Morgengedanken

Sonntag,  6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr, 
ORF Regionalradios

 

 

von Pater Gerfried Sitar (St. Paul im Lavanttal)

 

 

Sonntag, 12. Dezember 2010

Turmbau zu Babel

Immer wieder beeindruckt mich das Gemälde Pieter Brueghels, das den „Turmbau zu Babel“ darstellt. Ein fantastisches Bild, das die biblische Geschichte der Sprachverwirrung in unglaublich farblicher Virtuosität schildert. Viele Gestalten sind emsig damit beschäftigt, das höchste Bauwerk der Welt zu errichten. Sie sind so sehr von ihren Tätigkeiten in Beschlag genommen, dass sie gar nicht merken, wie sie sich menschlich immer weiter voneinander entfernen. Das Ende der Geschichte kennen wir. Einer versteht den anderen nicht mehr und die Baustelle Turm zu Babel wird zu einem Sprachenchaos. Nur eine Geschichte? Je mehr ich darüber nachdenke, umso realistischer scheint mir dieses Bild. Wir alle sind mit dem Bau unserer eigenen Turmlandschaft beschäftigt, basteln an unserer Karriere, sind damit ausgelastet, Macht und Einfluss zu gewinnen und andere auszutricksen, wenn es darum geht, als erster ans Ziel zu gelangen. Obwohl wir in einer aufgeklärten Welt leben, die von der vielgerühmten Kommunikationsgesellschaft bevölkert wird, merken wir mitunter nicht, dass wir sprachlos geworden sind. Beziehungen spielen sich im schlimmsten Fall nur mehr über den Bildschirm des Computers ab. Über all dem Fluss an Information verkümmert die Sprache, weil sie sich auf Wortfetzen reduziert. Um diese Sprache des Herzens zu sprechen, sollte man täglich ihr Vokabular  trainieren, damit wir andere Menschen verstehen und nicht in einer Welt der Urlaute zu versinken.

 

 

 

 

Montag, 13. Dezember 2010

Daheim sein

Ich bin außer mir! Wie oft erleben wie das täglich, dass uns etwas gegen den Strich geht, dass wir uns über Nichtigkeiten ärgern und  meist den Ärger über uns selbst auf andere projizieren?

Und dann ist plötzlich alles schlecht.  Das Negative überwiegt so, dass mein Blick auf alles Gute getrübt und schließlich unmöglich wird. Karl Valentin meinte einmal: Ich werde mich am Nachmittag besuchen, hoffentlich bin ich daheim. Dieses bei sich Zuhausesein ist gar nicht so einfach, wie man sich das vielleicht vorstellen möchte. Denn es muss bewusst geschehen: Im sich Zeit nehmen, im Reduziert sein auf sich selbst; in der Auseinandersetzung mit den eigenen Talenten und Fähigkeiten aber auch in der offenen Konfrontation mit den eigenen Ecken und Kanten. Wer zu Hause ist, der beschäftigt sich unweigerlich mit dem eigenen Leben. Das kann schmerzhaft aber zugleich sehr heilsam sein. Bei sich wohnen ist vor allem mit einer kompromisslosen  Ehrlichkeit sich selbst gegenüber verbunden. Sich nichts vorzugaukeln, um den Schein zu wahren und sich dadurch selbst zu beruhigen, sondern sich den Fragen, die das Leben aufwirft, aktiv und ohne Scheu vor die Ergebnisse zu stellen. Und bekanntlich findet, der sucht. Außer sich sein sollte öfter durch ein in mir sein ersetzt werden, dann können wir uns selber getrost die Frage stellen: Was, wenn ich mich heute besuche? Bin ich daheim?

