Morgengedanken
Sonntag, 6.05 Uhr -
6.08 Uhr,
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr,
ORF Regionalradios
von Pfarrer Bernd Hof (Schärding, OÖ)
Sonntag, 4.7.2010
Ich freu ich mich über jeden
Gottesdienst, in dem Christen verschiedener Konfessionen
miteinander singen, beten, hören, feiern ... Das drückt
Gemeinschaft aus und macht mir Mut in einer Zeit, in der so
vieles auseinandergeht.
Da kommt mir auch immer zum
Bewusstsein, wie nahe wir uns gekommen sind: Als ich jung war –
zugegeben, das ist schon eine Weile her - da konnten Katholiken
und Protestanten noch nicht einmal das Vater Unser gemeinsam
beten, zu verschieden war der Wortlaut. Inzwischen ist nicht nur
das Vater Unser gemeinsam, auch viele Lieder und Gebete.
Beim gemeinsamen Glaubensbekenntnis
gibt es freilich noch eine Schwierigkeit: Wenn es um die Kirche
geht, sagen die Katholiken: "Ich glaube... die heilige
katholische Kirche", aber wir Evangelische sprechen da von der
"heiligen christlichen" Kirche. Gemeint ist ja eigentlich
dasselbe, nämlich, dass wir uns mit den Christen aller Zeiten
und Konfessionen verbunden wissen; katholisch heißt ja
"allumfassend" - aber weil es eben auch sozusagen das
Markenzeichen einer Konfession ist, konnten die Evangelischen
sich noch nicht zu diesem Wort „katholisch“ durchringen.
Vor ein paar Tagen hab ich als
evangelischer Pfarrer gemeinsam mit dem katholischen Kollegen
einen Gottesdienst gestaltet. Als wir zum Glaubensbekenntnis
kamen, wollte keiner das Trennende aussprechen - und so hat der
katholische Pfarrer sich da zur "christlichen" Kirche bekannt,
während ich neben ihm von der "katholischen" Kirche gesprochen
hab. Und ein Schmunzeln ist durch die Gemeinde gegangen.
Montag, 5.7.2010
Manchmal erlebt man etwas, das ist wie
ein Wunder: Bei mir war es zum Beispiel, dass ich mich einmal
mit einer Hand an einem Felsen aufziehen konnte, stellen Sie
sich das vor, und das kam so: Ich bin kein Kletterer, aber ich
wandere gern in den Bergen - am liebsten allein. Das ist
leichtsinnig, ich weiß, aber so bin ich halt. Ich geh gern
langsam, ich schau mich gern in Ruhe um und hänge meinen
Gedanken nach, und das geht halt am besten allein.
Auf einer dieser Wanderungen bin ich
an eine Stelle gekommen, wo der Weg abgebrochen war. Zum
Umkehren war's schon zu spät am Tag, also musste ich ein Stück
in die Felsen. Es war mühsam in der Wand, denn ich bin, wie
gesagt, das Klettern nicht gewohnt, und der Fels war brüchig. So
bin ich nur langsam weitergekommen, aber schließlich hab ich
mich doch von unten wieder dem Weg genähert, hatte eine Hand
schon oben - da hat der kleine Vorsprung nachgegeben, auf dem
ich gerade gestanden bin, und ich bin mit meinem ganzen Gewicht
an der linken Hand gehangen.
Lieber Gott, hab ich da gesagt, lieber
Gott, bitte hilf mir. Ich hab mich mit der linken Hand so weit
hochgezogen, dass auch die rechte Halt gefunden hat, und ein
paar Sekunden später war ich oben auf dem Weg.
Für mich ist das ein Wunder, wie
gesagt: Mein Leben lang hab ich mich nie mit einer Hand
aufziehen können, vorher nicht und seither auch nicht.
Psychologen sagen ja, in solchen Situationen, wo's ums Überleben
geht, werden ganz unglaubliche Energien in einem Menschen
freigesetzt. Ich hab's jedenfalls erlebt. Und ich danke Gott
jetzt noch für dieses Wunder.
