Morgengedanken

Sonntag,  6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr, 
ORF Regionalradios

 

 

 

„Einen Stein ins Rollen bringen“
von Pfarrer Michael Max (Neumarkt am Wallersee, Salzburg)

 

 

Sonntag, 20. März

In diesen Wochen vor Ostern werde ich wieder in einigen Schulen Gottesdienste zur Fastenzeit feiern. Eine Vorbereitung ist mir dabei besonders ins Auge gestochen. Sie trägt den Titel: Den Stein ins Rollen bringen. Auf jugendgerechte Weise werden dabei die großen Themen in den 40 Tagen vor Ostern mit dem Leben der Schülerinnen und Schüler verbunden. Fasten und Verzicht möchten in Bewegung bringen. Wenn ich spüre, dass mein Leben in den alten Bahnen nicht mehr weitergehen kann, dann muss ich Dinge verändern. Dazu ist es notwendig, zunächst die Bremsklötze des Lebens aufzuspüren und wegzuschaffen. Wenn ein Stein ins Rollen gebracht werden soll, dann muss ich zuerst einiges an Kraft aufwenden, und ich muss schauen, wo ich diese Kraft ansetze. Manche fasten, um etwas weniger rund zu sein, was ihren Körper betrifft. Der tiefere Sinn des Verzichtens läge aber gerade darin, rund zu werden im Leben.

 

 

 

Montag, 21. März

Wenn ich einen Stein ins Rollen bringen will, dann muss ich darauf achten, dass er sich nicht im Kreis dreht. Schon im alten Buch des Propheten Jesaja kann man lesen, dass es ein Fasten gibt, das zwar allen Ansprüchen und Geboten genüge tut, der Mensch dabei aber nur um sich selbst kreist. Es bleibt ein rein äußeres Tun, das folglich Gott auch nicht gefällt. Der Stein beginnt in die richtige Richtung zu rollen, wenn ich auch in die richtige Richtung schaue. Zur Zeit von Jesaja genauso wie heute geht es darum, Unrechtes als solches zu benennen und sich nicht davon fesseln zu lassen, aufzutreten, wo scheinbar große Mächte Menschen klein machen, Verantwortung zu übernehmen, wo andere Mangel leiden an Brot, an Heimat, an Aufmerksamkeit. Ich muss nicht die Welt aus den Angeln heben, aber jeder und jede von uns kann Ursache sein für eine positive Entwicklung, die sich mit der üblichen Blind- und Taubheit nicht abfindet.

 

 

 

Dienstag, 22. März

Manchmal ist der Grat schmal zwischen einem Stein, der ins Rollen gebracht, und einem  Stein, der geworfen wird. Seit  Monaten wird von hunderttausenden Menschen eine Welle des Protestes durch die Länder Nordafrikas getragen. Sie nahm ihren Ausgang, weil ein verzweifelter junger Student in Tunesien sich nicht länger mit der Ausweglosigkeit seiner Situation abfinden wollte. Ein Stein wurde ins Rollen gebracht, der den Weg zu einem  besseres Leben und Freiheit bedeuten kann. Er kann aber auch zum Gegenteil führen. Wer sich zum Aufstand erhebt, fährt volles Risiko. Und Gewaltfreiheit fordert Mut und Überzeugung. Wenn der Stein nicht mehr so rund rollt oder auf Widerstände trifft, ist die Versuchung groß, die Faust zu ballen, und den Stein zur Waffe werden zu lassen. Wo begonnen wird, Steine zu werfen, kann schnell zum Stillstand kommen, was Richtung Freiheit und Selbstbestimmung rollen sollte.

 

 

 

Mittwoch, 23. März

Was braucht es eigentlich, um einen Stein ins Rollen zu bringen? Muss das immer mit Erfahrung zu tun haben? Muss dabei immer schon von vorne herein genau berechnet sein, wie und wohin der Stein rollen wird? In der Vorbereitung auf einen Ostergottesdienst stoße ich auf Anna Maria Marschner aus Gmunden, die als junge Frau, gleich nach ihrer Matura nach Bolivien ging. Ihr Engagement in einem Elendsviertel der Stadt Santa Cruz hat eine Entwicklung in Gang gesetzt, die für viele ein besseres Leben bedeutet. Aus der Unterstützung für eine Familie ist das Projekt FAMUNDI entstanden. Heute nach zehn Jahren werden über 100 Familien betreut. Ihnen wird Lebensmut, Menschenwürde und Bildung ermöglicht. Ich freue mich, dass dieses Beispiel im Gottesdienst Platz findet. Es zeigt, dass gerade bei der Jugend zu finden ist, was uns alle wesentlich sein lässt: Mut, Fantasie und Gelassenheit.

