Ich bin auf der Nordbrücke in Wien unterwegs. In 10 Minuten soll ich
mich im 22. Bezirk mit einem Freund treffen. Der Arbeitstag war
dicht. Viele Gedanken gehen mir durch den Kopf. Irgendwie achte ich
noch auf die Autos vor mir aber ganz wach bin ich nicht mehr. Als
ich aufmerke, ist es zu spät: Ich habe die richtige Abzweigung
verpasst. Ich stehe im Abendstau im 21. Bezirk, keine Chance,
rechtzeitig zu meinem Treffpunkt zu kommen. Und auf die richtige
Autobahn zurückzukommen ist fast unmöglich.
Wer im Leben die richtigen Abzweigungen verschläft, die richtigen
Entscheidungen nicht trifft, der kommt irgendwo hin nur nicht dort,
wo er hin will oder hin soll. Kein Wunder, dass das große
Meditations- und Gebetsbuch der Bibel, das Buch der Psalmen, mit
dieser Erfahrung beginnt, sie sogar zur Grunderfahrung des Lebens
macht. Zwei Wege, sagt der erste Psalm, zwei Wege liegen vor dir. Du
triffst die Entscheidung, ob du auf deinem Weg damit rechnest, dass
Gott mit diesem Weg etwas zu tun hat oder nicht. „Selig der Mensch,
der Freude hat an der Weisung des Herrn“, so Psalm 1. Wie und mit
welcher Grundentscheidung beginnt heute mein Tag?
Montag, 31.1.2011
Blauer Montag? Gerade nach einem schönen, intensiven Wochenende
fällt das Zurück in die Arbeit, in den Alltag nicht so leicht. Da
kommt dann leicht die Sinnfrage hoch: Wozu tu ich das alles? Ewig
dieselbe Leier? Immer wieder im Hamsterrad von Beruf und Alltag.
Manche Menschen erleben solche Fragestellungen in der Lebensmitte
noch intensiver, bis hin zu Phasen von Depression...
Es gibt da einen Psalm, der mich an diese Erfahrungen erinnert. „Du
hast mir Freunde und Gefährten entfremdet, mein Vertrauter ist nur
noch die Finsternis“, so die letzten Worte von Psalm 89 - übrigens
der einzige Psalm, der so negativ, so tiefschwarz endet. Was es für
einen Sinn hat, solch einen depressiven Satz an den Anfang eines
Tages zu stellen?
Vielleicht nur, dass es in unserer Leistungs- und Fungesellschaft
auch einmal erlaubt sein muss, nicht mit höchstem Spassfaktor und
150% Leistung zu leben. Dass das jedenfalls vor Gott Platz hat. Und
dass das nicht das letzte Wort ist in unserem Leben. Denn bereits
das nächste Gebet, der nächste Psalm beginnt: Von den Taten deiner
Huld Herr will ich ewig singen.
Dienstag, 1.2.2011
Wer jetzt zur Arbeit geht, der sieht ihn wahrscheinlich noch. In
klaren und kalten Winternächten ist der Sternenhimmel besonders
eindrucksvoll. Unzählbare Lichtpunkte lassen etwas von der Größe des
Universums erahnen. So schreibt der sonst so nüchterne Philosoph
Immanuel Kant, dass der gestirnte Himmel über ihm ihn zum Staunen
bringe. Wie groß, unvorstellbar groß, das alles ist. Und wie klein,
verletzlich die Erde, unser Leben. Die ersten Menschen, die die Erde
aus dem Weltall sehen konnten erzählen über diesen gewaltigen
Kontrast: Die Weite des Weltalls und das kleine Samenkörnchen Erde,
so verletzlich im schwarzen Nichts. Eine ähnliche Erfahrung hat wohl
auch der Autor des 8. Psalms gemacht: „Seh ich den Himmel, das Werk
deiner Finger, was ist der Mensch?“ heißt es dort. Allerdings: Es
ist nicht nur eine Erfahrung der Kleinheit des Menschen angesichts
der Größe des Alls, um die es hier geht. Der Autor von Psalm 8
spricht dann noch etwas an: Was ist der Mensch, dass du an ihn
denkst, des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst. Gott denkt
an den Menschen, sucht die Beziehung zu ihm, auch wenn der nur ein
Staubkörnchen auf einem Staubkörnchen in der großen Weite des Alls
ist.
Mittwoch, 2.2.2011
Gespräch mit Jugendlichen. Es geht um die Firmung, die ich ihnen in
wenigen Monaten spenden werde. Wir plaudern über dies und das, die
Schule und die Hobbies, was sie in der Firmvorbereitung gemacht
haben, warum sie zur Firmung gehen. Wir entscheiden uns für den
Glauben, sagt einer von ihnen. Und ich drauf: „Und was bringt dir
das?“. Zunächst erschreckte Stille. Ist schon eine sehr direkte
Frage. Noch dazu ein Thema, über das man bei uns nicht so schnell
spricht. Dann kommen die ersten Antworten. Und einer sagt: Mir
bringt der Glaube etwas. Ich merke, dass es mir hilft, zu beten....
