Morgengedanken

Sonntag,  6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr, 
ORF Regionalradios

 

 

 

von OKR Hannelore Reiner (Wien)

 

 

Sonntag, 06.06.2010

In der Pfarrgemeinde, in der ich aufgewachsen bin, wird heute Konfirmation gefeiert. 13 – 14-jährige Mädchen und Burschen werden feierlich das bestätigen, was ihre Eltern und Paten einst bei ihrer Taufe versprochen hatten: „Ja, wir wollen den Weg des Glaubens, in den wir nun langsam hineingewachsen sind, weitergehen.“ Auch in den römisch-katholischen Kirchen in unserem Land finden rund um das Pfingstfest feierliche Firmungsgottesdienste statt. Auch hier stehen junge Menschen, an der Schwelle zum erwachsen Werden, im Mittelpunkt des Geschehens.

„Kinder sind eine Gabe Gottes“, heißt es in der Bibel. Gott selber hat sie uns anvertraut. Der Schöpfer hat sie in unsere Arme gelegt als wunderbares Geschenk. Am Übergang zum erwachsen Werden wird dies noch einmal besonders deutlich.

So gesehen werden all die Feste der Kinder und Teenager, die heute in den Kirchen und beim gemütlichen zusammen Sein gefeiert werden, zum Anstoß für uns Erwachsene, dankbar zu sein und froh: Schön, dass es Kinder gibt! Zugleich aber steigt die Bitte auf, dass Gott diese jungen Menschen nun auch weiterhin begleiten möge hinein in die Selbstständigkeit und Freiheit einer reifen Persönlichkeit.

 

 

Montag, 07.06.2010

Es geht dem Schuljahresende zu. Aber noch sind sie unterwegs, die Kleinen mit ihren fast zu großen Schultaschen auf dem schmalen Rücken; die  Älteren, den Rucksack lässig über die Schulter geworfen.

Vor wenigen Wochen ist ein Kind auf dem Schulweg ums Leben gekommen, niedergestoßen von einem Auto, dessen Fahrer zu schnell unterwegs war.

In vielen Wohnvierteln unserer Städte und Dörfer gibt es verkehrsberuhigte Zonen und Schilder, die auf die hier lebenden Kinder aufmerksam machen. Und dennoch denken viel zu viele motorisierte Fahrerinnen und Fahrer nicht daran. Die Hektik des Alltags, die unzähligen Informationen, die heutzutage von allen Seiten auf Menschen einströmen, lassen oft das Kleine und Einfache übersehen: Die Schönheit der Blumen am Wegrand, das frische Grün in den Bäumen, ja, sogar das Kind, das den Schutzweg überquert.

Heute Morgen werden wir unsere Kinder wieder treffen auf dem Weg zur Schule. Manche noch etwas verträumt, andere aufgeregt vom Wochenende erzählend, manche schon mit Angst oder auch Aggression in Gesicht und Kinderseele; alle aber im Vertrauen, dass wir Erwachsene behutsam auf sie achten. Die Zeit und die Konzentration, die wir dafür einsetzen, lohnen sich unbedingt!

 

 

Dienstag, 08.06.2010

„Breit aus die Flügel, beide, o Jesu, meine Freude, und nimm dein Küchlein ein.

Will Satan mich verschlingen, so lass die Englein singen: Dies Kind soll unverletzet sein“. Diesen Vers aus einem Lied Paul Gerhardts haben wir öfters mit unseren Kindern als Abendgebet gesungen. Unsere Kinder haben gerne eingestimmt und sind geborgen eingeschlafen. Aber der Vers eignet sich auch am Morgen: Dies Kind soll unverletzet sein!

In den vergangenen Monaten haben erschreckend viele Menschen von ihren Verletzungen berichtet, die sie als Kinder erlitten haben, zu Hause, im Heim, in der Schule, ja, auch in der Kirche. Einerseits Gott um das Behüten unserer Kinder zu bitten und zugleich Kinderseelen verletzen oder sich um solche Verletzungen nicht zu kümmern, das geht nicht zusammen. Wer Kinder unter die Hut Gottes stellt, der wird selbst alles dazu tun, dass sie unverletzt und geborgen aufwachsen können.

 

 

Mittwoch, 09.06.2010

Die ersten vier Lebensjahre sind für uns Menschen entscheidend, so lehrt uns die Psychoanalyse. Da bilden sich die grundlegenden Muster aus, da werden die Weichen für das ganze Leben gestellt.

Darum kann es nicht gleichgültig sein, wie Erwachsene Kindern begegnen, wie viel Zeit sie mit ihnen verbringen, wie viel Zuwendung sie ihnen schenken.

Was ist nun aber mit jenen, die keine geborgene Kindheit erleben konnten?

Gibt es noch eine zweite und vielleicht auch eine dritte Chance im Leben?  Oder ist mit der verlorenen Kindheit auch gleich das ganze Leben verloren?

