von
Jutta Henner, evangelische Theologin und Vorsitzende der
Österreichischen Bibelgesellschaft
Sonntag, 8. Mai 2011
Immer wieder wird es beklagt: Die Zahl
der Christinnen und Christen in Westeuropa ist alles andere als im
Steigen begriffen; die religiöse Landschaft hat sich gewandelt in
den letzten Jahrzehnten, aus dem sogenannten „christlichen
Abendland“ ist eine multikulturelle Gesellschaft geworden.
Wie damit umgehen? Wie den
christlichen Glauben einladend und glaubwürdig leben und bezeugen
angesichts großer Herausforderungen?
Für mich ist ein großes Vorbild der
Apostel Paulus. In der Bibel, und dort insbesondere in den Briefen,
die er an frühe christliche Gemeinden geschrieben hat, erfahren wir
einiges über ihn und sein Wirken im ersten christlichen Jahrhundert.
Wie kaum ein Zweiter hat er das Christentum geprägt. Ihm und seinem
leidenschaftlichen Einsatz ist es entscheidend zu verdanken, dass
die frohe Botschaft aus einem Winkel des römischen Reiches in die
Welt hinausgetragen wurde. Die frohe Botschaft, das Herzstück des
christlichen Glaubens, „dass Christus gestorben ist für unsere
Sünden nach der Schrift; und daß er begraben worden ist; und daß er
auferstanden ist am dritten Tage nach der Schrift....“, wie es
im 1. Korintherbrief heißt.. Diese österliche Botschaft hat Paulus
geprägt, sie bestimmt sein Reden und Wirken! (1. Kor 15, 3f.)
Montag, 9. Mai 2011
Paulus, der große Apostel der Völker,
der nur wenige Jahre nach Jesu Tod und Auferstehung seine Berufung
vor Damaskus erlebte, hat von da an sein ganzes Leben in den Dienst
der Sache Jesu Christi gestellt. Im Neuen Testament können wir in
der Apostelgeschichte und in den von Paulus selbst verfassten
Briefen einiges erfahren über sein Leben und Wirken. Von Damaskus
nach Rom - so könnte man es kurz fassen. Paulus ist unermüdlich
unterwegs, um die frohe Botschaft zu den Menschen zu bringen. Für
seine Missionsreisen ist er bekannt geworden: Innerhalb weniger
Jahre reist er von Ort zu Ort im östlichen Mittelmeerraum, sucht die
Begegnung mit Menschen, legt ihnen die Bibel aus und lädt sie zum
Glauben ein an Jesus Christus. Allen Widrigkeiten zum Trotz bleibt
Paulus seinem Auftrag treu! Widerstand und Spott, Verfolgung und
Haft, Gefahren auf seinen Reisen, ja selbst mehrfacher Schiffbruch,
aber auch die Sorge und Ärger mit den von ihm gegründeten Gemeinden
können ihn nicht von seinem Auftrag abhalten. Er schreibt
„...Wehe mir, wenn ich das Evangelium nicht predigte..:“ (1. Kor
9,16), Apostel aus Leidenschaft - und voller ansteckender Freude.
So ermutigt Paulus die Gemeinde in Philippi: „Freuet euch in dem
Herrn allewege, und abermals sage ich: Freuet Euch“ (Phil 4,4)
Dienstag, 10. Mai 2011
Dem Apostel Paulus verdankt die
Christenheit ihre entscheidende Prägung. Er, Paulus, hat es wie kein
anderer verstanden, die frohe Botschaft vom gekreuzigten und
auferstandenen Jesus Christus hinauszutragen in die Metropolen des
römischen Imperiums. Jerusalem, Ephesus,
Thessaloniki, Athen, Korinth, Rom ....
Paulus ist davon überzeugt, dass die frohe Botschaft vom Gottes
Reich sich nicht zu verstecken braucht, dass sie die Antwort auch
auf die Fragen von erfolgreichen Menschen in verantwortungsvollen
Positionen ist. Strategisch wendet er sich auf seinen Reisen den
großen Städten zu. Mutig und überzeugend stellt sich Paulus den
Fragen und auch der Kritik, der Gleichgültigkeit und auch dem Spott.
Ausführlich wird sein Auftreten in Athen in der Apostelgeschichte
beschrieben. In Athen ist es besonders interessant: Paulus sei dort
täglich auf den Marktplatz gegangen, so wird es berichtet, und habe
dort mit den Philosophen diskutiert. Paulus hat sich im Vorfeld
kundig gemacht, hat sich umgesehen und kann in seiner Predigt auf
die Lebenswelt seiner Zuhörer Bezug nehmen. An anderer Stelle wird
er selbst schreiben: „Ich bin allen alles geworden, damit ich auf
alle Weise einige rette.“ (1. Kor 9,22). Er holt seine Zuhörer
dort ab, wo sie sind – aber er bleibt nicht dort stehen!
Mittwoch, 11. Mai 2011
Der Apostel Paulus hat nicht immer ein
gutes Image. Gerade Frauen haben oft Schwierigkeiten mit ihm.
Vorurteile werden Paulus entgegengebracht. Da lohnt es sich,
hineinzuschauen in die Briefe, die Paulus geschrieben hat!