Ein Psalmvers fällt mir ein, einer der diese Erfahrung in Worte
fasst, dass es gut tut, in Beziehung zu Gott zu leben. Der Herr ist
mein Hirte, beginnt der Psalm 23. Und er präzisiert: Er führt mich
zum Ruheplatz am Wasser. Ruheplatz am Wasser - klingt fast nach
Sommerferien, nach Urlaub. Aber könnte es nicht sein, dass Gebet
manchmal gut tut wie Urlaub?
Donnerstag, 3.2.2011
Was werde ich heute Schönes erleben? Auf welche Termine des heutigen
Tages freue ich mich schon? Begegnungen, Einkaufsbummel, Kinobesuch?
Wonach hätte ich heute eigentlich Sehnsucht? Endlich einmal Ruhe?
Eine Arbeit zu Ende bekommen? Ein gutes Essen? Aussprache und
Versöhnung? Karriere? Unsere Sehnsüchte sind so etwas wie die
Triebfeder unseres Lebens. Sie geben unserem Leben Dynamik und
innere Spannung. Ohne Sehnsüchte wäre unser Leben wahrscheinlich
todlangweilig. Manchmal entwickeln diese Sehnsüchte allerdings auch
ein gefährliches Eigenleben, werden übermächtig. Aus Sehnsüchten
werden Süchte, die mich kontrollieren, die eine Kraft entwickeln,
die über meine Kraft geht. Und vielleicht ist dies so, weil hinter
all diesen kleinen und größeren Sehnsüchten und Süchten eine ganz
große Sehnsucht steht: Nach Leben, nach Liebe, nach Sinn, letztlich
wohl nach Gott. Wie es etwa im Ps 63 heißt: Gott, du mein Gott, dich
suche ich.
Meine Seele dürstet nach dir. Verändert das die Lebensperspektive?
Zu sagen: Mein Leben ist getragen von einer Grundsehnsucht nach
Gott?
Freitag, 4.2.2011
Nix ist fix. Eine Zeit, in der sich alles immer schneller verändert,
verlangt auch von uns, dass wir uns immer schneller ändern. Dass wir
fit bleiben für den Arbeitsmarkt. Dass wir fit bleiben für die immer
neuen Anforderungen des Berufes. Flexibilität ist das Zauberwort.
Manchmal macht das ja Spaß, diese immer neue Herausforderung, das
Ausloten immer neuer Grenzen, das sich immer neu Bewähren, das Dazu
lernen von Neuem. Nur: Wenn nichts mehr fix ist, wo ist dann in
meinem Leben der Ruhepunkt, der Ort, an dem ich zu Hause sein kann?
Ps 31 bekennt: Denn du, Gott, bist mein Fels und meine Burg....
Meine Burg ... da muss ich an Massada denken, den Burgfelsen am Ufer
des Toten Meeres, der einer kleinen jüdischen Gruppe lange
Sicherheit vor der römischen Belagerung gegeben hat. Einen festen
Felsen zu haben im Leben, das ist schon etwas. Und wenn dieser Fels
Gott ist: Du Gott bist mein Fels, meine Burg.
Samstag, 5.2.2011
In meiner Jugendzeit hatte ich einen guten Freund. Monatlich nahm er
sich Zeit für lange abendliche Gespräche. Einmal habe ich ihm
gesagt: Wenn ich mit dir rede, habe ich das Gefühl, dass sich wie
bei einer Zwiebel in mir viele Schalen lösen, bis der innerste Kern
langsam sichtbar wird. Dieses sich Öffnen geschah ganz
selbstverständlich. Ich hatte immer das Gefühl bei ihm, in guten
Händen zu sein, ihm Vertrauen zu können. Als er viel zu früh starb
traf ich bei seinem Begräbnis viele Menschen, die dieselbe Erfahrung
mit ihm gemacht hatten.
„Herr du hast mich erforscht und du kennst mich, ob ich sitze oder
stehe, du weißt von mir“. Ich habe diese Worte des Psalm 139 immer
wunderschön gefunden. Kein beinhart buchhaltender Gott wird hier
angesprochen, sondern einer, der liebevoll auf mich schaut. Das Wort
wird ja im Hebräischen auch für die Liebesbeziehung zwischen Mann
und Frau verwendet. In meinem Freund der Jugendzeit habe ich wohl
ein Stück dieses erkennenden, liebenden Gottes erlebt.