Morgengedanken

Sonntag,  6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr, 
ORF Regionalradios

 

 

 

von Gudrun Achleitner (Wels, OÖ)

 

 

Sonntag, 1. Mai 2011

Der ungläubige Thomas

Der 1. Mai löst in mir folgendes Bild aus Kindertagen aus: Mein Bruder und ich, am frühen Morgen, weit aus dem Kinderzimmerfenster lehnend. Auf der Straße zieht ungeachtet der frühen Stunde mit lauten Klängen eine Musikkapelle vorbei. Wir sind lange der festen Meinung: Zu Ehren des Geburtstags meines Bruders. Auch wenn sich später herausstellt, dass dieses Ständchen einem Politiker gegolten hat, für mich verkörpert dieses Bild bis heute die Festlichkeit des 1. Mai.

Auch für das Christentum und die Welt des Glaubens gibt es solche Bilder, die Symbolcharakter haben. Sie berühren eine Erfahrung, die oft weit zurückreicht, die unser Leben prägt und ihm Sinn gibt.

So eine Erfahrung spricht die Geschichte vom ungläubigen Thomas an, der heute im Evangelium vorkommt und auf vielen Bildern dargestellt wurde. Auf einem Gemälde des Barockmalers Caravaggio sieht man Thomas, wie er mit angestrengt gerunzelter Stirn Jesu Wunden berührt. Und Jesus führt seine suchende Hand, lässt nicht nur die Berührung zu, sondern auch den Zweifel, das Suchen und den Wunsch, verstehen zu können.

„Selig, die nicht sehen und doch glauben“, heißt es im Johannes-Evangelium.

Beides ist Glaube: Das Begreifen-Wollen, das Suchen, das Verstehen und Erklären-Wollen genauso wie das unbegrenzte Vertrauen und das Unmögliche-doch-für-möglich-Halten.

Welches Bild, welche Geschichte, welche Erfahrung fällt Ihnen zum Wort „Glauben“ ein?

 

 

 

Montag, 2. Mai 2011

Der Petersplatz

Vor einiger Zeit ist ein schöner, sehr ansprechender Bildband erschienen, der den Titel „Die Bilder der Katholiken“ trägt. Darin geht es um Symbolgestalten des Religiösen, die gleichsam Schlüsselbilder für das Christentum darstellen. Dieses Buch lädt aber nicht nur ein, die Fotos zu betrachten, es löst unweigerlich die Frage aus, welche Bilder und Symbole bedeutsam für das eigene Leben sind.

Eines der Fotos zeigt den Petersplatz.

Dicht gedrängt sind unzählige Menschen versammelt, vielleicht in Erwartung des päpstlichen Segens, vielleicht vor einem Festgottesdienst. Menschen aller Nationen versammeln sich auf diesem Platz, singen und beten in verschiedenen Sprachen. Suchende und Zweifelnde, Hoffende und Glaubende, Überzeugte und Skeptische sind hier zu finden.

Auch außerhalb der Gottesdienste ist dieser Platz kaum einmal menschenleer. Und selbst für Touristen, für Menschen, die ihn nicht aus religiösen Gründen aufsuchen, hat dieser Platz etwas Besonderes: Die Harmonie von Stein und Kunst berührt die Menschen. Sie überlassen sich dem Gefühl der Weite, orientieren sich an den weit ausgreifenden Säulengängen, versuchen, in diesem steinernen Buch der Baukunst zu lesen, wo das Zentrum, die Mitte des Lebens, auch des eigenen Lebens, sein könnte.

 

Wo wäre für Sie so ein Platz, ein Ort, an dem Sie sich zentriert, in der Mitte fühlen? Und wer ist mit Ihnen? Mit wem wollen Sie diese Erfahrung teilen?

 

 

 

Dienstag, 3. Mai 2011

Vergebung

Ende Dezember 1983 ging ein Bild durch die Weltpresse: Papst Johannes Paul II. besucht seinen Attentäter Mehmet Ali Agca im Gefängnis, den Mann, der zweieinhalb Jahre zuvor auf ihn geschossen hat.

