Der 1. Mai löst in mir folgendes Bild aus Kindertagen aus: Mein
Bruder und ich, am frühen Morgen, weit aus dem Kinderzimmerfenster
lehnend. Auf der Straße zieht ungeachtet der frühen Stunde mit
lauten Klängen eine Musikkapelle vorbei. Wir sind lange der festen
Meinung: Zu Ehren des Geburtstags meines Bruders. Auch wenn sich
später herausstellt, dass dieses Ständchen einem Politiker gegolten
hat, für mich verkörpert dieses Bild bis heute die Festlichkeit des
1. Mai.
Auch für das Christentum und die Welt des Glaubens gibt es solche
Bilder, die Symbolcharakter haben. Sie berühren eine Erfahrung, die
oft weit zurückreicht, die unser Leben prägt und ihm Sinn gibt.
So eine Erfahrung spricht die Geschichte vom ungläubigen Thomas an,
der heute im Evangelium vorkommt und auf vielen Bildern dargestellt
wurde. Auf einem Gemälde des Barockmalers Caravaggio sieht man
Thomas, wie er mit angestrengt gerunzelter Stirn Jesu Wunden
berührt. Und Jesus führt seine suchende Hand, lässt nicht nur die
Berührung zu, sondern auch den Zweifel, das Suchen und den Wunsch,
verstehen zu können.
„Selig, die nicht sehen und doch glauben“, heißt es im
Johannes-Evangelium.
Beides ist Glaube: Das Begreifen-Wollen, das Suchen, das Verstehen
und Erklären-Wollen genauso wie das unbegrenzte Vertrauen und das
Unmögliche-doch-für-möglich-Halten.
Welches Bild, welche Geschichte, welche Erfahrung fällt Ihnen zum
Wort „Glauben“ ein?
Montag, 2. Mai 2011
Der Petersplatz
Vor einiger Zeit ist ein schöner, sehr ansprechender Bildband
erschienen, der den Titel „Die Bilder der Katholiken“ trägt. Darin
geht es um Symbolgestalten des Religiösen, die gleichsam
Schlüsselbilder für das Christentum darstellen. Dieses Buch lädt
aber nicht nur ein, die Fotos zu betrachten, es löst unweigerlich
die Frage aus, welche Bilder und Symbole bedeutsam für das eigene
Leben sind.
Eines der Fotos zeigt den Petersplatz.
Dicht gedrängt sind unzählige Menschen versammelt, vielleicht in
Erwartung des päpstlichen Segens, vielleicht vor einem
Festgottesdienst. Menschen aller Nationen versammeln sich auf diesem
Platz, singen und beten in verschiedenen Sprachen. Suchende und
Zweifelnde, Hoffende und Glaubende, Überzeugte und Skeptische sind
hier zu finden.
Auch außerhalb der Gottesdienste ist dieser Platz kaum einmal
menschenleer. Und selbst für Touristen, für Menschen, die ihn nicht
aus religiösen Gründen aufsuchen, hat dieser Platz etwas Besonderes:
Die Harmonie von Stein und Kunst berührt die Menschen. Sie
überlassen sich dem Gefühl der Weite, orientieren sich an den weit
ausgreifenden Säulengängen, versuchen, in diesem steinernen Buch der
Baukunst zu lesen, wo das Zentrum, die Mitte des Lebens, auch des
eigenen Lebens, sein könnte.
Wo wäre für Sie so ein Platz, ein Ort, an dem Sie sich zentriert, in
der Mitte fühlen? Und wer ist mit Ihnen? Mit wem wollen Sie diese
Erfahrung teilen?
Dienstag, 3. Mai 2011
Vergebung
Ende Dezember 1983 ging ein Bild durch die Weltpresse: Papst
Johannes Paul II. besucht seinen Attentäter Mehmet Ali Agca im
Gefängnis, den Mann, der zweieinhalb Jahre zuvor auf ihn geschossen
hat.
Auf dem Foto sieht man: Ali Agca, einen dunkelhaarigen jungen Mann
in Jeans und blauem Pullover, den Kopf leicht geneigt, die Hände
ineinander verschlungen. Vor ihm sitzt der weißgekleidete Papst,
konzentrierter Gesichtsausdruck, die linke Hand leicht geöffnet auf
sein Gegenüber hin. Beide sind ins Gespräch vertieft. Diese
Begegnung findet in einem kargen Raum statt, vor weißgestrichenen
Wänden, einem altmodischen Heizkörper, die vergitterten Fenster hoch
oben. Über den Inhalt dieses Gespräches hat man nie etwas erfahren.
