von Pfarrer Gilbert Schandera (Schwanenstadt, Oberösterreich)
So, 06.02.2011
AUFBRUCH/WAHRHAFTIGKEIT
In meinem Umfeld in der Pfarre erlebte
ich als Pfarrer oft mit Betroffenheit, wie Probleme nicht
ausgesprochen wurden, wie sie unter den Teppich gekehrt wurden und
wie sich vor allem nichts ändern durfte. (Ein Lokalpolitiker, dem
ich vorschlug, man könnte doch am Stadtplatz Bäume pflanzen, das
würde dort Menschen zum Verweilen einladen, sagte nur:“ Da waren nie
Bäume.“)
Ein Grundgefühl – ist es christlich? –
frage ich – hält alles nieder:
Ruhig sein, nicht anecken, nichts tun,
was irgendjemand nicht passen könnte und wenn es Probleme gibt,
nicht davon reden!
Vor kurzem habe ich die Pfarre
verlassen. In den Monaten davor hatten mich Menschen auf Probleme
und Konflikte angesprochen, von denen ich damals nichts gehört
hatte.
Ich erlebte Anerkennung, Mitgefühl,
Verständnis für die Wehmut, die mit Abschied immer verbunden ist,
und Verständnis für meine Gründe, die Pfarre zu verlassen.
Eine Lebendigkeit war in den
Gesprächen, die ich vorher schmerzlich vermisst hatte.
Abschied und Aufbruch machten es
möglich, dass auf einmal ehrlich gesprochen wurde. Muss es immer ein
konkreter Abschied sein, der diese Offenheit bringt? Gibt es nicht
die christliche Überzeugung, dass wir unterwegs sind durch diese
Welt, keine „bleibende Stätte“ haben, an nichts endgültig festhalten
können? – Und schenkt uns diese Überzeugung nicht die Freiheit,
unsere Meinungen offen auszusprechen? Wir verlieren nichts dabei.
Wir können nur die Wahrheit gewinnen, die uns bekanntlich frei
macht.
Mo, 07.02.2011
Die Kunst, allein zu sein
Die Klage ist uns vertraut: Es gibt so
viel Vereinsamung trotz vieler Kommunikationsmittel.
Also wird gegen die Einsamkeit
organisiert: Gesprächsrunden, Spielenachmittage, Computereinführung
für Senioren, Gruppen-Reisen in alle Weltgegenden. Ich denke an den
Redner Cicero, der vor 2000 Jahren sagt: „Niemals bin ich weniger
allein, als wenn ich allein bin.“ (Über den Staat 1,27 f.)
Das Allein-Sein ist ein Weg aus der
Einsamkeit. Alleinsein (und Stille) sind aber mehr als nur eine
Pause im Gemeinschaftsleben. Menschen, die viel allein sind, haben
oft tiefere Begegnungen als solche, die ständig unter Menschen sind.
Allein entdecken wir uns und finden uns, lernen mit uns selber
umzugehen und uns zu genießen. Im Einklang mit uns selber sind wir
gute Partner. Tiefe Begegnungen haben ihre Wurzeln im vorherigen
Alleinsein. Allein im Zimmer kann ich mich mit einem Freund tiefer
verbunden fühlen als im Wirbel eines Festes. Man kann gerade unter
Menschen einsam sein. Alleinsein schafft eine gesunde Distanz.
Konflikte schwellen ab. Urteile über andere „beruhigen“ sich.
Religionen mahnen zum regelmäßigen Rückzug. Wir gewinnen dabei
Abstand von den vielen Meinungen und Ideen. Das macht offen für das
Größere (- und den Größeren). Das öffnet für Wandlungen und
Entwicklungen, die es in der Zerstreuung nicht gibt. Auch wenn das
Alleinsein nicht immer freiwillig ist: Es kann sehr fruchtbar sein.
Di, 08.02.2011
Warten können
Warten ist für mich eine Qual. Zu oft
habe ich als Kind auf meinen Vater gewartet. Er war ein extrem
unpünktlicher Mensch. Wahrscheinlich geht es den meisten ähnlich:
Wir versuchen, Wartezeit zu vermeiden, halten Pünktlichkeit für
selbstverständlich und erwarten sie. Wir haben das Warten-Können
verlernt. Sofort muss alles sein. Ist das Leben dadurch aber
erfüllter, entspannter und glücklicher? Wir übersehen etwas: Durch
das Bestehen auf Pünktlichkeit beschleunigen wir unser Leben.
Wartezeiten können zunächst erzwungene Muße sein; dann sind sie aber
gute Zeiten der Besinnung. Wartezeiten lassen spüren: Vieles
lässt sich nicht erzwingen.
Wer warten kann, der gewinnt
Freiräume. Und: Wer warten kann, entschleunigt sein Leben. Einfach
stehen bleiben. Den Augenblick spüren. Einfach warten. Vielleicht
sogar das Geheimnis des Lebens spüren.
Mi, 09.02.2011
Feste
Religion zeigt sich wesentlich im
Feiern von Festen. Feiern sind nicht nützlich, sie unterbrechen den
Rhythmus des „Zweckdienlichen“, trotzdem oder gerade deswegen sind
sie lebensnotwendig. Jede Religion wirkt dem Nützlichkeitsdenken
entgegen. Besitzvermehrung, Wirtschaftswachstum, technischer
Fortschritt sind nicht unbedingt Lebenssteigerung.
