Heute, am vierten Advent ist zwar mein
Adventkranz schon eher grau als grün, aber er leuchtet endlich in
seiner vollen Pracht. Es ist ein schönes Symbol, die zunehmende
Helligkeit der Kerzen, um die Wintersonnenwende, wo die Tage bald
schon wieder länger werden, nicht spürbar noch, aber wir wissen
zumindest drum. Die Dunkelheit hat ein Ende. Nach den vier
Adventkerzen kommen die vielen Lichter des Christbaums, die Hoffnung
wächst, dass alles gut wird.
In einem Adventlied heißt es: Das
Volk, das noch im Finstern wandelt, bald sieht es Licht, ein großes
Licht. Heb in den Himmel dein Gesicht und steh und lausche, weil
Gott handelt.
Viele sehen jedoch das große, heller
werdende Licht nicht, es ist ihnen verstellt. Auch die Kerzen am
Adventkranz sind für sie eher armselige Lichtlein, die es nicht
verhindern können, dass sie mutlos, traurig, zornig sind. Dass sie
in sich eine Sehnsucht haben, aber nicht so recht wissen, wohin
damit.
Es wird im Advent davon geredet, dass
es eben nicht nur die manchmal triste Wirklichkeit unseres Alltags
gibt, sondern auch die andere. Die Wirklichkeit Gottes. Der feste
Boden unter den Füßen, das Licht, das in die Dunkelheit scheint.
Christen haben eine Hoffnung, die sagt, dass wir nicht allein die
Akteure in diesem Welttheater sind.
Stehen zu bleiben, einmal nichts zu
tun, hören und sehen was Gott tut. Das empfiehlt uns der Liedtext.
Vielleicht ist das die Medizin gegen unsere Ziellosigkeit, gegen
unseren Zorn. Heute, am vierten Advent könnten wir es mal riskieren.
Montag, 20.12.2010
Die Kirchen machen mobil. Advent soll
im Advent sein und nicht schon im Oktober. Der Kauf von
Weihnachtsgeschenken gehört in den Dezember und nicht in den August.
Christkindlmärkte, Bazare, Nikoläuse und Weihnachtsbeleuchtung:
Alles hat seine Zeit, und die ist im Advent. Er ist, so sagen
etliche evangelische Bischöfinnen und Bischöfe „eine Zeit der
Einkehr und der Stille, der Vorfreude und der Erwartung, Zeit für
gemütliche Runden in der Familie oder im Freundeskreis bei
Kerzenschein und Gebäck, ...“
Wenn ich ganz ehrlich bin, finde ich
diese Adventrückholaktion vordergründig und keineswegs zu den
biblischen Wurzeln zurückführend. Schlechtestenfalls wird der Stress
noch größer. Da wird eine Idylle heraufbeschworen, die mit dem
christlichen Anliegen der Adventzeit nicht viel mehr gemeinsam hat
als den Namen.
Ich gehöre zu denen, die ihre
Weihnachtsgeschenke im August kaufen, im Urlaub in ganzjährig
geöffneten Weihnachtsshops Christbaumschmuck aussuchen, sich im
Oktober auf die ersten Lebkuchen freuen. Das hat meiner Advent- und
Weihnachtsfreude noch nie geschadet, ganz im Gegenteil: Der Advent
ist für mich unverzichtbar als Kirchenjahreszeit. Die Gottesdienste,
die Adventfeiern, die Lieder, die Ansprachen, die Gespräche. Licht
im Dunkel. Viel zu tun für andere, wenig Zeit für mich.
Eines sollte klar sein: Der Konsum
wird nicht moralisch aufgewertet, wenn er im Dezember stattfindet.
Die Adventzeit wird nicht schon dadurch christlicher, dass wir die
Geschenke ein paar Tage vor Weihnachten einkaufen. Und der Lebkuchen
religiös korrekt erst nach dem ersten Advent ist kein Ersatz für die
Vorbereitung auf das unvergleichliche Ereignis der Menschwerdung
Gottes. Da müssen wir schon tiefer ansetzen.
Dienstag, 21.12.2010
Zum Advent gehört auch Musik. Manchmal
ist es der Messias von Händel, manchmal die Missa Criola von Ariel
Ramirez, manchmal die Adventskantaten von Johann Sebastian Bach. Und
manchmal sind es die Lieder. Macht hoch die Tür, Tochter Zion, Es
kommt ein Schiff geladen… und wie sie alle heißen. Mit Orgel und
Trompeten und mehrstimmigen Sätzen. Wenn ich diese Lieder heute höre
oder singe, steigen in mir Erinnerungen auf an kalte Kirchen,
flackernde Kerzen, mein Vater neben mir in der Kirchenbank, seine
schöne Tenorstimme zu meinem dünnen Kindersopran. Ich erinnere mich
an meine Klavierstunden, an das vierhändige Spiel mit meiner
Schwester, das nie so klappte, wie wirs wollten. Natürlich war sie
schuld, weil sie mir zu wenig Platz ließ, zu wenig geübt hatte, und
überhaupt. Natürlich behauptete sie von mir das Gleiche.
