„Heraus aus dem Schafstall!“
„Ihm (dem Hirten) öffnet der Türhüter, und die Schafe hören auf
seine Stimme; er ruft die Schafe, die ihm gehören, einzeln beim
Namen und führt sie hinaus. Wenn er all seine Schafe hinausgetrieben
hat, geht er ihnen voraus, und die Schafe folgen ihm; denn sie
kennen seine Stimme.“ Diese Worte stammen aus dem heutigen
Evangelium. Sie sprechen mich an. Sie haben auch zu tun mit meinem
Selbstverständnis als Priester. Da sind die Stimme, die Namen und
das Hinaus in die Weite. Warum ich noch Pfarrer und katholisch bin,
selbst in Zeiten wie diesen, hängt auch damit zusammen, dass ich
viele Menschen kenne, auch beim Namen, viele auf meine Stimme hören,
weil sie meine Stimme kennen. Ich verdanke es einer privaten
Stimmbildung und vielen Fortbildungen beim ORF, auch einer guten
Veranlagung, dass es mir mit meiner Stimme gut geht. Oft reden mich
Leute auf der Straße an: Ich kenne diese Stimme. Ich predige auch
gern! Mir ist auch wichtig, dass ich die Namen, das sind die
Menschen, kenne, auf sie höre, sie frage, wie es ihnen geht, was
sie befürchten und was sie erhoffen. Ich führe sie aus der Enge des
Schafstalls hinaus in die Weite. Ich bin mitten in meinem Geschäft.
Viel zu viele Menschen erfahren heute Glaube und Kirche als
beengend, lebensverneinend, unverständlich und langweilig. Mir hat
mein Beruf persönlich endlose Weiten eröffnet, den Blick über Zäune
zu anderen Religionen, zu anderen Kulturen, zum Bereisen der Welt
bis hin zur brennenden Frage des Todes und was ist danach. Ich liebe
diese Weite!
Montag, 16.5.2011
„Dann wird eh nix draus!“
Es war am Ende der Sommerferien nach der 7. Klasse Gymnasium. Ich
hatte mich entschlossen, Priester zu werden. Dem Ortspfarrer wollte
ich dies zuerst mitteilen. Ich ging in die Küche des Pfarrhauses,
dort spielte sich ja vorwiegend das Pfarrleben ab und eröffnete
meinem Pfarrer meinen Entschluss, Priester zu werden. Er war hoch
erfreut, teilte es sofort der Köchin mit und einem
Franziskanerpater, der als Aushilfspriester am Tisch in der Ecke
saß. Beim Hinausgehen hörte ich den Pater fragen: „Und wie ist die
Familie?“ Der Pater hörte „Gasthaus“ und bemerkte: „Dann wird eh nix
draus!“ „Blöder Affe!“ murmelte ich und verschwand. Aber den Satz:
„Dann wird eh nix draus!“ habe ich auch nicht vergessen. Und heute
frage ich mich oft: „Warum wollte ich eigentlich Priester werden?“
Manche sagen, ich wäre auch ein guter Geschäftsmann oder
Reiseleiter, Arzt oder Politiker. Politik hat mich immer schon
interessiert! Am Beginn der 8. Klasse teilte ich meinen Eltern
meinen Berufswunsch mit, worauf Funkstille eintrat. Zu Weihnachten
kam es zu einer heftigen Aussprache, einer der ganz wenigen, bei der
mir der Vater mitteilte: „Studier was Gescheites, aber nicht
Pfarrer!“ er begründete dies damit, dass er das Betteln nicht mag
und ein Pfarrer doch immer bettelt. Was er sonst noch dachte, weiß
ich nicht. Er ist noch vor meiner Priesterweihe ausgesöhnt mit mir
und der Kirche an Krebs verstorben. Die Abneigung zum Betteln hat er
mir trotzdem vererbt.
Dienstag, 17.5.2011
„Man soll die Pfarrer doch heiraten lassen!“
Als Pfarrer trifft man viele Leute, beim Pfarrkaffee, bei
Taufgesprächen, Hausbesuchen, Einladungen usw. Es bleibt nicht aus:
Das leidige Thema Zölibat kommt auf den Tisch. Zuerst vorsichtig:
Wie denkst du über den Zölibat? Dann, wie geht’s dir als Pfarrer
persönlich mit dem Zölibat? Es gibt doch Pfarrer, die bekannt oder
heimlich eine Freundin und eigene Kinder haben, das weiß man doch.
