Morgengedanken

Sonntag,  6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr, 
ORF Regionalradios

 

 

 

von Msgr. Ernst Pöschl (Eisenstadt, Burgenland)

 

 

Sonntag, 12.9.2010

In meinem letzten Urlaub habe ich schon am frühen Morgen einen Blick vom Fenster auf den gegenüberliegenden Wald gehabt. Ganz nahe stand eine riesige Weißbirke mit ihren weit ausladenden Ästen. Die Baumkrone hob sich mit ihren Blättern fast plastisch vom klaren Himmel ab. Dahinter stand ein Wald, soweit das Auge reichte. Kein Blatt regte sich. Diese Stille wirkte auf mich und es wurde mir ein herrlicher Frieden von Gottes schöner Natur geschenkt. An diesem stillen Vormittag wurde ganz in der Nähe ein riesiger Baum gefällt, der mit gewaltigem Getöse umstürzte. Da ist mir blitzartig bewusst geworden, dass man sich meist das merkt, was Krach macht, was Schlagzeilen macht. Dazu kam das starke Erlebnis, dass ein Wald mit gewaltiger Ausdehnung weniger Lärm macht als ein einziger umfallender Baum.

 

Dabei erinnerte ich mich, dass man Berichte über Wunder, die auch in der heutigen Zeit geschehen, nur erkennen kann, wenn man sich in der Stille einen Sinn dafür bewahrt hat. Wunder und Zeichen besitzen genügend Klarheit für die, die bereit sind, sie anzunehmen und Dunkelheit für die, die sie ablehnen.

Gott will uns nicht zu irgendetwas zwingen. Es ist wesentlich für ein Zeichen Gottes, uns die freie Entscheidung zu überlassen, wie wir darauf reagieren.

 

 

Montag, 13.9.2010

Gibt es wirklich Wunder? Wie kann man sie beweisen? Handelt es sich dabei um Ausnahmen von Naturgesetzen oder um glückliche Zufälle? Solche und ähnliche Fragen werden mir immer wieder gestellt. Was ein Wunder ist, versuche ich dann so zu erklären: Ein Wunder ist ein Zeichen, das Gott uns durch ein Ereignis gibt, das anders erscheint, als der normale Verlauf des alltäglichen Lebens. Solche Wunderberichte sind keine Märchen, sondern wahre Geschichten. Von Wunderbarem in unserem Leben ist nicht oft die Rede, weil das Schöne und das Gute eher unscheinbar sind. So wie es der kleine Prinz von Saint-Exupery sagt: „Das Wesentliche ist für das Auge unsichtbar.“ Ein Politiker, David Ben Gurion, sagte einmal: „Wer nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist.“

 

Wunder sind Geschichten zum Staunen. Allerdings muss man sich einen Sinn für Bewunderung bewahrt haben, um Wunder sehen zu können. Sich auf Wunder einlassen heißt, suchen, was hinter einem Wunder verborgen ist, was am Ursprung einer geheimnisvollen Tatsache steht.

 

Auf einer Spruchkarte habe ich diese tiefen Worte gefunden: „Gott dürstet so sehr nach unserer Liebe, dass er sich durch Wunder bemerkbar machen muss.“

 

 

Dienstag, 14.9.2010

Wir sind es längst gewohnt, einfach die Zentralheizung aufzudrehen, wenn wir uns eine wohlige Wärme wünschen.

In den letzten Wochen habe ich in einem Haus, das in über 1000 Meter Höhe gelegen ist, eine ganz andere Erfahrung gemacht. Ich habe, wenn es kühl geworden ist, im Ofen ein Feuer gemacht. Allmählich hat das Holz zu brennen angefangen und ich konnte angenehme Wärme spüren. Das hat mich zu einem Vergleich angeregt. Gott möchte, dass wir nicht nur um seine Liebe wissen, wir sollen sie auch spüren können.

Im Johannesevangelium sagt uns Jesus: „Ich möchte, dass meine Freude in euch ist und dass sie immer vollkommener wird.“ In diesen Worten erkenne ich, wie wichtig es ist, sich vom Feuer der Liebe Jesu anstecken zu lassen, sie zu empfangen und zu verkosten. Manche beklagen sich, dass sie das noch nie erfahren haben. Wir wissen, dass wir dem Holz im Ofen Zeit lassen müssen, stärker zu brennen. Erst dann können wir seine Wärme spüren. Dabei dürfen wir nicht vergessen: Wir selbst sind nur das Holz, nicht aber das Feuer! Das Holz kann niemand erwärmen, wenn es nicht im Kontakt mit dem Feuer ist.

 

 

Mittwoch, 15.9.2010

Der bekannte französische Journalist Andre Frossard hat ein Buch geschrieben mit dem Titel „Gott existiert. Ich bin ihm begegnet.“ Vielleicht kommt Ihnen so ein Buchtitel weltfremd vor, unwirklich und übertrieben. Im Alter von 20 Jahren hatte er ein besonderes Erlebnis. Die Gottes-Begegnung ereignete sich an einem Sommerabend, in einem kleinen Gotteshaus. Frossard ist schon des Wartens müde über das nicht enden wollende Gebet seines Freundes, mit dem er verabredet war. Daher betritt auch er die Kapelle und späht nach seinem Freund. In dem Augenblick hört er die Worte „Geistliches Leben“, und zwar so, als würde sie von einer Person neben ihm mit leiser Stimme gesprochen. Kaum hat die letzte Silbe die Schwelle seines Bewusstseins erreicht, da sieht er Farben, die er nie zuvor gesehen hat. Es war für ihn wie ein Kristall von einer klaren Durchsichtigkeit. Von einer beinahe unerträglichen Helligkeit, so als ob sich für ihn der Himmel öffnete. Andre Frossard schreibt, dass es ihm nicht möglich ist, mit Worten dies zu beschreiben, was geschehen war.

