Morgengedanken

Sonntag,  6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr, 
ORF Regionalradios

 

 

 

von Pfarrerin Ingrid Tschank (Gols, Burgenland)

 

 

Sonntag, 29.8.2010

Nimmt man die winzig kleinen schwarzen Senfkörner zwischen Daumen und Zeigefinger, sieht man sie kaum. Auch auf den Handteller gelegt, ähneln sie eher Staubkörnern. Erstaunlich ist, dass daraus eine Pflanze wird, zwei bis drei Meter hoch sogar.

Jesus erzählt: Das Reich Gottes ist gleich einem Senfkorn, das ein Mensch nahm und auf seinen Acker säte, das zwar kleiner ist als alle Samenkörner, aber wenn es gewachsen ist, ist es größer als die Kräuter und wird ein Baum, sodass die Vögel des Himmels kommen und sich niederlassen in seinen Zweigen. (Mt 13, 31 - 32)

 

Am Anfang ein winzig kleines Senfkorn, wächst es innerhalb eines halben Jahres zu einer Staude von über zwei Meter Höhe. Das ist zum Staunen! Und deshalb erzählt Jesus auch dieses Gleichnis. Er will die Menschen ins Staunen versetzen über Gott und seine Schöpfung. Gott lässt aus kleinsten Anfängen Großes wachsen! Auch sein Reich nimmt klein und unscheinbar seinen Anfang. Auch mein Leben hat ganz klein und winzig begonnen.

 

Das Staunen ist der Beginn der Hoffnung und der Dankbarkeit. Wo ich staunend etwas wahrnehme, das ich mir zunächst gar nicht erklären kann, dort füllt sich mein Herz mit Dank, dort öffnet sich die Hoffnung auf ein friedliches und gerechtes Leben. Möge Gott aus dem kleinen „Senfkorn Hoffnung“ Früchte wachsen lassen für uns alle.

 

 

Montag, 30.8.2010

Unser Leben besteht nicht nur aus Arbeit und Mühe. Daran erinnert uns der Prediger (3. Kapitel), ein Weiser aus dem Alten Testament: Es gibt nichts Besseres als fröhlich sein und sich gütlich tun in seinem Leben. Denn ein Mensch, der da isst und trinkt und hat guten Mut bei all seiner Arbeit, das ist eine Gabe Gottes.

 

Eine erstaunliche Auskunft, die viele nicht in der Bibel vermuten würden: Essen und trinken, fröhlich sein und es sich gut gehen lassen, das soll eine Gabe sein, die uns Gott gegeben hat? Das hat in der kirchlichen Tradition eher nur verhaltenen Beifall gefunden. Wie ich finde, jedoch zu Unrecht. Der Prediger macht das fröhliche Genießen keineswegs zum einzigen Lebensinhalt. Auch hier gilt: Alles hat seine Zeit!

 

Aber diese Zeit zu nützen, dazu fordert er uns auf. Es gibt den Augenblick des unbelasteten Spiels, der zweckfreien Freude, der Liebe, der Geselligkeit, der Musik. Es gibt den Sommertag und die Blumen, den blühenden Apfelbaum, den Duft des reifen Getreides und das Lachen der Kinder. Gott möchte, dass ich diese Stunden als wertvollen Teil meines Lebens erkenne, denn: Einmal versäumt, kommen sie nicht mehr zurück.

 

 

Dienstag, 31.8.2010

Die Jüngerinnen und Jünger machen sich Sorgen und fragen Jesus: „Wo bist du? Wo ist das Reich Gottes? Und wie gelangen wir dahin?“ Das Gleichnis von den Lilien auf dem Felde ist eine seiner Antworten. Es sind ganz simple, einfache Antworten. Denn Jesus ist kein Mann der Technik, sondern ein Mann der Liebe.

Schaut die Lilien auf dem Feld an, wie sie wachsen, sie arbeiten nicht, sie spinnen nicht und Gott erhält sie doch. Darum sollt ihr euch nicht sorgen. Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit. So wird euch das alles zufallen. Darum sorgt nicht für morgen, der morgige Tag wird für das seine sorgen. Es ist genug, dass jeder Tag seine eigene Plage hat.“ (Mt 6)

 

Wenn ich anfange mich nicht mehr zu sorgen, dann ist das eine tiefe Umkehr in mir. Ich empfinde die Welt, die Existenz nicht mehr als fremd oder feindlich. Da ist in mir das Leben, ein tiefes Einatmen und Ausatmen, ein Annehmen und Loslösen. Und wenn da keine Feinde sind und nichts zu sichern ist, wenn nichts zu horten und nichts zu sorgen ist, dann tanzt in mir das Leben voller Glück und Liebe. Dann ist das Himmelreich genau jetzt. Und auch das nicht als mein Verdienst für irgendetwas, sondern einfach weil mir ein Leben geschenkt ist.

 

 

Mittwoch, 1.9.2010

Himmel und Erde, Bäume und Wiesen, Tiere und Menschen gehören nicht nur zusammen, sie sind auf innige Weise aufeinander angewiesen.Das ist jedoch keine Bürde, es ist Aufgabe und Verantwortung, es ist Anerkennung der wunderbaren Schöpfung, wie sie von Gott geschaffen wurde.

