Morgengedanken

Sonntag,  6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr, 
ORF Regionalradios

 

 

 

von Pfarrer Dr. Christoph Weist

 

 

Sonntag, 24.10 Die böse Fabel (Richter 9, 7-15)

„Die da oben“ werden auch in der Bibel skeptisch gesehen. Im Richterbuch findet sich eine böse Fabel über das Problem, einen Herrscher zu haben:

 

Die Bäume wollen sich einen König kreieren. Sie fragen den Ölbaum, den Feigenbaum und auch den Weinstock, aber keiner verspürt Lust, auf seine für die Menschen sinnvolle Aufgabe zu verzichten: Auf die Produktion wertvollen Öles, süßer Früchte und fröhlich machenden Weines. Schließlich wenden sie sich an den Dornbusch. Der erklärt: „Ist's wahr, dass ihr mich zum König über euch salben wollt, so kommt und bergt euch in meinem Schatten; wenn nicht, so gehe Feuer vom Dornbusch aus und verzehre die Zedern Libanons.“

 

Alle haben also einen guten Lebenszweck und sind keineswegs erpicht darauf, „über den Bäumen zu schweben“, wie die angefragten Bäume sich ausdrücken. Nur der nutzlose Dornbusch findet es gut, wenn die anderen bei ihm Schutz suchen und sich ihm damit unterwerfen „…dann kommt und bergt euch in meinen Schatten“. Widrigenfalls ergeht schon jetzt eine üble Drohung: Mit Feuer werde ich euch alle kaputtmachen, sogar die berühmten Zedern des Libanon.

 

Die Bibel ist nicht obrigkeitshörig, und Christinnen und Christen dürfen es auch nicht sein. Zu wissen, dass menschliche Herrschaft Gefahr in sich birgt, und das offen auszusprechen ist Teil ihres Glaubens.

 

 

Montag, 24.10. Der Ruf nach dem starken Mann (1. Samuel 8,5)

Der Ruf nach dem starken Mann ist alt. Er geht nicht nur in ganz verschiedenen Tonarten durch die Politik, auch wenn sie sich als demokratisch versteht. Er ist im Büro zu hören: „Es sollten endlich einmal Entscheidungen gefällt werden“ - die man übrigens nachher herzhaft kritisieren kann. Und manchmal erklingt er auch in der Familie: „Unser Vater ist halt viel zu oft weg, es fehlt die starke Hand.“

 

Der Ruf nach dem starken Mann hat aber seine Probleme. Die sind schon in der Bibel bekannt. „So setze nun einen König über uns, der uns richte, wie ihn alle Heiden haben“,   forderten die alten Israeliten von ihrem klugen, aber alt gewordenen Anführer Samuel. Der ist erschrocken und hat in einer langen Rede seine Leute auf die Folgen aufmerksam gemacht: Die Sache wird kippen in eine Richtung, die bei den heidnischen Nachbarvölkern gewohnt sein mag, bei den Stämmen Israel menschlich unmöglich scheint: Verpflichtungen und Zwänge werden tief in das Leben der Sippen und Familien eingreifen, die ganze Gesellschaft wird sich  radikal verändern, ihr werdet schlicht unterdrückt werden.

 

Ein starker Mann bedeutet, dass andere schwach sind. Ein Miteinander in Augenhöhe ist dann nicht mehr möglich. Die Warnung des alten Samuel ist damals nicht gehört worden. Das heißt nicht, dass sie nicht noch immer höchst aktuell ist.

 

 

Dienstag, 26.10. Keine Privatsache (Matthäus 22,20-22)

Dass Glaube Privatsache sei und mit Politik nichts zu tun haben dürfe, hört man heute oft, vor allem von Politikern. Die scheinen sogar Jesus Christus auf ihrer Seite zu haben, der ja im Matthäusevangelium tatsächlich gesagt hat: „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist!“ Da scheint klar zu sein: Die Politik hat ihr Recht – und Gott hat sein Recht. Wirklich?

 

Auf gleicher Augenhöhe nämlich  hat Jesus beide ganz sicher nicht gesehen. Christlicher Glaube darf keinen Gottesstaat wollen. Aber er muss dem Kaiser, heute den Vertreterinnen oder Vertreten eines Staates mit demokratischem Anspruch, auf die Finger schauen. Der Staat hat zweifellose zahlreiche Rechte, und zwar nicht um seinetwillen oder wegen seiner Parteien, sondern um der Menschen willen. Diese Rechte sind ihm zuzubilligen.

 

Der Glaube hat die Aufgabe, um der Menschen, sehr wohl auch um der nicht Glaubenden willen den Staat auf Menschlichkeit zu verpflichten. Das ist keine Privatsache, sondern eines seiner wichtigsten Ziele. Das billigt er sich selbst zu, und andere tun gut daran, es ihm ebenfalls zuzugestehen. Mag sein, dass das Christentum im Laufe seiner Geschichte viel Schuld auf sich geladen hat. Doch wenn es endlich Gott geben will, was Gottes ist, darf es gegenüber dem Kaiser, wer immer das sein mag, nicht locker lassen.

 

 

Mittwoch, 29.10.  „…sie sind Menschen (Ps 146,3)

Auch in Gesellschaften, die sich als demokratisch verstehen, erwartet man gern Hilfe von „denen da oben“. Warum gehen nach der großen Flut die Rettungsmaßnahmen so langsam voran? Warum klappt die Arbeitsvermittlung nicht? Warum gibt es so wenig Pflegegeld für die Großmutter? Der Ruf nach dem Staat erschallt sehr bald.

