Morgengedanken
Sonntag, 6.05 Uhr -
6.08 Uhr,
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr,
ORF Regionalradios
von Abt Anselm van der Linde
Sonntag, 2.5.2010
Warum wir Grund haben, dankbar zu sein
und warum unser Glaube vor allem ein Glaube des sich Freuens und
Dankens ist, das möchte ich mit Ihnen an Hand der Schriften des
Zisterziensermönchs und Mystikers, Bernhard von Clairvaux
überlegen. Für mich als junger Abt von Mehrerau war und ist
Bernhard von Clairvaux, der von 1090 bis 1153 lebte, ein sehr
wichtiger und hilfreicher Wegbegleiter auf dem Pilgerweg meines
Glaubens.
„Wie kann ich dem Herrn all das
vergelten, was er mir Gutes getan hat?“, heißt es im Psalm 115 (Ps
115, 12).
Manchmal kommen mir dumme Gedanken.
Sie flüstern mir zu, dass das Leben, das ich zu führen habe, hart
und belastend sei. Ich fühle manchmal eine ganz andere Last, die
viel größer und viel beglückender ist: Gott hat mich durch die
Signale seines Erbarmens so beladen, so eingekreist, mich unter
seinen guten Gaben so begraben, dass keine andere Last dagegen
aufkommt.
Unser Gott hat mir mich in der
Schöpfung gegeben, und in der Erlösung hat er mir gleichzeitig auch
noch etwas zurückgegeben, und du erzählst mir etwas von
irgendwelchen anderen Belastungen?
Montag, 3.5.2010
Mein Großvater sagte mir oft, wenn ich
als Kind traurig war: Das Leben ist wie das Pendel einer Uhr – wenn
es unten ist, wird es auch wieder oben ankommen!
Oben ankommen, das können wir auch
durch die Lebenseinstellung des dankbar Seins. Viele unserer
Mitmenschen haben keine so klare Auffassung mehr vom Sinn des
Lebens.
Ich wünsche uns allen, dass wir mit
Freude und Dankbarkeit an das Gute denken, das Gott uns schenkt. Das
kann die Mühe des täglichen Lebens erleichtern.
Andererseits wird durch nichts Anderes
die Wirklichkeit des ewigen Lebens auf Erden so intensiv spürbar,
wie wenn Menschen freudig Gott loben. Wer sein enges Leben prüft,
könnte dabei leicht traurig werden.
In diesem Zusammenhang bekommt
Dankbarkeit einen ganz neuen Stellenwert:
wenn sich der Blick und das Denken
auf Gott richten. Das ist etwas Gutes, wenn man dem die Ehre gibt,
dem sie wirklich gebührt, und es ist beglückend, weil es das Herz
erfreut.
Deshalb rät uns Bernhard von
Clairvaux: Den Blick manchmal vom sorgenvollen Nachdenken über sich
selbst - von sich selbst - wegzulenken.
Dienstag, 4.5.2010
Manche Menschen folgen dem Trend der
Zeit nach immer mehr Komfort, Konsum und Lebensgenuss und nehmen
alles Gute als selbstverständlich an, oder sie halten Dankbarkeit
deswegen für überflüssig, weil der Mensch selbst der Schmied seines
eigenen Glückes sei. Der Zisterzienserheilige Bernhard von Clairvaux
will uns zum Danken, zum Nachdenken, Meditieren und Beten anregen
und uns eine Möglichkeit aufzeigen, unser Christsein freier und
froher zu leben.
Wenn wir ernstlich nachdenken, wird
sicher jeder von uns leicht etwas finden, wofür er Gott großen Dank
schuldet. Wir haben doch nicht „den Geist der Welt empfangen,
sondern den Geist, der aus Gott stammt, damit wir das erkennen, was
uns von Gott geschenkt worden ist“, heißt es im 1. Korintherbrief (1
Kor 2,12). Deshalb werden wir sicher sogar sehr vieles entdecken,
wofür wir ihm ständig danken müssen. Wer von uns könnte nicht
bekennen, wie es im Psalm 85 heißt: „Groß ist über mir deine Huld“
(Ps 85,13)? Wer sich danach sehnt, dass die von Gott empfangene
Gnade in ihm bleibt und sich vervielfacht, muss dankbar sein.
Mittwoch, 5.5.2010
Das Bitten und das unterlassene Danken
– diese Grundversuchung des Menschen -ist nach der Erfahrung des
Zisterziensers Bernhard von Clairvaux eine der größten Gefahren für
das Leben des Christen. Vor allem aber ist es ein Unrecht dem
gegenüber, der uns ständig mit guten Gaben für Leib und Seele
beschenkt und nur darauf wartet, dass wir es merken, bedenken,
danken – und so in der Liebe zu ihm wachsen.