Da wird ihm eine Einsicht klar, die für ihn unbegreiflich ist: Das ist die Gegenwart Gottes. Gott hatte er noch vor einigen Minuten geleugnet und jetzt erfuhr er Gott in seiner Güte, die selbst das härteste Herz erweicht.

 

 

Donnerstag, 16. 9.2010

Es war in der Nacht vom 11. auf den 12. Juni 1969: Mit diesen Worten begann ein Mann seine Lebensgeschichte zu erzählen. Er hatte viele Jahre wegen Drogenhandels im Gefängnis verbracht. Vom Gefängnisseelsorger hatte er eine Bibel erhalten. Eines Tages forderte er Jesus heraus: „Wenn das alles stimmt, das von Dir in diesem Buch steht, dann komm mich besuchen, damit ich da herauskomme. Ich schlage Dir ein Rendezvous vor: Komme heute um zwei Uhr nachts, da können wir in Ruhe diskutieren.“ In dieser Nacht rüttelte ihn jemand aus dem Schlaf. Er sprang aus dem Bett, bereit, den Eindringling niederzuschlagen. Aber es war niemand da. Da hörte er die Worte: „Es ist zwei Uhr, Andre! Ich bin dein Gott, der Gott aller Menschen!“ Da sieht er bei den Gitterstäben, die er sich immer gesprengt ausmalt, um freizukommen, ein strahlendes Licht. Und in dem Licht einen Mann, der ihm seine durchbohrten Hände zeigte, seine geöffnete Seite und er hört die Worte: „Das ist auch für dich!“

 

Nach dieser Begegnung musste er noch sechs Jahre absitzen. Eine Zeit, so erzählte er, die Gott dazu benutzt hat, um aus diesem Felsbrocken von Hass und Aggressionen einen kleinen Zeugen zu machen, der von der Liebe Gottes spricht.

 

 

Freitag, 17.9.2010

In der Auslage eines Geschäftes habe ich einen Amethyststein bewundert. Auf den ersten Blick sieht man nur einen Geröllstein wie er in Gebirgsbächen zu finden ist. Erst, wenn er auseinander geschlagen wird, offenbart sich seine Schönheit. Nur die äußere Schale sieht unscheinbar aus. Drinnen funkelt er im herrlichen Violett. Die Amethyste, diese hauchzarten Kristalle, ragen von allen Seiten wie Speichen nach innen.

 

Mich persönlich erinnert das Rosenkranzgebet an solche Amethyste. Die graue Schale, die sie umgibt, sind wie die Wiederholungen des Vater unser und Gegrüßet seist Du Maria. Daran bleiben viele hängen und bezeichnen es als langweiliges Gebet.

 

Bevor ein Amethyststein aufgebrochen ist, schaut er auch aus wie jeder andere. Was ist aber der Edelstein im Inneren? Das ist der tiefe Friede, das ist Kraft und der Trost, die für mich aus diesem Gebet kommen. Wer einen Amethyststein finden will, braucht Geduld. Erst, wenn er geöffnet wird kann er im Inneren den Edelstein entdecken. So braucht auch das Gebet Übung und Vertiefung.

 

Ein Musiker spielt ein Stück bis er es beherrscht, zehnmal, hundertmal. Wenn wir beten, beginnen wir mit dem Herzen zu schauen, das sind die Meditationen über das Leben Jesu, die Amethyste unter der Geröllschichte.

 

 

Samstag, 18.9.2010

Ich kenne Menschen, die sich sehr für ihre Mitmenschen einsetzen. Als ich aber mit ihnen über den Himmel gesprochen habe, haben sie gemeint: Das ist nur ein Vertrösten. Ich bin da anderer Meinung. Wenn jemand ein Ziel für seinen Weg hat, dann wird er doch nicht davon abgehalten, sich auf den Weg zu konzentrieren. Im Gegenteil, es ist doch wichtig, dass man das Ziel des Weges weiß.

 

Jesus hat uns den Himmel versprochen und gesagt: „Ich gehe euch voraus, eine Wohnung zu bereiten und wo ich bin, dort sollt auch ihr sein.“

 

Was könnte der Grund sein, dass heute über den Himmel so selten gesprochen wird? Sind das nur oberflächliche Menschen, die schon jetzt immer wieder etwas vom Himmel erlebt haben und deshalb froh scheinen? Könnte es nicht deshalb sein, weil sie gelernt haben, auch mit dem Leid besser umzugehen, weil sie an den Himmel glauben? Jemand hat gesagt: Mangelnde Freude heißt entweder, dass Gott nicht wirkt oder dass wir an seinem Werk nicht mitarbeiten. Weil Gott immer wirkt, kann es doch nur an uns liegen.

 

Noch heute ist mir der Ausruf des bekannten Fußballreporters Edi Finger in Erinnerung, als Österreich bei der Weltmeisterschaft gegen Deutschland das Entscheidungstor geschossen hat: „I werd narrisch!“

Vielleicht wird es auch Ihr begeisterter Ausruf sein, wenn Sie zum ersten Mal den Himmel sehen.