Morgengedanken
Sonntag, 6.05 Uhr -
6.08 Uhr,
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr,
ORF Regionalradios
von Pfarrer Hans-Peter Premur, Krumpendorf, Kärnten
Sonntag, 19. September 2010
Wieder ist es Herbst geworden. Der
Sommer ist vorüber! Obwohl ich den großen Wechsel in der Natur schon
lange erwartet habe, ging heuer alles wieder ganz schnell. Ja, fast
zu schnell ist es wieder kälter geworden. Ich muss wieder den Ofen
befeuern, kann nicht mehr barfuß gehen, habe die Sommerkleider
wieder in den Schrank geräumt und Jacke und Pullover hervorgekramt.
Das Baden im See ist endgültig vorbei und wir alle, ob wir wollen
oder nicht, müssen uns wieder in den neuen Rhythmus der Natur
einfügen. Gerade an diesem Übergang wird uns aber von der Schöpfung
her ein großes Geschenk bereitet. Der schöne farbenprächtige Herbst
ist da.
Ich möchte in diesen Tagen mit Ihnen
der Schöpfung auf der Spur bleiben. Gerade jetzt spricht sie zu uns
in überdeutlicher Sprache. Wenn wir in der Lage sind hinzuschauen,
ihre Sprache wahrzunehmen, dann bereichert uns jetzt im Herbst
alles, was rund um uns geschieht. Dass wir als Christen offene
Augen, offene Sinne haben, um in der Schöpfung den Schöpfer
wahrzunehmen, ist uns durch die Taufe geschenkt. Dort wird über
jedem Täufling der Effata Ritus vollzogen. Es heißt dort über die
Sinne: Tu dich auf! Der Herbst lädt uns in der Tat dazu ein, zu
schauen und zu staunen.
Montag, 20. September 2010
In diesen Herbsttagen möchte ich mit
Ihnen auf die Sprache der Schöpfung hören und dabei für unser
Seelenleben Wertvolles entdecken. Ich habe im Garten des Pfarrhauses
mehrere Haselnusssträucher. Jetzt sind sie voller Haselnüsse. Tag
ein Tag aus, macht sich gerade ein Eichhörnchen daran zu schaffen.
Ich beobachte es, wie es von Ast zu Ast gleitet und die reifen Nüsse
begutachtet. Zuerst dachte ich, einen Vielfraß vor mir zu haben.
Doch so eine große Menge kann auch das gefräßigste Eichhörnchen
nicht hinunterschlingen. Da ging mir plötzlich auf, dass es
Wintervorräte sammelt. Es bringt die Nüsse in die Astgabeln hoher
Bäume, oder es vergräbt sie irgendwo in der Erde, indem es ein Loch
gräbt, die Nüsse hineinlegt und mit der Schnauze die Erde über dem
Vorratsspeicher wieder festdrückt. Eichhörnchen haben nicht nur
einen, sondern mehrere solcher Plätze an denen sie einen solchen
Winterspeicher anlegen. Fast von alleine drängt sich mir die Frage
auf: Was sind meine seelischen Wintervorräte, die mir in
Krisenzeiten Kraft und Substanz geben: Freundschaften oder Gebet und
Meditation, die mir die Gegenwart Gottes bewusst machen.
Und während ich selber ein paar der
reifen Haselnüsse vom Boden aufhebe, merke ich, wie mich die
Schöpfung anspricht.
Dienstag, 21. September 2010
Ich lebe in einem Sommertourismusort.
