„Einen Stein
ins Rollen bringen“ von
Pfarrer Michael Max (Neumarkt am Wallersee, Salzburg)
Sonntag, 20. März
In diesen
Wochen vor Ostern werde ich wieder in einigen Schulen Gottesdienste
zur Fastenzeit feiern. Eine Vorbereitung ist mir dabei besonders ins
Auge gestochen. Sie trägt den Titel: Den Stein ins Rollen bringen.
Auf jugendgerechte Weise werden dabei die großen Themen in den 40
Tagen vor Ostern mit dem Leben der Schülerinnen und Schüler
verbunden. Fasten und Verzicht möchten in Bewegung bringen. Wenn ich
spüre, dass mein Leben in den alten Bahnen nicht mehr weitergehen
kann, dann muss ich Dinge verändern. Dazu ist es notwendig, zunächst
die Bremsklötze des Lebens aufzuspüren und wegzuschaffen. Wenn ein
Stein ins Rollen gebracht werden soll, dann muss ich zuerst einiges
an Kraft aufwenden, und ich muss schauen, wo ich diese Kraft
ansetze. Manche fasten, um etwas weniger rund zu sein, was ihren
Körper betrifft. Der tiefere Sinn des Verzichtens läge aber gerade
darin, rund zu werden im Leben.
Montag, 21. März
Wenn ich einen
Stein ins Rollen bringen will, dann muss ich darauf achten, dass er
sich nicht im Kreis dreht. Schon im alten Buch des Propheten Jesaja
kann man lesen, dass es ein Fasten gibt, das zwar allen Ansprüchen
und Geboten genüge tut, der Mensch dabei aber nur um sich selbst
kreist. Es bleibt ein rein äußeres Tun, das folglich Gott auch nicht
gefällt. Der Stein beginnt in die richtige Richtung zu rollen, wenn
ich auch in die richtige Richtung schaue. Zur Zeit von Jesaja
genauso wie heute geht es darum, Unrechtes als solches zu benennen
und sich nicht davon fesseln zu lassen, aufzutreten, wo scheinbar
große Mächte Menschen klein machen, Verantwortung zu übernehmen, wo
andere Mangel leiden an Brot, an Heimat, an Aufmerksamkeit. Ich muss
nicht die Welt aus den Angeln heben, aber jeder und jede von uns
kann Ursache sein für eine positive Entwicklung, die sich mit der
üblichen Blind- und Taubheit nicht abfindet.
Dienstag, 22. März
Manchmal ist
der Grat schmal zwischen einem Stein, der ins Rollen gebracht, und
einem Stein, der geworfen wird. Seit Monaten wird von
hunderttausenden Menschen eine Welle des Protestes durch die Länder
Nordafrikas getragen. Sie nahm ihren Ausgang, weil ein verzweifelter
junger Student in Tunesien sich nicht länger mit der Ausweglosigkeit
seiner Situation abfinden wollte. Ein Stein wurde ins Rollen
gebracht, der den Weg zu einem besseres Leben und Freiheit bedeuten
kann. Er kann aber auch zum Gegenteil führen. Wer sich zum Aufstand
erhebt, fährt volles Risiko. Und Gewaltfreiheit fordert Mut und
Überzeugung. Wenn der Stein nicht mehr so rund rollt oder auf
Widerstände trifft, ist die Versuchung groß, die Faust zu ballen,
und den Stein zur Waffe werden zu lassen. Wo begonnen wird, Steine
zu werfen, kann schnell zum Stillstand kommen, was Richtung Freiheit
und Selbstbestimmung rollen sollte.
Mittwoch, 23.
März
Was braucht es
eigentlich, um einen Stein ins Rollen zu bringen? Muss das immer mit
Erfahrung zu tun haben? Muss dabei immer schon von vorne herein
genau berechnet sein, wie und wohin der Stein rollen wird? In der
Vorbereitung auf einen Ostergottesdienst stoße ich auf Anna Maria
Marschner aus Gmunden, die als junge Frau, gleich nach ihrer Matura
nach Bolivien ging. Ihr Engagement in einem Elendsviertel der Stadt
Santa Cruz hat eine Entwicklung in Gang gesetzt, die für viele ein
besseres Leben bedeutet. Aus der Unterstützung für eine Familie ist
das Projekt FAMUNDI entstanden. Heute nach zehn Jahren werden über
100 Familien betreut. Ihnen wird Lebensmut, Menschenwürde und
Bildung ermöglicht. Ich freue mich, dass dieses Beispiel im
Gottesdienst Platz findet. Es zeigt, dass gerade bei der Jugend zu
finden ist, was uns alle wesentlich sein lässt: Mut, Fantasie und
Gelassenheit.
