Morgengedanken

Sonntag,  6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr, 
ORF Regionalradios

 

 

 

von Mag. Karin Engele, evangelische Pfarrerin in Peggau in der Steiermark

 

 

Sonntag, 11. April 2010:

Ich geb’s ja zu, gutes Essen macht mir Freude, da bin ich verführbar. Aber wenn ich manchmal Sonntag Nachmittag den Fernseher einschalte und ein bisschen durch die Satellitenwelt zappe, dann habe ich bald genug: Kochshows und Gourmetreisen, Haubenköche und Schmankerl auf der Almhütte, kaum eine Sendung, in der das Essen nicht eine große Rolle spielt. So als wären wir alle knapp am Verhungern. Dann frag ich mich schon, warum wir solche Probleme haben mit unserer Nahrungsaufnahme. Die einen zahlen für Diäten in Gesundheitshotels, die anderen brauchen Therapie, weil sie an Magersucht oder Bulimie leiden. Fragen gesunder Ernährung sind ein Dauerbrenner in vielen Illustrierten, trotzdem steigt der Anteil an Übergewichtigen sogar bei Kindern. Fast food - schnelles Futter und exzessive Genusserlebnisse halten sich die Waage. Ich sehne mich deutlich nach Normalität, gut ist es, manchmal den Hunger zu spüren, gut ist es, sich bewusst zu machen, in welchem Überfluss wir leben. In Wien wird täglich so viel Brot weggeworfen, wie die ganze Stadt Graz an einem Tag braucht. Mit der derzeitigen Nahrungsmittelproduktion könnten alle 6 Milliarden Menschen satt werden. Vielleicht sollten wir beginnen, weniger zu essen, kleine Portionen zu bestellen und das Geld, das wir uns dadurch ersparen, einfach weitergeben an Projekte oder Institutionen, die sich mit der Ernährung von Menschen in den ärmsten Ländern der Welt beschäftigen. Vielleicht schon heute Mittag.

 

 

Montag, 12. April 2010:

Mein Mann bringt einige Reiseprospekte, heute habe ich Zeit, ich schau sie an, lese: Egal ob Griechenland, die Türkei, Marokko, ob Ägypten oder gar Dubai. Ich sehe riesige Hotelanlagen an Sandstränden, mit blitzblauem Wasser in Swimmingpools, Sonnenschirme.......

Schön, denke ich mir, schaut aber alles ziemlich gleich aus, all inclusive lese ich, Buffet zu Mittag und am Abend, Fitness, Disco, Kinderbetreuung und völlig unverfänglich heißt es da: Animation rund um die Uhr, Animation das heißt Belebung, - sind die Menschen tot, die in Urlaub fahren, müssen sie belebt werden, muss ihnen sogar im Urlaub jemand vorzeigen, vortanzen, vorsagen, was sie wann tun sollen? Traurig, denk ich mir, denn einmal hab ich es erlebt, was das heißt: Animation. Da stehen am Strand riesengroße Boxen, die fast den lieben langen Tag dröhnend heiße Rhythmen über die gesamte Anlage schallen lassen. Gibt es kein Angebot ohne Animation? Ich lebe schon, ich möchte so gern ein wenig Besinnung, Ruhe, Zeit zum Nachdenken, Lesen, einfach nur in der Sonne liegen, schwimmen, mich erholen halt. Das scheint aber nicht mehr so einfach zu sein. Ruhe, das kostet extra, vielleicht sollten wir doch lieber zu dem kleinen See in Kärnten fahren, den wir letztes Jahr entdeckt haben, ohne Animation, mitten drin in der Landschaft.

 

 

Dienstag, 13. April 2010:

„Wollen sie eine Zeitschrift anschauen?“, fragt mich die Friseurin. Das ist die seltene Gelegenheit für mich, etwas zu erfahren aus der Welt von Glanz und Glamour. Ich lese, wer gerade mit wem liiert ist, was Meryl Streep bei der Oscarverleihung getragen hat, welche Stars gerade wo ihren Urlaub verbringen.

