Morgengedanken

Sonntag,  6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr, 
ORF Regionalradios

 

 

 

von Pfarrer Gilbert Schandera (Schwanenstadt, Oberösterreich)

 

 

So, 06.02.2011        

AUFBRUCH/WAHRHAFTIGKEIT

In meinem Umfeld in der Pfarre erlebte ich als Pfarrer oft mit Betroffenheit, wie Probleme nicht ausgesprochen wurden, wie sie unter den Teppich gekehrt wurden und wie sich vor allem nichts ändern durfte. (Ein Lokalpolitiker, dem ich vorschlug, man könnte doch am Stadtplatz Bäume pflanzen, das würde dort Menschen zum Verweilen einladen, sagte nur:“ Da waren nie Bäume.“)

Ein Grundgefühl – ist es christlich? – frage ich – hält alles nieder:

Ruhig sein, nicht anecken, nichts tun, was irgendjemand nicht passen könnte und wenn es Probleme gibt, nicht davon reden!

Vor kurzem habe ich die Pfarre verlassen. In den Monaten davor hatten mich Menschen auf Probleme und Konflikte angesprochen, von denen ich damals nichts gehört hatte.

Ich erlebte Anerkennung, Mitgefühl, Verständnis für die Wehmut, die mit Abschied immer verbunden ist, und Verständnis für meine Gründe, die Pfarre zu verlassen.

Eine Lebendigkeit war in den Gesprächen, die ich vorher schmerzlich vermisst hatte.

Abschied und Aufbruch machten es möglich, dass auf einmal ehrlich gesprochen wurde. Muss es immer ein konkreter Abschied sein, der diese Offenheit bringt? Gibt es nicht die christliche Überzeugung, dass wir unterwegs sind durch diese Welt, keine „bleibende Stätte“ haben, an nichts endgültig festhalten können? – Und schenkt uns diese Überzeugung nicht die Freiheit, unsere Meinungen offen auszusprechen? Wir verlieren nichts dabei. Wir können nur die Wahrheit gewinnen, die uns bekanntlich frei macht.

 

 

 

Mo, 07.02.2011        

Die Kunst, allein zu sein

Die Klage ist uns vertraut: Es gibt so viel Vereinsamung trotz vieler Kommunikationsmittel.

Also wird gegen die Einsamkeit organisiert: Gesprächsrunden, Spielenachmittage, Computereinführung für Senioren, Gruppen-Reisen in alle Weltgegenden. Ich denke an den Redner Cicero, der vor 2000 Jahren sagt: „Niemals bin ich weniger allein, als wenn ich allein bin.“ (Über den Staat 1,27 f.)

Das Allein-Sein ist ein Weg aus der Einsamkeit. Alleinsein (und Stille) sind aber mehr als nur eine Pause im Gemeinschaftsleben. Menschen, die viel allein sind, haben oft tiefere Begegnungen als solche, die ständig unter Menschen sind. Allein entdecken wir uns und finden uns, lernen mit uns selber umzugehen und uns zu genießen. Im Einklang mit uns selber sind wir gute Partner. Tiefe Begegnungen haben ihre Wurzeln im vorherigen Alleinsein. Allein im Zimmer kann ich mich mit einem Freund tiefer verbunden fühlen als im Wirbel eines Festes. Man kann gerade unter Menschen einsam sein. Alleinsein schafft eine gesunde Distanz. Konflikte schwellen ab. Urteile über andere „beruhigen“ sich. Religionen mahnen zum regelmäßigen Rückzug. Wir gewinnen dabei Abstand von den vielen Meinungen und Ideen. Das macht offen für das Größere (- und den Größeren). Das öffnet für Wandlungen und Entwicklungen, die es in der Zerstreuung nicht gibt. Auch wenn das Alleinsein nicht immer freiwillig ist: Es kann sehr fruchtbar sein.

 

 

 

Di, 08.02.2011

Warten können

Warten ist für mich eine Qual. Zu oft habe ich als Kind auf meinen Vater gewartet. Er war ein extrem unpünktlicher Mensch. Wahrscheinlich geht es den meisten ähnlich: Wir versuchen, Wartezeit zu vermeiden, halten Pünktlichkeit für selbstverständlich und erwarten sie. Wir haben das Warten-Können verlernt. Sofort muss alles sein. Ist das Leben dadurch aber erfüllter, entspannter und glücklicher? Wir übersehen etwas: Durch das Bestehen auf Pünktlichkeit beschleunigen wir unser Leben. Wartezeiten können zunächst erzwungene Muße sein; dann sind sie aber gute Zeiten der Besinnung. Wartezeiten lassen spüren:         Vieles lässt sich nicht erzwingen.

Wer warten kann, der gewinnt Freiräume. Und: Wer warten kann, entschleunigt sein Leben. Einfach stehen bleiben. Den Augenblick spüren. Einfach warten. Vielleicht sogar das Geheimnis des Lebens spüren.

 

 

 

Mi, 09.02.2011

Feste

Religion zeigt sich wesentlich im Feiern von Festen. Feiern sind nicht nützlich, sie unterbrechen den Rhythmus des „Zweckdienlichen“, trotzdem oder gerade deswegen sind sie lebensnotwendig. Jede Religion wirkt dem Nützlichkeitsdenken entgegen. Besitzvermehrung, Wirtschaftswachstum, technischer Fortschritt sind nicht unbedingt Lebenssteigerung.