Wir stritten heftig, gerade in der
Adventzeit lagen die Nerven besonders blank, weil die Eltern als
Geschäftsleute weniger Zeit für uns hatten, und die Ansprüche von
außen stiegen. Doch selbst der Streit konnte unsere Geborgenheit
nicht zerstören. Wir wussten, dass sie für uns da waren: Vater,
Mutter, und auch die Großeltern. Auch wenn sie nicht um uns
herumtanzten wie ums Goldene Kalb, uns nicht jeden Wunsch von den
Augen ablasen, sich nicht pausenlos mit uns beschäftigten und uns
oft in unsere Schranken wiesen. Wir konnten uns auf sie verlassen.
Und so erinnere ich mich, außer an die
Musik, an Nestwärme und an das Gottvertrauen, das die Erwachsenen
hatten. Sie haben es uns nicht gelehrt sondern vorgelebt. Wir
konnten hineinwachsen. Zum Advent gehören Musik und Vertrauen. In
Menschen und in Gott.
Mittwoch, 22.12.2010
Ich habe mich immer gefragt, wer als
erster die Behauptung aufgestellt hat, Advent sei die stillste Zeit
im Jahr. Davon habe ich noch nie etwas gespürt. Aber ehrlich gesagt,
habe ich die Stille auch nie vermisst in der Vorbereitung auf
Weihnachten. Als Kind erlebte ich den Dezember als Hochsaison, eine
Zeit, in der selbst ich im Geschäft meiner Eltern mithelfen durfte.
Da war Zeit knapp, viel zu tun und alle Hände gefragt. Trotzdem habe
ich nie die notwendige Geborgenheit vermisst. Dass wir alle an einem
Strang zogen war für uns wichtig, schaffte Zusammenhalt zwischen den
Generationen.
Dass das Geschäft im Zentrum des
Denkens und Arbeitens stand, verschaffte uns Kindern auf der anderen
Seite auch die nötigen Freiräume für eigenständige Tätigkeiten, je
nach Alter und Laune. So war es klar, dass wir zu Weihnachten besser
wussten als unsere Mutter, wo die versteckten Geschenke lagen. Sie
hatte es, voll wie ihr Kopf war, längst vergessen, aber meine
Schwester und ich konnten sie spätestens am 1. Weihnachtsfeiertag
daran erinnern, dass sie ja noch einen neuen Pulli für uns hinter
der Bettwäsche deponiert hatte und in der nie verwendeten
Suppenterrine des Goldrandgeschirrs die gute Schokolade.
Eigentlich habe ich schon als Kind
erfahren, dass es weder im Advent noch zu Weihnachten auf unser Tun
ankommt, sondern einzig und allein auf Gottes Tun. Es hängt nicht
davon ab, wie perfekt wir alles gestalten, wie friedfertig wir es
schaffen zu sein, wie sehr wir den Vorstellungen entsprechen. Nicht
wir müssen das Christkind retten, wie es vor Jahren einmal eine
Aktion forderte, nein, Gott rettet uns. Zum Glück!
Donnerstag, 23.12.2010
Weihnachten ist für mich das Fest der
Feste. Ich bin extremer Weihnachtsfan. Ich liebe dieses Fest, auch
mit seinem Kitsch und seinem Kommerz. Keine elektrischen
Christbaumkerzen, keine Musikberieselung und keine Panne beim
Festmenü können mir Weihnachten verderben. Und ich akzeptiere gern
alle Veränderungen, die sich im Laufe der Jahre aus privaten oder
beruflichen Anforderungen ergeben haben.
Dabei lege ich schon Wert auf
Traditionen. So habe ich mir z.B. den alten Christbaumständer aus
meiner Kindheit gesichert und seit Jahren hängt die
„Franz–Gedächtnis–Kugel“, die ein früh verstorbener Freund unserer
damals achtjährigen Tochter geschenkt hat, an immer der gleichen
Stelle in unserem Christbaum.
Und dann sind da die Lieder. Eines
meiner Lieblingslieder ist: „Jauchzet ihr Himmel, frohlocket ihr
Engel in Chören.“ Da kommt in der zweiten Strophe der Satz: Gott und
der Sünder, die sollen zu Freunden nun werden. Das ist eine
wunderbare Umschreibung des Weihnachtsevangeliums. Gott und der
Mensch – von nun an befreundet. Und zwar nicht Gott und der endlich
anständig gewordene Mensch, nicht Gott und die eifrige
Kirchgängerin, sondern Gott und der Sünder.