Auf dem Foto sieht man: Ali Agca, einen dunkelhaarigen jungen Mann in Jeans und blauem Pullover, den Kopf leicht geneigt, die Hände ineinander verschlungen. Vor ihm sitzt der weißgekleidete Papst, konzentrierter Gesichtsausdruck, die linke Hand leicht geöffnet auf sein Gegenüber hin. Beide sind ins Gespräch vertieft. Diese Begegnung findet in einem kargen Raum statt, vor weißgestrichenen Wänden, einem altmodischen Heizkörper, die vergitterten Fenster hoch oben. Über den Inhalt dieses Gespräches hat man nie etwas erfahren. Vermutet wird allerdings, es sei um Vergebung und Verzeihen gegangen.

Vielleicht muss man als Papst so etwas können, jemandem zu vergeben, der einen umbringen wollte. Wie ist das bei uns normalsterblichen Menschen? Abgesehen von der Frage, ob wir jemandem verzeihen könnten, der unser Leben auslöschen wollte, stellen wir uns doch vor, dasselbe Szenario, zwei Stühle in einem leeren Raum: Auf welchem Stuhl würden wir Platz nehmen, auf dem, der vergibt, oder auf dem, der Vergebung erbittet? Und wer sitzt uns gegenüber? Von wem möchten wir das Wort „Verzeih mir!“ hören? Wem möchten wir sagen: „Ich vergebe dir!“?

Der Wunsch nach Vergebung ist ein urmenschliches Bedürfnis und ist daher gerade im Bereich der Religion von zentraler Bedeutung.

 

 

 

Mittwoch, 4. Mai 2011

Der heilige Florian

Sein Name bedeutet „Der Blühende“ oder „Der Blumenreiche“, gemeint ist der heilige Florian, Landespatron von OÖ, den wir heute feiern. Er ist der Schutzheilige der Feuerwehr. Vor allem in dieser Funktion ist er sehr populär geworden.

Damit sind nur aber einige seiner Aufgaben umrissen: Er ist auch Patron der Kaminkehrer, der Schmiede, Bierbrauer und Fassbinder, sowie Schutzheiliger gegen Dürre und Sturm und ist für das Heilen von Brandwunden zuständig.

Auf Bildern wird der Heilige als römischer Legionär mit Harnisch und Lanze dargestellt und mit einem Mühlstein, mit dem er in der Enns ertränkt wurde. Ein brennendes Haus steht zu seinen Füßen, dessen Flammen er mit einem Wasserbottich zu löschen versucht.

Heilige werden immer auf diverse Aufgaben festgelegt, gleichsam auf Zuständigkeitsbereiche, und auch ihre bildliche Darstellung ist genau vorgegeben. So sind und waren sie immer schon erkennbar, auch zu den Zeiten, als die Menschen noch kaum lesen konnten. Damals waren sie darauf angewiesen, die Bildsprache der Kunst aus der immer gleichbleibenden Darstellung zu entschlüsseln. Man hat gewusst, wofür der Heilige oder die Heilige steht.

Heute wissen wir, wofür die Marke, der Schriftzug oder das Logo stehen, nämlich für ein Wirtschaftsunternehmen, für einen Konsumartikel oder eine Organisation.

Aber ist es nicht viel spannender und wichtiger zu wissen, wofür ein Mensch steht? Welchen Schriftzug er in der Welt hinterlässt?

 

 

 

Donnerstag, 5. Mai 2011

Wallfahren

Pilgern ist in! Vor einigen Jahren wurde dieses alte religiöse Brauchtum wieder entdeckt. Alte Pilgerwege werden wieder ergangen, Erfahrungen auf solchen Pilgerreisen werden erzählt. Filme handeln davon, wie sich Menschen auf solchen Pilgerwegen verändern können, prominente Personen teilen mit, wie sie durch solche Erfahrungen zu sich gefunden haben.

Die Österreicher kannten ursprünglich das Wort „wallfahren“. „Wallen“ meint auch „gehen, pilgern“, und eine Wallfahrt ist dann „eine aus religiösen Motiven unternommene Reise zu einer heiligen Stätte“. Das Wort „pilgern“ hängt mit dem Wort „pelegrinus“ zusammen und meint „Fremder, Wanderer, Pilger“. Im kirchlichen Kontext war mit „Pilger“ der „nach Rom wallfahrende Fremde“ gemeint.

Gehen und Auf-dem-Weg-Sein, das sind Begriffe, die einen wichtigen Aspekt beim Wallfahren ausdrücken: Gehen als Urform der menschlichen Bewegung, einen Fuß vor den anderen setzen, gleichmäßig, im eigenen Tempo, um ein Ziel zu erreichen.

