Morgengedanken

Sonntag,  6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr, 
ORF Regionalradios

 

 

 

von Generalvikar Nikolaus Krasa, Erzdiözese Wien

 

 

Sonntag, 30.1.2011

Ich bin auf der Nordbrücke in Wien unterwegs. In 10 Minuten soll ich mich im 22. Bezirk mit einem Freund treffen. Der Arbeitstag war dicht. Viele Gedanken gehen mir durch den Kopf. Irgendwie achte ich noch auf die Autos vor mir aber ganz wach bin ich nicht mehr. Als ich aufmerke, ist es zu spät: Ich habe die richtige Abzweigung verpasst. Ich stehe im Abendstau im 21. Bezirk, keine Chance, rechtzeitig zu meinem Treffpunkt zu kommen. Und auf die richtige Autobahn zurückzukommen ist fast unmöglich.

Wer im Leben die richtigen Abzweigungen verschläft, die richtigen Entscheidungen nicht trifft, der kommt irgendwo hin nur nicht dort, wo er hin will oder hin soll. Kein Wunder, dass das große Meditations- und Gebetsbuch der Bibel, das Buch der Psalmen, mit dieser Erfahrung beginnt, sie sogar zur Grunderfahrung des Lebens macht. Zwei Wege, sagt der erste Psalm, zwei Wege liegen vor dir. Du triffst die Entscheidung, ob du auf deinem Weg damit rechnest, dass Gott mit diesem Weg etwas zu tun hat oder nicht. „Selig der Mensch, der Freude hat an der Weisung des Herrn“, so Psalm 1. Wie und mit welcher Grundentscheidung beginnt heute mein Tag?

 

 

 

Montag, 31.1.2011

Blauer Montag? Gerade nach einem schönen, intensiven Wochenende fällt das Zurück in die Arbeit, in den Alltag nicht so leicht. Da kommt dann leicht die Sinnfrage hoch: Wozu tu ich das alles? Ewig dieselbe Leier? Immer wieder im Hamsterrad von Beruf und Alltag. Manche Menschen erleben solche Fragestellungen in der Lebensmitte noch intensiver, bis hin zu Phasen von Depression...

Es gibt da einen Psalm, der mich an diese Erfahrungen erinnert. „Du hast mir Freunde und Gefährten entfremdet, mein Vertrauter ist nur noch die Finsternis“, so die letzten Worte von Psalm 89 - übrigens der einzige Psalm, der so negativ, so tiefschwarz endet. Was es für einen Sinn hat, solch einen depressiven Satz an den Anfang eines Tages zu stellen?

Vielleicht nur, dass es in unserer Leistungs- und Fungesellschaft auch einmal erlaubt sein muss, nicht mit höchstem Spassfaktor und 150% Leistung zu leben. Dass das jedenfalls vor Gott Platz hat. Und dass das nicht das letzte Wort ist in unserem Leben. Denn bereits das nächste Gebet, der nächste Psalm beginnt: Von den Taten deiner Huld Herr will ich ewig singen.

 

 

 

Dienstag, 1.2.2011

Wer jetzt zur Arbeit geht, der sieht ihn wahrscheinlich noch. In klaren und kalten Winternächten ist der Sternenhimmel besonders eindrucksvoll. Unzählbare Lichtpunkte lassen etwas von der Größe des Universums erahnen. So schreibt der sonst so nüchterne Philosoph Immanuel Kant, dass der gestirnte Himmel über ihm ihn zum Staunen bringe. Wie groß, unvorstellbar groß, das alles ist. Und wie klein, verletzlich die Erde, unser Leben. Die ersten Menschen, die die Erde aus dem Weltall sehen konnten erzählen über diesen gewaltigen Kontrast: Die Weite des Weltalls und das kleine Samenkörnchen Erde, so verletzlich im schwarzen Nichts. Eine ähnliche Erfahrung hat wohl auch der Autor des 8. Psalms gemacht: „Seh ich den Himmel, das Werk deiner Finger, was ist der Mensch?“ heißt es dort. Allerdings: Es ist nicht nur eine Erfahrung der Kleinheit des Menschen angesichts der Größe des Alls, um die es hier geht. Der Autor von Psalm 8 spricht dann noch etwas an: Was ist der Mensch, dass du an ihn denkst, des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst. Gott denkt an den Menschen, sucht die Beziehung zu ihm, auch wenn der nur ein Staubkörnchen auf einem Staubkörnchen in der großen Weite des Alls ist.