Der Wörthersee und die derzeitige Eventkultur sind wie große
Magneten, die Menschen aus aller Welt anziehen. Dabei geht es oft
sehr laut und bunt zu. Feste werden gefeiert, Wasser- und Motorsport
lassen den See erbeben und manch ein Sonntag erlebt eine
Megaveranstaltung, die Menschen davon abhält in den Gottesdienst zu
kommen. Doch jetzt im Herbst wird alles ruhiger. So schön der Sommer
war, bin ich nun froh, dass er vorüber ist. Vieles Oberflächliches
beruhigt sich, wie die Wasseroberfläche des Sees selbst und das ist
gut so. Denn jetzt kommt die Zeit, in der wir uns mit uns selbst
beschäftigen müssen. Das ist nicht immer leicht. Denn gerade, wenn
die Betriebsamkeit zur Sucht geworden ist, weigert sich unser
Inneres, so einen Wechsel zu akzeptieren. Ablenkung von mir selbst,
Flucht vor der persönlichen Verantwortung und Betäubung der
Innenwelt würden sich aber auf Dauer sowieso nicht auszahlen.
Die Natur, der Schöpfer hat es so
eingerichtet, dass sogar in der hochzivilisierten Zeit des 3.
Jahrtausends der Herbst uns in ruhigere Bahnen zwingt. Zu unserem
eigenen Heil. Denn wer sich auf die Ruhe, auf sich selber einlässt,
beugt nicht nur dem grassierenden Phänomen des Burnouts vor, sondern
entdeckt aufs Neue die inneren Dimensionen.
Mittwoch, 22. September 2010
Obwohl der Herbst ein jährlich
wiederkehrendes Phänomen ist, sollte man sich nicht an ihn gewöhnen.
Denn dann könnte man die vielen Botschaften, die er jetzt an uns
richtet, glatt übersehen.
Manch einen erfüllt der Herbst mit
Traurigkeit, denn das Vergehen kündigt sich an und die Gewissheit,
dass nichts auf Dauer so bleiben kann, wie es ist. Alle Jahre wieder
sind wir angehalten, den Abschied des Vegetationsjahres in
christlicher Gelassenheit und Dankbarkeit zu begehen. Ja es ist ein
Abschied, aber es gibt, so Gott will, ein Wiedersehen mit der
lebendigen Natur. Wenn ich nun zum Erntedank Früchte und Körner in
den Händen halte, dann steckt in diesen – falls sie nicht
Hybridzüchtungen sind – auch der Keim zu neuem Leben. Der Herbst ist
also ein idealer Anlass, in Dankbarkeit die Fähigkeit zum Loslassen
einzuüben. Jetzt können wir es leichter als sonst, zu erkennen, dass
Werden und Vergehen, oder besser gesagt Vergehen und Werden
untrennbar miteinander verbunden sind.
Von hier ist es nicht mehr weit zum
Geheimnis unseres Glaubens, das wir in unseren Gottesdiensten oft
singend bekennen. Der Mensch gewordene Gottessohn hat sich auf die
Rhythmen dieser Welt eingelassen und ihre Symbolik, die ja immer
schon ein Verweis aufs Göttliche war, hat er an sich selbst erfüllt.
Der Herbst betet gleichsam mit uns: Deinen Tod, oh Herr, verkünden
wir und deine Auferstehung preisen wir.
Donnerstag, 23. September 2010
Wenn ich jetzt spazieren gehe, dann
suche ich die Sonne. Bis vor kurzem war sie noch zu heiß und ich
bevorzugte den Schatten. Jetzt im Herbst werde ich wieder ganz
sonnenhungrig. Ich setze mich auf eine Bank am Waldesrand, blicke in
den Himmel und richte mich nach der Sonne aus. Dabei komme ich mir
vor wie das Gebäude einer alten Kirche. Früher einmal hatte man sich
beim Bau einer Kirche nach der Sonne ausgerichtet. Dort wo sie
aufgeht – im Osten – war der Bezugspunkt für den Architekten. Er
richtete seinen Blick „versus orientem“ und baute deshalb seine
Kirche „orientiert“ nach Osten schauend. Während ich mich so an die
Richtung der herbstlichen Sonne halte, frage ich mich selber, was
mir Orientierung im Leben gibt. Plötzlich schieben sich Wolken vor
die Sonne und es wird kühler. Wonach orientiert man sich, wenn man
den Bezugspunkt aus den Augen verliert. Wenn man vor lauter Wolken
und Problemen die Quelle des Lichts nicht mehr sieht? Ich betrachte
die Wolken und lasse meinen Blick am Himmel schweifen. Ich erinnere
mich, dass ich schon lange nicht mehr, wie damals als Kind,
absichtslos dem Spiel der Wolken zugeschaut habe. Ganz versunken
darin spüre ich auf einmal wieder die Sonne im Gesicht. Sie war
hinter den Wolken immer da.