Ich kenne die meisten nicht einmal beim Namen. Deshalb erstaunt mich die Aussage eines katholischen Kollegen, der evangelischen Kindern die Bedeutung von Heiligenbildern erklärt. Es sei so wie in den Illustrierten. Früher, da hätten die Leute alles von diesen Heiligen gewusst, ihre speziellen Lieblinge gehabt, sie verehrt und nachgeahmt in ihrer Lebensweise und in ihrem Glauben. Das hat sich nicht geändert. Menschen brauchen Vorbilder, an denen sie ihr Leben ausrichten. Schade, denk ich mir, dass das heute vielfach Menschen sind, die auf Kosten anderer leben, die ihre Partnerinnen  oder Partner wechseln wie andere ihre Unterwäsche und sich nicht scheuen, die schlimmsten Ereignisse ihres Lebens – sogar Krankheiten und Todesfälle - von der Regenbogenpresse fotografieren und sich dafür noch gut bezahlen zu lassen. Dann kommt mir ein Bericht unter von einer Sängerin, die ein Hilfsprojekt für Waisenkinder in Afrika gestartet hat und dafür einen guten Teil ihrer Gagen zur Verfügung stellt, das versöhnt mich mit der Welt, vielleicht findet sie ja auch dafür viele Nachahmer.

 

 

Mittwoch, 14. April 2010:

Für 9.00 Uhr bin ich zum Zahnarzt bestellt, im Wartezimmer blättere ich mit Freude in den dort aufliegenden Gesundheitsmagazinen. Was es nicht alles gibt an Mangelerscheinungen und was gut und sinnvoll wäre dagegen zu tun. Einiges habe ich mir gemerkt, zum Beispiel ein Medikament, um freie Radikale zu neutralisieren, damit ließen sich die Sehkraft und der Zellschutz fördern. Oder eine Reihe von biologischen Mitteln, die den Blutzucker regulieren und die Verkalkung der Gefäße verlangsamen. Nicht vergessen darf ich, mindestens drei Präparate zu besorgen gegen meine fortschreitende Arthrose in den Gelenken, nicht billig, aber garantiert ohne Nebenwirkungen, weil eben auch biologisch. Zur Stärkung der Darmflora brauch ich unbedingt noch etwas Probiotisches. Oh, und Knoblauchpastillen gegen meine Vergesslichkeit, außerdem noch ein Elixier zur Vitalitätssteigerung, schließlich bin ich schon weit über fünfzig. Und ganz neu auf dem Markt ist dieses Wunder von ionisiertem Korallenwasser, auf das Millionen Menschen schwören, weil es Fitness bis ins hohe Alter verspricht.

Ich staune über diese Vielfalt, ärgere mich über Ärzte, die ihren Patienten solche Präparate auch noch einreden oder gar verkaufen und wünsche mir und uns allen ein wenig mehr Gelassenheit im Umgang mit unserem Leben.

Bin ich froh, dass mich mein Zahnarzt vor allen weiteren Empfehlungen verschont.

 

 

Donnerstag, 15. April 2010:

Wir haben Seniorentreff am Nachmittag. Eine Frau, die sonst immer dabei ist, hat sich entschuldigt. Sie muss mit ihrer Enkelin nach Seiersberg, das hat sie ihr versprochen. Seiersberg ist das Paradies für viele, ein Rieseneinkaufszentrum im Südwesten von Graz, wo man alles bekommen soll, was das Herz begehrt. Ich erinnere mich an das Märchen vom Schlaraffenland, gebratene Tauben fliegen einem in den Mund, im Bächlein fließt frische Milch und an den Bäumen wachsen Brot und Würste und man muss gar nichts mehr arbeiten, sondern kann den ganzen Tag auf der faulen Haut liegen. So ähnlich muss es wohl sein - nur leider hat das Einkaufsparadies einen Haken, man braucht Geld, um dabei zu sein. Gratis kann man dort nur parken, immerhin. Es muss eine große Faszination ausüben, die schier unendliche Angebotspalette zu bestaunen und dadurch die eigene Kauflust anzuregen. Auch wenn Kästen, Zimmer und Kellerabteile überquellen. Vielleicht sind es die Sammelleidenschaft, der Jagdtrieb, das Gefühl dazuzugehören. Ich will ehrlich sein, ich kann es nicht beurteilen, ich war noch nie in Seiersberg. Ich kann mich nur immer wieder wundern. Traurig macht es mich, wenn Menschen ihr weniges, hart verdientes Geld für Sachen ausgeben, die sie nicht brauchen, statt einen lustigen Nachmittag mit den Kindern im Park, beim Radfahren oder Spielen zu verbringen.

