Du bist mehr – als Du glaubst. Es scheint so, dass Religion immer
mehr zur Privatangelegenheit wird. Die Kirchen werden leerer und
leerer, ausgenommen vielleicht noch zu Weihnachten. Mehr und mehr
Menschen sagen, dass sie keine Kirche brauchen, um an Gott zu
glauben. Das mag schon stimmen, wenn es darum geht, sich
zurückzuziehen und ins Gebet zu versenken. Wer aber macht das schon?
Glaube ist doch auch eine höchst weltliche Angelegenheit, denn
Glaube muss sich ja in der Welt zeigen. So kann man, meiner Meinung
nach, durchaus sagen, dass Glaube als Privatangelegenheit nicht
reicht. Es fehlen die Gespräche mit den Anderen, es fehlen die
gemeinsamen Vorhaben, in denen Glaube Gestalt gewinnt. Das geht nur
gemeinsam und manchmal ist das viel schwieriger, als wenn man alles
mit sich allein ausmacht. Allein können die Menschen auch viel
weniger auf die Beine stellen, als wenn viele von einer Idee
überzeugt sind und diese dann realisieren. Aber Glaube bedeutet ja
nicht nur Arbeit, sondern auch Feiern. Schließlich heißt es ja auch,
dass Gottesdienste gefeiert werden. Auch dies geschieht gemeinsam
und vereint die vielen Ideen und Fantasien, die die Menschen im
Glauben mitbringen. Du bist mehr als Du glaubst – Kirchen feiern
dies immer sonntags. Die evangelisch-lutherische Kirche macht am 18.
und 19. Juni ein ganz besonderes Fest daraus: Ein österreichweites
Fest in über 90 Pfarrgemeinden.
Montag, 6.6.2011
Du bist mehr – als du verdienst. Das hört sich komisch an, gerade in
Zeiten, in denen alles nach Cent und Euro gemessen wird. Das hat ja
auch durchaus seine Berechtigung, denn ich muss wissen, was ich am
Monatsersten am Konto habe. Nur so kann ich den Monat planen und
kalkulieren, was ich mir leisten kann und was nicht. Damit das
gelingt, sind viele Menschen täglich unterwegs ins Büro, auf die
Baustelle oder ins Geschäft. Und immer mehr müssen dies auch
sonntags tun, eben damit sie genug verdienen. Das kann leicht zu
einer Tretmühle werden von morgendlichem Aufstehen, in die Arbeit
fahren, Einkaufen gehen, dann nach Hause und dann beim Abendfilm
einschlafen. Und am nächsten Tag derselbe Ablauf, tagaus – tagein,
jeden Monat wieder. Dazu kommt dann noch gar nicht so selten, dass
der Lohn nur ganz knapp zum Leben reicht.
Du bist mehr, als du verdienst. Das sagen die Kirchen den Menschen.
Gemeint ist damit, dass Gott den Menschen anders sieht. Denn Gott
will, dass es den Menschen gut geht. Das könnte doch bedeuten,
einmal innezuhalten. Und sich bewusst zu machen, dass es auch
anderes gibt im Leben. Mir fallen die Menschen ein, die ich liebe,
die Familie. Und schließlich auch ich selbst und was ich mir so
Gutes tue. Du bist mehr – als Du verdienst. Wenn das kein Grund zum
Feiern ist.
Dienstag, 7.6.2011
Du bist mehr – als du denkst. Eigentlich hat doch jeder und jede
eine bestimmte Vorstellung von sich selbst. Dazu gehört etwa das
Aussehen oder wie zufrieden man mit dem ist, wie man seinen
Mitmenschen begegnet. Seien wir ehrlich: Diese Bilanz fällt meistens
nicht so gut aus. Viele sind erbarmungslos kritisch mit sich selbst.
In der Klasse meines Sohnes etwa gab es Mädchen, die haben sich zur
Matura eine Korrektur ihrer Nase gewünscht.