Hast du vielleicht auch Freundin oder Kinder? Und es wird einem von
den Gläubigen offen zugestanden, dass sie dafür vollstes Verständnis
hätten. Man soll die Pfarrer doch heiraten lassen! Die meisten
argumentieren damit, dass Sex ja nichts Schlechtes ist, etwas ganz
Natürliches, etwas, was der Mensch auch braucht. Oder: Die Pfarrer
sollten doch wissen wie es in einer Familie zugeht, damit sie
entsprechend beraten können.
Vor kurzem hat Papst Benedikt XVI. verkündet: „Die Welt braucht den
Zölibat“: Ich habe mich darüber geärgert, zuerst! Hätte der Papst
gesagt: „Der Zölibat ist ab sofort abgeschafft!“ Ich hätte mich
vermutlich noch mehr geärgert. Es ist meine Erfahrung, dass es einen
Sinn hat, bewusst ehelos zu leben, um verfügbar, frei, und auch
„anstößig“ zu sein! Die Ehelosigkeit um des Himmels willen weist ja
wie ein Kirchturm über diese Welt hinaus. Es ist Berufung! Eine
besondere Lebensform! Bei vielen Religionen gibt es Ähnliches.
Dennoch wäre es wünschenswert und höchst notwendig, wenn es auch den
verheirateten Pfarrer gäbe. Es würde nicht alles leichter werden in
unserer Kirche, mancher Krampf und manche Heimlichtuerei hätte ein
Ende!
Mittwoch, 18.5.2011
„Der ist doch auch einer von diesen!“
Der Ruf der katholischen Kirche in unserer Gesellschaft ist
angepatzt. Angeprangert werden die Art der Bischofsernennungen, die
Absetzung von Theologieprofessoren, der Zölibat um jeden Preis, und
vieles andere. Und dann noch die Missbrauchsfälle. Da geht das Fass
über und nicht wenige verlassen die Kirche. Aus Protest oder einer
inneren Entfremdung, die nur mehr einen äußeren Anlass brauchte. Ich
war seit meinem elften Lebensjahr bis zur Priesterweihe im Alter von
26 Jahren immer in einem katholischen Internat oder Priesterseminar.
Ich persönlich wurde nie belästigt, geschweige denn missbraucht. Ich
hatte sehr gute geistliche Lehrer und Erzieher, sie haben mich
gefördert, auch gefordert. Mir tut es weh, wenn plötzlich ein
Generalverdacht gegen kirchliche Institutionen wie katholische
Schulen und Internate aufkommt. Man munkelt von
Verbrecherorganisationen. Das trifft mich als Pfarrer auch. Ich habe
mein ganzes Leben der Jugend gewidmet, und jetzt gehöre ich auch zu
dem Berufsstand, der als ganzer verdächtigt wird, weil die schwarzen
Schafe das Image in der Öffentlichkeit prägen. Ich habe Verständnis
dafür, dass der hohe moralische Anspruch der Kirche gerade im
sexuellen Bereich, ihr jetzt selbst auf den Kopf fällt. Das ist
bitter und schlimm! Aber Gott sei Dank, gibt es auch die andere
Seite! Ich bleibe trotz allem Pfarrer und auch katholisch!
Donnerstag, 19.5.2011
„Den Quellen auf der Spur!“
Er is eh nie da! Das ist mein Leumund, damit muss ich leben. Wo bin
ich denn? Natürlich: „Den Quellen auf der Spur“. So heißt auch ein
kleiner Reisebegleiter ins Heilige Land, den ich vor Jahren
geschrieben habe. Er ist leider schon vergriffen. Ich war öfter als
100 Mal im Heiligen Land und meine Faszination hält an! Mich
interessiert aber auch das Leben der Leute heute und damals, als
Jesus lebte. Und natürlich die Person und das Schicksal Jesu selbst.
Jesus ist in Nazareth aufgewachsen. Von seiner Kindheit und
Jugendzeit wissen wir fast nichts. Vermutlich hat er im benachbarten
Sepphoris als Tagelöhner gearbeitet. Was dachte er, was wusste er
von sich selbst, seiner Sendung, er war doch Gottes Sohn von
Ewigkeit an. Das definierte 300 Jahre später das Konzil von Nizäa.