Dienstag, 6.7.2010
Das Bild hat sich mir über die Jahre
hinweg tief eingeprägt: Tage- und nächtelang hat es damals
geregnet, ja geschüttet. Straßen waren überflutet, Brücken
weggerissen, Häuser vermurt. Doch dann, eines Morgens, wach ich
auf und es ist heller als sonst. Ich trete vor das Haus am Hang
und sehe: Die Wolken sind aufgerissen, der Regen hat
nachgelassen, ich kann übers Tal schauen, und ich seh - einen
langen, träge dahinströmenden See: Der ganze Talboden ist
überflutet, nur da schaut ein Baumwipfel, dort ein Dach aus den
braunen Fluten. Jetzt noch tut mir das Herz weh, wenn ich daran
denk.
Aber dann schau ich auf die andere
Seite, nach Westen, von wo die finsteren Regenwolken her
gekommen sind, und da strahlt ein Regenbogen, kristallklar in
seinen Farben spannt er sich vom einen Ufer über den Strom, der
sich durchs Tal zieht, hoch hinauf in die Wolken und wieder
hinunter zum anderen Hang. Und auf einmal wächst Hoffnung in
meinem Herzen.
Seit diesem Morgen versteh ich, warum
gerade der Regenbogen in der Bibel nach der Sintflut ein Zeichen
der Hoffnung genannt wird, das Gott den Menschen gibt - dieser
strahlende und doch ungreifbare Bogen, der Himmel und Erde
verbindet.
Mittwoch, 7.7.2010
Je später man eine Kinderkrankheit
kriegt, umso gefährlicher ist sie. Ich hab mit fünfzehn Jahren
die Masern gekriegt und bin zu früh aufgestanden. Die Folge: Ich
hab eine Herzmuskelentzündung bekommen und hab drei Monate lang
liegen müssen, und es war gar nicht sicher, dass ich wieder
gesund werde.
Und das mit fünfzehn Jahren, mitten in
der Pubertät, wo alles in Bewegung ist und das Selbstbewusstsein
alles andere als stabil, auch wenn man gesund und munter ist –
na, diese drei Monate waren keine Kleinigkeit für mich und meine
Eltern, und es hat auch nachher noch seine Zeit gebraucht, bis
mein Körper wieder einigermaßen leistungsfähig war.
Aber wenn ich zurückschaue, muss ich
sagen: Das war eine wichtige Zeit in meinem Leben. Da hab ich an
mir selbst erlebt, wie es ist, wenn man gar nichts leisten kann.
Ich hab gelernt, um Hilfe zu bitten, mir helfen zu lassen und
dankbar zu sein. Ich hab Zeit gehabt zum Schauen, zum Lesen, zum
Nachdenken und zum Beten. Und ich hab gemerkt, wie wichtig
Geduld ist. Was wäre wohl ohne diese Monate der Krankheit aus
mir geworden?
Der Apostel Paulus sagt: Ich rühme
mich meiner Bedrängnisse. Na, stolz bin ich auf meine
Schwierigkeiten nicht. Aber dankbar kann ich für manches Schwere
schon sein, wenn ich zurückschaue.
Donnerstag, 8.7.2010
An manchen Tagen frag ich mich am
Abend: Was habe ich heute eigentlich gemacht? Gut, ich habe
vielleicht drei Besprechungen gehabt, Post erledigt, zehn
Telefonate geführt, am Computer bin ich länger als geplant
gesessen, Zeitung habe ich gelesen und einkaufen war ich auch -
doch, ich kann schon sagen, wo meine Zeit geblieben ist, aber es
bleibt so ein unzufriedenes, leeres Gefühl.
Und dann merk ich, dass die Frage „Was
hab ich heute gemacht?“ ein Unsinn ist, eigentlich muss ich
fragen: „Habe ich heute gelebt?“ Nicht nur geatmet, gegessen,
getrunken, gearbeitet, funktioniert. Lebe ich oder werde ich
gelebt - bestimmt von Umständen, Zwängen, Gewohnheiten und von
all dem, was man eben tut?