Auch wenn wir den Begriff Sünde heute
eher mit Diätprogrammen in Verbindung bringen ist damit etwas
anderes gemeint, nämlich eine grundlegende Beziehungsstörung. Nichts
geht mehr. Und in diese Beziehungslosigkeit hinein wird uns gesagt:
Gott und der Sünder, die sollen zu Freunden nun werden.
Gott wird Mensch, um mit Ihnen, mit
mir befreundet zu sein. Wer einen echten Freund hat, weiß was das
bedeutet. Freundschaften bringen Fleisch auf das Gerippe des Lebens,
machen es immer wieder lebenswert. Das ist Weihnachten. Und das kann
man gar nicht genug feiern.
Samstag, 24.12.2010
Letztes Jahr an Heiligabend rief in
der Früh meine Schwester an. In der Nacht war sie ins Krankenhaus
gerufen worden, weil es meiner Mutter sehr schlecht ging. Wenn du
sie noch lebend sehen willst, musst du kommen, sagte sie mir.
Eigentlich hatte ich an diesem Tag meine Gäste bewirten und zwei
Gottesdienste halten sollen. Aber der Tod fragt nicht nach unseren
Plänen, auch zu Weihnachten nicht. Und so fuhren mich gute Freunde
400 Kilometer weit zum Krankenhaus, in dem meine Mutter lag. Ich
verbrachte den Nachmittag und den Abend mit ihr, eher still, ihre
Hand haltend, sie streichelnd, das Weihnachtsevangelium lesend. Kein
Christbaum, keine Familie, keine Lieder, nur sie und ich im
schützenden Kokon des Krankenzimmers. Es war eine unwahrscheinlich
weihnachtliche Zeit, die wir miteinander verbrachten. Ihr Schmerz,
gemildert durch das Morphium, mein Schmerz gemildert durch unser
Zusammensein. Und tröstlich für uns beide die Nähe Gottes, ohne dass
wir darüber jetzt gesprochen hätten. Das hatten wir bereits vorher,
ein Leben lang getan.
Später dann kam meine Schwester
wieder, die kurz weggefahren war, um mit Kindern und Enkeln zu
essen. Wir weinten miteinander, froh, dass wir einander hatten,
traurig, dass wir unsere Mutter nun gehen lassen mussten. Sie nahm
mich mit in ihre Familie.
Meine Mutter starb erst ein paar Tage
später. Ich war in der Zwischenzeit wieder heimgefahren und
zurückgekommen, diesmal mit meinem Mann. Wir waren bis zuletzt bei
ihr.
Manchmal hat das Leben den Tod für uns
bereit, auch an Tagen wie Weihnachten. Doch weil die Botschaft von
Weihnachten heißt: Gott wird Mensch und kommt dir nahe, können wir
das Sterben aushalten, genauso wie das Leben.
25.12.2010
Als unsere Kinder noch klein waren,
haben wir manchmal die Bescherung auf den ersten Weihnachtsfeiertag
verschoben. Als mein Mann nach den Heiligabendgottesdiensten endlich
gegen 20.00 Uhr daheim war, waren die Kinder meist schon so müde,
dass ich sie ins Bett brachte. Ob ein tolles Essen auf dem Tisch
stand, ob die Geschenke liebevoll eingepackt waren, spielte damals
zumindest für mich keine große Rolle.
Heute sind meine Lebensumstände ganz
anders. Bei uns sind zu Weihnachten lauter erwachsene Menschen im
Haus, nach den Christvespern, die mein Mann und ich gehalten haben,
erwartet uns ein festlich gedeckter Tisch und ein gutes Essen, von
Freunden und Verwandten vorbereitet.
Aber Würstl oder Gans, Bescherung am
24. oder am 25., das ist egal. Alles Äußere kann so oder anders oder
gar nicht geschehen. Das, was trägt, was unverzichtbar ist, ist die
Geschichte: Da ist ein Kind geboren, Jesus. In ihm kommt Gott zu
uns, so glauben wir. Diese Nachricht ist kaum fassbar. Gott wird
Mensch. Seither wissen wir Christen, dass Gott nahe ist. Dass er uns
gegenübersitzt am Tisch, dass er uns begegnet in den Schulkindern,
die jeden Tag an unserem Haus vorbeigehen oder auch in der
Krankenpflegerin, die sich um uns kümmert. Auch wir können für
andere Menschen Gott vergegenwärtigen, wenn die Liebe aus uns
spricht und wir aus ihr leben. Keine und keiner von uns ist dafür zu
alt oder zu jung, zu einsam oder zu beansprucht, zu krank oder zu
fit.
Gott kommt in unsere Nähe. Das ist die
gute Nachricht zu Weihnachten. Sie macht andere Menschen aus uns,
wenn wir ihr glauben.