Das Ziel ist der zweite wichtige Aspekt. Wohin bin ich unterwegs? Zu welchem Ort? Was suche ich dort zu finden? Von wem werde ich begleitet? Was nehme ich von meinem Ziel mit?

Ein dritter Aspekt ist das, was im Wort „pelegrinus“, Fremder ausgedrückt wird: Das Bewusstsein, fremd zu sein, nicht ganz von dieser Welt zu sein, kann auf Pilgerfahrten geweckt werden, kann bescheiden, demütig machen hinsichtlich der eigenen Lebenswünsche, aber auch den Fremden gegenüber, die mir auf meiner Pilger- oder Lebensreise begegnen.

 

 

 

Freitag, 6. Mai 2011

Bibliothek

Ich betrachte ein Bild des wunderschönen spätbarocken Saales der Stiftsbibliothek von Admont in der Steiermark. Er wurde einst als das 8. Weltwunder bezeichnet, so eindrucksvoll, so licht und farbig ist dieser Raum gestaltet. Man muss nicht unbedingt belesen sein, um sich von einem solchen Ort angezogen zu fühlen.

Wir wissen, dass solch ein Raum voller Bücher, eine Bibliothek, einfach zu einem Kloster gehört. Im Mittelalter waren die Klöster die eigentlichen Bildungszentren, antikes und christliches Wissen wurde hier gesammelt, aufgezeichnet und weitergegeben.

Doch es ging nicht allein um Sammeln und Aufbewahren, in vielen Klosterbibliotheken entstand so etwas wie ein Gesamtkunstwerk. In der Stiftsbibliothek von Admont, aber auch in anderen Bibliotheken im bayrisch-österreichischen Raum sieht man, welch würdigen Rahmen die farbenfrohe barocke Architektur für die wertvollen Bücher bereitstellt.

Auch wenn heutzutage im Schatten von Pisa-Studien und Lesetests das Lesen und das Buch einen hohen Stellenwert haben, käme es uns doch kaum mehr in den Sinn, um der Schönheit willen solche außerordentlich kunstvollen Lesesäle zu bauen und zu finanzieren. Dabei gibt es viele Menschen, für die zumindest ein Buch oder ein paar Bücher für ihr Leben wichtig geworden sind. Das kann ein Kinderbuch sein, ein Roman, der einem zur richtigen Zeit in die Hände fiel, ein Sachbuch oder Lexikon. Manche Menschen erleben so viel, dass sie einen Roman schreiben könnten. Was steht in ihrem Lebensbuch? Was würden Sie gerne aufschreiben?

 

 

 

Samstag, 7. Mai 2011

Die Erschaffung des Menschen

Das wohl berühmteste Deckengemälde der Welt findet sich in der Sixtinischen Kapelle im Vatikan und wurde von Michelangelo Buonarroti geschaffen. Es zeigt die Schöpfungsgeschichte und der bekannteste Ausschnitt daraus stellt die „Erschaffung des Menschen“ dar.

Zu allen Zeiten und in den verschiedensten Kulturen beschäftigte man sich mit der Frage, wie ist alles entstanden und vor allem, wie ist der Mensch entstanden. Lange konnte man sich die Schöpfung und die Erschaffung des Menschen nur als Werk eines göttlichen Wesen vorstellen.

Michelangelo gibt seiner Vorstellung in der Sixtinischen Kapelle folgende Gestalt: Adam, der Mensch, ist bereits geschaffen. Er ruht locker daliegend auf einer Wiese, einem Hügel, den Blick und seine linke Hand horizontal auf Gott hin ausgerichtet. Fast auf derselben Höhe nur seitenverkehrt liegt Gott, weißgekleidet mit wehendem Haar und Bart. Er hat die Rechte ausgestreckt auf Adam hin. Beinahe berühren sich ihrer beider Zeigefinger. Die Dynamik des Bildes lässt offen: Werden sich ihre Hände berühren oder entfernen sie sich voneinander?

Genau das ist das Spannende, das Geniale an diesem Werk: Loslassen oder Halten? Und das ist auch die Spannung, in der unser Leben von Beginn an steht. Losgelassen, entlassen ins Leben, in die Welt, immer auf der Suche nach Halt und Gehaltensein. Bis am Ende das Loslassen als höchste Lebenskunst und als  ars moriendi, als Kunst des Sterbens, ineinander übergehen.

Loslassen oder festhalten? Was ist meine Lebensbewegung?