Vermutet wird allerdings, es sei um Vergebung und Verzeihen
gegangen.
Vielleicht muss man als Papst so etwas können, jemandem zu vergeben,
der einen umbringen wollte. Wie ist das bei uns normalsterblichen
Menschen? Abgesehen von der Frage, ob wir jemandem verzeihen
könnten, der unser Leben auslöschen wollte, stellen wir uns doch
vor, dasselbe Szenario, zwei Stühle in einem leeren Raum: Auf
welchem Stuhl würden wir Platz nehmen, auf dem, der vergibt, oder
auf dem, der Vergebung erbittet? Und wer sitzt uns gegenüber? Von
wem möchten wir das Wort „Verzeih mir!“ hören? Wem möchten wir
sagen: „Ich vergebe dir!“?
Der Wunsch nach Vergebung ist ein urmenschliches Bedürfnis und ist
daher gerade im Bereich der Religion von zentraler Bedeutung.
Mittwoch, 4. Mai 2011
Der heilige Florian
Sein Name bedeutet „Der Blühende“ oder „Der Blumenreiche“, gemeint
ist der heilige Florian, Landespatron von OÖ, den wir heute feiern.
Er ist der Schutzheilige der Feuerwehr. Vor allem in dieser Funktion
ist er sehr populär geworden.
Damit sind nur aber einige seiner Aufgaben umrissen: Er ist auch
Patron der Kaminkehrer, der Schmiede, Bierbrauer und Fassbinder,
sowie Schutzheiliger gegen Dürre und Sturm und ist für das Heilen
von Brandwunden zuständig.
Auf Bildern wird der Heilige als römischer Legionär mit Harnisch und
Lanze dargestellt und mit einem Mühlstein, mit dem er in der Enns
ertränkt wurde. Ein brennendes Haus steht zu seinen Füßen, dessen
Flammen er mit einem Wasserbottich zu löschen versucht.
Heilige werden immer auf diverse Aufgaben festgelegt, gleichsam auf
Zuständigkeitsbereiche, und auch ihre bildliche Darstellung ist
genau vorgegeben. So sind und waren sie immer schon erkennbar, auch
zu den Zeiten, als die Menschen noch kaum lesen konnten. Damals
waren sie darauf angewiesen, die Bildsprache der Kunst aus der immer
gleichbleibenden Darstellung zu entschlüsseln. Man hat gewusst,
wofür der Heilige oder die Heilige steht.
Heute wissen wir, wofür die Marke, der Schriftzug oder das Logo
stehen, nämlich für ein Wirtschaftsunternehmen, für einen
Konsumartikel oder eine Organisation.
Aber ist es nicht viel spannender und wichtiger zu wissen, wofür ein
Mensch steht? Welchen Schriftzug er in der Welt hinterlässt?
Donnerstag, 5. Mai 2011
Wallfahren
Pilgern ist in! Vor einigen Jahren wurde dieses alte religiöse
Brauchtum wieder entdeckt. Alte Pilgerwege werden wieder ergangen,
Erfahrungen auf solchen Pilgerreisen werden erzählt. Filme handeln
davon, wie sich Menschen auf solchen Pilgerwegen verändern können,
prominente Personen teilen mit, wie sie durch solche Erfahrungen zu
sich gefunden haben.
Die Österreicher kannten ursprünglich das Wort „wallfahren“.
„Wallen“ meint auch „gehen, pilgern“, und eine Wallfahrt ist dann
„eine aus religiösen Motiven unternommene Reise zu einer heiligen
Stätte“. Das Wort „pilgern“ hängt mit dem Wort „pelegrinus“ zusammen
und meint „Fremder, Wanderer, Pilger“. Im kirchlichen Kontext war
mit „Pilger“ der „nach Rom wallfahrende Fremde“ gemeint.
Gehen und Auf-dem-Weg-Sein, das sind Begriffe, die einen wichtigen
Aspekt beim Wallfahren ausdrücken: Gehen als Urform der menschlichen
Bewegung, einen Fuß vor den anderen setzen, gleichmäßig, im eigenen
Tempo, um ein Ziel zu erreichen.
