Morgengedanken
Sonntag, 6.05 Uhr -
6.08 Uhr,
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr,
ORF Regionalradios
Morgengedanken
von Pater Kolumban Reichlin
OSB, Propstei St. Gerold
Sonntag, 25.07.2010
Meine persönliche Lebens-
und Glaubenserfahrung lehrt mich, dass das Leben, die Liebe und der
Glaube untrennbar zusammen gehören. Das menschliche Leben macht ohne
das Geheimnis der Liebe keinen Sinn. Der Liebe aber ist es eigen,
dass sie ihre befreiende, lebensfördernde Kraft und Dynamik nur
entfalten kann, wenn man an sie glaubt.
Ein vertiefter Blick in die
Geschichte der Menschheit zeigt, dass letztlich immer die Liebe den
Weg zu wahrer Menschlichkeit und erfülltem Leben darstellt. Die
Liebe allein macht den unzerstörbaren Wert unseres Mensch-Seins und
den Sinn unseres Lebens aus. Was uns Menschen menschlich, was uns
erträglich macht, sind nicht unsere Talente, unsere Genialität,
unser Wissen, was wir tun oder leisten.
Die hl. Teresa von Avila
sagte einmal kraftvoll: "Ohne Liebe ist alles nichts!" Schämen wir
uns nicht, Menschen zu sein, die für Gott, für das Geheimnis der
Liebe gerade stehen und sich engagieren. Dazu wünsche ich uns allen
Mut, Entschlossenheit und viel Phantasie!
Montag, 26.07.2010
Das Wort "Lebensqualität"
ist heute in aller Leute Mund und wird vielfältig definiert: Für die
einen ist sie vor allem eine Frage des Einkommens oder der
gefahrenen Automarke. Andere messen sie an der Gesundheit. Auch die
Auswahlmöglichkeit an Genuss- und Lebensmitteln im Einkaufscenter
gilt als Gradmesser persönlicher Lebensqualität.
Wir Menschen der Wohlstands-
und Konsumgesellschaft neigen dazu, Lebensqualität gerne äusserlich,
materiell und in der Folge quantitativ zu definieren – nach dem, was
und wie viel wir haben und uns leisten können, obwohl wir täglich
erfahren, dass das Leben – trotz materieller Überfülle – auch leer,
oberflächlich, arm und bedroht sein kann.
Es ist befreiend, dass die
Zuwendung Gottes zu uns Menschen nicht abhängig ist von dem, was wir
sind und was wir können, von unserem Ansehen und unserer Leistung.
Die Freundschaft mit Gott trägt unser Leben und verleiht ihm eine
besondere Qualität – unabhängig von unserem materiellen Wohlergehen,
von unserer Gesundheit, unserer körperlichen Attraktivität und
Leistungsfähigkeit.
Dienstag, 27.07.2010
Wir können heute im Internet
schnell und praktisch viele spannende Gedanken und Informationen
über Gott, Glaube und Religion herunterladen, aber es
ist unmöglich, einen Computer zum Seelsorger oder zur Seelsorgerin
zu machen. Zur Vermittlung von Heil an Seele und Leib bedarf es
lebendiger Menschen. Technik und Elektronik bieten heute wertvolle
Hilfen bei der Aus- und Weiterbildung und trotzdem können wir in den
Schulen keine Lehrer-Automaten installieren, die den
Unterrichtsstoff vermitteln und für die Kinder sorgen. Ans
Lehrerpult gehören nach wie vor Menschen mit Herz und Verstand, die
fordern und fördern, die geduldig zuhören und einfach menschlich
handeln.
Seien wir daher allen
sozialen und kirchlichen Einrichtungen dankbar, die sich um
Wertevermittlung und -förderung bemühen. Denn eine Zeit und
Gesellschaft ist immer nur so human und so fortschrittlich, wie es
in ihr Menschen gibt, die für diese Werte empfänglich sind und sie
in ihrem Leben glaubwürdig bezeugen.
Mittwoch, 28.07.2010
Die Liturgie geniesst einen
hohen Stellenwert in unserem benediktinischen Klosteralltag. Der
heilige Benedikt mahnt uns Mönche, wir sollen dem Gottesdienst
nichts vorziehen (vgl. RB 43,3). Für den Menschen, der Gott sucht
und liebt, ist der Gottesdienst nicht Problem oder lästige Pflicht,
er ist vielmehr ein Privileg, ein Geschenk. Der Gottesdienst ist ein
Ort des Hörens und des Staunens, des Glaubens und des Erkennens, ein
Ort, an dem uns Menschen Gott begegnet, nicht laut, abgehoben oder
Aufsehen erregend, sondern diskret, unaufdringlich und schlicht.
