Morgengedanken
Sonntag, 6.05 Uhr -
6.08 Uhr,
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr,
ORF Regionalradios
von Christine Sommer (Wien)
Ostersonntag, 24.4.2011
Luise Rinser, eine der erfolgreichsten
christlichen Schriftstellerinnen, die jetzt am 30. April 100 Jahre
alt geworden wäre, beschreibt in ihrem bekannten Roman "Mirjam" wie
Maria von Magdala am Ostermorgen zum Grab von Jesus geht:
"Es war noch fast dunkel. Die Stadt
schlief noch. So kamen wir zum Grab. Wer soll mir nun den Stein
wegrollen? Da sah ich im Olivenhain einen Mann. Als er noch etwas
näher kam, hielt ich ihn für einen Arbeiter, einen Gärtner. Doch zu
so früher Stunde? Mirjam! Das war seine Stimme. Da erkannte ich ihn.
Rabbi! Ich fiel ihm zu Füßen und lachte und weinte in einem und war
außer mir vor Freude. Höre ich gebe Dir einen Auftrag, geh zu den
andern. Sag ihnen, dass Du mich gesehen hast."[1]
Was bedeutet es zu glauben? Mit dieser
Frage setzte sich Luise Rinser in ihren Büchern immer wieder
auseinander.
Glauben hieß für sie unter anderem: "Von Krise zu Krise geschleudert
werden, in die dunkle Nacht gerufen sein und dennoch in der Hoffnung
bleibend"[2].
So wie Mirjam von Magdala, die an diesem Ostermorgen aus der
Verzweiflung über Jesu Tod am Kreuz herausgerissen wird und in der
Begegnung mit dem Auferstandenen eine tiefe Verbundenheit erfährt,
die sie ermutigt, hinaus zu gehen und - gegen alle Widerstände - zu
verkünden. "Jesus lebt!"
Ostermontag, 25.4.2011
Religion bedeutete für die
Schriftstellerin Luise Rinser - sich in Liebe verbunden fühlen mit
dem Universum oder wie sie es auch ausdrückte: "Liebe zu allem und
jedem, zum Ganzen, zum Sein und allem Seienden"[3]
Der Gedanke, dass alle Gegensätze in
Gott zusammenfielen, faszinierte Rinser zeitlebens. Sie meinte "es
gibt keine Gegensätze in der Welt; es gibt nur Polaritäten. Der Tag
ist nicht Tag, wenn es keine Nacht gibt, das Leben ist nicht das
Leben, wenn es nicht den Tod gibt, eins ist im andern
eingeschlossen, eines wird zum andern, alles wandelt sich."[4]
Und Gott nannte Luise Rinser, den
unermesslichen Energiestrom Liebe, aus dem die Schöpfung
hervorgegangen sei und unser kleines Leben auch wieder hingehe. Gott
sei der "Weltgeist", sei Bewegung, Licht, Leben und Energie.
Auch wenn Luise Rinser im Christentum
verwurzelt war, so waren dennoch für sie die Grenzen zu anderen
Religionen fließend:
So stimmte sie etwa mit dem Dalai
Lama, den sie interviewte, überein, dass sich religiös nur der
nennen darf, der an der Bewahrung der Schöpfung mitarbeitet.
Und ebenso konnte sie sich mit der
hinduistischen Weisheit identifizieren: "Gott schläft in den
Steinen, atmet in den Pflanzen, träumt in den Tieren und will in uns
Menschen erwachen". Ein guter Gedanke finde ich - gerade am heutigen
Ostermontag.
Dienstag, 26.4.2011
Luise Rinser hat in ihren Werken auch
immer wieder über die Liebe geschrieben, über die Liebe zu den
Menschen und zum Leben.
Für sie war Lieben "eine kreative
Haltung"[5]:
den Menschen anhören, wenn er klagt; ihm antworten, wenn er fragt;
ihn annehmen, wenn er sich verlassen und verloren glaubt, um ihn
dann frei sich wieder selbst zu geben.
Sie meinte, wenn man liebe, wirklich
tief liebe, frage man nicht, ob das Sinn habe. "Der Sinn der Liebe
ist die Liebe wie der Sinn des Lebens das Leben ist."[6].
Und doch fragte sie, gäbe es etwas
Härteres als zu lieben, ausschließlich, vorbehaltlos, glühend, ohne
Berechnung, ohne Erwartung, ohne eine Möglichkeit des Rückzugs?
Einmal beklagte Luise Rinser, dass
Liebe nie als Lebensleistung anerkannt werde. Denn vermutlich zähle
wirklich nur das - zu lieben.
Ihre Menschenliebe prägte auch ihre
politische Gesinnung: "Leiden mit den Unterdrückten und ein weniges
leisten an Aufstand und Widerstand."[7]
In ihrer Forderung nach Gerechtigkeit versuchte sie etwa ganz
konkret, Christentum und Sozialismus in Einklang zu bringen,
Luise Rinser war, wie Erich Fromm es
nannte „biophil“: „"Das Leben liebend, ins Leben verliebt.
Lebens-fromm. Trotz allem."[8]
Mittwoch, 27.4.2011
Für Luise Rinser war das Gebet, das
Gespräch mit Gott, die Quelle des Lebens.
Wenn sie betete, erfuhr sie die
wortlose Antwort Gottes; fühlte sich plötzlich getröstet.
Die Erfahrung intensiven Betens
beschreibt Luise Rinser so: "Mit einem Mal eine eigentümliche Wärme
fühlen, so als ob jemand neben einen tritt. Licht, das mit innerem
Auge oder mit der Haut wahrgenommen wird."