 

Das galt offenbar auch für die Menschen der Bibel. Wenn die Bibel auch keine echt demokratische Gesellschaftsform kennt, so scheinen aber die Erfahrungen doch ziemlich eindeutig gewesen zu sein: „Verlasst euch nicht auf Fürsten; sie sind Menschen, die können ja nicht helfen.“ (Ps 146,3) heißt es in einem Psalm fast resignierend.

 

Die Obrigkeit besteht aus Menschen, das ist der springende Punkt. Das macht unsicher, aber in dem alten Gedicht liest man ein paar Zeilen  weiter: „Wohl dem, der seine Hilfe setzt auf den Herrn, seinen Gott“. Das ist weder ein frommer Spruch, noch eine Vertröstung, sondern auch eine Erfahrung. Die kann niemandem eingeredet werden, aber vielen, die sich von menschlichen Hilfestellungen enttäuscht sehen, hilft sie weiter. Auf Menschen, seien sie oben oder unter oder neben mir, kann kein Verlass sein, eben weil sie Menschen sind. Es braucht mehr, um einen sicheren Grund für ein Leben zu haben. „…der seine Hilfe setzt auf den Herrn, seinen Gott“ ist ein bedenkenwerter Vorschlag – und nicht nur für den Katastrophenfall.

 

 

Donnerstag, 30.10. Gleichmacherei (Gal 3,28)

Mit dem Oben und Unten zwischen Menschen, mit „Hierarchien“ also, hat sich der christliche Glaube schon sehr früh schwer getan. Durch die ganze Bibel zieht sich ein tiefes Misstrauen gegen „die Oberen“. Und nur wenige Jahrzehnte nach Tod und Auferstehung Jesu Christi macht der Apostel Paulus Christinnen und Christen darauf aufmerksam: Oben und Unten ist nicht nur eine allgemein politische Frage zwischen Herrschenden und Beherrschten. Es ist eine Frage des persönlichen Umgangs miteinander. Und hier, so schreibt der Apostel, gilt unter Christinnen und Christen: „Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus.“

 

Das ist leider zu oft vergessen worden. Nicht nur dass Kulturen mit christliche Wurzeln auf andere herabsehen und mit ihnen nichts zu tun haben wollen, im Alltag entscheiden Selbständige sehr flott über Unselbständige, von der Ungleichheit zwischen Frauen und Männern, die noch lange nicht ausgemerzt ist, ganz zu schweigen.

 

Sehr bewusst sind Christinnen und Christen „gleichmacherisch“. Sie  wissen, dass solche Unterschiede nicht nur „in Christus“, sondern auch aus menschenrechtlichen Gründen Unsinn, ja böse sind. Damit haben sie die Bibel auf ihrer Seite. Und die ist nicht etwa „links“, sondern Gottes Wort.  

 

 

Freitag, 29.10. Der„freie Herr über alle Dinge“

„Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemandem untertan.“ Das ist eine steile Behauptung. Martin Luther hat sie in einer seiner Schriften aufgestellt. Niemandem gehorchen zu müssen, sich nichts sagen zu lassen brauchen, das wünscht sich wohl jede und jeder. Gemeint ist zunächst die religiöse Seite. Ein oberstes Lehramt kann es nicht geben, das Gewissen jedes einzelnen hat grundsätzlich Vorrang. Das hat natürlich auch Folgen für die äußere Gestaltung meines Lebens. Als „freier Herr über alle Dinge“ kann ich Politiker, Chefs und alle die anderen hinterfragen, die mir irgendwelche Dinge freundlich vorgeben oder hart vorschreiben möchten, Dinge die ich nicht einsehe und nicht für gut halte für mich und für die anderen.

 

Nur, diese Freiheit existiert nicht im luftleeren Raum. Denn wie gesagt, es ist das Gewissen, das mir die Hinweise gibt, wie ich sie nütze. Und das ist nach evangelischem Verständnis an die Bibel gebunden und an das, was ich dort als Gottes Willen erkennen kann.

 

„Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemandem untertan.“ Das mag für meinen Umgang mit Menschen gelten, und nicht nur an diesem Wochenende. Nach evangelischer Überzeugung bleibt aber die Verantwortung vor dem, der mir diese wunderbare Unabhängigkeit verschafft hat, die Verantwortung vor Gott. Dem bin ich zwar nicht untertan, aber er schenkt der Freiheit einen Sinn.

 

 

Samstag, 30.10. Der „dienstbare Knecht aller Dinge“

„Bei den Evangelischen ist eben alles freier“, kann man manchmal hören. Ich muss gestehen, ich habe dabei ein zwiespältiges Gefühl. Denn ganz so einfach ist die Sache nicht.

 

Morgen begeht die Evangelische Kirche den Gedenktag der Reformation. Martin Luther, dessen Name an diesem Tag öfter genant wird, hat einmal geschrieben: „Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.“ Der harte Satz soll zeigen, womit die „evangelische Freiheit“ gefüllt ist: Mit Verantwortung sich selbst und den Mitmenschen gegenüber. Erst diese strikte Bindung, die Verpflichtung zum untertänigen Dienst des Knechtes, macht wirklich frei. Ein Widersinn, der gerade heute nur sehr schwer zu verstehen ist. Aber es ist ein Spiegel des Widersinns, der in einem ganzen Leben steckt.

 

Wenn Evangelischen von ihren Kirchen wenig Vorschriften gemacht werden, so ist dabei vorausgesetzt, dass sie bereits in einem Abhängigkeitsverhältnis stehen. Gott, der sie geschaffen hat, hat seinen Menschen die Kriterien mitgegeben, nach denen sie frei entscheiden können. Sie heißen Gerechtigkeit und Liebe. „Bei den Evangelischen ist eben alles freier“, mag sein. Und doch wissen sie, sie haben Verantwortung für sich, die Gesellschaft und die ganze Welt: sie sind „jedermann untertan“.