im 26. Kapitel des Buches Deuteronomium aufgefordert, nach der Ernte
nicht gleich wieder zur Tagesordnung überzugehen, sondern
innezuhalten, zu verweilen und sich dabei zu erinnern, wie die
Geschichte Israels verlaufen ist durch Höhen und Tiefen bis zum
heutigen Tag, an dem es gute Ernte einbringen kann.
Für mich bedeutet das: Ich verweile,
halte bewusst die Stille aus, nehme mir immer wieder bewusst Zeit
für den, dem ich Geschichte, Wachstum, Entwicklung, Freiheit, Leben
verdanke. Und dabei will ich mich fragen: Wo stehe ich in meinem
Leben? Stimmen Tempo und Richtung noch? Muss ich mich neu
orientieren? Wo geht mein Weg weiter?
Zu Verweilen, um dadurch zum
Wesentlichen meines Lebens zu finden, das wäre ein erster
Glaubens-Schritt. Nur im Verweilen vollzieht sich echte Erkenntnis.
Dienstag, 30. März 2010
Ein zweiter Glaubens-Schritt ist für
mich „heilen“. Das Verb „heil“ bedeutet ursprünglich „gesund,
unversehrt, gerettet“, beziehungsweise „ganz, völlig, vollständig“.
Ich bin überzeugt davon, dass unser christlicher Glaube vor allem
etwas mit der Sehnsucht nach Heil-Sein zu tun hat. Die Heilige
Schrift ist voll von Geschichten, die davon erzählen, wie Gott
Menschen heil machen möchte.
Wenn wir uns nach Heil-Sein sehnen,
dann bringen wir damit den Wunsch zum Ausdruck, dass unser Leben
gelingen möge, dass es ganz wird, dass ich alles, was in mir ist,
annehmen kann, dass ich zu allem, was ich bin, „Ja“ sagen kann: Ja,
es ist gut so, wie es ist. Dazu gehören auch meine Wunden, die mir
im Laufe meines Lebens von verschiedensten Menschen zugefügt wurden.
Heil-Sein bedeutet für mich daher, die
eigenen Wunden nicht zu verdrängen, sondern anzuschauen und langsam
vernarben zu lassen. Und Heil-Sein bedeutet für mich auch, durch die
eigenen vernarbten Wunden offen für die Wunden der anderen zu sein
und sie zu begleiten auf ihrem Weg hin zum Heil-Werden. Ganzheitlich
heil werden, ein wichtiger Glaubens-Schritt.
Mittwoch, 31. März 2010
Vom Dichter Rainer Maria Rilke wird
erzählt, dass er täglich an einer Bettlerin vorbeikam und ihr eines
Tages eine Rose in die Hand legte. Da geschah etwas, was noch nie
geschehen war: Die Bettlerin sah auf, ergriff die Hand des Dichters,
küsste sie. Dann ging sie mit der Rose davon. Anders als üblich
wurde die Bettlerin daraufhin eine ganze Woche lang nicht gesehen.
Verwundert fragte der Freund den Dichter nach der beängstigenden
Wirkung der Gabe und wovon die Bettlerin in dieser Woche gelebt
habe. Rilke antwortete: „Man muss ihrem Herzen schenken, nicht ihrer
Hand.“
Man muss auch dem Herzen schenken,
nicht nur der Hand! Die materielle Absicherung der Existenz ist ohne
Zweifel lebensnotwendig, daher gilt es auch bewusst mit Armen zu
teilen, denen das Nötigste zum Leben fehlt. Aber darüber hinaus
brauchen Menschen Zuwendung: Freunde, die zuhören können; Eltern,
die ihren Kindern mehr Zeit schenken; Verwandte, die für ihre alten
Angehörigen Geduld aufbringen… auch das bedeutet für mich „teilen“ –
Glaubens-Schritt Nummer drei.
Donnerstag, 01. April 2010
Ein ganz wesentlicher Glaubens-Schritt
ist für mich das Verzeihen. Verzeihen, sich aussöhnen ist für mich
ein Prozess, bei dem ich mir bewusst Zeit nehmen muss für die
Verletzungen, die mir andere zugefügt haben, und bei dem ich lerne,
meine eigenen Gefühle nicht zu vergewaltigen oder zu unterdrücken,
sondern mich von den negativen Emotionen zu befreien.