 

 

 

 

Mittwoch, 2.2.2011

Gespräch mit Jugendlichen. Es geht um die Firmung, die ich ihnen in wenigen Monaten spenden werde. Wir plaudern über dies und das, die Schule und die Hobbies, was sie in der Firmvorbereitung gemacht haben, warum sie zur Firmung gehen. Wir entscheiden uns für den Glauben, sagt einer von ihnen. Und ich drauf: „Und was bringt dir das?“. Zunächst erschreckte Stille. Ist schon eine sehr direkte Frage. Noch dazu ein Thema, über das man bei uns nicht so schnell spricht. Dann kommen die ersten Antworten. Und einer sagt: Mir bringt der Glaube etwas. Ich merke, dass es mir hilft, zu beten....

Ein Psalmvers fällt mir ein, einer der diese Erfahrung in Worte fasst, dass es gut tut, in Beziehung zu Gott zu leben. Der Herr ist mein Hirte, beginnt der Psalm 23. Und er präzisiert: Er führt mich zum Ruheplatz am Wasser. Ruheplatz am Wasser - klingt fast nach Sommerferien, nach Urlaub. Aber könnte es nicht sein, dass Gebet manchmal gut tut wie Urlaub?

 

 

 

Donnerstag, 3.2.2011

Was werde ich heute Schönes erleben? Auf welche Termine des heutigen Tages freue ich mich schon? Begegnungen, Einkaufsbummel, Kinobesuch? Wonach hätte ich heute eigentlich Sehnsucht? Endlich einmal Ruhe? Eine Arbeit zu Ende bekommen? Ein gutes Essen? Aussprache und Versöhnung? Karriere? Unsere Sehnsüchte sind so etwas wie die Triebfeder unseres Lebens. Sie geben unserem Leben Dynamik und innere Spannung. Ohne Sehnsüchte wäre unser Leben wahrscheinlich todlangweilig. Manchmal entwickeln diese Sehnsüchte allerdings auch ein gefährliches Eigenleben, werden übermächtig. Aus Sehnsüchten werden Süchte, die mich kontrollieren, die eine Kraft entwickeln, die über meine Kraft geht. Und vielleicht ist dies so, weil hinter all diesen kleinen und größeren Sehnsüchten und Süchten eine ganz große Sehnsucht steht: Nach Leben, nach Liebe, nach Sinn, letztlich wohl nach Gott. Wie es etwa im Ps 63 heißt: Gott, du mein Gott, dich suche ich.

Meine Seele dürstet nach dir. Verändert das die Lebensperspektive? Zu sagen: Mein Leben ist getragen von einer Grundsehnsucht nach Gott?

 

 

 

Freitag, 4.2.2011

Nix ist fix. Eine Zeit, in der sich alles immer schneller verändert, verlangt auch von uns, dass wir uns immer schneller ändern. Dass wir fit bleiben für den Arbeitsmarkt. Dass wir fit bleiben für die immer neuen Anforderungen des Berufes. Flexibilität ist das Zauberwort.

Manchmal macht das ja Spaß, diese immer neue Herausforderung, das Ausloten immer neuer Grenzen, das sich immer neu Bewähren, das Dazu lernen von Neuem. Nur: Wenn nichts mehr fix ist, wo ist dann in meinem Leben der Ruhepunkt, der Ort, an dem ich zu Hause sein kann? Ps 31 bekennt: Denn du, Gott, bist mein Fels und meine Burg.... Meine Burg ... da muss ich an Massada denken, den Burgfelsen am Ufer des Toten Meeres, der einer kleinen jüdischen Gruppe lange Sicherheit vor der römischen Belagerung gegeben hat. Einen festen Felsen zu haben im Leben, das ist schon etwas. Und wenn dieser Fels Gott ist: Du Gott bist mein Fels, meine Burg.

 

 

 

Samstag, 5.2.2011

In meiner Jugendzeit hatte ich einen guten Freund. Monatlich nahm er sich Zeit für lange abendliche Gespräche. Einmal habe ich ihm gesagt: Wenn ich mit dir rede, habe ich das Gefühl, dass sich wie bei einer Zwiebel in mir viele Schalen lösen, bis der innerste Kern langsam sichtbar wird. Dieses sich Öffnen geschah ganz selbstverständlich. Ich hatte immer das Gefühl bei ihm, in guten Händen zu sein, ihm Vertrauen zu können. Als er viel zu früh starb traf ich bei seinem Begräbnis viele Menschen, die dieselbe Erfahrung mit ihm gemacht hatten.

„Herr du hast mich erforscht und du kennst mich, ob ich sitze oder stehe, du weißt von mir“. Ich habe diese Worte des Psalm 139 immer wunderschön gefunden. Kein beinhart buchhaltender Gott wird hier angesprochen, sondern einer, der liebevoll auf mich schaut. Das Wort wird ja im Hebräischen auch für die Liebesbeziehung zwischen Mann und Frau verwendet. In meinem Freund der Jugendzeit habe ich wohl ein Stück dieses erkennenden, liebenden Gottes erlebt.