Die große Theologin Dorothea Sölle
nennt das Streben danach sogar „Todestrieb“. Nicht um den Menschen
gehe es dabei, sondern um totes „Material“. Die Lebensenergie sei
falsch kanalisiert, das führe zu Barbarei. Das Fest unterbricht. Im
Feiern sagen wir „Ja“ zum Leben. Wir sagen „Ja“ zueinander. Wir
freuen uns übereinander; ohne nach einem Zweck oder Erfolg zu
fragen. Das Fest spürt dem Leben nach. Das Fest verlangsamt unser
beschleunigtes Leben. Es ist mehr als Erholung. Es schenkt Kraft
durch Vereinfachung. Das Fest lässt uns fragen: “Und wenn alles ganz
anders wäre?“ Seien wir nicht so sicher, dass das, was wir tun, der
Weisheit letzter Schluss ist!
Do, 10.02.2011
Unternehmenskultur
Eine vor kurzem erlebte Konferenz: Die
Teilnehmer sind einander nicht alle vertraut, da wir uns nur relativ
selten treffen. Der Leiter ist neu. Es gibt kein Rundgespräch, der
Leiter interessiert sich nicht so sehr für uns. Er geht sofort ans
„Sachliche“ – Der neue Leiter verlässt nach kurzer Zeit die Sitzung,
weil er einen anderen Termin hat. Was würde er sagen, wenn ich ihn
darauf anredete? Vielleicht: Er sei doch nicht mehr gebraucht
worden, wir hätten das Treffen doch ohne ihn gut zu Ende gebracht.
Und übrigens hätte er einen dringenden Termin wahrgenommen, der
letztlich auch in unserem Interesse gewesen wäre… Mag sein.
Aber ist da noch ein Rest von
Beziehungskultur? Uns hätten seine Vorstellungen interessiert. Vor
allem hätte uns sein Interesse an unserer Person motiviert. Der
frühe Abgang des Leiters war unhöflich. (Höflichkeit hat immer mit
Achtung und guter Beziehung zu tun.) Vielleicht war er auch
schädlich für das gemeinsame Werk. Menschen, die sich selber nicht
beachtet fühlen, sehen auch ihre Arbeit als nicht beachtet und daher
als unwichtig. Manche sogenannte Zeit-Ersparnis geht ins Leere und
stört Beziehungen.
Fr, 11.02.2011
Rückschritt?
Wer heute gewisse Fächer studieren
will, hat eine „Knock-out-Prüfung“ zu bestehen. Nicht eine
Aufnahmsprüfung, sondern eine Hinauswerf-Prüfung. Ob damit die
Geeignetsten gefunden werden, ist nicht so sicher. Mit normierten
Fragen kann sicher nicht der ganze Mensch in den Blick kommen.
In einem Fortbildungsprogramm sehe ich
einen Kurs: „Kampfrhethorik“. Medizinstudenten erzählen mir, dass
sie in „Kohorten“ eingeteilt sind. Überall Begriffe, die an einen
Krieg erinnern. Ein Konzern verleibt sich den anderen in einer
„feindlichen Übernahme“ ein. Wirtschaftskampf statt Waffenkampf
also.
Wo bleibt das „Nie wieder
Krieg!“(unsrer Jugendtage?) Rückschritt statt Fortschritt? Auch im
„Kleinen“ erlebe ich es: Überlaute Mopeds umkreisen einen
Häuserblock dutzende Male im Fahrverbot. Da kann man heute wenig
öffentliche Hilfe dagegen erwarten. Unternehme ich persönlich etwas
dagegen, komme ich in die Gefahr, niedergeschlagen zu werden. Ein
ungebetener Streitschlichter in der U-Bahn wurde in einer deutschen
Stadt erschlagen.
Unbemerkt entwickeln wir uns zurück:
Die Starken setzen sich wieder durch. Das hatten wir doch schon?
Kultur und Zivilisation entwickelten die Sorge um den Schwachen. Der
Schutz des Schwachen unterscheidet uns von den Tieren. Das ist
typisch menschlich. Und das ist typisch christlich. Vorsicht, dass
dieser Fortschritt nicht verloren geht!
Sa, 12.02.2011
Schweigen
Nicht nur Worte wirken. Schweigen kann
viel-sagend sein. Schweigen schafft Platz in der Seele. Viele Worte
sind ein Zeichen dafür, dass „fremde Gäste“ das Innere besetzen.
Die alten Mystiker sprechen davon,
dass unsre Seele allein sein muss und schweigen muss, wenn sie Jesus
(Christus) hören will. Vor dem Reden steht das Hören. Leicht
verwechseln wir die Stimme Gottes mit den vielen anderen Stimmen,
die auf uns eindringen.
Gott kommt, wo man ihn einlässt. Wir
wissen aber nie, ob er noch oder schon da ist. Hörende und
schweigende Menschen sind fähig, den Worten entsprechend zu leben,
die die Bibel zu ihnen spricht und die sie als Gottes Zuspruch
erfahren. Schweigen tut not, um darin die Worte zu hören, die im
Moment wichtig sind. Schweigen wäre auch für die Kirche im Ganzen
heilsam. Schweigen ist für die Glaubensgemeinschaft ein Rüstzeug zur
Erneuerung. Da entstünde eine Kirche, die ruhig und leer wird für
das Wort Jesu. Eine Kirche, die nicht maßregelt, nicht befiehlt,
nicht anordnet und verurteilt. Es wäre eine Kirche, die andächtig
hinhört auf ihren Herrn. Aus einer solchen hörenden Kirche würden
die einzelnen Christen wieder mehr die Worte ihres Herrn und Bruders
Jesus Christus vernehmen. Als Lebenshilfe und Orientierung.