Morgengedanken

Sonntag,  6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr, 
ORF Regionalradios

 

 

 

von Mag. Jakob Bürgler, Generalvikar der Diözese Innsbruck

 

 

Sonntag, 28. November 2010

Es ist ein ganz besonderer Moment an diesem Sonntag. Der große Adventkranz hängt in der Kirche. Viele kleine Gestecke und Kränze sind vorbereitet, um gesegnet zu werden. Mancherorts wird auf jedem einzelnen Kranz die erste Kerze entzündet. Und mit dem Licht dieser ersten Kerze geht ein Strahlen aus, ein Leuchten von diesen Kränzen, das alle, die dabei sind, erfasst. Die Adventkranzweihe gehört zu den besonders ansprechenden Ritualen im Jahreslauf.

Jedes Jahr aufs Neue faszinieren mich dabei die strahlenden Augen der Kinder. Das Licht der brennenden Adventkerze spiegelt sich in ihren Augen. Ein Schimmer von Freude, Staunen, innerer Rührung, Stille wird spürbar. Und damit die Gewissheit, dass hinter dieser brennenden Kerze viel mehr steckt, als wir wahrnehmen. Dass strahlende Kinderaugen in eine Welt hineinsehen, die uns Erwachsenen oft genug getrübt und vernebelt erscheint.

Es ist schön, Menschen zu treffen, die strahlende Augen haben. Der Advent will eine Einladung sein, dieses Strahlen neu zu entdecken. Sich von strahlenden Kinderaugen anstecken zu lassen. Vielleicht ist es gut, ab und zu einfach nur in das Leuchten einer Kerze zu schauen.    

 

 

Montag, 29. November 2010

Vor kurzem habe ich wieder einmal gelesen, dass immer mehr Menschen krank werden, weil sie dem Druck des Lebens und der Arbeit nicht mehr gewachsen sind, ihm nicht mehr standhalten können. Ständig wachsende Erwartungen, Leistungsdruck, Stress durch tägliche Herausforderungen und schier unlösbare persönliche Problemsituationen führen viele Menschen an die Grenze.

Der Advent ist dabei oft eine besonders schlimme Zeit. Zum privaten Druck kommt der öffentliche Stress dazu. So vieles ist zu erledigen, so viele Termine sind wahrzunehmen, so voll ist der Tagesablauf. Und die Menschen kommen einfach nicht mehr zur Ruhe. Kein Wunder, wenn dabei die Luft ausgeht, wenn Atemnot zum Problem wird.

Wie aber wieder zu neuem Atem kommen? Es wird wohl nur nach jenem Motto gelingen, das vor etlichen Jahren einmal aufgekommen ist: „Entdecke die Langsamkeit!“ Bewusst langsam an jene Dinge herangehen, die mich stressen und drängen. Ein paar Minuten früher an Ort und Stelle sein. Sich Zeit nehmen für einen kleinen Spaziergang. Am Abend einmal einfach nur „dasein“. Nicht alles heute und noch schnell erledigen und abarbeiten wollen. Muss wirklich alles vor Weihnachten getan werden? 

 

 

Dienstag, 30. November 2010

Die Nacht ist lang. Der Morgen noch dunkel. Das Aufstehen fällt vielen Menschen gar nicht so leicht. „Morgenstund hat Gold im Mund“, haben wir gelernt. Und damit ist uns gesagt worden, dass es nicht gleichgültig ist, wie wir in einen neuen Tag einsteigen. Wer in der Früh kraftvoll startet, hat schon einen guten Teil des Tages gewonnen. Jemand hat einmal gesagt: „Morgenstund hat Schlaf im Mund.“ Auch das wird manchmal stimmen. Aber dennoch: Die Morgenstunde ist ein wichtiger Angelpunkt für den Tag. Ob Schlaf oder Gold, es hängt viel davon ab.

Wie beginne ich einen neuen Tag? Steige ich missmutig aus dem Bett? Kann mir am Morgen „alles gestohlen bleiben“? Verärgere und belaste ich meine Mitmenschen mit meiner schlechten Laune? Oder kann ich eher das anbrechende Licht des neuen Morgens sehen? Vielleicht sogar daran denken, dass mir ein neuer Tag geschenkt ist? (Was auch nicht selbstverständlich ist.)

Ich beginne jeden Morgen, wenn ich aufwache, mit einem Kreuzzeichen. Nichts Besonderes also. Ein ganz schlichtes und einfaches Zeichen. Ich danke für das Licht des neuen Tages und bitte um den Segen für das, was kommen wird.

 

 

Mittwoch, 1. Dezember 2010

Wenn ich am Abend durch die Straßen der Stadt gehe, denke ich manchmal an die Menschen, die hinter den Fenstern der Häuser wohnen. Und ich frage mich, wie es ihnen wohl geht. Was sie umtreibt und bedrückt. Was ihre Freude ist. Ganz oft fällt mir auf, dass hinter fast jedem Fenster das zuckende Licht eines Fernsehers zu sehen ist. Wie schaut der Abend in unseren Häusern und Wohnungen aus?

