Morgengedanken

Sonntag,  6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr, 
ORF Regionalradios

 

 

 

Warum ich noch Pfarrer und katholisch bin!

von Pfarrer Adolf Karlinger (Innsbruck-Saggen)

 

 

Sonntag, 15.5.2011

„Heraus aus dem Schafstall!“
„Ihm (dem Hirten) öffnet der Türhüter, und die Schafe hören auf seine Stimme; er ruft die Schafe, die ihm gehören, einzeln beim Namen und führt sie hinaus. Wenn er all seine Schafe hinausgetrieben hat, geht er ihnen voraus, und die Schafe folgen ihm; denn sie kennen seine Stimme.“ Diese Worte stammen aus dem heutigen Evangelium. Sie sprechen mich an. Sie haben auch zu tun mit meinem Selbstverständnis als Priester. Da sind die Stimme, die Namen und das Hinaus in die Weite. Warum ich noch Pfarrer und katholisch bin, selbst in Zeiten wie diesen, hängt auch damit zusammen, dass ich viele Menschen kenne, auch beim Namen, viele auf meine Stimme hören, weil sie meine Stimme kennen. Ich verdanke es einer privaten Stimmbildung und vielen Fortbildungen beim ORF, auch einer guten Veranlagung, dass es mir mit meiner Stimme gut geht. Oft reden mich Leute auf der Straße an: Ich kenne diese Stimme. Ich predige auch gern! Mir ist auch wichtig, dass ich die Namen, das sind die Menschen,  kenne, auf sie höre, sie frage, wie es ihnen geht, was sie befürchten und was sie erhoffen. Ich führe sie aus der Enge des Schafstalls hinaus in die Weite. Ich bin mitten in meinem Geschäft. Viel zu viele Menschen erfahren heute Glaube und Kirche als beengend, lebensverneinend, unverständlich und langweilig. Mir hat mein Beruf persönlich endlose Weiten eröffnet, den Blick über Zäune zu anderen Religionen, zu anderen Kulturen, zum Bereisen der Welt bis hin zur brennenden Frage des Todes und was ist danach. Ich liebe diese Weite!

 

 

 

Montag, 16.5.2011

„Dann wird eh nix draus!“
Es war am Ende der Sommerferien nach der 7. Klasse Gymnasium. Ich hatte mich entschlossen, Priester zu werden. Dem Ortspfarrer wollte ich dies zuerst mitteilen. Ich ging in die Küche des Pfarrhauses, dort spielte sich ja vorwiegend das Pfarrleben ab und eröffnete meinem Pfarrer meinen Entschluss, Priester zu werden. Er war hoch erfreut, teilte es sofort der Köchin mit und einem Franziskanerpater, der als Aushilfspriester am Tisch in der Ecke saß. Beim Hinausgehen hörte ich den Pater fragen: „Und wie ist die Familie?“ Der Pater hörte „Gasthaus“ und bemerkte: „Dann wird eh nix draus!“ „Blöder Affe!“ murmelte ich und verschwand. Aber den Satz: „Dann wird eh nix draus!“ habe ich auch nicht vergessen. Und heute frage ich mich oft: „Warum wollte ich eigentlich Priester werden?“ Manche sagen, ich wäre auch ein guter Geschäftsmann oder Reiseleiter, Arzt oder Politiker. Politik hat mich immer schon interessiert! Am Beginn der 8. Klasse teilte ich meinen Eltern meinen Berufswunsch mit, worauf Funkstille eintrat. Zu Weihnachten kam es zu einer heftigen Aussprache, einer der ganz wenigen, bei der mir der Vater mitteilte: „Studier was Gescheites, aber nicht Pfarrer!“ er begründete dies damit, dass er das Betteln nicht mag und ein Pfarrer doch immer bettelt. Was er sonst noch dachte, weiß ich nicht. Er ist noch vor meiner Priesterweihe ausgesöhnt mit mir und der Kirche an Krebs verstorben. Die Abneigung zum Betteln hat er mir trotzdem vererbt.