Für die so genannten inneren Werte leben ganze Heerscharen davon,
Menschen ihr Selbstbewusstsein wieder aufzurichten. Dabei haben die
Menschen um uns herum ein ganz anderes Bild von uns, als wir selbst.
Da mag einer denken, seine Arbeit sei weniger wichtig als die der
Anderen. Für die Kollegen aber ist er unverzichtbar, weil ohne ihn
ihre eigene Arbeit nicht möglich wäre. Oder zu Hause, wenn Vater
oder Mutter immer für die Kleinen da sein müssen und irgendwann
einfach nur noch erschöpft sind. Für den Nachwuchs aber sind sie der
Garant für eine ruhige Nacht oder der Fels, wenn man im Liebeskummer
zu ertrinken droht.
Du bist mehr, als du denkst. Das gilt auf jeden Fall für die
Menschen um uns herum. Aber das gilt auch für Gott. Denn Gottes
Vorstellung von uns geht weit über das hinaus, was wir von uns
denken. Daraus kann man sogar ein Fest machen – genau das tut die
evangelisch-lutherische Kirche am 18. und 19. in vielen
Pfarrgemeinden: Du bist mehr – als Du denkst. Wenn das kein Grund
zum Feiern ist.
Mittwoch, 8.6.2011
Du bist mehr – als Du erwartest. Die meisten Menschen haben ganz
bestimmte Vorstellungen davon, was sie vom Leben erwarten. Meist ist
das recht bescheiden: Da kommt als erstes einmal Gesundheit, dann
ein Arbeitsplatz, eine Partnerschaft, Kinder vielleicht,
Freundschaften, der jährliche Urlaub. Das ist der Traum vom
gelingenden Leben. Da gibt es aber welche, die sagen, das ist schon
viel, wer hat das alles? Hier zeigt sich, dass der Mensch sein Leben
nicht in der Hand hat und dass das Lebensglück nicht von einem
selbst abhängt. Gelingendes Leben kann der Mensch nicht selber
machen. So liegt es nicht in der eigenen Hand, einen passenden
Partner oder eine passende Partnerin zu finden. Sonst gäbe es nicht
so viele Menschen, die allein durchs Leben gehen. Und dass eine Ehe
heutzutage längst nicht mehr das ganze Leben lang halten muss, zeigt
der Blick auf die Scheidungsrate. Nein, der Mensch ist eben nicht
seines eigenen Glückes Schmied.
Dennoch gehört zum Menschen dazu, dass er Erwartungen an das Leben
hat und diese Erwartungen auch nennt. Die Adresse dafür ist Gott.
Die Kirchen nennen dieses Gespräch mit Gott beten. Im Gebet dürfen
die Menschen all ihre Erwartungen an das Leben vorbringen. Aber das
allein macht den Menschen nicht aus. Du bist mehr, als Du erwartest,
würde Gott antworten. Das Leben und die Schöpfung Gottes sind reich,
viel reicher, als die meisten Menschen es sich erwarten. Die Kirchen
sprechen davon – du bist mehr, als Du erwartest.
Donnerstag, 9.6.2011
Du bist mehr – als du leistest. Aber Leistung durchzieht ja das
ganze Leben, schon allein wenn ich an die Arbeit, die Schule oder
etwa den Sport denke: Der Spruch „Dabei sein ist alles“ zählt schon
längst nicht mehr. Etliche Freizeitsportler helfen etwa bei einem
Marathon nach und im Profisport scheinen unterstützende Medikamente
unverzichtbar zu sein. In der Schule geht es ohne Leistung ja gar
nicht – denn wer weiter kommen will muss die Leistung erbringen, die
der Lehrplan vorschreibt. Das ist im Grunde auch gut so.