In Wien lebt und arbeitet eine junge Stadtgärtnerin. Nach schrecklichen ersten Jahren ihrer Kindheit ist sie in ein Kinderdorf gekommen und hat dort so viel Liebe erfahren, dass sie heute die Kraft hat, eine selbstständige und selbstbewusste Frau zu sein. Heute schaut sie dankbar auf ihren Weg zurück. Dabei klammert sie auch die bittere erste Zeit samt allem Erlittenen nicht aus. Aber es ist überwunden durch die Liebe ihrer Ersatzmutter und durch die Zuwendung und Akzeptanz ihrer Freunde.

Es gibt also mehrere Chancen im Leben; wir müssen sie nur einander ermöglichen und uns selber zugestehen.

 

 

Donnerstag, 10.06.2010

Vor wenigen Tagen  wurden neue statistische Zahlen über die österreichische Bevölkerung veröffentlicht. Neuerlich ist ein Geburtenrückgang zu verzeichnen. Dafür gibt es ganz unterschiedliche Gründe, auch sehr verständliche. Kinder kommen bei uns nur mehr selten ungeplant und unerwünscht zur Welt. Eltern haben heutzutage die Möglichkeit, verantwortlich mit dem Kinderwunsch umzugehen und sie tun es auch. Es soll genügend Zeit und Raum und auch Geld für das Kind da sein. Allein eine vermeintlich zu kleine Wohnung lässt manche schon von einem Kinderwunsch Abstand nehmen.

Daneben aber steigt auch die Zahl derer, die sich ein oder auch mehrere Kinder wünschen würden, diese aber aus medizinischen Gründen nicht bekommen können. Bleibt solchen Frauen und Männern die Freude an Kindern versagt?

Ich denke, es braucht keinen biologischen Grund, um „Mutter“ oder „Vater“ für andere Kinder sein zu können.

Wir haben in unserer Familie eine Taufpatin, die auf keinen Geburtstag unserer Kinder je vergessen hat und die sich mit ihnen Konzerte anhörte, die ganz sicher nicht ihre Lieblingsmusik waren. Sie begleitete unseren kleinen Sohn auf den Fußballplatz, auch wenn sie sich morgen kaum die Eröffnung der Fußballweltmeisterschaft im Fernsehen anschauen wird. Noch heute strahlen die inzwischen erwachsen gewordenen Gesichter unserer Kinder auf, wenn Tante Eva bei der Tür hereinkommt. Es gibt mütterliche und väterliche Menschen, ohne eigene Kinder.

 

 

Freitag, 11.06.2010

Seit etwa vier Monaten bin ich Großmutter. Das ist eine besonders beglückende Erfahrung, die sicherlich jeder nachvollziehen kann, der selbst einen Enkel oder auch mehrere Enkelkinder hat.

Durch die höhere Lebenserwartung werden immer mehr Groß- und Urgroßeltern unter uns leben. Das eröffnet ganz neue Möglichkeiten des generationsübergreifenden Miteinanders. Großeltern haben das Glück, noch einmal Kinderlachen voll genießen zu können, ohne nächtens aus dem Schlaf gerissen zu werden. Die eigene Hörschwäche macht gegenüber Kindergeschrei von selbst unempfindlicher.

Kinder stört es auch nicht, wenn eine Geschichte schon öfters erzählt wurde, im Gegenteil: Sie wollen ganz gezielt immer wieder dieselbe hören.

Ich werde jene junge Familie nie vergessen, die liebevoll eine hochbetagte Urgroßmutter in ihr Haus aufgenommen hatte. Sie hatte ihren festen Platz inmitten der jungen Familie, auch wenn sie beim Essen und Anziehen Hilfe und Unterstützung brauchte. Das war für die kleinen Kinder eine Selbstverständlichkeit, schließlich brauchten sie ja auch manchmal eine helfende Hand. Fröhlich wuselten alle Drei Ururenkel täglich um die alte Frau herum - zur Zufriedenheit aller.

 

 

Samstag, 12.06.2010

Kinder erfahren im Neuen Testament eine besondere Beachtung. Das ist bemerkenswert, da ansonsten die Stellung des Kindes weder in der Antike noch bis herauf ins 19.Jahrhundert von besonderem Interesse war.

Jesus aber, so wird berichtet, stellt seinen Jüngerinnen und Jüngern ein Kind vor Augen: So ihr nicht werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen! Ein anderes Mal wollen seine Anhänger die Kinder verscheuchen, die ihm gebracht werden. Er aber herzt sie und segnet sie. In vielen Heilungsgeschichten des Neuen Testaments wird von Kindern erzählt, von Söhnen und Töchtern, deren Gesundung und Wohlergehen Jesus wichtig war.

Warum finden Kinder bei Jesus und in der frühen Christenheit, in der die Evangelien aufgeschrieben wurden, eine solche Beachtung? Ich meine, es will uns sagen: Christ Sein heißt stets auch, sich als Kind, als Sohn und Tochter Gottes verstehen und sehen zu dürfen.

Kinder lehren uns Erwachsene das unbedingte Vertrauen. Sie lehren uns die Versunkenheit an die Gegenwart, an das Leben und Spiel im Hier und Jetzt. Wenn sich heute die großen Fußballstars mit Kindern vor dem eigentlichen Spiel auf dem Fußballfeld aufstellen, so mag dies – sicherlich unbewusst – genau daran erinnern: Die Kinder sind es, die uns die Lust am Dasein und Menschsein lehren.