 

 

Freitag, 16. April 2010:

Heute hab ich Zeit, endlich mal wieder meine Freundin zu besuchen. Kaum angekommen, läutet ihr Handy, „Leider, es wird ein bisschen dauern“, sagt sie und geht ins Nebenzimmer. Ich mach es mir inzwischen auf dem Sofa gemütlich und schau mich um. Sehr gepflegt die Wohnung, alles ist fein säuberlich geordnet. Ich nehme dann eins von diesen Modejournalen zur Hand, die ich mir nie kaufe. Lauter edle Gestalten, makellose Gesichter, freilich stundenlang gestylt, ich weiß schon, aber dann beginnt doch der Wurm zu nagen an der eigenen Eitelkeit. Könnte ich nie anziehen, wo auch,  in der Schule, beim Geburtstagsbesuch im Altersheim oder gar im Gottesdienst unter dem Talar. So anders sieht sie aus meine Lebenswelt, aber auch die Lebenswelt der meisten Frauen, die ich kenne, die ganz normal ihrer täglichen Arbeit nachgehen, die die alt gewordene Mutter pflegen, die Einkäufe erledigen, im Büro oder Geschäft dem Beruf nachgehen, die Kinder versorgen. Hochhackige Schuhe sind dafür ebenso wenig geeignet, wie aufgeklebte lange Fingernägel, der enge kurze Rock macht Probleme beim Stiegen Steigen und Taschen Schleppen. Da kommt meine Freundin ins Zimmer zurück, ich fühle mich wie ertappt, ein klein wenig hausbacken und lege schnell das Modejournal an seinen Platz zurück.

 

 

Samstag, 17.April 2010:

Nun ist es also doch geschehen, ich hab mich von wohlmeinenden Kolleginnen überreden lassen, mir endlich mal die Haare zu tönen. An meinen grauen Haaren würde man mir mein Alter ansehen. Dabei war ich doch so stolz auf die grauen Strähnen. Und gegen mein Alter habe ich eigentlich auch keine Einwände.

Natürlich mach ich es selbst, brauche eine halbe Stunde zur Auswahl der hoffentlich passenden Farbe, lese weitere 10 Minuten die Gebrauchsanweisung, dann 20 Minuten Tönungsvorgang, Waschen, Föhnen, das hätte ich auch sonst machen müssen.

Das Ergebnis ist dunkler als ich wollte, ziemlich dunkel sogar, aber die grauen Haare sind überdeckt für mindestens 24 Haarwäschen stand auf der Schachtel. Na, da bin ich mal gespannt auf die Reaktionen. Es war ernüchternd, kaum jemand hat es bemerkt, zwei Kolleginnen haben mich drauf angesprochen, niemand hat mich deshalb lieber oder weniger lieb gehabt. Nur mein Mann hat gesagt: „Find ich ziemlich dunkel“. „Ich auch“, hab ich gesagt, dann hat er mich in den Arm genommen und wir haben beide laut gelacht.

Jetzt hoffe ich, dass das stimmt mit den 24 Haarwäschen, denn in den Sprüchen Salomos heißt es: Ehrt das Alter und graue Haare sind eine Krone der Ehre.

Leider gibt es keine Möglichkeit der Entfärbung, dazu braucht es Geduld, aber ein Geduldiger ist besser als ein Starker, heißt es in den Sprüchen weiter. Und damit kann ich ganz gut leben.