Liturgie ist denn auch nicht eitler Selbstzweck. Die regelmässige
Feier des Gottesdienstes ist vielmehr ein Sensibilisierungs-Training
für unser Herz, damit es die "Wellenlänge" nicht aus den Augen
verliert oder immer wieder neu entdecken lernt, auf der Gott in
unserer Welt, in unserem persönlichen Leben "auf Sendung ist".
Donnerstag, 29.07.2010
Im Frühsommer sehen wir am
Baum nur kleine, haselnussgroße grüne Äpfel. Und selbst wenn den
ganzen Tag über die Sonne auf diese kleinen Äpfel scheint – ihr
Aussehen am Abend unterscheidet sich nicht von dem am Morgen. Im
Herbst aber, nach zahlreichen Sonnentagen, sehen die Äpfel anders
aus: Die wärmenden Sonnenstrahlen lassen sie den Sommer hindurch
groß und farbig werden, machen sie schließlich reif, saftig und
schmackhaft.
Genauso ist es auch mit dem
Glauben an Gott, an das Geheimnis der Liebe: Wer sich nicht oder nur
sporadisch nach der "Sonne" richtet, die Gott selber ist, der wird
sich schwer tun, die wärmende und reifende Kraft dieses Lichtes in
sich zu erfahren. Wer aber sein Leben immer wieder dem Licht Gottes
aussetzt, indem er betet, die Heilige Schrift liest und betrachtet
oder die Sakramente empfängt, der wird erfahren, dass sein Leben an
Einsicht und Weitsicht, an Tiefe und Zufriedenheit gewinnt und dass
sich sein Denken, Reden und Verhalten verändern, so sicher und
bestimmt, wie der Apfel sich verändert und reif wird nach
zahlreichen Sonnentagen.
Freitag, 30.07.2010
Eine ehrliche Betrachtung
des Lebens aus dem christlichen Glauben lässt nicht verschweigen,
dass es im Leben eines Christen auch an weniger einfachen Stunden
nicht fehlt. Die Erfahrung von Bedrängnis, Erschöpfung und
Ratlosigkeit, von Enttäuschung und Versagen lässt uns Menschen, die
wir an Gott – an die Liebe – glauben, immer wieder auch Anteil
nehmen an den Ölbergstunden Jesu. Jesus selber lehrt uns, dass sich
das Kreuz nicht von seiner Nachfolge trennen lässt: "Wer mein Jünger
sein will, der verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und
folge mir nach" (Mk 8,34).
Die Kreuzeserfahrung ist
immer schwer und sie bleibt für uns Menschen im Letzten ein
Geheimnis. Wenn wir ihr aber nicht entfliehen, wenn wir uns ihr
stellen und sie zu ertragen versuchen, kann sie für uns – mit Gottes
Hilfe – zu einer Schule des Reifens werden, die uns Demut und
Bescheidenheit lehrt und allmählich Gott allein zum Mittelpunkt
unseres Lebens werden lässt.
Samstag, 31.07.2010
Vor einiger Zeit erhielt ich
von einer älteren Frau einen Brief, in dem sie mir mitteilte, dass
Alter und Krankheit von ihr nach und nach Einschränkungen
einfordern. Am Ende schrieb sie kurz und schlicht, dass sie nun
"Gott verherrliche in der Schwachheit!" Dieser Satz hat mich
zutiefst berührt.
Dass der Mensch weder durch
Alter noch durch Krankheit an Wert verliert, dass man auch als
gebrechlicher Mensch die Herzen anderer und damit die Welt bewegen
kann daran erinnern mich auch immer wieder Menschen mit
Behinderungen, die in der Propstei St. Gerold zu Gast sind. In der
Begegnung mit ihnen erfahre ich stets von Neuem, dass Gott in
unserer Welt auch durch kranke und behinderte Menschen wirkt. Gerade
auch deshalb sind sie wichtig für unsere Gesellschaft. Alte, kranke
und leidende Menschen strahlen eine Würde aus, die uns daran
erinnert, dass das Sein wichtiger ist als das Tun. – Ich wünsche uns
allen die Bereitschaft, uns vom oft stummen Zeugnis solcher Menschen
berühren und bereichern zu lassen!
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