Morgengedanken
Sonntag, 6.05 Uhr -
6.08 Uhr,
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr,
ORF Regionalradios
Morgengedanken
von Pfarrerin Margit Geley
(Salzburg)
Sonntag, 1.8.2010
Mir geht es am ersten Tag eines
neuen Monates oft so, dass ich nicht weiß, wo die Zeit geblieben
ist.
Wo bleibt mein Leben? frage ich
mich manchmal. Und ich erinnere mich, wie lang die Jahre waren, als
ich ein Kind war. Da waren auch die Jahreszeiten so endlos und
ausgiebig, jetzt scheint die Zeit jedes Jahr schneller zu rennen.
Wo bleibt mein Leben? – das
frage ich mich dann. Und heute, an diesem Sonntag, dem ersten Tag im
August möchte ich mit Ihnen darüber nachdenken.
Wo bleibt mein Leben, Was macht
mein Leben sinnvoll? Was ist überhaupt der Sinn meines Lebens?
Ich merke, dass ich gar keine
Antwort habe. Ich merke, dass es mir aber gut tut mir die Frage nach
meinem Leben zu stellen.
Sinnvolles Leben, das wünsche
ich mir. Ein Leben voller Sinne. Ein Leben, in dem ich meine Sinne
brauche, ein Leben, in dem ich meine Sinne spüre.
Ich stelle mir die Frage nach
meinem Leben.
Ich denke an den „lieben Gott“,
wie die Kinder sagen, der mich und Sie geschaffen hat. Ich denke an
den Gott, der mir mein Leben geschenkt hat und die Fähigkeit zu
sehen, zu riechen, zu fühlen und zu schmecken.
Montag, 2.8.2010
Wenn ich aufwache, dann sehe
ich alles verschwommen.
Ich bin kurzsichtig und so
begegnet mir die Welt in der Früh wie hinter einem Schleier.
Meine Töchter müssen annehmen,
dass ich nicht schon im Bett das erste Buch vorlese, meine E-mails
müssen warten, weil sie nicht gelesen werden können, sogar die
Zeitung und das Frühstück herrichten muss warten, weil ich nicht gut
sehe.
Nicht scharf zu sehen ist ja
eigentlich eine Beeinträchtigung. Oft stelle ich mir vor, wie es
wäre, immer alles ganz scharf und gut sehen zu können.
Wie es wäre, wenn ich in der
Nacht alle Sterne sehen könnte und den Mond, in seiner ganzen Pracht
und nicht nur als verschwommenes Leuchten am Himmel.
Sehen ist für mich sehr
wichtig, über diesen Sinn kann ich Dinge am besten erfassen.
Und gleichzeitig muss ich
manchmal die Augen schließen, um das Sehen zu beenden, damit andere
Sinne dran kommen. In einem Konzert kann ich z.B. die Musik voller
hören, wenn ich nicht mit Schauen beschäftigt bin.
So ist es vielleicht ein
Geschenk Gottes an mich, dass ich nicht immer gut sehen kann.
Vielleicht ist mein Leben sinn-voller, wenn ein Sinn in meinem Leben
beeinträchtigt ist.
Dienstag, 3.8.2010
Hinter meinem Haus beginnt der
Wald und wenn ich im Sommer früh aufstehe, wie heute, dann ist es
ganz still.
Die Vögel beginnen zu
zwitschern, manchmal sind schon die Schafe zu hören und der Hahn der
Nachbarn.
Meine Tochter hat einmal
gesagt: „ wie leise es ist, wenn nichts ist!“ – da waren wir im Wald
und sie hat für einen Moment aufgehört zu reden.
Hören zu können ist ein großes
Geschenk Gottes. Hören ist ganz vielfältig. Es ist ganz körperlich.
Ich höre mit meinen Ohren. Ich höre manchmal nichts und manchmal
höre ich viel zu viel, es ist zu laut und anstrengend für meine
Ohren. Manchmal ist das Gehörte angenehm und wohltuend und manchmal
ist das, was ich höre voller Gewalt und Aggression.
Ich höre mit meinen Ohren, das
ist ganz körperlich. Gleichzeitig höre ich auch mit meiner Seele.
Ich kann hinhören, oder auch
weghören. Ich kann jemandem mein Ohr leihen. Ich kann die Ohren voll
haben von etwas oder von jemandem und ich kann meine Ohren
verschließen – das alles kann auch ein Mensch, der nicht hören kann.
Mein Leben ist voller Sinne,
das ist ein großes Geschenk Gottes. Diesen Sinnen Raum zu geben,
macht mein Leben sinnvoll.
Mittwoch, 4.8.2010
Im Bett liegen und den Geruch
von frischem Kaffee riechen, am besten noch gemeinsam mit dem Duft
von frischem Brot und Gebäck – das ist für mich eine ganz frühe
Geruchserinnerung.
Obwohl ich heute selbst keinen
Kaffee mag, liebe ich den Geruch – er weckt in mir angenehme
Gefühle. Oder ein Kuchen im Backrohr, oder Zimt und Nelken in der
Weihnachtszeit, oder eine duftende Rose.
Ein neugeborenes Menschenkind
sieht noch unscharf, aber es kennt den Geruch seiner Mutter. Ein
getragenes Nachthemd, das nach Mama riecht, hat schon manchem Kind
zum Schlafen geholfen.
Wir riechen und verbinden
Gerüche mit Erlebnissen, mit Erinnerungen – im Guten und auch im
Schlechten.
