Morgengedanken

Sonntag,  6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr, 
ORF Regionalradios

 

 

 

von Superintendentin Luise Müller

 

 

Sonntag, 19.12.2010

Heute, am vierten Advent ist zwar mein Adventkranz schon eher grau als grün, aber er leuchtet endlich in seiner vollen Pracht. Es ist ein schönes Symbol, die zunehmende Helligkeit der Kerzen, um die Wintersonnenwende, wo die Tage bald schon wieder länger werden, nicht spürbar noch, aber wir wissen zumindest drum. Die Dunkelheit hat ein Ende. Nach den vier Adventkerzen kommen die vielen Lichter des Christbaums, die Hoffnung wächst, dass alles gut wird.

In einem Adventlied heißt es: Das Volk, das noch im Finstern wandelt, bald sieht es Licht, ein großes Licht. Heb in den Himmel dein Gesicht und steh und lausche, weil Gott handelt.

Viele sehen jedoch das große, heller werdende Licht nicht, es ist ihnen verstellt. Auch die Kerzen am Adventkranz sind für sie eher armselige Lichtlein, die es nicht verhindern können, dass sie mutlos, traurig, zornig sind. Dass sie in sich eine Sehnsucht haben, aber nicht so recht wissen, wohin damit.

Es wird im Advent davon geredet, dass es eben nicht nur die manchmal triste Wirklichkeit unseres Alltags gibt, sondern auch die andere. Die Wirklichkeit Gottes. Der feste Boden unter den Füßen, das Licht, das in die Dunkelheit scheint. Christen haben eine Hoffnung, die sagt, dass wir nicht allein die Akteure in diesem Welttheater sind.

Stehen zu bleiben, einmal nichts zu tun, hören und sehen was Gott tut. Das empfiehlt uns der Liedtext. Vielleicht ist das die Medizin gegen unsere Ziellosigkeit, gegen unseren Zorn. Heute, am vierten Advent könnten wir es mal riskieren.

 

 

 

Montag, 20.12.2010

Die Kirchen machen mobil. Advent soll im Advent sein und nicht schon im Oktober. Der Kauf von Weihnachtsgeschenken gehört in den Dezember und nicht in den August. Christkindlmärkte, Bazare, Nikoläuse und Weihnachtsbeleuchtung: Alles hat seine Zeit, und die ist im Advent. Er ist, so sagen etliche evangelische Bischöfinnen und Bischöfe „eine Zeit der Einkehr und der Stille, der Vorfreude und der Erwartung, Zeit für gemütliche Runden in der Familie oder im Freundeskreis bei Kerzenschein und Gebäck, ...“

Wenn ich ganz ehrlich bin, finde ich diese Adventrückholaktion vordergründig und keineswegs zu den biblischen Wurzeln zurückführend. Schlechtestenfalls wird der Stress noch größer. Da wird eine Idylle heraufbeschworen, die mit dem christlichen Anliegen der Adventzeit nicht viel mehr gemeinsam hat als den Namen.

Ich gehöre zu denen, die ihre Weihnachtsgeschenke im August kaufen, im Urlaub in ganzjährig geöffneten Weihnachtsshops Christbaumschmuck aussuchen, sich im Oktober auf die ersten Lebkuchen freuen. Das hat meiner Advent- und Weihnachtsfreude noch nie geschadet, ganz im Gegenteil: Der Advent ist für mich unverzichtbar als Kirchenjahreszeit. Die Gottesdienste, die Adventfeiern, die Lieder, die Ansprachen, die Gespräche. Licht im Dunkel. Viel zu tun für andere, wenig Zeit für mich.

Eines sollte klar sein: Der Konsum wird nicht moralisch aufgewertet, wenn er im Dezember stattfindet. Die Adventzeit wird nicht schon dadurch christlicher, dass wir die Geschenke ein paar Tage vor Weihnachten einkaufen. Und der Lebkuchen religiös korrekt erst nach dem ersten Advent ist kein Ersatz für die Vorbereitung auf das unvergleichliche Ereignis der Menschwerdung Gottes. Da müssen wir schon tiefer ansetzen.

 

 

 

Dienstag, 21.12.2010

Zum Advent gehört auch Musik. Manchmal ist es der Messias von Händel, manchmal die Missa Criola von Ariel Ramirez, manchmal die Adventskantaten von Johann Sebastian Bach. Und manchmal sind es die Lieder. Macht hoch die Tür, Tochter Zion, Es kommt ein Schiff geladen… und wie sie alle heißen. Mit Orgel und Trompeten und mehrstimmigen Sätzen. Wenn ich diese Lieder heute höre oder singe, steigen in mir Erinnerungen auf an kalte Kirchen, flackernde Kerzen, mein Vater neben mir in der Kirchenbank, seine schöne Tenorstimme zu meinem dünnen Kindersopran. Ich erinnere mich an meine Klavierstunden, an das vierhändige Spiel mit meiner Schwester, das nie so klappte, wie wirs wollten. Natürlich war sie schuld, weil sie mir zu wenig Platz ließ, zu wenig geübt hatte, und überhaupt. Natürlich behauptete sie von mir das Gleiche.

