von Pfarrerin Mag.a Margit Geley (Großgmain, Salzburg)
Sonntag, 10.4.2011
Als ich vor 15 Jahren ordiniert wurde, da wurden mir die Hände zum
Segen aufgelegt und ich wurde ins Amt einer Pfarrerin berufen. Und
was mich damals bewegt hat, berührt mich nach all den Jahren wieder.
„Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig“ (2. Kor 12/9).
Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig – verspricht Gott mir. So
wie ich bin, mit all meinen Fehlern, darf ich Pfarrerin sein. So wie
ich bin, mit all meinen Stärken und Schwächen, so wollte mich Gott,
so hat er mich erschaffen. In mich, in Sie hat Gott sogar einen Teil
von sich selbst gelegt.
Wenn ich mich also ärgere über meine Schwächen - und heute kenne ich
diese Schwächen sehr viel deutlicher als noch vor 15 Jahren – wenn
ich mich also darüber ärgere, oder mich dafür schäme, wenn mir meine
Schwächen besonders deutlich vor Augen stehen: Dann, gerade dann
darf ich mir sagen lassen: Gott hat mich so erschaffen! Und Gott
sagt zu mir: Gerade in deiner Schwachheit bin ich mächtig. Gerade
durch dich will ich Menschen berühren.
Dieses Versprechen gibt meinem Leben große Freiheit, denn ich muss
mich nicht für mich entschuldigen, ich darf zu mir stehen und
wissen, dass ich es wert bin angenommen zu werden.
Montag, 11.4.2011
Die neue Woche beginnt und ich denke an eine kleine Schülerin, die
immer zu mir sagt: „Montag ist mein liebster Tag!“ Und sie meint
damit, dass sie sich so sehr auf den Religionsunterricht freut und
darauf, mich zu sehen. Ich bin ihre Lehrerin, ich habe viel Macht in
den Händen. Sie kann es nicht wirklich beeinflussen, wie ich meinen
Unterricht gestalte. Ich könnte ihr Angst machen mit einem Gott, der
alles sieht. Ich könnte ihr Stress machen, dass ihr Heft besonders
schön, ihre Bilder besonders bunt und kreativ gemalt sein müssen.
Ich habe die Macht und ich werde sie nicht los. Bei meinen eigenen
Kindern habe ich fast Allmacht – sie denken noch, dass ich alles
kann. Sie erwarten, dass ich ihnen alles gebe, was sie zum Leben
brauchen. Durch mich lernen meine Kinder die Welt kennen, so stellt
sie sich ihnen dar, wie ich sie vorlebe.
Ich habe Macht, manchmal so viel, dass es mir fast Angst bereitet.
Ich werde diese Macht nicht los, ich kann nur verantwortlich damit
umgehen.
Ich denke noch mal an meine kleine Schülerin. Sie liebt Religion,
weil ich nett zu ihr bin und weil ich ihr erzähle, dass Gott sie
annimmt und ihr Raum lässt. Dieses kleine Mädchen weiß nichts davon,
dass es lange Zeit Menschen gab, die sich vor Gott fürchten mussten.
Dienstag, 12.4.2011
Heute möchte ich mit ihnen über die Noahgeschichte nachdenken. Die
Geschichte spielt in der Bibel. Die Menschen lebten so, dass es Gott
gar nicht gefallen hat. Also beschließt Gott in der Geschichte alle
Menschen zu vernichten, denn so hatte er sich das nicht vorgestellt,
dass die Menschen so werden würden. Und schon während dieses
Entschlusses, die Erde zu vernichten, tut es Gott in der Geschichte
leid um Noah und um seine Familie und um alle Tiere. So baut Noah
die Arche – ein großes Schiff, die Tiere ziehen ein und auch Noah
mit seiner Familie. Es kommt eine große Flut, und die Arche gibt
Schutz und sie überleben. Alle anderen sterben.
Gott benutzt seine Macht – so erzählt es die Geschichte. Aber nach
der Flut gibt Gott ein Versprechen ab: Egal wie die Menschen in
Zukunft sein werden, er wird diese Macht nicht mehr verwenden – er
wird die Menschen nie mehr vernichten und der Regenbogen soll das
Zeichen dafür sein.
Der Gedanke, dass Gott mit seiner Allmacht bestraft und Angst macht
und auf diesem Weg Menschen zum „Gut-Sein“ bringen will – diesen
Gedanken hat es lange gegeben. Die Geschichte von Noah erzählt
jedoch: Gott verzichtet auf Macht! Angst vor einem Gott, der
bestraft ist im wahrsten Sinn des Wortes: vor-sintflutlich!
Mittwoch, 13.4.2011
Wenn ich in dieser Woche vor dem Palmsonntag über Macht und
Machtlosigkeit nachdenke, dann denke ich auch an Mahatma Gandhi. Er
hat in Indien gelebt und ist 1948 verstorben. Er war überzeugt, dass
Veränderungen nur durch gewaltlosen Widerstand möglich sein können.
Ein Zitat von ihm gefällt mir besonders gut: „Der Schwache kann
nicht verzeihen. Verzeihen ist eine Eigenschaft des Starken.“
In meinem Leben gibt es genug Notwendigkeiten um Verzeihung zu
bitten. All die kleinen Achtlosigkeiten, all die kleinen
Missverständnisse, die das Zusammenleben mit sich bringt. All die
kleinen Übergriffe, die im Miteinander passieren – die fallen mir
ein. Ich verletze und entschuldige mich. Aber genauso werde ich
verletzt und muss die Bitte um Verzeihung annehmen können. Beides
ist oft schwer.