Das Ziel ist der zweite wichtige Aspekt. Wohin bin ich unterwegs? Zu
welchem Ort? Was suche ich dort zu finden? Von wem werde ich
begleitet? Was nehme ich von meinem Ziel mit?
Ein dritter Aspekt ist das, was im Wort „pelegrinus“, Fremder
ausgedrückt wird: Das Bewusstsein, fremd zu sein, nicht ganz von
dieser Welt zu sein, kann auf Pilgerfahrten geweckt werden, kann
bescheiden, demütig machen hinsichtlich der eigenen Lebenswünsche,
aber auch den Fremden gegenüber, die mir auf meiner Pilger- oder
Lebensreise begegnen.
Freitag, 6. Mai 2011
Bibliothek
Ich betrachte ein Bild des wunderschönen spätbarocken Saales der
Stiftsbibliothek von Admont in der Steiermark. Er wurde einst als
das 8. Weltwunder bezeichnet, so eindrucksvoll, so licht und farbig
ist dieser Raum gestaltet. Man muss nicht unbedingt belesen sein, um
sich von einem solchen Ort angezogen zu fühlen.
Wir wissen, dass solch ein Raum voller Bücher, eine Bibliothek,
einfach zu einem Kloster gehört. Im Mittelalter waren die Klöster
die eigentlichen Bildungszentren, antikes und christliches Wissen
wurde hier gesammelt, aufgezeichnet und weitergegeben.
Doch es ging nicht allein um Sammeln und Aufbewahren, in vielen
Klosterbibliotheken entstand so etwas wie ein Gesamtkunstwerk. In
der Stiftsbibliothek von Admont, aber auch in anderen Bibliotheken
im bayrisch-österreichischen Raum sieht man, welch würdigen Rahmen
die farbenfrohe barocke Architektur für die wertvollen Bücher
bereitstellt.
Auch wenn heutzutage im Schatten von Pisa-Studien und Lesetests das
Lesen und das Buch einen hohen Stellenwert haben, käme es uns doch
kaum mehr in den Sinn, um der Schönheit willen solche
außerordentlich kunstvollen Lesesäle zu bauen und zu finanzieren.
Dabei gibt es viele Menschen, für die zumindest ein Buch oder ein
paar Bücher für ihr Leben wichtig geworden sind. Das kann ein
Kinderbuch sein, ein Roman, der einem zur richtigen Zeit in die
Hände fiel, ein Sachbuch oder Lexikon. Manche Menschen erleben so
viel, dass sie einen Roman schreiben könnten. Was steht in ihrem
Lebensbuch? Was würden Sie gerne aufschreiben?
Samstag, 7. Mai 2011
Die Erschaffung des Menschen
Das wohl berühmteste Deckengemälde der Welt findet sich in der
Sixtinischen Kapelle im Vatikan und wurde von Michelangelo
Buonarroti geschaffen. Es zeigt die Schöpfungsgeschichte und der
bekannteste Ausschnitt daraus stellt die „Erschaffung des Menschen“
dar.
Zu allen Zeiten und in den verschiedensten Kulturen beschäftigte man
sich mit der Frage, wie ist alles entstanden und vor allem, wie ist
der Mensch entstanden. Lange konnte man sich die Schöpfung und die
Erschaffung des Menschen nur als Werk eines göttlichen Wesen
vorstellen.
Michelangelo gibt seiner Vorstellung in der Sixtinischen Kapelle
folgende Gestalt: Adam, der Mensch, ist bereits geschaffen. Er ruht
locker daliegend auf einer Wiese, einem Hügel, den Blick und seine
linke Hand horizontal auf Gott hin ausgerichtet. Fast auf derselben
Höhe nur seitenverkehrt liegt Gott, weißgekleidet mit wehendem Haar
und Bart. Er hat die Rechte ausgestreckt auf Adam hin. Beinahe
berühren sich ihrer beider Zeigefinger. Die Dynamik des Bildes lässt
offen: Werden sich ihre Hände berühren oder entfernen sie sich
voneinander?
Genau das ist das Spannende, das Geniale an diesem Werk: Loslassen
oder Halten? Und das ist auch die Spannung, in der unser Leben von
Beginn an steht. Losgelassen, entlassen ins Leben, in die Welt,
immer auf der Suche nach Halt und Gehaltensein. Bis am Ende das
Loslassen als höchste Lebenskunst und als ars moriendi, als Kunst
des Sterbens, ineinander übergehen.
Loslassen oder festhalten? Was ist meine Lebensbewegung?