Wir stritten heftig, gerade in der Adventzeit lagen die Nerven besonders blank, weil die Eltern als Geschäftsleute weniger Zeit für uns hatten, und die Ansprüche von außen stiegen. Doch selbst der Streit konnte unsere Geborgenheit nicht zerstören. Wir wussten, dass sie für uns da waren: Vater, Mutter, und auch die Großeltern. Auch wenn sie nicht um uns herumtanzten wie ums Goldene Kalb, uns nicht jeden Wunsch von den Augen ablasen, sich nicht pausenlos mit uns beschäftigten und uns oft in unsere Schranken wiesen. Wir konnten uns auf sie verlassen.

Und so erinnere ich mich, außer an die Musik, an Nestwärme und an das Gottvertrauen, das die Erwachsenen hatten. Sie haben es uns nicht gelehrt sondern vorgelebt. Wir konnten hineinwachsen. Zum Advent gehören Musik und Vertrauen. In Menschen und in Gott.

 

 

 

Mittwoch, 22.12.2010

Ich habe mich immer gefragt, wer als erster die Behauptung aufgestellt hat, Advent sei die stillste Zeit im Jahr. Davon habe ich noch nie etwas gespürt. Aber ehrlich gesagt, habe ich die Stille auch nie vermisst in der Vorbereitung auf Weihnachten. Als Kind erlebte ich den Dezember als Hochsaison, eine Zeit, in der selbst ich im Geschäft meiner Eltern mithelfen durfte. Da war Zeit knapp, viel zu tun und alle Hände gefragt. Trotzdem habe ich nie die notwendige Geborgenheit vermisst. Dass wir alle an einem Strang zogen war für uns wichtig, schaffte Zusammenhalt zwischen den Generationen.

Dass das Geschäft im Zentrum des Denkens und Arbeitens stand, verschaffte uns Kindern auf der anderen Seite auch die nötigen Freiräume für eigenständige Tätigkeiten, je nach Alter und Laune. So war es klar, dass wir zu Weihnachten besser wussten als unsere Mutter, wo die versteckten Geschenke lagen. Sie hatte es, voll wie ihr Kopf war, längst vergessen, aber meine Schwester und ich konnten sie spätestens am 1. Weihnachtsfeiertag daran erinnern, dass sie ja noch einen neuen Pulli für uns hinter der Bettwäsche deponiert hatte und in der nie verwendeten Suppenterrine des Goldrandgeschirrs die gute Schokolade.

Eigentlich habe ich schon als Kind erfahren, dass es weder im Advent noch zu Weihnachten auf unser Tun ankommt, sondern einzig und allein auf Gottes Tun. Es hängt nicht davon ab, wie perfekt wir alles gestalten, wie friedfertig wir es schaffen zu sein, wie sehr wir den Vorstellungen entsprechen. Nicht wir müssen das Christkind retten, wie es vor Jahren einmal eine Aktion forderte, nein, Gott rettet uns. Zum Glück!

 

 

 

Donnerstag, 23.12.2010

Weihnachten ist für mich das Fest der Feste. Ich bin extremer Weihnachtsfan. Ich liebe dieses Fest, auch mit seinem Kitsch und seinem Kommerz. Keine elektrischen Christbaumkerzen, keine Musikberieselung und keine Panne beim Festmenü können mir Weihnachten verderben. Und ich akzeptiere gern alle Veränderungen, die sich im Laufe der Jahre aus privaten oder beruflichen Anforderungen ergeben haben.

Dabei lege ich schon Wert auf Traditionen. So habe ich mir z.B. den alten Christbaumständer aus meiner Kindheit gesichert und seit Jahren hängt die „Franz–Gedächtnis–Kugel“, die ein früh verstorbener Freund unserer damals achtjährigen Tochter geschenkt hat, an immer der gleichen Stelle in unserem Christbaum.

Und dann sind da die Lieder. Eines meiner Lieblingslieder ist: „Jauchzet ihr Himmel, frohlocket ihr Engel in Chören.“ Da kommt in der zweiten Strophe der Satz: Gott und der Sünder, die sollen zu Freunden nun werden. Das ist eine wunderbare Umschreibung des Weihnachtsevangeliums. Gott und der Mensch – von nun an befreundet. Und zwar nicht Gott und der endlich anständig gewordene Mensch, nicht Gott und die eifrige Kirchgängerin, sondern Gott und der Sünder.