Dann sein öffentliches Wirken etwa drei Jahre lang, das mit dem
völligen Fiasko am Kreuz geendet hat. Seine Wirkung auf die
Randschichten der Gesellschaft, auf die weltliche und besonders die
geistliche Obrigkeit, die seine Beseitigung durchgesetzt hat. Man
wollte ihn total vernichten. Das Gegenteil ist eingetreten. Eine
Kirche, mehrere Kirchen, jeder dritte Mensch etwa auf der Welt ist
auf den Namen Jesu getauft. Es tut „Jung und Alt“ gut, den Spuren
Jesu nachzuspüren, auch das Jesusbild der eigenen Tradition zu
hinterfragen. Ich kann es als Pfarrer tun, sie direkt zu Jesus
hinführen. Und das tue ich gern!
Freitag, 20.5.2011
„Du machst es den Leuten aber leicht!“
„Du Pfarrer, du machst es den Leuten aber leicht!“ Das höre ich
manchmal im Ton des Vorwurfs. Meine Antwort ist dann die Frage:
„Soll ich es ihnen schwer machen?“ Das Leben ist ohnehin schon
schwer genug. Da mache ich es mir wirklich leicht! Ich glaube, dass
Gott mir den Himmel schenkt! Wir haben eben Ostern gefeiert. Und die
Juden zur gleichen Zeit ihr Pessachfest. Beide Feste hängen
zusammen. Die Juden erinnern sich, dass der Gott ihr Leid, die
Unterdrückung und Ausbeutung in Ägypten, kennt. Er will Befreiung
und macht das Unmögliche möglich. Das ist bis heute ihre zentrale
Botschaft. Christen feiern den Tod und die Auferstehung Jesu. Aus
Solidarität ist Jesus in die tiefste menschliche Hoffnungslosigkeit
hinuntergestiegen bis in den Tod, um die Menschen dort abzuholen,
sie zu verwandeln und mitzunehmen. „Mein Gott, mein Gott, warum hast
du mich verlassen!“ Und: „Heute noch wirst du bei mir im Paradiese
sein!“ sind ganz nahe beisammen. Ich glaube, dass Menschen die
Hoffnung brauchen, nicht nur die kleinen Hoffnungen im Alltag,
sondern auch die große, die sagt, dass im Letzten alles gut ausgeht.
Als Pfarrer ist mir aufgetragen, die großen Verheißungen der
biblischen Botschaft den Menschen heute nahezubringen. Ich stehe am
Horizont des Lebens. Der Blick über den irdischen Tellerrand hinaus
ist offen. Das Gespenst einer letzten Sinnlosigkeit verblasst. Da
geht es mir gut als Pfarrer und ich bin stolz über die Nachrede: Du
machst es den Leuten aber leicht!“ Man lebt wirklich leichter, wenn
man glauben kann.
Samstag, 21.5.2011
„Auslaufmodell Priester?“
Ich bin seit 47 Jahren katholischer Priester und derzeit noch
Pfarrer einer etwa 5.000 Katholiken zählenden Gemeinde in Innsbruck.
Als Bundeslehrer ging ich mit 60 Jahren in Pension, habe eine
Darmkrebserkrankung gut überstanden. Auf Zureden zweier guter
Freunde habe ich die Pfarre im Innsbrucker Saggen übernommen. In
zwei Jahren bin ich 75 Jahre und muss laut Kirchenrecht dem Bischof
meinen Rücktritt anbieten. So Gott will, werde ich in drei Jahren
mein Goldenes Priesterjubiläum feiern. So lange man einigermaßen fit
ist, tritt man in diesem Beruf ja nie ganz ab, weil man ja gerade in
Zeiten wie diesen immer noch irgendwie gebraucht wird. Im
vertraulichen Gespräch werde ich öfter gefragt: „Würdest Du dich
heute wieder entscheiden, Priester zu werden?“ Ich zögere mit meiner
Antwort! Ich weiß es nicht! Und ich weiß es wirklich nicht! Meine
Eltern stellten sich quer! Auf ein spektakuläres Berufungserlebnis
kann ich mich nicht berufen. Es waren einige Schulfreunde,
Priesterstudenten, meine geistlichen Lehrer und Erzieher die mir
imponierten und eine Ausstrahlung hatten, so dass ich mich fragte:
Könnte das nicht auch ein Weg für mich sein? Das Studium in
Innsbruck offenbarte mir eine katholische Weltkirche, die sich mir
aufgeschlossen, sympathisch, anspruchsvoll präsentierte. Dann das 2.
Vatikanische Konzil mit seinen mutigen Schritten nach vorne. Da
lohnt es sich mitzumachen. So wurde ich Priester. Ich habe es bis
heute nicht bereut und hatte ein interessantes, spannendes,
erfülltes Leben. Nur, ob ich mich heute auch dafür entscheiden
würde, das weiß ich wirklich nicht!