Früher, als die Menschen noch ganz von der Landwirtschaft gelebt haben, war der lange winterliche Abend eine Zeit der Unterbrechung und der Ruhe. Die Arbeit auf dem Feld war getan, der Stall bestellt, und dann war Feierabend. Vielleicht ist das bis heute ein wenig unser „Biorhythmus“ geblieben. Je mehr wir den Abend voll stopfen, desto unruhiger werden wir. Damit das Leben gut wird, brauchen wir das Abklingen der Anspannung am Abend.

Die langen Winterabende waren früher Abende des Erzählens. Von früher ist geredet worden, von dem, was das Leben schön und kostbar macht, von dem, was im Inneren bewegt. Wäre es nicht schön, wenn der Advent uns ab und zu einen Abend schenken würde, an dem wir einfach alles unterbrechen und uns etwas Schönes und Bewegendes erzählen?

 

 

Donnerstag, 2. Dezember 2010

Der Advent ist zum Leidwesen vieler zu einer unglaublich hektischen und unruhigen Zeit geworden. Was für die Wirtschaftstreibenden gut ist – in manchen Sparten wird ja der Großteil des Geschäftes im Advent abgewickelt – das verändert den Charakter einer Zeit massiv. Der Schwerpunkt hat sich verlagert. Das Aussuchen und Kaufen von Geschenken treibt unser Leben an. Die Werbung und die Gestaltung der öffentlichen Räume tun das ihre dazu. Irgendwie erinnert alles an einen gewaltigen Kauf-Rausch.

Vor kurzem ist mir ein Cartoon in die Hände gefallen. Josef und Maria und der Esel sind auf dem Weg zur Krippe von Bethlehem – und werden fast umgeworfen von rennenden Menschen, welche Berge von Geschenken in ihren Händen tragen. Niemand sieht die kleine Gruppe der Wandernden. Niemand gibt auf sie acht.

Advent und Weihnachten werden bestimmt durch das Diktat von Konsum und Geschenk. Was jedoch jedes noch so große Geschenk nicht bewirken kann ist das, was jeder Mensch braucht: Zuwendung und Aufmerksamkeit. Ich nehme mir für heute vor, einem Menschen ein kleines Zeichen der Aufmerksamkeit zu geben und ihm damit zu sagen: Ich mag dich.

 

 

Freitag, 3. Dezember 2010

In diesen Tagen möchte ich den beginnenden Advent zum Anlass nehmen, um mit Ihnen ein wenig zu überlegen, wie das Leben wieder mehr an Kraft und Tiefe gewinnen kann. Und wie so oft sind es die Kinder und das, was Kindern wichtig ist, was uns einen wichtigen Orientierungspunkt dabei geben kann.

Ich kann mich noch gut erinnern, wie ich als Kind mit wachsender Ungeduld beim Adventkalender ein Türchen nach dem anderen geöffnet habe. Und auch heute ist es so: Kinder lernen mit dem Adventkalender, sich langsam auf ein Fest einzustimmen, und sie lernen vor allem, zu warten. Weihnachten ist nicht heute. Weihnachten ist erst in einigen Wochen. Das Warten gehört dazu.

Das mit dem Warten ist gar nicht so einfach in einer Zeit, in der ich per Internet und Email, per Mouse-click und Knopfdruck alles sofort und jetzt erledigen kann, und vor allem dann, wann ich will. Insofern hat der Advent auch eine Botschaft an uns Erwachsene: Es ist wichtig, wieder etwas mehr warten zu lernen. Nicht alles auf Knopfdruck haben zu wollen. Und sich ein wenig mehr zurückzunehmen.

 

 

Samstag, 4. Dezember 2010

Die erste Adventwoche ist schon wieder vorüber. So schnell vergeht die Zeit. Die Tage eilen dahin. Kinder erwarten das Christkind, Erwachsene eine hoffentlich friedliche Zeit zu Weihnachten.

Das Wort „Advent“ bedeutet in unsere Sprache übersetzt „Ankunft“. Es erinnert daran, dass die Menschen zur Zeit Jesu eine unglaublich tiefe Sehnsucht gehabt haben, eine ganz starke Hoffnung, dass der Erlöser, der Retter der Welt, endlich zu ihnen kommt.

Zu Weihnachten feiern wir diese Ankunft. Jesus Christus, der Herr, ist angekommen. Und was nicht ganz unwesentlich ist: Er möchte auch heute ankommen. Bei dir und bei mir. In unserem Leben, in unserem Herzen. Erwarte ich eigentlich jemanden? Erwarte ich ihn? Wie steht es um meine Erwartung?

Der Gründer der Gemeinschaft von Taizé, Roger Schutz, hat immer wieder davon gesprochen, dass in jedem menschlichen Herzen eine innere Erwartung lebt. Es gibt niemanden, der diese Erwartung nicht kennt, zumindest in der Form von Hoffnung auf Frieden, Geborgenheit, Heil. Der Advent will uns helfen, diese innere Erwartung, die wir in uns tragen, wieder mehr erspüren zu lernen.