Ich habe heute gelebt - das würde für
mich heißen: Ich hab mich gefreut und ich war traurig. Ich bin
neugierig gewesen und zwischendurch auch entspannt. Ich hab
jemand wirklich zugehört, habe mit anderen gelacht und
vielleicht auch geweint. Ich nehme etwas mit von diesem Tag
oder: Ich bin heute Abend nicht mehr ganz derselbe Mensch, der
ich in der Früh gewesen bin.
In der Bibel ist öfters davon die
Rede, dass Menschen Frucht bringen. Das wünsche ich mir, dass
ich öfters am Abend sagen kann: Heute habe ich gelebt.
Freitag, 9.7.2010
„Ob das Gebet Kranke heilen kann, weiß
ich nicht“, hat die Frau gesagt, „ich jedenfalls bin immer noch
krank. Meine Schmerzen sind mit den Jahren immer ärger geworden,
die Ärzte sprechen von unheilbarem Rheuma. Ich hab’s mit allen
möglichen und unmöglichen Heilmethoden versucht, es hat ein
Vermögen gekostet, zeitweise gab’s immer wieder eine Linderung,
aber dann waren die Schmerzen wieder da.“
Die Frau fährt fort: „Dann bin ich in
eine kleine Gemeinschaft von Christen gekommen, die sind
überzeugt: Gott schenkt Gesundheit, er heilt alle Kranken, wenn
sie ihm nur ganz vertrauen. Sie haben mit mir gebetet, mir die
Hände aufgelegt, immer wieder - die Schmerzen sind geblieben. Da
haben die Brüder und Schwestern gesagt, mir fehlt der richtige
Glaube. Da bin ich wirklich verzweifelt. Inzwischen meine ich,
ich muss mit meiner Krankheit leben, zumindest bis auf
weiteres.“
Ich hab der Frau zugestimmt: Gott hat
viele Wege, kranken Menschen zu helfen: Der einen schickt er
jemand, mit dem sie reden kann, beim anderen wirkt die Therapie
des Arztes, jemand bekommt die Kraft, seine Krankheit zu
ertragen, und Gott kann auch Menschen die Gabe des Heilens
geben. Ein Recht auf Heilung hat keiner. Aber um Hilfe bitten,
auch Gott um Hilfe bitten, das dürfen wir immer. Und wir können
darauf vertrauen, dass diese Bitte nicht ins Leere geht.
Samstag, 10.7.2010
Reichlich verwirrt ist die alte Frau
Meier. Wenn ich sie in dem großen Altersheim besuche, hält sie
mich einmal für ihren Mann, der schon lange tot ist, das andere
Mal gar für ihren Vater. Aber ein Gedanke kommt immer wieder:
„Morgen ist Dienstag“, sagt sie zum Beispiel, „da kommt meine
Freundin, und dann gehen wir ins Kaffeehaus.“ Und sie strahlt
übers ganze Gesicht.
Tatsächlich geht eine Dame vom
Besuchsdienst immer am Dienstag in das Heim. Sie nimmt sich
besonders viel Zeit für diejenigen, die sonst keinen Besuch
bekommen, und lädt sie ins Heimcafé ein. Sie berichtet ihnen,
wie es draußen ausschaut, und die alten Leute erzählen aus ihrem
Leben – immer wieder die selben Geschichten. Und die
Besuchsdienstdame wendet sich nicht ab, sie hört zu, fragt nach,
und zeigt damit jedem und jeder einzelnen von ihnen: Du bist ein
wertvoller Mensch mit einer interessanten Lebensgeschichte, du
bist mir wichtig.
Im Heim ist ein Tag wie der andere,
ein Zimmer wie das andere, da kann man schon die Orientierung
verlieren. Aber wer ganz persönlich angesprochen wird und zu
Wort kommen kann, wer Zuwendung und Wertschätzung erfährt, der
merkt: Ich bin doch noch wer, mein Leben hat Sinn.
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