 

 

 

Dienstag, 17.5.2011

„Man soll die Pfarrer doch heiraten lassen!“
Als Pfarrer trifft man viele Leute, beim Pfarrkaffee, bei Taufgesprächen, Hausbesuchen, Einladungen usw. Es bleibt nicht aus: Das leidige Thema Zölibat kommt auf den Tisch. Zuerst vorsichtig: Wie denkst du über den Zölibat? Dann, wie geht’s dir als Pfarrer persönlich mit dem Zölibat? Es gibt doch Pfarrer, die bekannt oder heimlich eine Freundin und eigene Kinder haben, das weiß man doch. Hast du vielleicht auch Freundin oder Kinder? Und es wird einem von den Gläubigen offen zugestanden, dass sie dafür vollstes Verständnis hätten. Man soll die Pfarrer doch heiraten lassen! Die meisten argumentieren damit, dass Sex ja nichts Schlechtes ist, etwas ganz Natürliches, etwas, was der Mensch auch braucht. Oder: Die Pfarrer sollten doch wissen wie es in einer Familie zugeht, damit sie entsprechend beraten können.
Vor kurzem hat Papst Benedikt XVI. verkündet: „Die Welt braucht den Zölibat“: Ich habe mich darüber geärgert, zuerst! Hätte der Papst gesagt: „Der Zölibat ist ab sofort abgeschafft!“ Ich hätte mich vermutlich noch mehr geärgert. Es ist meine Erfahrung, dass es einen Sinn hat, bewusst ehelos zu leben, um verfügbar, frei, und auch „anstößig“ zu sein! Die Ehelosigkeit um des Himmels willen weist ja wie ein Kirchturm über diese Welt hinaus. Es ist Berufung! Eine besondere Lebensform! Bei vielen Religionen gibt es Ähnliches. Dennoch wäre es wünschenswert und höchst notwendig, wenn es auch den  verheirateten Pfarrer gäbe. Es würde nicht alles leichter werden in unserer Kirche, mancher Krampf und manche Heimlichtuerei hätte ein Ende!   

 

 

 

Mittwoch, 18.5.2011

 „Der ist doch auch einer von diesen!“
Der Ruf der katholischen Kirche in unserer Gesellschaft ist angepatzt. Angeprangert werden die Art der Bischofsernennungen, die Absetzung von Theologieprofessoren, der Zölibat um jeden Preis, und vieles andere.  Und dann noch die Missbrauchsfälle. Da geht das Fass über und nicht wenige verlassen die Kirche. Aus Protest oder einer inneren Entfremdung, die nur mehr einen äußeren Anlass brauchte. Ich war seit meinem elften Lebensjahr bis zur Priesterweihe im Alter von 26 Jahren immer in einem katholischen Internat oder Priesterseminar. Ich persönlich wurde nie belästigt, geschweige denn missbraucht. Ich hatte sehr gute geistliche Lehrer und Erzieher, sie haben mich gefördert, auch gefordert. Mir tut es weh, wenn plötzlich ein Generalverdacht gegen kirchliche Institutionen wie katholische Schulen und Internate aufkommt. Man munkelt von Verbrecherorganisationen. Das trifft mich als Pfarrer auch. Ich habe mein ganzes Leben der Jugend gewidmet, und jetzt gehöre ich auch zu dem Berufsstand, der als ganzer verdächtigt wird, weil die schwarzen Schafe das Image in der Öffentlichkeit prägen. Ich habe Verständnis dafür, dass der hohe moralische Anspruch der Kirche gerade im sexuellen Bereich, ihr jetzt selbst auf den Kopf fällt. Das ist bitter und schlimm! Aber Gott sei Dank, gibt es auch die andere Seite! Ich bleibe trotz allem Pfarrer und auch katholisch!

 

 

Donnerstag, 19.5.2011

„Den Quellen auf der Spur!“

Er is eh nie da! Das ist mein Leumund, damit muss ich leben. Wo bin ich denn? Natürlich: „Den Quellen auf der Spur“. So heißt auch ein kleiner Reisebegleiter ins Heilige Land, den ich vor Jahren geschrieben habe. Er ist leider schon vergriffen. Ich war öfter als 100 Mal im Heiligen Land und meine Faszination hält an!  Mich interessiert aber auch das Leben der Leute heute und damals, als Jesus lebte. Und natürlich die Person und das Schicksal Jesu selbst. Jesus ist in Nazareth aufgewachsen. Von seiner Kindheit und Jugendzeit wissen wir fast nichts. Vermutlich hat er im benachbarten Sepphoris als Tagelöhner gearbeitet. Was dachte er, was wusste er von sich selbst, seiner Sendung, er war doch Gottes Sohn von Ewigkeit an. Das definierte 300 Jahre später das Konzil von Nizäa.  Dann sein öffentliches Wirken etwa drei Jahre lang, das mit dem völligen Fiasko am Kreuz geendet hat. Seine Wirkung auf die Randschichten der Gesellschaft, auf die weltliche und besonders die geistliche Obrigkeit, die seine Beseitigung durchgesetzt hat. Man wollte ihn total vernichten. Das Gegenteil ist eingetreten. Eine Kirche, mehrere Kirchen, jeder dritte Mensch etwa auf der Welt ist auf den Namen Jesu getauft. Es tut „Jung und Alt“ gut, den Spuren Jesu nachzuspüren, auch das Jesusbild der eigenen Tradition zu hinterfragen. Ich kann es als Pfarrer tun, sie direkt zu Jesus hinführen. Und das tue ich gern!  

