Morgengedanken

Sonntag,  6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr, 
ORF Regionalradios

 

 

 

von Elisabeth Rathgeb (Innsbruck, T)
 


Sonntag, 5.9.2010

Ich bin dann mal weg

Tausende Menschen pilgern jährlich auf dem Jakobsweg nach Santiago de Compostella. Pilgern ist "in", erst recht, seit Hape Kerkeling "Ich bin dann mal weg" geschrieben hat. Sein Bestseller trifft die Sehnsucht vieler Menschen nach Spiritualität.

Karl Rahner, Jesuit und in Innsbruck begraben, hat diese Sehnsucht nach Mystik, nach Spiritualität schon vor 40 Jahren voraus gesehen: "Der Christ der Zukunft wird ein Mystiker sein oder er wird nicht mehr sein."

Aber was ist Mystik? Muss man dafür ausbrechen aus seinem Leben, "Mal weg sein" und hunderte Kilometer zu Fuß gehen?

Das ist sicher eine reizvolle Möglichkeit, aber es geht auch einfacher - hier und jetzt, im Alltag: Denn "Mystik ist die Wiederentdeckung des Heiligen im täglichen Leben". So formuliert es der ägyptische Jesuit Pater Henry Boulad.

Er folgt damit den Spuren seines Ordensgründers Ignatius von Loyola, der schon vor 500 Jahren erkannt hat, dass man "Gott in allen Dingen finden kann".

Dazu hat er auch ein Trainingsprogramm geschrieben.

Das Heilige im täglichen Leben wiederentdecken - wie das wohl funktioniert?

Schaffen Sie sich also heute eine Oase der Stille. Und sagen Sie dann auch "Ich bin dann mal weg". Und wenn es nur für 15 Minuten ist.


Montag, 6.9.2010

Atem holen

Gestern hat der Rasenmäher den Geist aufgegeben. Zumindest war das mein erster Verdacht: Akku geladen, ordnungsgemäß angeschlossen, Startknopf gedrückt und - nichts. Leider bin ich kein technisches Genie. Deshalb war meine einzige Erklärung für das Problem ein Kontaktfehler, sprich ein Wackelkontakt. Also Akku neu einstecken und nächster Versuch. Ich gebe zu, dass ich ungefähr beim fünften Mal ein bisschen fester drauf gehaut habe und siehe da: Es funktioniert.

Wieso ich Ihnen das um diese Tageszeit erzähle?

Weil die Rasenmäher-Geschichte gut in das spirituelle Trainingsprogramm passt, das ich mir für diese Woche vorgenommen habe. Nein, nein - keine Sorge. Sie müssen jetzt nicht täglich Rasenmähen, wenn Sie das Heilige im Alltag wiederentdecken wollen. Es geht eher um den Strom, der uns lebendig macht. Beim Rasenmäher ist es der Akku, der ihn liefert. Bei uns ist es der Atem, der uns die Luft zum Leben verschafft. Bewusst und tief ein- und ausatmen bringt uns hingegen mit dem Leben in Kontakt - mit uns selber und unserem "Spiritus", dem Geist, der uns lebendig macht. Daher lohnt es sich, Wackelkontakte zu vermeiden und darauf zu schauen, dass wir gut angeschlossen sind an den Strom des Lebens. Dann kann Atmen sogar wie Beten sein.


Dienstag, 7.9.2010

Augen-Blick

Als Kinder haben wir gerne gespielt "Ich seh, ich seh, was du nicht siehst."

Dann musste man einen Gegenstand beschreiben und die anderen haben versucht zu erraten, was es ist. Das war ein gutes spielerisches Seh-Training.

Es schärft den Blick und die Aufmerksamkeit für Details.

So entsteht Scharf-Blick. Und Achtsamkeit: Was ich sehen kann, kann ich schätzen und schützen. Wie leicht passiert es, dass wir etwas oder jemanden über-sehen, und dann kracht es. Und umgekehrt: Wie viele Wunder lassen sich täglich in Kleinigkeiten entdecken!