Freitag, 24. September 2010
Der Herbst ist die Zeit der Ernte. Er
ist die Zeit, in der die pflanzlichen Nahrungsmittel, Früchte,
Nüsse, Gemüse in Hülle zur Verfügung stehen. Vom Bauernmarkt, oder
aus meinem eigenen kleinen Garten beziehe ich in diesen Tagen mein
Gemüse. Rüben, Karotten, Melanzani, Kürbis, Salat und vieles andere
mehr bietet uns der Herbst in wunderbarer Fülle an. Jetzt ist die
Zeit, in der wir, mehr als sonst, Frisches und Gesundes in unseren
Speiseplan einbauen können. Und wir sollten es tun. In den
vergangenen Wochen machte der US-amerikanische Autor Jonathan Safran
Foer mit seinem Buch: „Tiere Essen“ in überzeugender Weise darauf
aufmerksam, dass wir in der westlichen Zivilisation zu viel Fleisch
und zu wenig Gemüse essen. Das hat negative Auswirkungen auf unsere
eigene Gesundheit und auf die Ökologie der ganzen Welt. Der Autor
legt dar, wie wir durch eine Fleischreduktion und eine vermehrt
vegetarische Kost vieles verbessern können. Zivilisationskrankheiten
und unnötiges Tierleid, durch Massentierhaltungen bewirkt, könnten
dadurch vermindert werden. Doch dazu müsste man den Wohlgeschmack
des eigenen Gartens wieder neu entdecken. Ich denke an das
alttestamentliche Buch Daniel, wo die drei Jünglinge auf Fleisch
verzichten, nur Gemüse essen und dabei von Gott gesegnet, kräftig,
stark und schön werden.
Auch auf diese Weise lädt uns der
Herbst ein, manches in unserem Leben zu verändern.
Samstag, 25. September 2010
In dieser Woche habe ich zu Ihnen über
die herbstliche Natur gesprochen. Ich habe versucht, im Buch der
Schöpfung zu lesen und dabei alte und neue Bilder und Botschaften zu
entschlüsseln. Wie Sie gesehen haben, ist dies jetzt im Herbst
kinderleicht. Die Symbolkraft der Natur bietet den geöffneten Sinnen
vieles zur geistlichen Betrachtung. Das massivste aber, das uns in
dieser Wendezeit entgegentritt, ist das Reifen in der Natur. Vieles
wird gleichzeitig reif und es erdrückt einen fast die Fülle. Doch
Reifen hat auch mit vergehen zu tun. Denn das Wachstum kommt seinem
Bauplan gemäß zu einem Ende.
Wenn wir heute in unserer Gesellschaft
von Wachstum sprechen, so ist zumeist der wirtschaftliche Sektor
gemeint. Von Quartal zu Quartal sind wir in unserer ökonomisierten
Welt auf bedingungsloses Wachstum angewiesen. Kein Stillstand, kein
Verharren wird geduldet, im Gegenteil. Es muss gewachsen werden – so
als ob es in der Wirtschaft keinen Herbst gäbe. Zum Glück ist das in
der Natur anders. Eine Pflanze wächst, bis sie damit aufhört und
konzentriert sich dann auf die Frucht. Bei Menschen ist dies
ähnlich. Das körperliche Wachstum hört auf und in der selben Zeit
hebt die innere Reifung an. Beständiges Wachstum würde das Leben
selbst vernichten. Der Herbst sagt uns wie es gehen kann. Er stellt
das Bild des Reifens vor uns auf. Und meint damit mich, Sie und
unsere ganze Gesellschaft.
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