Morgengedanken
Sonntag, 6.05 Uhr -
6.08 Uhr,
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr,
ORF Regionalradios
von Mag. Thomas Pichler, Pfarrer von Gföhl (NÖ)
Sonntag, 25.4.2010
„Mitten in der Nacht ist der Anfang eines neuen Tages“, lese ich auf
einer Karte an der Pinnwand meines Arbeitszimmers. Eigentlich eine
Binsenweisheit: Der Tag beginnt um 0.00 Uhr. Doch hinter dem Spruch:
“Mitten in der Nacht ist der Anfang eines neuen Tages“, steckt viel,
viel mehr, das mich nachdenklich macht. „Nacht“ – das kann auch eine
schwere Zeit bedeuten, eine unangenehme Situation, ein
Schicksalsschlag, den ich schwer verarbeiten kann. Vielleicht kann
es aber auch etwas Spannendes oder Erwartungsvolles sein, das mich
nicht schlafen lässt. Auch wenn es in der Nacht nicht so aussieht,
liegt hier schon der Neuanfang begründet. Die Tränen einer
schlaflosen Nacht verstellen noch die Sicht – aber der neue Tag
beginnt trotzdem, hat schon begonnen - mitten in der Nacht. Deshalb
feiert die Kirche auch ihre wichtigsten und schönsten Gottesdienste
mitten in der Nacht, die Christmette, Ostern,…Wie die trauernden
Frauen frühmorgens zum Grab gehen und mit der Botschaft von der
Auferstehung freudenstrahlend zurückkommen, könnte auch dieser
Sonntagmorgen möglicherweise eine Wende bedeuten. Übrigens, da steht
noch etwas auf der Karte: „Mitten in der Nacht ist der Anfang eines
neuen Tages! – Fürchte Dich nicht!“
Montag, 26.4.2010
Ein Jahr lang werden die Erinnerungsbildchen - die nach einem
Begräbnis ausgeteilt werden - in unserer Pfarrkirche an einer
Gedenktafel dokumentiert. Das ist nicht irgendeine Tafel – eher ein
Bild aus Holz. Ein ortsansässiger Tischler hat es angefertigt und
einem Glasfenster eines Seitenraumes der Kirche nachempfunden. Es
stellt einen Sonnenuntergang dar, für das Leben dieser Menschen, das
zu Ende gegangen ist. Die Erinnerungsbildchen leuchten in den
verblassenden Sonnenstrahlen. Man kann das Bild aber auch ganz
anders interpretieren: Nämlich als Sonnenaufgang! Als Sonnenaufgang
des neuen Lebens der Auferstehung, des großen Tages des Herrn, der
kein Ende hat. Gewiss, dazwischen liegt die Nacht die Nacht des
Todes. Mitten in der Nacht liegt aber auch der Anfang des neuen
Tages. Auch des Tages, der kein Ende hat, den wir Christen
sehnsuchtsvoll erwarten. So wünsche ich Ihnen für heute und für
jenen Tag einen guten Morgen!
Dienstag, 27.4.2010
Im oberen Waldviertel, der Gegend, wo ich herstamme, wird um
Mitternacht bei einer Hochzeit ein alter Brauch durchgeführt, der
der Bevölkerung sehr wichtig ist, fast so wichtig, wie die Trauung
selbst und auch so feierlich: Die sogenannte „Brautübergabe“. Der
Brautführer übergibt in einer feierlichen Ansprache die Braut dem
Bräutigam. Nach dem Empfinden der Leute gelten sie nun erst als
verheiratet, als Mann und Frau. Zum Zeichen nimmt die Kranzeldame
die „Insignien des Mädchenstandes“ der Braut ab (Kranzel und
Schleier). In früheren Zeiten wurde der Braut noch ein Kopftuch
umgebunden und dem Bräutigam ein Hut aufgesetzt. Das Fest geht dann
zwar noch lange weiter – doch mitten in der Nacht hat sich etwas
verändert: Aus dem Brautpaar ist ein Ehepaar geworden. Mitten in der
Nacht liegt der Anfang eines neuen Lebensabschnittes. Allen
Brautpaaren wünsche ich daher einen guten Einstieg, einen guten
Morgen im neuen Leben.
Mittwoch, 28.4.2010
Ein Anruf mitten in der Nacht informierte über die Geburt eines
Kindes und stellte das bisherige Leben auf den Kopf. Plötzlich –
über Nacht - ist alles anders; da hieß es, sich umstellen: Eine
Herausforderung für die jungen Eltern, die Vater und Mutter geworden
sind. Aber auch für mich. Denn seitdem habe ich mich, mit dem mir
von Gott geschenktem Leben auseinanderzusetzen, das mitten in der
Nacht – um Mitternacht - durch meine Geburt begonnen hatte. Weil
auch kalendarisch der Tag mitten in der Nacht – um Mitternacht –
beginnt, weiß ich nicht genau welches Geburtsdatum nun das richtige
ist. In meiner Geburtsurkunde steht der vergangene Tag. Doch das
berühmte Licht der Welt habe ich erst am eben begonnenen Tag
erblickt. Fristen, Rechte und Pflichten haben daher für mich immer
schon einen Tag früher gegolten. So habe ich einen geschenkten Tag.