 

 

 

Donnerstag, 24. März

Manche Strukturen unserer Gesellschaft scheinen gottgegeben und unveränderbar. Die Regeln des Wirtschaftens, die Logik des Marktes, und die zentrale Stellung des Geldes dabei gehören dazu. Oder kann sich jemand eine Welt ohne Geld vorstellen? In unserer Gemeinde wurde etwa vor etwa einem Jahr ein Stein ins Rollen gebracht, der sich Tauschkreis für Talente nennt. Es ist der Versuch, ein System des Wirtschaftens ohne Geld zu entwickeln. Das Vermögen eines Menschen ist das, was er kann und nicht in erster Linie das, was er hat. Erstes Ziel ist es nicht, Geld zu verdienen, und dabei geschickter und erfolgreicher zu sein als  andere. Im Mittelpunkt stehen die Talente des einzelnen, und damit der Mensch selber. Dieser Stein wurde von einigen wenigen Idealisten angepackt. Zuerst wurden sie noch belächelt, aber heute verfügt der Tauschkreis über ein ansehnliches und vielfältiges Angebot. Vor allem ist dadurch aber gewachsen, was durch Geld alleine nie wachsen kann: Ein kräftiges Netzwerk zwischenmenschlicher Beziehungen.

 

 

 

Freitag, 25. März

Wenn ein Stein ins Rollen gebracht werden soll, dann vor allem dort, wo etwas in die falsche Richtung läuft. Ein Thema, das einem dabei gleich einmal einfällt, ist das Zusammenleben von Menschen aus unterschiedlichen Kulturen. Einen Beitrag dazu, der sich in die richtige Richtung bewegt, wollten wir mit der Gründung eines interkulturellen Gartens leisten. Die Idee ist einfach: Garteln kann jeder und jede. Und wenn in einem Garten Beete nebeneinander liegen, dann ist es auch naheliegend, einander zu helfen und voneinander zu lernen. Unsere Kurzformel lautet: „Durch das Garteln kommen die Menschen zusammen.“ Je vielfältiger die Kulturen der Menschen, umso vielfältiger ist auch, was im Garten wächst. Und weil die Freude über die Ernte auch geteilt werden will, gibt es jetzt nach drei Jahren bereits gemeinsame Erntedankfeste. Barrieren, die zuerst unüberwindlich schienen, lösen sich auf, ein neues Miteinander entsteht. Der Stein ist ins Rollen gebracht, und nun bewegt sich vieles in die richtige Richtung.

 

 

 

Samstag, 26. März

„Den Stein ins Rollen bringen“ ist eine Metapher, die vieles zum Ausdruck bringt, was in den vierzig Tagen vor Ostern einen Unterschied zur restlichen Zeit des Jahres machen kann. Gerade deshalb ist der ins Rollen gebrachte Stein aber vor allem ein österliches Bild. Am Beginn der Ostergeschichte liegt der Stein, den Gott selber ins Rollen gebracht hat. „Wer wird uns den Stein vom Grab wegrollen?“, fragen sich am Ostermorgen die Frauen, als gerade die Sonne aufging und sie unterwegs zur Begräbnisstätte von Jesus waren. Der Stein, der das Grab Jesu verschloss, war nicht der Schlusspunkt, das Scheitern und der Tod waren nicht das Ende. Gott hat einen Stein ins Rollen gebracht, den Weg dafür frei gemacht, dass unsere Hoffnungen und Träume Leben haben. Vierzig Tage um zu Fasten und so neu zu finden, was wesentlich ist für unser Dasein. Steine ins Rollen zu bringen ist wesentlich. Steine, die sprengen, was Angst und eng macht. Steine, die den Weg ebnen für das Leben.