Auch wenn wir den Begriff Sünde heute eher mit Diätprogrammen in Verbindung bringen ist damit etwas anderes gemeint, nämlich eine grundlegende Beziehungsstörung. Nichts geht mehr. Und in diese Beziehungslosigkeit hinein wird uns gesagt: Gott und der Sünder, die sollen zu Freunden nun werden.

Gott wird Mensch, um mit Ihnen, mit mir befreundet zu sein. Wer einen echten Freund hat, weiß was das bedeutet. Freundschaften bringen Fleisch auf das Gerippe des Lebens, machen es immer wieder lebenswert. Das ist Weihnachten. Und das kann man gar nicht genug feiern.

 

 

 

Samstag, 24.12.2010

Letztes Jahr an Heiligabend rief in der Früh meine Schwester an. In der Nacht war sie ins Krankenhaus gerufen worden, weil es meiner Mutter sehr schlecht ging. Wenn du sie noch lebend sehen willst, musst du kommen, sagte sie mir. Eigentlich hatte ich an diesem Tag meine Gäste bewirten und zwei Gottesdienste halten sollen. Aber der Tod fragt nicht nach unseren Plänen, auch zu Weihnachten nicht. Und so fuhren mich gute Freunde 400 Kilometer weit zum Krankenhaus, in dem meine Mutter lag. Ich verbrachte den Nachmittag und den Abend mit ihr, eher still, ihre Hand haltend, sie streichelnd, das Weihnachtsevangelium lesend. Kein Christbaum, keine Familie, keine Lieder, nur sie und ich im schützenden Kokon des Krankenzimmers. Es war eine unwahrscheinlich weihnachtliche Zeit, die wir miteinander verbrachten. Ihr Schmerz, gemildert durch das Morphium, mein Schmerz gemildert durch unser Zusammensein. Und tröstlich für uns beide die Nähe Gottes, ohne dass wir darüber jetzt gesprochen hätten. Das hatten wir bereits vorher, ein Leben lang getan.

Später dann kam meine Schwester wieder, die kurz weggefahren war, um mit Kindern und Enkeln zu essen. Wir weinten miteinander, froh, dass wir einander hatten, traurig, dass wir unsere Mutter nun gehen lassen mussten. Sie nahm mich mit in ihre Familie.

Meine Mutter starb erst ein paar Tage später. Ich war in der Zwischenzeit wieder heimgefahren und zurückgekommen, diesmal mit meinem Mann. Wir waren bis zuletzt bei ihr.

Manchmal hat das Leben den Tod für uns bereit, auch an Tagen wie Weihnachten. Doch weil die Botschaft von Weihnachten heißt: Gott wird Mensch und kommt dir nahe, können wir das Sterben aushalten, genauso wie das Leben.

 

 

 

25.12.2010

Als unsere Kinder noch klein waren, haben wir manchmal die Bescherung auf den ersten Weihnachtsfeiertag verschoben. Als mein Mann nach den Heiligabendgottesdiensten endlich gegen 20.00 Uhr daheim war, waren die Kinder meist schon so müde, dass ich sie ins Bett brachte. Ob ein tolles Essen auf dem Tisch stand, ob die Geschenke liebevoll eingepackt waren, spielte damals zumindest für mich keine große Rolle.

Heute sind meine Lebensumstände ganz anders. Bei uns sind zu Weihnachten lauter erwachsene Menschen im Haus, nach den Christvespern, die mein Mann und ich gehalten haben, erwartet uns ein festlich gedeckter Tisch und ein gutes Essen, von Freunden und Verwandten vorbereitet.

Aber Würstl oder Gans, Bescherung am 24. oder am 25., das ist egal. Alles Äußere kann so oder anders oder gar nicht geschehen. Das, was trägt, was unverzichtbar ist, ist die Geschichte: Da ist ein Kind geboren, Jesus. In ihm kommt Gott zu uns, so glauben wir. Diese Nachricht ist kaum fassbar. Gott wird Mensch. Seither wissen wir Christen, dass Gott nahe ist. Dass er uns gegenübersitzt am Tisch, dass er uns begegnet in den Schulkindern, die jeden Tag an unserem Haus vorbeigehen oder auch in der Krankenpflegerin, die sich um uns kümmert. Auch wir können für andere Menschen Gott vergegenwärtigen, wenn die Liebe aus uns spricht und wir aus ihr leben. Keine und keiner von uns ist dafür zu alt oder zu jung, zu einsam oder zu beansprucht, zu krank oder zu fit.

Gott kommt in unsere Nähe. Das ist die gute Nachricht zu Weihnachten. Sie macht andere Menschen aus uns, wenn wir ihr glauben.