Morgengedanken

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ORF Regionalradios

 

 

 

von Christine Sommer (Wien)

 

 

Ostersonntag, 24.4.2011

Luise Rinser, eine der erfolgreichsten christlichen Schriftstellerinnen, die jetzt am 30. April 100 Jahre alt geworden wäre, beschreibt in ihrem bekannten Roman "Mirjam" wie Maria von Magdala am Ostermorgen zum Grab von Jesus geht:

"Es war noch fast dunkel. Die Stadt schlief noch. So kamen wir zum Grab. Wer soll mir nun den Stein wegrollen? Da sah ich im Olivenhain einen Mann. Als er noch etwas näher kam, hielt ich ihn für einen Arbeiter, einen Gärtner. Doch zu so früher Stunde? Mirjam! Das war seine Stimme. Da erkannte ich ihn. Rabbi! Ich fiel ihm zu Füßen und lachte und weinte in einem und war außer mir vor Freude. Höre ich gebe Dir einen Auftrag, geh zu den andern. Sag ihnen, dass Du mich gesehen hast."[1]

Was bedeutet es zu glauben? Mit dieser Frage setzte sich Luise Rinser in ihren Büchern immer wieder auseinander.

Glauben hieß für sie unter anderem: "Von Krise zu Krise geschleudert werden, in die dunkle Nacht gerufen sein und dennoch in der Hoffnung bleibend"[2]. So wie Mirjam von Magdala, die an diesem Ostermorgen aus der Verzweiflung über Jesu Tod am Kreuz herausgerissen wird und in der Begegnung mit dem Auferstandenen eine tiefe Verbundenheit erfährt, die sie ermutigt, hinaus zu gehen und - gegen alle Widerstände - zu verkünden. "Jesus lebt!"

 

 

Ostermontag, 25.4.2011

Religion bedeutete für die Schriftstellerin Luise Rinser - sich in Liebe verbunden fühlen mit dem Universum oder wie sie es auch ausdrückte: "Liebe zu allem und jedem, zum Ganzen, zum Sein und allem Seienden"[3]

Der Gedanke, dass alle Gegensätze in Gott zusammenfielen, faszinierte Rinser zeitlebens. Sie meinte "es gibt keine Gegensätze in der Welt; es gibt nur Polaritäten. Der Tag ist nicht Tag, wenn es keine Nacht gibt, das Leben ist nicht das Leben, wenn es nicht den Tod gibt, eins ist im andern eingeschlossen, eines wird zum andern, alles wandelt sich."[4]

Und Gott nannte Luise Rinser, den unermesslichen Energiestrom Liebe, aus dem die Schöpfung hervorgegangen sei und unser kleines Leben auch wieder hingehe. Gott sei der "Weltgeist", sei Bewegung, Licht, Leben und Energie.

Auch wenn Luise Rinser im Christentum verwurzelt war, so waren dennoch für sie die Grenzen zu anderen Religionen fließend:

So stimmte sie etwa mit dem Dalai Lama, den sie interviewte, überein, dass sich religiös nur der nennen darf, der an der Bewahrung der Schöpfung mitarbeitet.

Und ebenso konnte sie sich mit der hinduistischen Weisheit identifizieren: "Gott schläft in den Steinen, atmet in den Pflanzen, träumt in den Tieren und will in uns Menschen erwachen". Ein guter Gedanke finde ich - gerade am heutigen Ostermontag.

 

 

Dienstag, 26.4.2011

Luise Rinser hat in ihren Werken auch immer wieder über die Liebe geschrieben, über die Liebe zu den Menschen und  zum Leben.

Für sie war Lieben "eine kreative Haltung"[5]: den Menschen anhören, wenn er klagt; ihm antworten, wenn er fragt; ihn annehmen, wenn er sich verlassen und verloren glaubt, um ihn dann frei sich wieder selbst zu geben.

Sie meinte, wenn man liebe, wirklich tief liebe, frage man nicht, ob das Sinn habe. "Der Sinn der Liebe ist die Liebe wie der Sinn des Lebens das Leben ist."[6].