In diesem Zusammenhang bewegt mich ein
Gedanke sehr, meine Freunde (meint Bernhard von Clairvaux): Gott hat
uns so Großes geschenkt, ohne dass wir ihn darum baten, ja als wir
uns vielleicht sogar dagegen sträubten. Er nahm uns nicht als
Knechte an, sondern hat uns sogar zu seinen Freunden erwählt.
Was ist nun der Grund dafür, dass er
die nicht erhört, die unablässig beten, flehen und bitten? Die Folge
könnte sein, dass sie im geistlichen Leben nur wenig Fortschritte
machen. Der Grund ist der, dass ihnen nach ihrem Beten, Flehen und
Bitten das Vierte fehlt, das der Apostel nennt: Das Danken. Sie sind
nämlich nicht umgekehrt, um Gott zu danken.
Ich kenne viele, die recht ungestüm um
das bitten, was ihnen ihrer Meinung nach fehlt, doch nur wenige, die
für empfangene Gaben entsprechend danken.
Donnerstag, 6.5.2010
Der Mystiker und Zisterzienser
Bernhard von Clairvaux zeigt uns heutigen Menschen einen
beeindruckenden Weg der Freiheit. Wirklich dankbar ist der Mensch,
der den Weg zu dem zurückfindet, der ihn beschenkt hat. Wirklich
frei ist der Mensch, der das Empfangene nicht für sich behält,
sondern dankbar aus seiner Fülle mit anderen teilt.
Selig - sagt Bernhard, war jener
Samariter, der nach seiner Heilung mit Dank zum Herrn zurückkehrte
(vgl. Lk 17,18). Er erkannte, dass er nichts besaß, was er nicht
empfangen hatte.
Selig, wer bei jeder einzelnen Gnade
zu dem zurückkehrt, in dem sich alle Gnaden in Fülle finden. Indem
wir für das Empfangene danken, schaffen wir in uns Raum für die
Gnade, sodass wir noch Größeres zu empfangen verdienen. Nicht nur
mit Wort und Zunge, sondern in Tat und Wahrheit wollen wir uns als
dankbar erweisen; denn nicht Dankesworte, sondern Dankeswerke
erwartet von uns der Herr, unser Gott.
Freitag, 7.5.2010
Ein mindestens gleich großes Problem
wie die Passivität gegenüber dem Unrecht in unserer Gesellschaft
halte ich die Unfähigkeit, bei erlittenem Unrecht verzeihen zu
können. Wenn wir es von uns aus nicht können, so wissen wir, dass
Gott es kann. Vielleicht hilft es, wenn wir ihm dieses Unrecht
anvertrauen. Sicher hilft es, wenn wir ihm unsere Schuld
anvertrauen.
Christen glauben, dass Gottes Erbarmen
uns gegenüber riesengroß ist!?Er hat uns jedes Unrecht so großzügig
vergeben, dass er uns weder rächend straft noch vorwurfsvoll
beschämt, noch nachtragend weniger liebt. Es gibt nämlich Menschen,
die sich zwar nicht rächen, jedoch häufig Vorwürfe erheben. Andere
schweigen zwar, doch bleibt das erlittene Unrecht tief im Herzen
verwahrt und sie halten am Groll in der Seele fest.
Keines von beiden ist eine volle
Vergebung, meint Bernhard von Clairvaux. Weit von all dem ist die
unendlich gütige Art Gottes entfernt. Er handelt großzügig und
verzeiht vollständig.
Samstag, 8.5.2010
Auffallend sind die Motive, die
Mystiker Bernhard von Clairvaux zum Danken anregen. Die meisten von
uns würden wohl die Schönheit und Gaben der Natur, Gesundheit,
Erfolg, gelungene menschliche Beziehungen und Ähnliches als Grund
für die Dankbarkeit angeben. Auch Bernhard bejaht diese Werte der
Schöpfungsordnung, noch wichtiger sind ihm aber die Gaben der
Erlösung: Die unverdiente Liebe Gottes, die Vergebung der Sünden,
die Kraft zum Guten und die Verheißung des ewigen Lebens. Auch hier
könnte Bernhard unsere Ansichten ergänzen und bisweilen vielleicht
auch korrigieren.
Schon durch die Schöpfung verdanke ich
mich ganz Gott. Doch was soll ich noch hinzufügen, weil er mich noch
dazu neu geschaffen und auf solche Weise umgeschaffen hat, sagt der
Hl. Bernhard.
Wie kann ich dem Herrn all das
vergelten, was er mir Gutes getan hat (Ps 115,12)? Bei seinem ersten
Werk gab er mir mich; bei seinem zweiten gab er mir sich. Man könnte
die Frage stellen: Was aber werde ich Gott vergelten für ihn selbst?
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