Morgengedanken

Sonntag,  6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr, 
ORF Regionalradios

 

 

 

„Gedanken zu den Zehn Geboten“

von Pfarrer Dr. Christoph Weist

 

 

Sonntag 3.7.2011

Man kann sie als Gängelung für vernünftige Menschen verstehen oder sie, wie auch schon zu hören war, die „zehn großen Freiheiten“ nennen: Die Zehn Gebote prägen das Leben. Und sie gehören nicht nur zu dem, was man so gern die „europäischen Werte“ nennt, sie gestalten weltweit das Miteinander der Menschen.

Die Zehn Gebote haben eine Überschrift. „Ich bin der Herr, dein Gott“ ist nicht nur die Headline, sondern gleich das erste Gebot. Und wer die Liste der übrigen neun im 2. Buch Mose genau anschaut, vor allem die ersten drei, der sieht, was damit gemeint ist. Gott ist es, der das Zusammenleben bestimmt, auch das mit ihm selbst.

Er duldet keine anderen Maßstäbe, keine „Götter“ neben sich. Er lehnt alle fixen Vorstellungen und Bilder ab, die man sich von ihm konkret machen könnte. Sein Name darf nicht für Unsinn beansprucht und damit „missbraucht“ werden. Und er will, dass Menschen an einem Tag der Woche nichts tun als sich über all das in Ruhe Gedanken zu machen.

Das kann nur heißen: Gott steht am Anfang allen menschlichen Miteinanders. Wie eine Woche ohne den Sonntag als erstem Tag keine vollständige Woche wäre, so sind alle Regeln für das menschliche Zusammenleben, an deren Anfang nicht Gott steht, ohne Basis. Ein hoher Anspruch für jeden Tag, der vor mir liegt.

 

 

 

Montag 4.7.2011

Das Interessanteste an dem biblischen Gebot „Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren“ ist seine Begründung: „…auf dass du lange lebest in dem Lande, das dir der Herr, dein Gott, geben wird“. Die altertümlich klingenden Worte erinnern an den Auszug des Volkes Israel aus Ägypten und an die damit verbundenen Hoffnungen. Auf jeden Fall aber zeigen sie: Das Verhältnis der Generationen zueinander hat mit gesellschaftlichem Wohlergehen zu tun. Der Streit um Sinn oder Unsinn des „Generationenvertrags“ oder gar die häusliche Gewalt, die sich oft genug zwischen den Generationen abspielt, zeigen ja nur: Wenn das Miteinander zwischen Alt und Jung trotz Traditionsabbruch und rasend schnellen Veränderungen wirklich gelingt, gehen wichtige Dinge im Land weiter.

Da setzen die einen ihre tatsächlichen oder angeblichen Erfahrungen und Rechte nicht absolut, da drücken die anderen das Neue und Andere nicht einfach durch, da geben vielmehr auf beiden Seiten Verständnis und Rücksichtnahme den Ton an und das Wissen, aufeinander angewiesen zu sein. Und jeder und jede kann lange und gut leben im Lande. Und in einer Gesellschaft, von der Christinnen und Christen glauben, dass sie die Verantwortung für sie von Gott erhalten haben.    

 

 

 

Dienstag 5.7.2011

Zugegeben, das Gebot „Du sollst nicht töten“ galt in alttestamentlicher Zeit sozusagen nur „im Privatbereich“. Das Töten im Krieg und auf Grund von Strafen war legitim. Ich halte es für ein großes Glück, dass wir das heutzutage anders sehen.

Von vielen Menschen – wenn auch leider nicht von allen – wird die furchtbare Schuld empfunden, die ein Krieg mit sich bringt, gleichgültig ob er als Angriffskrieg oder zur Verteidigung geführt wird oder einseitig als Guerillakrieg gegen einen ideologischen Feind. Wo Kindersoldaten in den Tod geschickt werden oder Familienväter von Autobomben zerfetzt werden, ist klar: Krieg darf nicht sein!

Weniger empfindlich ist man im zivilen Bereich. Das berühmte, stets falsch verstandene „Auge um Auge“ ist noch immer im öffentlichen Bewusstsein tief verankert. Der Platz hinter der Glasscheibe eines Hinrichtungsraumes scheint für Angehörige von Verbrechensopfern noch immer therapeutische Wirkung zu haben. „Gerechtigkeit“ scheint wiederhergestellt, aber „gut geworden“ ist damit nichts. Für keinen der Beteiligten.

Denn „Du sollst nicht töten“ heißt: Das Auslöschen eines Menschenlebens, egal aus welchem Grund, wirkt zerstörerisch für viele und für vieles. Es hat unabsehbare Folgen. Gott lässt sich sein Ebenbild nicht kaputtmachen.

 

 

 

Mittwoch 6.7.2011

Dass das Gebot „Du sollst nicht ehebrechen“ nach lutherischer und römisch-katholischer Zählung ausgerechnet das sechste ist, hat schon viele schmunzeln lassen. So ist es zum „Sex“-Gebot oder gar Sex-Verbot geworden. Und dabei meint es doch so viel mehr. Ja, es denkt an die Momente, in denen sich Partner und/oder Partnerinnen körperlich sehr nahe kommen. Aber vor allem denkt es an das tiefe Vertrauen zwischen zwei Menschen, das damit verbunden ist. Und es erinnert nicht nur freundlich daran, sondern es macht kurz und energisch darauf aufmerksam, was es bedeutet, dieses Vertrauen aufs Spiel zu setzen, oder besser gesagt, es ganz zu zerstören. Es bedeutet in aller Regel tiefe menschliche Enttäuschung und Verletzung. Es bedeutet Verwundungen, die lange anhalten, manchmal gar nicht heilen. Um das zu beobachten muss man kein Psychologe sein.