Und doch fragte sie, gäbe es etwas Härteres als zu lieben, ausschließlich, vorbehaltlos, glühend, ohne Berechnung, ohne Erwartung, ohne eine Möglichkeit des Rückzugs?

Einmal beklagte Luise Rinser, dass Liebe nie als Lebensleistung anerkannt werde. Denn vermutlich zähle wirklich nur das - zu lieben.

Ihre Menschenliebe prägte auch ihre politische Gesinnung: "Leiden mit den Unterdrückten und ein weniges leisten an Aufstand und Widerstand."[7] In ihrer Forderung nach Gerechtigkeit versuchte sie etwa ganz konkret, Christentum und Sozialismus in Einklang zu bringen,

Luise Rinser war, wie Erich Fromm es nannte „biophil“: „"Das Leben liebend, ins Leben verliebt. Lebens-fromm. Trotz allem."[8]

 

 

Mittwoch, 27.4.2011

Für Luise Rinser war das Gebet, das Gespräch mit Gott, die Quelle des Lebens.

Wenn sie betete, erfuhr sie die wortlose Antwort Gottes; fühlte sich plötzlich getröstet.

Die Erfahrung intensiven Betens beschreibt Luise Rinser so: "Mit einem Mal eine eigentümliche Wärme fühlen, so als ob jemand neben einen tritt. Licht, das mit innerem Auge oder mit der Haut wahrgenommen wird."

Manchmal klagte sie auch: "Du ganz Verborgener, wunderst du dich nicht über uns, dass wir dir vertrauen, wenn Du unsere Bitten überhörst , wenn du ganz Ungeheuerliches verlangst von uns: Zu glauben, dass Licht ist, wo doch Finsternis ist; zu glauben, dass Liebe ist, wo eins das andre frisst; Geborgenheit, wo nur Verlassenheit ist. Wunderst du dich nicht, dass wir das leisten: Zu leben?"[9] Aber neben dem persönlichen Gebet nannte sie auch "Das Beten in fremden, in alten, erprobten, gültigen Worten wie in Psalmen und Messtexten gut; das Private werde darin eingeschmolzen, das Persönliche erhalte in der geweihten Tradition tiefere und reinere Bedeutung."[10] Und sie gab den Rat: "Bete und Du wirst entdecken, dass Beten Sinn hat und anders als durch beten wirst Du es nie erfahren".

 

 

Donnerstag, 28.4.2011

Eine lebenslange Aufgabe für Luise Rinser war ihr Einsatz für den Frieden:

Nur was dem Leben diene und dem Frieden, sei heilig: Menschenliebe, Gerechtigkeit und Duldsamkeit.

Manchmal verzweifelte sie an der Menschheit, wenn sie etwa schreibt: "Immer wieder die gleiche Schizophrenie: Man redet vom Frieden und produziert weiter Waffen."[11]

"Wenn wir daran glaubten, dass der Geist stärker ist als Waffen! Wir glauben es nicht, das ist unser Untergang - wenn wir nicht im letzten Augenblick den Mut zum Glauben an die Welt verwandelnde Kraft des Geistes finden."[12]

Und literarisch verarbeitete sie die Sehnsucht nach dem Frieden z.B. in ihrem Roman "Mirjam" so:

"Glaubte ich denn noch ans verheißene Friedensreich, oder hielt ich mich nur fest an diesem Glauben, weil ich ohne ihn ins Leere stürzen würde? Das Rad drehte sich und drehte sich und brachte nichts Neues und tauchte immer tiefer ins Dunkel, und keiner war da, das Drehen und Sinken aufzuhalten.

Doch wenn das Dunkel am schwärzesten ist, und der Pfad sich verliert, dann ist er nahe, der Gott, nimmt die Gestalt eines Menschen an, denn nur als Mensch kann der Gott den Menschen helfen.