Donnerstag, 24. März
Manche
Strukturen unserer Gesellschaft scheinen gottgegeben und
unveränderbar. Die Regeln des Wirtschaftens, die Logik des Marktes,
und die zentrale Stellung des Geldes dabei gehören dazu. Oder kann
sich jemand eine Welt ohne Geld vorstellen? In unserer Gemeinde
wurde etwa vor etwa einem Jahr ein Stein ins Rollen gebracht, der
sich Tauschkreis für Talente nennt. Es ist der Versuch, ein System
des Wirtschaftens ohne Geld zu entwickeln. Das Vermögen eines
Menschen ist das, was er kann und nicht in erster Linie das, was er
hat. Erstes Ziel ist es nicht, Geld zu verdienen, und dabei
geschickter und erfolgreicher zu sein als andere. Im Mittelpunkt
stehen die Talente des einzelnen, und damit der Mensch selber.
Dieser Stein wurde von einigen wenigen Idealisten angepackt. Zuerst
wurden sie noch belächelt, aber heute verfügt der Tauschkreis über
ein ansehnliches und vielfältiges Angebot. Vor allem ist dadurch
aber gewachsen, was durch Geld alleine nie wachsen kann: Ein
kräftiges Netzwerk zwischenmenschlicher Beziehungen.
Freitag, 25. März
Wenn ein Stein
ins Rollen gebracht werden soll, dann vor allem dort, wo etwas in
die falsche Richtung läuft. Ein Thema, das einem dabei gleich einmal
einfällt, ist das Zusammenleben von Menschen aus unterschiedlichen
Kulturen. Einen Beitrag dazu, der sich in die richtige Richtung
bewegt, wollten wir mit der Gründung eines interkulturellen Gartens
leisten. Die Idee ist einfach: Garteln kann jeder und jede. Und wenn
in einem Garten Beete nebeneinander liegen, dann ist es auch
naheliegend, einander zu helfen und voneinander zu lernen. Unsere
Kurzformel lautet: „Durch das Garteln kommen die Menschen zusammen.“
Je vielfältiger die Kulturen der Menschen, umso vielfältiger ist
auch, was im Garten wächst. Und weil die Freude über die Ernte auch
geteilt werden will, gibt es jetzt nach drei Jahren bereits
gemeinsame Erntedankfeste. Barrieren, die zuerst unüberwindlich
schienen, lösen sich auf, ein neues Miteinander entsteht. Der Stein
ist ins Rollen gebracht, und nun bewegt sich vieles in die richtige
Richtung.
Samstag, 26. März
„Den Stein ins
Rollen bringen“ ist eine Metapher, die vieles zum Ausdruck bringt,
was in den vierzig Tagen vor Ostern einen Unterschied zur restlichen
Zeit des Jahres machen kann. Gerade deshalb ist der ins Rollen
gebrachte Stein aber vor allem ein österliches Bild. Am Beginn der
Ostergeschichte liegt der Stein, den Gott selber ins Rollen gebracht
hat. „Wer wird uns den Stein vom Grab wegrollen?“, fragen sich am
Ostermorgen die Frauen, als gerade die Sonne aufging und sie
unterwegs zur Begräbnisstätte von Jesus waren. Der Stein, der das
Grab Jesu verschloss, war nicht der Schlusspunkt, das Scheitern und
der Tod waren nicht das Ende. Gott hat einen Stein ins Rollen
gebracht, den Weg dafür frei gemacht, dass unsere Hoffnungen und
Träume Leben haben. Vierzig Tage um zu Fasten und so neu zu finden,
was wesentlich ist für unser Dasein. Steine ins Rollen zu bringen
ist wesentlich. Steine, die sprengen, was Angst und eng macht.
Steine, die den Weg ebnen für das Leben.