 

 

 

Freitag, 20.5.2011

„Du machst es den Leuten aber leicht!“

„Du Pfarrer, du machst es den Leuten aber leicht!“ Das höre ich manchmal im Ton des Vorwurfs. Meine Antwort ist dann die Frage: „Soll ich es ihnen schwer machen?“ Das Leben ist ohnehin schon schwer genug. Da mache ich es mir wirklich leicht! Ich glaube, dass Gott mir den Himmel schenkt! Wir haben eben Ostern gefeiert. Und die Juden zur gleichen Zeit ihr Pessachfest. Beide Feste hängen zusammen. Die Juden erinnern sich, dass der Gott ihr Leid, die Unterdrückung und Ausbeutung in Ägypten, kennt. Er will Befreiung und macht das Unmögliche möglich. Das ist bis heute ihre zentrale Botschaft. Christen feiern den Tod und die Auferstehung Jesu.  Aus Solidarität ist Jesus in die tiefste menschliche Hoffnungslosigkeit hinuntergestiegen bis in den Tod, um die Menschen dort abzuholen, sie zu verwandeln und mitzunehmen. „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen!“ Und: „Heute noch wirst du bei mir im Paradiese sein!“ sind ganz nahe beisammen. Ich glaube, dass Menschen die Hoffnung brauchen, nicht nur die kleinen Hoffnungen im Alltag, sondern auch die große, die sagt, dass im Letzten alles gut ausgeht.  Als Pfarrer ist mir aufgetragen, die großen Verheißungen der biblischen Botschaft den Menschen heute nahezubringen. Ich stehe am Horizont des Lebens. Der Blick über den irdischen Tellerrand hinaus ist offen. Das Gespenst einer letzten Sinnlosigkeit verblasst. Da geht es mir gut als Pfarrer und ich bin stolz über die Nachrede: Du machst es den Leuten aber leicht!“ Man lebt wirklich leichter, wenn man glauben kann.

 

 

 

 

Samstag, 21.5.2011

„Auslaufmodell Priester?“
Ich bin seit 47 Jahren katholischer Priester und derzeit noch Pfarrer einer etwa 5.000 Katholiken zählenden Gemeinde in Innsbruck. Als Bundeslehrer ging ich mit 60 Jahren in Pension, habe eine Darmkrebserkrankung gut überstanden. Auf Zureden zweier guter Freunde habe ich die Pfarre im Innsbrucker Saggen übernommen. In zwei Jahren bin ich 75 Jahre und muss laut Kirchenrecht dem Bischof meinen Rücktritt anbieten. So Gott will, werde ich in drei Jahren mein Goldenes Priesterjubiläum feiern. So lange man einigermaßen fit ist, tritt man in diesem Beruf ja nie ganz ab, weil man ja gerade in Zeiten wie diesen immer noch irgendwie gebraucht wird. Im vertraulichen Gespräch werde ich öfter gefragt: „Würdest Du dich heute wieder entscheiden, Priester zu werden?“ Ich zögere mit meiner Antwort! Ich weiß es nicht! Und ich weiß es wirklich nicht! Meine Eltern stellten sich quer! Auf ein spektakuläres Berufungserlebnis kann ich mich nicht berufen. Es waren einige Schulfreunde, Priesterstudenten, meine geistlichen Lehrer und Erzieher die mir imponierten und eine Ausstrahlung hatten, so dass ich mich fragte: Könnte das nicht auch ein Weg für mich sein? Das Studium in Innsbruck offenbarte mir eine katholische Weltkirche, die sich mir aufgeschlossen, sympathisch, anspruchsvoll präsentierte. Dann das 2. Vatikanische Konzil mit seinen mutigen Schritten nach vorne. Da lohnt es sich mitzumachen. So wurde ich Priester. Ich habe es bis heute nicht bereut und hatte ein interessantes, spannendes, erfülltes Leben. Nur, ob ich mich heute auch dafür entscheiden würde, das weiß ich wirklich nicht!