Auf einem spirituellen Weg hat das Sehen einen zentralen Stellenwert:

Wenn Mystik "die Wiederentdeckung des Heiligen im täglichen Leben" ist, wie es Pater Henry Boulad SJ formuliert, dann brauchen wir ein Seh-Training.

Allerdings muss man dafür nicht die Sehschärfe eines Piloten haben: Man kann sogar auf einem oder beiden Augen blind sein. Vorausgesetzt, man sieht mit dem Herzen gut. Das lässt sich jetzt nicht in Dioptrien messen. Eher lässt es sich daran messen, ob jemand mit den Augen der Liebe auf sich und andere schaut. Diesen "Blick der liebevollen Aufmerksamkeit" empfiehlt der hl. Ignatius von Loyola auch für den abendlichen Tagesrückblick: Sich nicht selber vernichten, sondern mit liebevoller Aufmerksamkeit wahrnehmen, was ist. Und dann alles zusammen -das Gelungene und das weniger Gelungene - Gott anvertrauen.


Mittwoch, 8.9.2010

Hören

Schon zweimal habe ich einen Tinnitus, ein Geräusch im Ohr, gehabt: Einmal war es wie ein tropfender Wasserhahn, das andere Mal wie eine brummende Neonröhre. Zum Glück bin ich beides wieder los geworden.

Seither achte ich besser darauf, was ich höre. So ähnlich wie beim Essen:

Da weiß man ja auch, was einem gut tut und was nicht.

Deshalb hasse ich es, wenn mir ein akustisches Hör-Menü serviert wird, ohne dass ich es bestellt habe: Im Kaffeehaus, beim Einkaufen, am Badestrand und am Bahnhof - überall Musik und als Beilage Handy-Töne in allen Varianten.

Vielleicht sollten wir ein Gesetz gegen akustische Umweltverschmutzung oder "Lärm-Stalking" beantragen?

Klüger ist wahrscheinlich, einfach bewusster auszuwählen, was wir hören.

Denn sonst geht unsere innere Stimme im Lärm-Terror unter.

Wie heißt es in einem Lied aus Taize so poetisch?

"Schweige und höre, neige deines Herzens Ohr, suche den Frieden."

Gut hören ist also eine Voraussetzung für Frieden - inneren und äußeren.

Und es ist die Voraussetzung für die Wiederentdeckung des Heiligen im täglichen Leben: Denn die Stimme Gottes kommt nicht im Sturm mit Donner und Blitz, sondern - so erlebt es der Prophet Elija im Alten Testament – "im Säuseln des Windes". Und das geht leicht unter in unserer lauten Welt.


Donnerstag, 9.9.2010

Riechen und schmecken:

Von Wohlgerüchen und Stinkbomben

Vor einigen Jahren hat ein Marder seine Beute unter unserem Dach deponiert. Das war zwar von außen nicht sichtbar, aber bei 34 Grad im Schatten hat sich ein bestialischer Gestank entwickelt.

Unser Geruchssinn ist ein äußerst hilfreiches Instrument:

Er alarmiert uns, wenn Rauch in der Wohnung ist. Er signalisiert Gefahr, wenn etwas giftig riecht: Was stinkt, verdirbt uns den Appetit.

Riechen kann aber auch heilsam sein, sagt die Aroma-Therapie.

Und Riechen hilft sogar bei der Partnerwahl, sagt die Psychologie:

Dann können sich zwei gut riechen.

Die Mythologie hat früher positiven und negativen Kräften Gerüche zugeordnet: Der Teufel soll nach Schwefel stinken, während man Engel angeblich am Rosenduft erkennt. Und Weihrauch ist der Geruch des Heiligen.

Eng mit dem Geruchssinn verbunden ist unser Geschmackssinn:

Tiramisu schmeckt himmlisch süß und Chili höllisch oder teuflisch scharf.