 

 

 

Dienstag, 14. Dezember 2010

Burnout

Ausgebrannt. Kein Licht mehr am Ende des Tunnels. Viele Menschen sind in einer Sackgasse ihres Lebens angelangt und fragen sich, wieso gerade ihnen das passiert. Immer öfter hört man davon auch im eigenen Umfeld. Guter Rat ist teuer. Vielleicht sollte man helfen, wenn man spürt, dass jemand mit der aufgeladenen Bürde des Alltags nicht mehr zurechtkommt! Vielleicht ein Kollege am Arbeitsplatz, der den Druck nicht mehr aushält, der von allen Seiten auf ihn einwirkt, oder die Nachbarin, die den Zahlungen nicht mehr nachkommen kann, weil sie schon über einen längeren Zeitraum arbeitslos ist, oder jener so erfolgreiche Manager, den alle beneideten, der  aber bei allem Streben nach Mehr immer einsamer wurde.

Aber warum passiert das in einer Zeit wie unserer? Wo doch alles so gut organisiert ist. Ist vielleicht der Verlust des miteinander Redens die Schuld am todbringenden Schweigen? Reden schafft Vertrauen und Vertrauen schafft das Gefühl des Verstandenseins. Vielleicht ist da ein Licht am Ende des Tunnels, das Gefühl, nicht einsam zu sein, sondern gemeinsam etwas zu tun, wofür es sich lohnt.

 

 

 

 

Mittwoch, 15. Dezember 2010

Angst

Angst ist ein ständiger Begleiter unseres Lebens.  Die Angst vor der Finsternis, die Angst vor dem Alleinsein aber auch vor Partnerschaften, die Angst vor Prüfungen, die Angst, nicht bestehen zu können  und nicht zuletzt die Angst vor der Angst. Immer mehr Menschen nehmen psychologische Hilfe in Anspruch, weil sie mit ihren Lebensängsten nicht mehr allein zurechtkommen. Vielleicht auch deshalb, weil sie Angst haben,  Menschen in ihrem Umfeld ihre Ängste mitzuteilen und dadurch glauben, verwundbar zu werden. Und das will schließlich niemand.

Es wird aber immer schwieriger, zwischen Ängsten, die einer überzogenen Hysterie entspringen und solchen, die ernst zu nehmen sind, zu unterscheiden. Wie in Grimms Märchen, von einem der auszog, um das Fürchten zu lernen, lassen wir uns das künstliche Gruseln etwas kosten. Die Filmindustrie boomt, die Grausamkeiten sind kaum zu überbieten und die Medien überfluten uns mit schrecklichen Bildern. Wer sollte da nicht Angst bekommen? Oder stumpfen wir ab? Plötzlich wird das, was uns noch vor kurzem amüsiert und unterhalten hat, zu echter Furcht. Die beste Art, allen Ängsten zu begegnen, ist die Hoffnung. Wo die Hoffnung nicht stirbt, sondern wachsen kann und neue Wege aufzeigt, hat die Angst keinen Nährboden mehr.

 

 

 

 

Donnerstag, 16. Dezember 2010

Heilig?

Was ist uns eigentlich heilig? Jeder hat so das eine oder andere, das ihm heilig ist. Vielen ist noch der Sonntag heilig. Anderen der Kegelabend oder der Abend im Wirtshaus. Idole sind vielen heilig: Sie verehren ihre Stars und richten fast ihr ganzes Leben nach ihnen aus. Vielen ist ausschließlich das eigene ICH heilig. Das DU bleibt auf der Strecke.

Grundsätzlich aber sollte der Respekt voreinander gelten, auch wenn die Meinungen und Überzeugungen weit auseinanderdriften. Toleranz verhindert den Fundamentalismus und damit die Gewalt. Wo Standpunkte aufeinanderprallen, da braucht es menschliche Größe, um Lösungen zu finden. Wo sich diese Positionen verhärten, ist ein Dialog nicht mehr möglich. Wenn ich ganz bewusst versuche, an Menschen, die ich nicht mag, einen positiven Aspekt zu finden, werde ich entdecken, dass er mir plötzlich nicht mehr unsympathisch ist. Wenn ich nicht nach dem  Splitter im Auge des Bruders suche, der schließlich zur Keule Kains anwächst, die den Bruder erschlägt, dann wird mein Blick auf das Positive frei. Das Gute zu suchen kann ein spannendes Unterfangen sein, weil sich plötzlich völlig neue Perspektiven erschließen, die noch vorher undenkbar waren. Vielleicht ist mein Nachbar gar nicht so, wie alle sagen - wie wärs mit dem Versuch eines Gesprächs - ein „Guten Morgen“ kann schon ein guter Anfang sein.