Doch nicht nur ein theoretischer Kalendertag, sondern viele, viele
tausend andere Tage sind mir inzwischen geschenkt worden, die ich
manchmal bewusster und manchmal unbewusster wahrgenommen und gelebt
habe. Auch der heutige Tag ist geschenkt. Mir und Ihnen. Bewusst
oder unbewusst…
Donnerstag, 29.4.2010
Eine meiner liebsten Geschichten aus der Chassidischen Literatur hat
mit einer Nacht und mit einem Traum zu tun. Ein Rabbi namens Isak
aus Krakau träumt mitten in der Nacht, dass er in Prag am Ende der
Karlsbrücke einen Silberschatz finden könnte. Er nimmt die
beschwerliche Reise auf sich und sitzt dann aber traurig an einem
Ende der Brücke, den Schatz nicht gefunden, draufgekommen, dass
Brücken zwei Enden haben. Da trifft er einen Soldaten, der sich mit
ihm unterhält. Der Rabbi erzählt dabei von seinem Traum. Der andere
lacht und meint: „Ich hatte heute Nacht auch einen kuriosen Traum,
mir träumte nämlich, einen Silberschatz in der Herdasche eines Juden
namens Isaak in Krakau zu finden. Heißt dort doch jeder zweite Jude
Isaak...“ Der Rabbi reist auf schnellstem Weg nach Hause und findet
in seiner Herdasche den Schatz – denn er hieß Isaak… Es braucht im
Leben oft Umwege und Träume – mitten in der Nacht. Was haben Sie
heute Nacht geträumt? Könnte da auch eine wichtige Botschaft an sie
dabei gewesen sein? Mitten in der Nacht ist der Anfang eines neuen
Tages…
Freitag, 30.4.2010
Die kommende Nacht, die sogenannte Walpurgisnacht gilt
Abergläubischen als unheimlich. Dämonen sollen da ihr Unwesen
treiben. Zumindest werden es wieder einige Übermütige sein, die
allerhand Schabernack als Maischerz inszenieren, zum Beispiel
Maibäume fladern. Tatsächlich können Sorgen und Ängste in Nächten
wie Dämonen wirken, die einem den Schlaf rauben. Besonders, wenn
sich Neues abzeichnet, man vor Entscheidungen steht, mit etwas zu
kämpfen hat. Die Bibel beschreibt in der Jakobserzählung so eine
schlaflose Nacht. Jakob, der einer Begegnung und Aussöhnung mit
seinem Bruder entgegengeht, kann nicht schlafen und kämpft die ganze
Nacht mit einer geheimnisvollen Gestalt. Er durchringt die Nacht bis
er endlich den geforderten Segen erhält. Vieles im Leben muss man
sich erkämpfen – auch den Glauben. Eine schlaflose Nacht wird so zu
einem Sinnbild für einen Menschen, der mit Gott ringt – und das
bedeutet auch der neue Name, den Jakob in dieser Nacht von der
Gestalt bekommt: Israel. Das bedeutet: „Der mit Gott ringt“. Mitten
in der Nacht bekommt er eine neue Identität und wird zum Segen für
andere.
Samstag, 1.5.2010
Jetzt um die Zeit schon ganz fertig, wach und munter zu sein,
bedeutet für viele, mitten in der Nacht aufzustehen, gerade an einem
Feiertag wie heute. Eine ganz ansehnliche Schar aus unserer Pfarre
ist schon auf und macht sich in wenigen Minuten, wie jedes Jahr,
auf, um von unserer Pfarrkirche zu einer Nachbarpfarrkirche in
feierlicher Prozession zu gehen. Seit der Weihe dieser
Wallfahrtskirche im Mai 1953 hat das unsere Pfarre noch jedes Jahr
treu eingehalten. Und erlebt dabei immer wieder, dass Kirche ständig
unterwegs ist. Unterwegs, um mitten in der Nacht neuen Aufbrüchen
und Anfängen entgegenzugehen. Um nicht starr zu werden, muss man
sich bewegen. Um nicht im eigenen Saft zu schmoren, heißt es über
den Tellerrand hinauszublicken. So eine Wallfahrt macht das bewusst,
auch wenn es nicht leicht ist, an einem Feiertag mitten in der Nacht
aufzustehen. Was heißt da mitten in der Nacht? Es ist bereits
taghell und der neue Tag hat schon längst begonnen. Einen guten
Morgen wünsche ich und viele mutige Aufbrüche und Anfänge.
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