Die große Theologin Dorothea Sölle nennt das Streben danach sogar „Todestrieb“. Nicht um den Menschen gehe es dabei, sondern um totes „Material“. Die Lebensenergie sei falsch kanalisiert, das führe zu Barbarei. Das Fest unterbricht. Im Feiern sagen wir „Ja“ zum Leben. Wir sagen „Ja“ zueinander. Wir freuen uns übereinander; ohne nach einem Zweck oder Erfolg zu fragen. Das Fest spürt dem Leben nach. Das Fest verlangsamt unser beschleunigtes Leben. Es ist mehr als Erholung. Es schenkt Kraft durch Vereinfachung. Das Fest lässt uns fragen: “Und wenn alles ganz anders wäre?“ Seien wir nicht so sicher, dass das, was wir tun, der Weisheit letzter Schluss ist!

 

 

 

Do, 10.02.2011

Unternehmenskultur

Eine vor kurzem erlebte Konferenz: Die Teilnehmer sind einander nicht alle vertraut, da wir uns nur relativ selten treffen. Der Leiter ist neu. Es gibt kein Rundgespräch, der Leiter interessiert sich nicht so sehr für uns. Er geht sofort ans „Sachliche“ – Der neue Leiter verlässt nach kurzer Zeit die Sitzung, weil er einen anderen Termin hat. Was würde er sagen, wenn ich ihn darauf anredete? Vielleicht: Er sei doch nicht mehr gebraucht worden, wir hätten das Treffen doch ohne ihn gut zu Ende gebracht. Und übrigens hätte er einen dringenden Termin wahrgenommen, der letztlich auch in unserem Interesse gewesen wäre… Mag sein.

Aber ist da noch ein Rest von Beziehungskultur? Uns hätten seine Vorstellungen interessiert. Vor allem hätte uns sein Interesse an unserer Person motiviert. Der frühe Abgang des Leiters war unhöflich. (Höflichkeit hat immer mit Achtung und guter Beziehung zu tun.) Vielleicht war er auch schädlich für das gemeinsame Werk. Menschen, die sich selber nicht beachtet fühlen, sehen auch ihre Arbeit als nicht beachtet und daher als unwichtig. Manche sogenannte Zeit-Ersparnis geht ins Leere und stört Beziehungen.

 

 

 

 

Fr, 11.02.2011

Rückschritt?

Wer heute gewisse Fächer studieren will, hat eine „Knock-out-Prüfung“ zu bestehen. Nicht eine Aufnahmsprüfung, sondern eine Hinauswerf-Prüfung. Ob damit die Geeignetsten gefunden werden, ist nicht so sicher. Mit normierten Fragen kann sicher nicht der ganze Mensch in den Blick kommen.

In einem Fortbildungsprogramm sehe ich einen Kurs: „Kampfrhethorik“. Medizinstudenten erzählen mir, dass sie in „Kohorten“ eingeteilt sind. Überall Begriffe, die an einen Krieg erinnern. Ein Konzern verleibt sich den anderen in einer „feindlichen Übernahme“ ein. Wirtschaftskampf statt Waffenkampf also.

Wo bleibt das „Nie wieder Krieg!“(unsrer Jugendtage?) Rückschritt statt Fortschritt? Auch im „Kleinen“ erlebe ich es: Überlaute Mopeds umkreisen einen Häuserblock dutzende Male im Fahrverbot. Da kann man heute wenig öffentliche Hilfe dagegen erwarten. Unternehme ich persönlich etwas dagegen, komme ich in die Gefahr, niedergeschlagen zu werden. Ein ungebetener Streitschlichter in der U-Bahn wurde in einer deutschen Stadt erschlagen.

Unbemerkt entwickeln wir uns zurück: Die Starken setzen sich wieder durch. Das hatten wir doch schon? Kultur und Zivilisation entwickelten die Sorge um den Schwachen. Der Schutz des Schwachen unterscheidet uns von den Tieren. Das ist typisch menschlich. Und das ist typisch christlich. Vorsicht, dass dieser Fortschritt nicht verloren geht!

 

 

 

Sa, 12.02.2011

Schweigen

Nicht nur Worte wirken. Schweigen kann viel-sagend sein. Schweigen schafft Platz in der Seele. Viele Worte sind ein Zeichen dafür, dass „fremde Gäste“ das Innere besetzen.

Die alten Mystiker sprechen davon, dass unsre Seele allein sein muss und schweigen muss, wenn sie Jesus (Christus) hören will. Vor dem Reden steht das Hören. Leicht verwechseln wir die Stimme Gottes mit den vielen anderen Stimmen, die auf uns eindringen.

Gott kommt, wo man ihn einlässt. Wir wissen aber nie, ob er noch oder schon da ist. Hörende und schweigende Menschen sind fähig, den Worten entsprechend zu leben, die die Bibel zu ihnen spricht und die sie als Gottes Zuspruch erfahren. Schweigen tut not, um darin die Worte zu hören, die im Moment wichtig sind. Schweigen wäre auch für die Kirche im Ganzen heilsam. Schweigen ist für die Glaubensgemeinschaft ein Rüstzeug zur Erneuerung. Da entstünde eine Kirche, die ruhig und leer wird für das Wort Jesu. Eine Kirche, die nicht maßregelt, nicht befiehlt, nicht anordnet und verurteilt. Es wäre eine Kirche, die andächtig hinhört auf ihren Herrn. Aus einer solchen hörenden Kirche würden die einzelnen Christen wieder mehr die Worte ihres Herrn und Bruders Jesus Christus vernehmen. Als Lebenshilfe und Orientierung.