 

 

 

Freitag, 17. Dezember 2010

Ein neuer Tag

Dieses Gefühl ist keinem von uns fremd. Der Wecker klingelt und wir haben einfach keine Lust auf diesen Tag. Unweigerlich fällt mir dabei die Geschichte der beiden Straßenkehrer ein, die damit beschäftigt sind, eine lange, fast endlos scheinende Straße zu fegen. Der eine flucht und jammert über die scheinbar unbewältigbare Arbeit und versinkt in Selbstmitleid und Resignation, während der andere fröhlich pfeifend seinen Besen schwingt. Ein Passant kommt vorbei. Da fragt er den ersten, warum er denn so zornig sei. Dieser sagt mürrisch: Diese lange Straße ... Ein schrecklicher, grausamer Job.  Ich hasse mein Leben.

Da fragt der Passant den pfeifenden Straßenarbeiter nach dem Grund seiner Fröhlichkeit und dieser antwortet mit einem Lächeln: Ich sehe nur das Stück, das ich gerade kehre und freue mich, dass es sauber ist, dann schaue ich zurück und bin überrascht, was ich schon alles geschafft habe.

Die Straße des Lebens ist oft unüberschaubar – nie enden wollend – und die Aufgabe, sie sauber zu halten, scheint aussichtslos. Wir haben die Wahl: Entweder mürrisch und lustlos in Lebensüberdruss zu zerfließen, oder pfeifend Stück für Stück zu bewältigen, auch wenn es mitunter harte Arbeit ist. Alle großen Dinge haben alle im Kleinen begonnen oder wie es Laotse ausdrückte: Wenn du daran gehst, die Welt zu verändern, geh zuerst fünf Mal durch dein eigenes Haus.

 

 

 

Samstag, 18. Dezember 2010

Krisen

Wirtschaftskrise, Eurokrise, Bankenkrise und nicht zuletzt die Kirchenkrise. Es scheint alles aus den Fugen zu geraten.

Wie der Ursprung des Wortes im Griechischen verrät, handelt es sich bei der Krise aber um den entscheidenden Punkt der Wende. Es ist noch nicht zu spät, sondern es entscheidet sich, wohin die Reise geht. Wenn ein Wendepunkt ansteht, dann ist eine Entscheidung gefordert, ein Entweder-oder. Klar verlangt ist, dass Reden allein nicht reicht, sondern Taten folgen müssen. Ein Mönch war einst in einer einschneidenden Lebenskrise und unzählige Fragen taten sich in seinem Leben auf. Im Traum wurde ihm gesagt, dass er den Sinn seines Daseins am Ende der Welt hinter einer Türe finden würde. Er machte sich auf und wanderte und wanderte, bestand viele Abenteuer, aber den Sinn des Lebens fand er nicht. Als er schließlich am Ende seiner Kräfte völlig ermattet war, kam er an eine Türe, von der er glaubte, dass sie am Ende der Welt sein müsste. Er klopfte. Die Tür ging auf. Als er um sich blickte, fand er sich in seinem eigenen Kloster wieder. Jetzt verstand er, worum es eigentlich ging. In Krisen sollte man nicht in die Weite schweifen, sondern Veränderungen dort schaffen, wo man gerade steht, in seinem ganz persönlichen Lebensumfeld. Vielleicht sollten wir uns auf die Reise nach dem Sinn und auf die Suche nach dem Wesentlichen begeben. Ob wir am Ende wohl an unsere eigene Türe klopfen?