„Verzeihen ist eine Eigenschaft des Starken“, meint Gandhi und ich
finde diesen Satz sehr richtig und sehr ermutigend. Er gibt mir die
Erlaubnis, meine Fehler und die der anderen anzunehmen als Teil des
Lebens.
Donnerstag, 14.4.2011
„Gott ist zu höflich, um die Tür aufzubrechen“, das hat Martin
Luther King einmal gesagt. Gott poltert nicht in unser Leben, wenn
wir ihn nicht einladen. Gott beweist sich nicht selbst. Er zwingt
sich uns nicht auf. Gott verzichtet auf seine Macht. Ich versuche
mir manchmal vorzustellen, wie das sein muss. Wie es ist, sich so
sehr zurückzunehmen.
So im Alltag ist es ja schon nicht leicht auszuhalten, dass ich
nicht alles in der Hand habe. Es ist schwer, wenn ich etwas für gut
und richtig halte und dann sehe, dass es so nicht gemacht wird –
vielleicht geht es ihnen ja auch manchmal so. Ich spüre dann Gefühle
von Ohnmacht, die nicht so leicht zu ertragen sind. Das können ganz
kleine Dinge sein, die in einer Familie täglich vielfach vorkommen –
wer kennt das nicht: Die Jacke, die wieder nicht angezogen wurde,
obwohl es viel zu kalt ist; das Geschirr, das niemand wegräumt außer
mir; die Stifte, die am Boden liegen; das Spielzeug, das draußen im
Regen vergessen wird – alles Reden scheinbar umsonst.
So leicht ist es dann zu poltern, zu toben, zu schimpfen – und im
selben Augenblick zu wissen, dass sich dadurch gar nichts ändert.
Mit Macht eingreifen ändert nichts und trotzdem ist es so schwer.
Da ist es gut, sich Gott vor Augen zu halten und die Frage, wie es
für Gott wohl ist, sich für die Ohnmacht in Liebe zu entscheiden.
Freitag, 15.4.2011
Jesus hatte viel Einfluss auf Menschen, sie haben ihm zugehört und
sind ihm gefolgt. Manche haben auf sein Wort hin ihr gesamtes Leben
verändert, sie haben ihre Familie verlassen, ihren Beruf aufgegeben.
Jesus hatte Einfluss und Macht.
Wenn man in Israel damals eingeladen war, dann konnte man sich am
Eingang des Hauses die Füße waschen, denn die waren ganz heiß und
staubig. Ein Diener stand dann dort mit frischem Wasser und Tüchern
– danach legte man sich zum Essen. Jesus war mit seinen Freunden und
Freundinnen auch immer wieder eingeladen, und einmal fehlte dieser
Diener am Eingang. Alle legten sich mit schmutzigen Füßen um den
Tisch herum – vielleicht ein bisschen peinlich berührt über diesen
Fehler des Gastgebers. Dann nahm Jesus den Wasserkrug und die Tücher
und ist von einer zum anderen gegangen und hat ihm die Füße
gewaschen.
Ich stelle mir vor, wie sich das angefühlt haben mag – eine so
wichtige Person übernimmt so einen Dienst – vielleicht hätte ich
sagen wollen: Entschuldige, lass mich das machen, das ist doch nicht
notwendig, das musst du nicht machen.
Jesus hatte Einfluss und Macht und er hat deutlich gezeigt, wie er
mit dieser Macht umgeht: Jesus verzichtet auf seine Macht – er gibt
seine Macht auf!
Samstag, 16.4.2011
In dieser Woche haben mich viele Gedanken zum Thema Macht begleitet.
Ich habe Macht und ich kann mich von ihr nicht trennen. Wie ich mit
meiner Macht allerdings umgehe, das kann ich entscheiden.
Ich habe erkannt, dass Gott auf seine Macht verzichtet, damit ich
frei leben kann. Auch habe ich verstanden, dass Gott ohne Groll auf
seine Macht verzichtet. Das möchte ich mir zum Vorbild nehmen. Denn
ich sehe, dass der Verzicht auf Machtausübung viele Türen öffnet.
Ohnmacht aushalten, nicht eingreifen nach meiner Vorstellung – all
das ist Zeichen von Stärke, all das ist Zeichen von Liebe. Indem ich
zulasse, dass ein anderer Mensch seinen eigenen Weg geht, sich auf
seine eigene Art entwickelt, indem ich das zulasse, zeige ich ihm
meine Zuneigung.
Mich auf meine Macht berufen, jemanden unter Druck setzen, damit
mein Wille geschieht, all das ist vorsintflutlich und trotzdem
wahrscheinlich immer wieder Teil unseres Alltags.
Maria Montessori hat einmal über den Unterricht für Kinder
geschrieben: „Die Aufgabe der Umgebung ist es nicht, das Kind zu
formen, sondern ihm zu erlauben, sich zu offenbaren.“
Das wünsche ich mir auch für mein eigenes Leben. Dass mir so viel
Vertrauen entgegen gebracht wird, dass es mir erlaubt ist, mich zu
offenbaren.