Riechen ist ein wichtiger Sinn
im Leben, wir riechen immer. Genuss und Geruch sind für mich ganz
eng verbunden – was mir gut riecht, das kann schon mal nicht ganz
verkehrt sein.
Meinen Mann kann ich gut
riechen – außer er war zum Knoblauchessen eingeladen, dann mache ich
einen großen Bogen.
Mein Leben ist voller Sinne,
manchmal merke ich das gar nicht so sehr, manchmal ist es mir ganz
bewusst.
Ein sinn-volles Leben, das
voller Sinne ist, das schenkt uns Gott.
Donnerstag, 5.8.2010
In dieser Woche beschäftigt
mich der Sinn des Lebens. Was gibt meinem Leben Sinn? Welche Sinne
machen mein Leben voll?
Vor meinem inneren Auge lasse
ich mein Leben Revue passieren und mir fällt auf, dass manche von
meinen Sinnen manchmal nicht viel Beachtung geschenkt bekommen
haben.
Oft ist alles irgendwie
selbstverständlich, es ist „eh da“, es ist „nichts Besonderes“,
„ganz normal“, es ist nicht wert darüber nach zu denken, oder
darüber zu reden.
Was schenkt meinem Leben Sinn?
Wozu hat mich Gott in diese Welt gerufen? Wozu hat er mir meine
Sinne geschenkt und die Fähigkeit zu lachen, zu genießen, Wunder zu
sehen?
Dass eine Rose duftet – ist
eine Alltäglichkeit und dennoch ein Wunder.
Dass ich einen Regenbogen sehe
– ist physikalisch leicht zu erklären und dennoch immer wieder ein
wunderbarer Anblick.
Dass ich die kleine Stimme
meines Kindes hören kann – ist alltäglich und selbstverständlich
und trotzdem macht mich das glücklicher, als viele großen Dinge.
Ein Leben voller Sinne, das
scheint mir sinnvoll.
Wenn ich daran denke, wie gut
manche Dinge schmecken können. Wie schön es ist ein Essen zu essen,
das wunderbar gekocht wurde. Wie fein einem manches auf der Zunge
zergeht – gerade jetzt im Sommer, wo alles reif wird.
Dann bin ich Gott sehr dankbar,
dass ich das alles schmecken und riechen und sehen und hören kann.
Freitag, 6.8.2010
Manchmal überlege ich, wie es
wäre, wenn ich gar nicht sehen könnte.
Ich würde einen Sinn verlieren
– aber würde auch das Leben sinn-los werden? Nach der Devise, die
bei Schwangerschaften den Eltern oft gewünscht wird: Hauptsache
gesund?
Wenn ich nicht sehen könnte,
dann könnte ich noch immer hören und schmecken und riechen und
fühlen – und wahrscheinlich könnte ich das alles besser, weil ich
mich auf diese Sinne mehr verlassen müsste als jetzt.
Wenn ich nicht sehen könnte,
dann wäre mein Leben noch immer voller Sinne, es wäre noch immer
sinn-voll – auch wenn es sicher sehr, sehr schwer wäre sich darauf
einzustellen.
Ich überlege, was ich jetzt
schon fühlen kann mit meinen Händen, mit meiner Haut, mit meinen
Füßen. Ich weiß noch, wie es sich als Kind angefühlt hat barfuß
durch Matsch zu gehen, sodass der Matsch bei den Zehen heraus kommt.
Oder wie gut es sich anfühlt
nach einem heißen Sommertag zu duschen und wieder ganz frisch zu
werden.
Oder wie sich ein geliebter
Mensch in den Armen anfühlt, wie wohl das tut, wie gut sich Haut an
Haut anfühlt.
Es gibt so viele Sinne, wie gut
sie sich bewusst zu machen, wie gut zu wissen, dass mein Leben
sinn-voll ist.
Samstag, 7.8.2010
Die erste Augustwoche neigt
sich dem Ende zu und so auch mein Nachdenken über den Sinn des
Lebens und darüber, was mein Leben sinn-voll macht.
Viele Sinne hat mir Gott
geschenkt, sehen, hören, riechen, schmecken, fühlen – ein Leben
voller Sinne. Ein Leben um zu genießen, ein Leben um zu erleben, ein
Leben um Wunder sehen zu können, mitten im Alltag – das hat mir Gott
geschenkt.
Tief in meinem Inneren gibt es
noch mein Herz mit seiner Fähigkeit zu spüren, wie es mir geht, oder
wie es einem anderen geht.
Tief in mir drinnen gibt es
einen Sinn dafür, wie Situationen einzuschätzen sind – ist hier eine
glückliche Atmosphäre oder sind alle angespannt. Hat jemand Angst,
ist jemand mutig.
Vor allem aber, was empfinde
ich selbst? Tief in mir gibt es diese Fähigkeit zu spüren. Tief in
mir und in jedem Menschen gibt es die Fähigkeit intuitiv, also nach
dem Gefühl zu handeln und zu entscheiden.
Diese innere Stimme, dieses
innere Wissen kann mein Leben sinnvoll machen. Ich kann dann darauf
vertrauen, dass meine Sinne Sinn schenken – auch wenn das Leben
meistens nicht einfach und lustig ist.
Dieses innere Wissen verbindet
uns vielleicht am deutlichsten mit Gott, der uns sinn-volles Leben
geschenkt hat.
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