Wir beißen in den sauren Apfel oder schlucken die bittere Pille.

Wir wissen genau, was unseren Geschmack trifft.

Riechen und Schmecken sind auch hilfreiche Sinne auf einem spirituellen Weg:

Sie helfen uns zu erkennen, was uns "schmeckt" oder "was mir stinkt".

Sie erleichtern die "Unterscheidung der Geister": Was ist himmlisch und was höllisch? Was ist gut und was ist schlecht? Also einfach immer der Nase nach.


Freitag, 10.9.2010

Unterscheidung der Geister

Im letzten Urlaub in Italien habe ich in einem Kreisverkehr drei Runden gedreht: Plötzlich war kein Wegweiser mehr da, und ich wusste nicht, welche der 5 Ausfahrten die richtige ist.

Natürlich könnte ich mir endlich ein Navigationsgerät anschaffen. Aber seit ein Bekannter von seinem Super-Navi im Tunnel zum Umkehren aufgefordert worden ist, bin ich diesen Orientierungshilfen gegenüber skeptisch.

Auch im täglichen Leben stehen wir ständig vor Entscheidungen:

In der christlichen Spiritualität gibt es schon in der Bibel eine Orientierungshilfe. Sie nennt sich "Unterscheidung der Geister" und ist so etwas wie ein "inneres Navigationsgerät". Ignatius von Loyola, der Gründer der Jesuiten, hat die Methode vor 500 Jahren verfeinert:

Er geht davon aus, dass alles Gute von Gott kommt und das Leben fördert.

Denn der Geist macht lebendig, wie es schon in der Bibel heißt.

Das Gegenteil von Geist ist Tod.

Wenn man also spürt, dass eine Entscheidung längerfristig von Begeisterung getragen ist, ist das ein Zeichen, dass der Weg richtig ist. Denn Begeisterung, "Enthusiasmus" kommt von en-theos und das heißt so viel wie "in Gott sein" oder "Gott in uns". Alles, was zu mehr Liebe, innerer Ruhe, Freude und Frieden führt, weist demnach in die richtige Richtung.

Deshalb bete ich um einen guten Geist und vertraue auf mein inneres "Navi".


Samstag, 11.9.2010

Dem Leben einen Rhythmus geben

Letzte Nacht hat der Sturm die schönste Sonnenblume im Garten umgerissen.

Sie steht jetzt in der großen Bodenvase. Mit ihren 7 strahlendgelben Blüten, Knospen und Samenständen kommt sie mir vor wie ein Sinnbild des Lebens: Wachsen, blühen, reifen, in die Erde fallen.

Alles in der Natur hat seinen Rhythmus: Der Mond und die Gezeiten des Meeres, die Jahreszeiten, der Wechsel von Tag und Nacht, Leben und Tod.

Über viele Jahrtausende hat sich der Mensch diesem Rhythmus angepasst.

Ich erinnere mich gut an die Erzählungen meines Vaters, der noch ohne elektrisches Licht auf einem Bergbauernhof aufgewachsen ist:

Die Länge des Arbeitstages war weitgehend vom Tageslicht abhängig.

Natürlich möchte ich den elektrischen Strom und die  Errungenschaften der Technik nicht missen. Aber wir sind dadurch viel mehr gefordert, unseren eigenen Lebens-Rhythmus zu finden, denn sonst droht das "Burn-out".

Das gilt auch für unser spirituelles Leben und die "Wiederentdeckung des Heiligen im Alltag".

Nicht von ungefähr heißt es schon im Alten Testament:

"Am 7. Tag sollst du ruhen." Daher ist der Sonntag keine Störung im Arbeitsablauf, sondern eine lebensrettende Maßnahme - für alle Menschen.

Für Christen und Christinnen ist es ein Tag, an dem das Heilige einen fixen Platz bekommt. Damit das Leben nicht den Rhythmus verliert, der es trägt-