Das Gebot „Du sollst nicht ehebrechen“ fragt: Ist es dir so viel wert, in deine Beziehung einen „doppelten Boden“ einzuziehen, den Alltag auf Lüge und Täuschung aufzubauen, quälendes Misstrauen entstehen zu lassen bei einem Menschen, dem du viel bedeutest?

Es geht um Vertrauen - und es geht um Verantwortung. Um Verantwortung meiner Partnerin, meinem Partner gegenüber. Da gibt es nichts mehr zum Schmunzeln, denn letztlich eingefordert wird diese Verantwortung von Gott selbst.

 

 

 

Donnerstag 7.7.2011

Ich bin nicht der Meinung, dass Eigentum automatisch gleich Diebstahl ist. Aber das Gebot „Du sollst nicht stehlen“, das in der Bibel ohne nähere Begründung einfach so dasteht, gibt mir zu denken. Da ist das riesengroße Gefälle zwischen den Hälften unserer Erdkugel, die groben Unterschiede zwischen denen, die viel haben und denen, denen fast alles fehlt. Was habe ich ihnen weggenommen, ich, dem es nach landläufigen Maßstäben gut geht? Und warum ist es so schrecklich, dass immer mehr Menschen versuchen, an meinem Wohlstand teilzunehmen. Selbst dann, wenn sie in ihrer Heimat nicht von Folter und Mord, sondern „nur“ vom Hunger bedroht sind und man sie verharmlosend „Wirtschaftsflüchtline“ nennt?

Martin Luther war kein Globalisierungskritiker, dennoch dachte er an so etwas wie eine andere Wirtschaftsordnung. Zum Gebot „Du sollst nicht stehlen“ meinte er, wir sollten „unsers Nächsten Geld oder Gut“ nicht „mit falscher Ware oder Handel an uns bringen“. Vielmehr sollten wir „ihm sein Gut und Nahrung helfen bessern und behüten“.

Falsche Ware, falscher Handel mit unseren Nächsten „da unten“ ohne Rücksicht auf ihr „Gut“ und ihre „Nahrung“ - ich fürchte, hier läuft noch immer einiges schief. Die halbtoten Männer, Frauen und Kinder, die in Lampedusa aus den Booten geholt werden, sind die Quittung dafür.

 

 

 

Freitag 8.7.2011

„Und alles zum besten kehren.“ Diese fünf Worte hörte ich als Bub von meiner Mutter immer dann, wenn ich in irgendeinen Krach mit Schulkollegen, Freunden oder schrecklichen Erwachsenen geraten war. Gemeint war: Streite nicht, sondern schau zu, dass die Dinge sich wieder einrenken.

Die fünf Worte stammen aus Martin Luthers Erklärung zum – nach seiner Zählung – achten Gebot: „Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten“. Man könnte einfacher sagen „Du sollst nicht lügen“. Weniger einfach, dafür spannender ist es, dieses strikt klingende Verbot von seiner positiven Seite aufzurollen. Luther hat es versucht, als er schrieb, wir sollen unseren Nächsten anstatt ihn mit wilden Behauptungen niederzumachen, „entschuldigen, Gutes von ihm reden“ und, wie schon gesagt, „alles zum besten kehren“.

In zahllosen Konflikten und schwierigen Situationen hat mir dieser Rat meiner Mutter, der eigentlich von Luther stammt, nicht nur selbst geholfen, sondern er hat auch bei anderen zu Lösungen und Ausblicken geführt. Aus einem harten Verbot wird ein hilfreicher Hinweis. Es ist nicht die Lüge, sondern die Wahrheit, die Probleme löst. Und die Wahrheit ist es, die frei macht und die Dinge zum besten kehrt.

 

 

 

Samstag 9.7.2011

Es war die Gier, die hinter allem stand, das unersättliche Immer-mehr-haben-wollen. So erklären sich viele die große Finanzkrise, von der manche sagen, dass sie bereits hinter uns liege. Ich weiß nicht, ob es allein am Fehlverhalten einiger Finanz- und Wirtschaftsbosse lag, dass die Welt an den Rand ihrer wirtschaftlichen Stabilität geriet. Noch weniger weiß ich, ob das alles bereits vorbei ist. Was ich weiß ist, dass das Habenwollen seit Menschengedenken Menschen beschäftigt. „Du sollst nicht begehren deines Nächsten Haus“ heißt es in den - nach der Zählung Martin Luthers und der römisch-katholischen Kirche – beiden letzten der biblischen Zehn Gebote. Und weiter werden da genannt die Frau des Nächsten, sein Knecht, seine Magd, sein Vieh „und alles was sein ist“.

Alles, was der andere hat, auch haben wollen, oder ihm sogar wegnehmen – das ist offenbar ein tiefsitzender Trieb der Menschen. Dass er sich eigentlich gegen sie selbst richtet, davor warnen die biblischen Gebote. Deshalb dreht Luther in einer Erklärung zu diesen Geboten die Dinge um: Wir sollen unserem Nächsten das Seine „zu behalten förderlich und dienlich sein“. Von einer neuen Wirtschaftsordnung wird viel gesprochen, utopische Theorien werden aufgestellt. Läge hierin nicht ein schlichter, aber zukunftsfähiger Ansatz?