So bleibe ich denn, und bin nichts mehr als das Warten auf das Friedensreich."[13]

 

 

Freitag, 29.4.2011

Befragt nach der Freiheit des Menschen, meinte die Schriftstellerin Luise Rinser:

"Eigentlich ist es mir gleichgültig, ob ich mich für frei oder nicht frei halten soll, fühl ich doch, dass ich beides bin in geheimnisvoller Verzahnung. Wisst ihr denn nicht, dass Freiheit Gnade ist und dass ihr Gnade braucht, um Freiheit als Freiheit zu erkennen und dass man Gnade nur in Freiheit annehmen kann. Was für ein langweiliger Gott wäre das, der ein Wesen, Mensch genannt, hätte schaffen mögen, das er gängeln könnte wie einen blinden lahmenden Karrengaul. Ein Gott, der nicht auch überrascht werden wollte von unseren Rösselsprüngen und unserem plötzlichen Durchgehen oder unserer ganz unvermuteten Lammfrommheit. Ich für meinen Teil, frei oder nicht, habe meine Unfreiheit zu meiner Freiheit, meine Freiheit zu meiner Unfreiheit gemacht; großmütig leichtsinnig überlasse ich mich einer Führung, die ihrerseits großmütig und leichtsinnig genug ist, mich an sehr langer Leine zu halten. Dann bleibt mir die schönste aller Freiheiten: Stolz liebend zu gehorchen."[14]

Und manchmal war ihr, als flöge sie hoch über all diese Fragen in eine große Weite hinein - in die Freiheit der Kinder Gottes, denen alles erlaubt ist und die doch nicht alles tun wollen, was sie könnten.

 

 

Samstag, 30.4.2011

Wie im Leben der meisten Menschen, gab es auch bei Luise Rinser dunkle Zeiten, Zeiten der Schwermut, der Krankheit, der Verzweiflung.

Echte Verzweiflung bezeichnete sie als den Verlust jeder Kommunikation mit der Welt, mit den Menschen, mit Gott.

Die Hölle seien nicht die anderen, wie der französische Philosoph Jean Paul Sartre sagt, sondern das Fehlen der anderen. Hölle ist nicht heiß, sondern eiskalt. Nicht leben, nicht fühlen, nicht lieben, das sei Hölle, schreibt Luise Rinser.

Die Erfahrung aber, dass der Tunnel nicht endlos ist und dass Gott da und nur für eine Weile verborgen ist, lässt hoffen und glauben, "dass doch alles Verlorene sich wieder findet, alles Abgerissene neu sich knüpft, alles Verworrene unversehens sich klärt, das ewig Ganze sich ahnen lässt."[15]

Auch der Tod sei Teil dieses Ganzen, schreibt Rinser: "Er ist nicht das nein zum Leben, nicht der absolute Gegensatz und feindliche Widerspruch, sondern der andere Pol: Er ist gut, er ist nötig. Er gehört zum Leben."[16] Das Sterben sei Verwandlung in einen anderen Zustand: "Denn es gibt nichts Totes. Etwas, das ist, kann nicht zu Nichts werden."[17] 

Alles Leben kehre heim ins Licht.

 

 

 


 

[1] Mirjam (S 304f) S.Fischer Verlag

[2] An den Frieden glauben (S 335) S. Fischer Verlag

[3] Wir Heimatlosen S 15, Fischer TB

[4] Den Wolf umarmen S145, Fischer Verlag

[5] Wir Heimatlosen, S 30 , Fischer TB

[6] Ebenda S 176

[7] Ebenda S 50

[8] Saturn auf der Sonne S 84, Fischer TB

[9] Septembertag S 80, Fischer TB

[10] Der Engel lügt S 57, Kösel Verlag

[11] Wir Heimatlosen S 26, Fischer TB

[12] Im Dunkeln singen S 93, Fischer Verlag

[13] Mirjam S 331/332 , S. Fischer Verlag

[14] Septembertag S 61 Fischer TB

[15] Septembertag S75, Fischer TB

[16] Den Wolf umarmen, S 127 , S. Fischer Verlag

[17] Wachsender Mond S107, S. Fischer Verlag