 

Auch Wasser, Erde, Luft und Feuer sind nicht unser Eigentum. Ein Geschenk ist alles, was wächst und reift, was sich regt und bewegt auf dieser Erde. Auch wir Menschen sind niemandes Eigentum. Denn frei ist ein Christ, sagt Martin Luther, und niemandem untertan. Frei bin ich und frei ist diese Schöpfung, aber immer zugleich gebunden, gebunden an Gott und an sein Wort. Das bedeutet: Ich habe meinen Wert in mir, auch jedes andere Lebewesen. Ich trage Verantwortung für Menschen, für die Natur mit ihrer unglaublichen Vielfalt, mit ihrem Reichtum an Schönheit und Faszination. Die Erde ist uns allen gegeben, um auf ihr und von ihr zu leben, sie aber auch zu bewahren und zu behüten. In einer Liedzeile heißt es*:

 

Die Erde ist des Herrn

geliehen ist der Stern, / auf dem wir leben.

Drum sei zum Dienst bereit,

gestundet ist die Zeit,

die uns gegeben.

 

* Evangelisches Gesangbuch, Ausgabe für die Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck, Nr. 634

 

Im Psalm 24 (V.1) heißt es: Die Erde ist des Herrn und was darinnen ist, der Erdkreis und alle, die darauf wohnen.

 

 

Donnerstag, 2.9.2010

Es ist immer wieder ein besonders schöner Moment, wenn ich morgens in die Küche gehe und mir ein Stück frisches Brot abschneide. Ich streiche Butter darauf und schon beim ersten Bissen spüre ich, wie Kraft und Leben mich erfüllt. 

 

Wasser und gemahlenes Weizenkorn, das Element des Feuers und die Arbeit der Menschen, sind zur Herstellung von Brot notwendig. Brot verkörpert die Güte der Schöpfung und des Schöpfers. Im Brot liegt eine Urkraft. Sie trägt Leben, Mut, Hoffnung und Zuversicht in sich. Deshalb gehört auch das Wort vom Brot zu den bekanntesten Jesuswörtern: Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, wer an mich glaubt, den wird nicht hungern.

 

Gutes Brot zu backen, ist eine hohe Kunst und letztlich eine Herzensangelegenheit. Brot stillt den körperlichen Hunger, aber erst geteiltes Brot stillt darüber hinaus auch den seelischen Hunger, den Hunger nach Gemeinschaft, nach Nähe und danach, verstanden und geliebt zu werden. Was den Hunger stillt und zugleich Leib und Seele zusammenhält, das ist für Menschen fast selbstverständlich zum Glücksymbol geworden. Ja, glücklich ist der Mensch, der genug Brot hat, Tag für Tag.

 

 

Freitag, 3.9.2010

Eines Tages versammelten sich die Bäume und beschlossen, einen aus ihren Reihen zum König über sich zu setzen. Sie fragten den Ölbaum, den Feigenbaum und auch den Weinstock. „Komm Weinstock, sei du unser König!“, baten sie ihn und hofften, er würde zustimmen. Der Weinstock aber sprach zu ihnen: „Soll ich meinen Wein, der Götter und Menschen fröhlich macht, lassen und hingehen, über den Bäumen zu regieren?“ (Richter 9, 13)

 

Als König der Bäume hätte der Weinstock kaum mehr Zeit gehabt, seinen kostbaren Rebensaft hervorzubringen. Da blieb er doch viel lieber das, wozu Gott ihn gemacht hatte. Weder der Feigenbaum, noch der Olivenbaum wurde der König über den Bäumen, sondern, vielleicht etwas überraschend: der Dornbusch. Warum gerade er? Er trägt keine Früchte.

 

Sich seiner eigenen Begabungen bewusst zu sein, sie zu fördern und im Einklang mit ihnen zu leben, ist die größte Kunst unseres Lebens. Dazu gehört auch, jede Frau und jeden Mann, jede Pflanze und jedes Tier in entsprechend dem eigenen Wesen wahr und ernst zu nehmen. Es ist eine unserer Verpflichtungen, dazu beizutragen, dass alles auf dieser Erde so existieren kann, wie es der Eigenart, der Natürlichkeit und letztlich auch dem Wohlbefinden entspricht.

 

 

Samstag, 4.9.2010

Rund um die zahlreichen Städte und Dörfer unseres Landes spannt sich ein weit verzweigtes Netz an Güterwegen. Güterwege sind zwar in manchen Gegenden geteert und bequem zu befahren, meistens aber schmal, holprig und von Wind und Wetter geformt. Güterwege führen zu den Gütern, die die Erde hervorbringt: Zum Gemüse und dem Weizen, zu den fruchtigen Weintrauben und den Bäumen mit ihren schmackhaften Früchten, wie den Marillen, Äpfeln, Zwetschken und Nüssen. Ein afrikanisches Sprichwort sagt: „Zu den Bäumen, die keine Früchte tragen, führt kein Weg.“

 

Die Güterwege werden aber auch von Menschen in ihrer Freizeit benützt. Sie fahren mit den Rädern, Rollerskates oder machen einen Spaziergang. Für sie ist der Güterweg der Weg, auf dem sie ihrer Seele etwas Gutes tun. Sie finden Erholung, Entspannung und einen sportlichen Ausgleich zu Alltag und Beruf. Das brauchen Menschen für ihre Seele, damit sie wieder Kraft tanken, aufatmen und durchatmen können. Wo könnte es besser getan werden als in der freien Natur?

 

Auch unser Glaube ist ein Weg, hoffentlich ein Güterweg, dass wir zum Guten gelangen und auch selbst immer wieder Frucht bringen.