Ich bin überzeugt davon, dass es ohne
Verzeihen kein gelingendes menschliches Zusammenleben gibt. Wir
verletzen einander immer wieder, ob wir es wollen oder nicht. Und
als Seelsorger erlebe ich es dann manchmal, dass Menschen einander
die zugefügten Verletzungen ein Leben lang aufrechnen.
Andererseits dürfen Verletzungen auch
nicht übergangen werden, sonst erzeugen sie in uns Bitterkeit und
Aggression, die wir dann bei irgendeiner Gelegenheit wieder
herauslassen in Form von Vorwürfen, von (zerstörerischer) Kritik,
von Ressentiments. Irgendwann werden wir es dem andern heimzahlen.
Und es wird eine Schuld die andere erzeugen.
Verzeihen unterbricht den Teufelskreis
von Vergeltung und Wiedervergeltung. Wagen wir den mühsamen Weg des
Verzeihens. Verzeihen reinigt die Atmosphäre und ermöglicht so auch
uns, die wir verletzt sind und immer wieder verletzen, ein
menschliches Miteinander.
Freitag, 02. April 2010
Der evangelische Theologe Dietrich
Bonhoeffer erklärt uns den fünften Glaubens-Schritt, zeigt uns, was
befreien für uns bedeuten kann. Seine Hinrichtung vor Augen, schrieb
er folgendes Gedicht:
„Nicht das Beliebige,
sondern das Rechte tun und wagen,
nicht im Möglichen schweben,
das Wirkliche tapfer ergreifen,
nicht in der Flucht der Gedanken,
allein in der Tat ist die Freiheit.
Tritt aus ängstlichem Zögern heraus
in den Sturm des Geschehens,
nur von Gottes Gebot und deinem
Glauben getragen,
und die Freiheit wird deinen Geist
jauchzend empfangen.“
(http://existenzanalyse.info/Inhalt/Bonhoeffer/Dietrich_Bonhoeffer/dietrich_bonhoeffer.htm)
So wie Bonhoeffer mit diesem
kraftvollen und zum aktiven Engagement aufrufenden Gedicht den
Glauben beschreibt, versuche ich persönlich meinen Glauben zu leben:
Die Menschen zu ermuntern, auf menschliche Not, wo immer wir ihr
begegnen, heilsam und heilend tatkräftig zu antworten. Dort wird
Reich Gottes, wie es Jesus uns gebracht hat, gegenwärtig.
Dieser fünfte Glaubens-Schritt macht
unsere Kirche wieder zu einem Ort, wo jeder einzelne Mensch wichtig
ist, und alles getan wird, damit jede und jeder zu einem erfüllten,
zu einem befreiten Leben finden kann.
Samstag, 03. April 2010
Mit verweilen, heilen, teilen,
verzeihen und befreien wollte ich Ihnen jetzt in der Karwoche mit
fünf Schritten aufzeigen, wie Glaube praktisch gelebt werden kann
und was wir heute in der Osternacht feiern werden. Auf den Punkt
gebracht vom Autor und spirituellen Begleiter, Pierre Stutz, im von
ihm verfassten Glaubensbekenntnis:
„Ich glaube an Gott, den tragenden
Grund in meinem Leben. Ich kann seine Spur entdecken in der
Schöpfung, in der Stille, im Guten im Menschen, in allem
Geheimnisvollen des Lebens, das uns übersteigt.
Ich glaube an Jesus, unseren Befreier.
Durch seine Lebensfreude,
seine kämpferische Solidarität und seine heilende Zuwendung kann ich
erfahren, wie Gott mit uns umgeht. Er erlöst uns von den
Allmachtsfantasien, alles selber machen zu müssen.
Ich glaube an die Kraft der
Freundschaft, die sich in der lebensspendenden Hoffnung der
Freundin Geist erfahren lässt. Sie bewegt uns zur Zärtlichkeit und
zum Aufstand für das Leben. Sie führt uns zusammen, um die Kirche zu
erneuern, im Engagement für ein Leben vor dem Tod, für alle - und in
der Hoffnung auf ewiges Leben.“
(Pierre Stutz, Verwundet bin ich und
aufgehoben. Für eine Spiritualität der Unvollkommenheit.
Kösel-Verlag, München 2003,189f.)
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