Manchmal klagte sie auch: "Du ganz
Verborgener, wunderst du dich nicht über uns, dass wir dir
vertrauen, wenn Du unsere Bitten überhörst , wenn du ganz
Ungeheuerliches verlangst von uns: Zu glauben, dass Licht ist, wo
doch Finsternis ist; zu glauben, dass Liebe ist, wo eins das andre
frisst; Geborgenheit, wo nur Verlassenheit ist. Wunderst du dich
nicht, dass wir das leisten: Zu leben?"[9]
Aber neben dem persönlichen Gebet nannte sie auch "Das Beten in
fremden, in alten, erprobten, gültigen Worten wie in Psalmen und
Messtexten gut; das Private werde darin eingeschmolzen, das
Persönliche erhalte in der geweihten Tradition tiefere und reinere
Bedeutung."[10]
Und sie gab den Rat: "Bete und Du wirst entdecken, dass Beten Sinn
hat und anders als durch beten wirst Du es nie erfahren".
Donnerstag, 28.4.2011
Eine lebenslange Aufgabe für Luise
Rinser war ihr Einsatz für den Frieden:
Nur was dem Leben diene und dem
Frieden, sei heilig: Menschenliebe, Gerechtigkeit und Duldsamkeit.
Manchmal verzweifelte sie an der
Menschheit, wenn sie etwa schreibt: "Immer wieder die gleiche
Schizophrenie: Man redet vom Frieden und produziert weiter Waffen."[11]
"Wenn wir daran glaubten, dass der
Geist stärker ist als Waffen! Wir glauben es nicht, das ist unser
Untergang - wenn wir nicht im letzten Augenblick den Mut zum Glauben
an die Welt verwandelnde Kraft des Geistes finden."[12]
Und literarisch verarbeitete sie die
Sehnsucht nach dem Frieden z.B. in ihrem Roman "Mirjam" so:
"Glaubte ich denn noch ans verheißene
Friedensreich, oder hielt ich mich nur fest an diesem Glauben, weil
ich ohne ihn ins Leere stürzen würde? Das Rad drehte sich und drehte
sich und brachte nichts Neues und tauchte immer tiefer ins Dunkel,
und keiner war da, das Drehen und Sinken aufzuhalten.
Doch wenn das Dunkel am schwärzesten
ist, und der Pfad sich verliert, dann ist er nahe, der Gott, nimmt
die Gestalt eines Menschen an, denn nur als Mensch kann der Gott den
Menschen helfen.
So bleibe ich denn, und bin nichts
mehr als das Warten auf das Friedensreich."[13]
Freitag, 29.4.2011
Befragt nach der Freiheit des
Menschen, meinte die Schriftstellerin Luise Rinser:
"Eigentlich ist es mir gleichgültig,
ob ich mich für frei oder nicht frei halten soll, fühl ich doch,
dass ich beides bin in geheimnisvoller Verzahnung. Wisst ihr denn
nicht, dass Freiheit Gnade ist und dass ihr Gnade braucht, um
Freiheit als Freiheit zu erkennen und dass man Gnade nur in Freiheit
annehmen kann. Was für ein langweiliger Gott wäre das, der ein
Wesen, Mensch genannt, hätte schaffen mögen, das er gängeln könnte
wie einen blinden lahmenden Karrengaul. Ein Gott, der nicht auch
überrascht werden wollte von unseren Rösselsprüngen und unserem
plötzlichen Durchgehen oder unserer ganz unvermuteten Lammfrommheit.
Ich für meinen Teil, frei oder nicht, habe meine Unfreiheit zu
meiner Freiheit, meine Freiheit zu meiner Unfreiheit gemacht;
großmütig leichtsinnig überlasse ich mich einer Führung, die
ihrerseits großmütig und leichtsinnig genug ist, mich an sehr langer
Leine zu halten. Dann bleibt mir die schönste aller Freiheiten:
Stolz liebend zu gehorchen."[14]
Und manchmal war ihr, als flöge sie
hoch über all diese Fragen in eine große Weite hinein - in die
Freiheit der Kinder Gottes, denen alles erlaubt ist und die doch
nicht alles tun wollen, was sie könnten.
Samstag, 30.4.2011
Wie im Leben der meisten Menschen, gab
es auch bei Luise Rinser dunkle Zeiten, Zeiten der Schwermut, der
Krankheit, der Verzweiflung.
Echte Verzweiflung bezeichnete sie als
den Verlust jeder Kommunikation mit der Welt, mit den Menschen, mit
Gott.
Die Hölle seien nicht die anderen, wie
der französische Philosoph Jean Paul Sartre sagt, sondern das Fehlen
der anderen. Hölle ist nicht heiß, sondern eiskalt. Nicht leben,
nicht fühlen, nicht lieben, das sei Hölle, schreibt Luise Rinser.
Die Erfahrung aber, dass der Tunnel
nicht endlos ist und dass Gott da und nur für eine Weile verborgen
ist, lässt hoffen und glauben, "dass doch alles Verlorene sich
wieder findet, alles Abgerissene neu sich knüpft, alles Verworrene
unversehens sich klärt, das ewig Ganze sich ahnen lässt."[15]
Auch der Tod sei Teil dieses Ganzen,
schreibt Rinser: "Er ist nicht das nein zum Leben, nicht der
absolute Gegensatz und feindliche Widerspruch, sondern der andere
Pol: Er ist gut, er ist nötig. Er gehört zum Leben."[16]
Das Sterben sei Verwandlung in einen anderen Zustand: "Denn es gibt
nichts Totes. Etwas, das ist, kann nicht zu Nichts werden."[17]
Alles Leben kehre heim ins Licht.
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