Überraschende Entdeckungen lassen sich dort machen: Paulus schätzt
Männer und Frauen gleichermaßen als Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter, als Mitchristen und als persönliche Freunde und
Freundinnen! In seinem Brief an die Gemeinden in Galatien schreibt
Paulus: „Ihr seid alle durch den Glauben Gottes Kinder in
Christus Jesus. .. .Hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid
allesamt einer in Christus Jesus.“ (Ga. 3,26+28) Ja, diese
partnerschaftliche und gleichwertige Sicht von Männern und Frauen
spiegelt sich auch in anderen Briefen, wo Paulus selbstverständlich
davon ausgeht, dass Frauen in christlichen Gemeinden mitarbeiten und
auch leitende Funktionen ausüben! Prisca und Phöbe, Junia und Maria,
sie und viele andere hat Paulus geschätzt. In dieses Bild passt der
Bericht aus der Apostelgeschichte: Der erste Mensch, der in Europa,
in Philippi, zum Glauben kommt, ist eine Frau: Lydia. Sie, selbst
erfolgreich im Textilhandel tätig, war offen für die Predigt des
Paulus.
Donnerstag, 12. Mai 2011
Was würde Paulus dazu sagen, dass er,
der sich doch selbst als ganz unwichtig betrachtet hat, zum großen
Apostel geworden ist? Er, der ursprünglich die Christen verfolgte,
hat nach seiner Lebenswende vor Damaskus ganz entscheidend zur
Ausbreitung des Christentums in seiner Anfangszeit beigetragen! Doch
Paulus selbst ist bescheiden geblieben. Er hat jeglichen Kult um
seine Person abgelehnt. Vielleicht auch deshalb, weil er wusste,
dass für seine missionarische Tätigkeit ein Faktor ganz entscheidend
war: Paulus hat sich immer als Teil eines Teams verstanden. Keine
Mission des Paulus ohne seine Mitarbeiter, die ihn auf seinen Reisen
begleitet haben, die mit ihm die Briefe an die Gemeinden verfassten,
die ihn vertraten, wenn er nicht überall gleichzeitig sein konnte.
Barnabas, Johannes, Silas und Timotheus, Prisca und Aquila und viele
andere.... Paulus schätzt seine Mitarbeiter. Er weiß um die
verschiedenen Begabungen und Aufträge, die jeder hat. So schreibt er
an die Gemeinde in Korinth „Wir sind Gottes Mitarbeiter, ihr seid
Gottes Ackerfeld und Gottes Bau. Ich nach Gottes Gnade, die mir
gegeben ist, habe den Grund gelegt als ein weiser Baumeister; ein
anderer baut darauf. Ein jeder aber sehe zu, wie er darauf baut.
Einen anderen Grund kann niemand legen als den der gelegt ist,
welcher ist Jesus Christus.“ (1.Kor 3,9-11)
Freitag, 13. Mai 2011
Was machte und macht eigentlich die
Anziehungskraft des Apostels Paulus, seine Ausstrahlung, seine
nachhaltige Wirksamkeit aus? Wenn ich in den Briefen des Paulus im
Neuen Testament lese, frage ich mich das oft. Ich denke, seine
Begeisterung, sein leidenschaftlicher und selbstloser Einsatz an
sich waren schon überzeugend. Paulus war zeit seines Wirkens stolz
darauf, dass er sich nicht für seinen missionarischen Dienst hat
bezahlen lassen. Ganz im Gegenteil: Mit seiner Hände Arbeit in
seinem erlernten Beruf als „Zeltmacher“ finanziert der studierte
Theologe seinen Dienst! Das schafft Unabhängigkeit! Das schafft auch
Glaubwürdigkeit! Paulus ruft es der Gemeinde in Korinth in
Erinnerung: „Bin ich nicht frei? Bin ich nicht ein Apostel? Habe
ich nicht unseren Herrn Jesus gesehen?“ (1. Kor 9,19) Er weiß
sich berufen zu seinem Dienst als Apostel, weiß sich gerufen, sein
Leben in die Sache Jesu Christi zu stellen. Menschen, die ihm
begegnen, spüren, dass es ihm ernst ist, dass er bereit ist, für die
lebensverwandelnde Botschaft Kopf und Kragen zu riskieren! Dazu
passt, dass Paulus dem Bericht der Apostelgeschichte zufolge, mutig
und selbstbewusst auch vor römischen Statthaltern und Königen das
bezeugt, was ihn ausmacht!
Samstag, 14. Mai 2011
Paulus – der große Apostel. Als
solcher ist er bekannt geworden, als einer, der in der Heiligen
Schrift zuhause ist, und die Verheißungen der Propheten in Jesus
erfüllt weiß. Paulus, der große Prediger. Allein die
Apostelgeschichte schildert sechs Predigten des Paulus. Und was sind
seine Briefe an die Gemeinden in Thessaloniki und Korinth, in Rom
und andernorts, anderes als Predigten? Paulus weiß sich „berufen
zum Apostel, ausgesondert zu predigen das Evangelium Gottes“
(Röm 1,1). Doch Paulus ist mehr als nur ein großer Prediger. Paulus
wirkte auch im Stillen und Verborgenen: Er war keiner, der große
Reden geschwungen hat und danach die Sache sich selbst überließ. Im
persönlichen Gespräch mit Menschen ging er auf Fragen und Probleme
ein. Mit den von ihm gegründeten Gemeinden bleibt er in Beziehung,
verschweigt Probleme nicht und begleitet sie so auf dem Weg. Paulus
knüpft Beziehungen und pflegt sie auch; er ist im guten Sinne ein
Netzwerker. Ein Netzwerker für den Glauben an Jesus Christus: Der
Gemeinde in Rom ruft er in Erinnerung: „Wie wir an einem Leib
viele Glieder haben, aber nicht alle Glieder dieselbe Aufgabe haben,
so sind wir viele ein Leib in Christus.. und haben verschiedene
Gaben nach der Gnade, die uns gegeben ist...“.(Röm 12,4f.).