Gefährlich wird es, wenn Menschen sich über ihre Leistung
definieren. Da bricht dann eine Welt zusammen, wenn einige
Zehntelsekunden fehlen oder wenn es kein Einser oder Zweier geworden
ist. Schnell wird alles unternommen, um die Leistung wieder zu
erbringen, sei es noch mehr Training oder noch mehr Lernen. Aber da
gibt es doch mehr, das den Menschen ausmacht. Da sind seine Gefühle,
da sind die anderen Interessen, und da ist auch jemand, der einem
das sagt: Du bist mehr als Du leistest. Bei Gott ist es nämlich
vollkommen uninteressant, was ein Mensch leistet. Interessant ist
für Gott, dass der Mensch lebt, wie sein Schöpfer es vorschlägt:
Frei von Zwängen, immer mehr leisten zu müssen und daran womöglich
zu zerbrechen. Das verkünden Menschen in den Kirchen. Die
evangelisch-lutherische Kirche feiert sogar ein großes Fest
deswegen: Am 18. und 19. Juni heißt es in über 90 Pfarrgemeinden: Du
bist mehr.
Freitag, 10.6.2011
Du bist mehr als Du bist. Das klingt zunächst einmal komisch. Denn
was ein Mensch ist, das kann man doch leicht sehen: Ein Mann oder
eine Frau, ein Kind. Reich oder arm, gesund oder krank, lustig oder
traurig. Schon diese Aufzählung zeigt, dass der Mensch höchst
unterschiedlich ist, denn an einem Tag ist jemand froh, am anderen
ist er traurig. Der Mensch ist aber mehr als seine Stimmungen und
Befindlichkeiten. Und ob jemand als Regalbetreuerin,
Geschäftsführerin, Rauchfangkehrer oder Arzt arbeitet macht einen
Menschen auch nicht aus. Besonders augenfällig wird dieses Denken
schließlich bei der Staatsangehörigkeit. Da gibt es dann auf einmal
ein sogenanntes Asylproblem, weil Menschen aus vermeintlich falschen
Staaten nach Österreich kommen wollen. Sie alle, ob Regalbetreuerin,
Geschäftsführerin oder Arzt, ob Flüchtling oder Rauchfangkehrer,
sind mehr als sie nach außen hin darstellen. Sie sind mehr als sie
leisten oder nicht leisten, sie sind mehr, als sie im Geldbörsel
haben oder nicht haben. Aber eines eint sie bei aller
Unterschiedlichkeit: Sie alle sind Gottes Geschöpfe. Damit bekommen
sie gesagt: Du bist mehr. In Gottes Augen sind die Menschen
unabhängig von ihren Leistungen und Erfolgen. Oder Misserfolgen. Die
Antwort der Christinnen und Christen darauf ist die Taufe, mit der
sie sagen: Ja, ich weiß und hoffe, dass ich mehr bin, als ich nach
außen hin erscheine und leiste.
Samstag, 11.6.2011
Immer wieder heißt es, die Kirchen würden an den Menschen
vorbeireden. Was die Kirchen zu sagen haben, will heutzutage niemand
mehr hören, heißt es. Das gipfelt dann in dem Vorwurf, die Kirchen
seien einfach nicht bei den Menschen und dem, was sie beschäftigt.
Denn vielen geht es ja darum, dass sie ihren Alltag bewältigen, wie
sie ihre Kinder großzuziehen, die Herausforderungen im Job zu
meistern oder mit dem Geld ein Auslangen zu finden. Das alles ist
schwierig und anstrengend genug. So anstrengend, dass man leicht
vergisst, dass da noch mehr ist, das den Menschen ausmacht. Genau
das ist es, was die Kirchen den Menschen zu sagen haben: Du bist
mehr, als du leistest oder verdienst. Du bist mehr, als du denkst.
Aus diesem Gedanken heraus hat die evangelisch-lutherische Kirche
eine Aktion gestartet: „Du bist mehr“, heißt es in über 90
evangelischen Pfarrgemeinden am 18. und 19 Juni. Die
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Kirchen gehen auf die Straßen
und laden die Menschen ein, genau das zu feiern: Du bist mehr.
Es soll natürlich nicht bei diesem einen österreichweiten Fest
bleiben: Die Pfarrgemeinden laden auch unterm Jahr ein, in
Veranstaltungen zu erleben, was es heißt, dieses „Du bist mehr“.