Morgengedanken

Sonntag,  6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr, 
ORF Regionalradios

 

 

 

von Propst Dr. Florian Huber (Gols, Burgenland)

 

 

Sonntag, 7. August 2011

Ich habe zur Predigt einen Stein in den Gottesdienst mitgebracht. Was kann man mit diesem Stein alles tun? Die erste Antwort, ganz spontan von einem Buben aus der ersten Reihe herausgerufen: "schmeißen". Lachen in der Kirche. "Werfen" übersetze ich für anwesende deutsche Gäste. Noch mehr Lachen in der Kirche.

Ich weiß nicht, ob allen noch zum Lachen zu Mute ist, wenn tatsächlich ein Stein geworfen wird. Kann ja sein, dass er, auf die Wasseroberfläche eines Sees geworfen, einige Male aufspringend über das Wasser tanzt, bevor er versinkt. Das zaubert ein Lachen ins Gesicht. Kann aber auch sein, dass er auf jemanden geworfen wird, und das kann weh tun, sehr weh. Das kann tödlich sein.

Und dann ganz anders: "Man kann ihn bemalen." Dann wird der Stein etwas ganz Persönliches. Vielleicht findet er den Weg zu jemanden als Geschenk und erhält einen besonderen Platz, erinnert an eine schöne Begegnung, an jemand, der einen gern hat.

Und noch einmal anders: "Man kann damit Brücken und Häuser bauen." Dann schaffen Steine Lebensraum, verbinden, was sonst getrennt ist.

"Lasst euch als lebendige Steine zu einem geistigen Haus aufbauen", hat es in der Lesung an jenem Sonntag geheißen. Begegnen uns nicht Tag für Tag Menschen, die das Miteinander und Füreinander suchen und dran bauen? Ein Stein verweist als Symbol auf sie, die als lebendige Steine zu einem guten Leben beitragen.

 

 

 

Montag, 8. August 2011

Vor einigen Jahren habe ich entdeckt, dass es ganz kleine, durchaus funktionsfähige Kompasse gibt, Durchmesser zweieinhalb Zentimeter. Die sind leicht in der Hosentasche unterzubringen. Natürlich weniger für eine abenteuerliche Entdeckungstour gedacht, sondern mehr als leichtgewichtiges, nicht viel Raum brauchendes Mitbringsel. Etwas für einen Platz, wo man wichtige Kleinigkeiten hinstellt.

Ich habe mir gleich ein ganzes Paket davon bestellt. Einer ist bei mir geblieben. Die anderen habe ich verschenkt.

Ich denke, dass sie sprechen können. Natürlich nur für die, die ein Ohr dafür haben. Das wichtige Gesprächsthema ist die Suche nach Orientierung in unserem Leben, die Frage, wonach wir uns ausrichten, was unserem Weg ein Ziel gibt, eine Richtung, und wie wir uns vergewissern, ob wir auf dem rechten Weg sind. Wer einen Standpunkt einnimmt und seinen Kompass entsprechend dreht, dem zeigt die Nadel die Richtung nach Norden. Wenn ich weiß, wo ich hin will, dann kann ich mich so orientieren.

Wenn ich weiß, wo ich hin will. "Weißt du das?", spricht mein Kompass zu mir. Und ich zu ihm: "Und wer sagt mir, dass die angezeigte Richtung nach Norden tatsächlich stimmt und nicht störende Magnetfelder deine Richtungsangabe verfälschen?"

In einer Zeit unsicherer Orientierung werden wir nur durch einen intensiven Dialog in der Suche nach dem Weg weiterkommen. Selbst ein Kompass wird da fragwürdig.

 

 

 

Dienstag, 9. August 2011

Den Dom St. Jakob in Innsbruck besuchen im Jahr hunderttausende Touristen und Kunstinteressierte. Je mehr ich mich selber in dieses Bauwerk vertiefe, umso mehr lerne ich es schätzen und lieben.

Ganz neu habe ich den Kirchenraum vor Jahren erlebt. Das ist mir wieder ganz gegenwärtig geworden als ich vor einigen Monaten bei der Inspektion der Säule eines Seitenaltares an einer fast unzugänglichen Stelle einen Seidenfaden entdeckt habe. Überbleibsel einer nächtlichen Aktion mit dem Dommesner, bei der wir in der Nacht von Karfreitag auf Karsamstag eine künstlerische Intervention beseitigt haben.

Auf die Fastenzeit 2005 hin hat die Künstlerin Elke Maier den Dom St. Jakob mit etwa 60 km Seidenfäden versponnen. Sie hat die Säulen der Seitenaltäre miteinander verbunden, Faden für Faden, über die ganze Breite des Innenraumes hinweg. Sie hat neue Beziehungen geknüpft, sich in Wochen mühsamer Arbeit vom Eingang der Kirche dem Hochaltar mit dem Allerheiligsten angenähert, hat im scheinbar Bekannten neue, ganz unbekannte Räume erschlossen, sichtbar gemacht, hat im Spiel des Lichtes Besucherinnen und Besuchern herrliche Stimmungen aufleuchten lassen.

Bis auf den heutigen Tag werde ich immer wieder auf dieses Kunstwerk angesprochen. "Alles hängt an einem seidenen Faden" hat dadurch für mich eine ganz andere, keine bedrohliche, sondern auch eine freudige Bedeutung bekommen.

 

 

 

Mittwoch, 10. August 2011

Die Lange Nacht der Kirchen hat sich inzwischen gut etabliert. In bewährter ökumenischer Zusammenarbeit gibt es jährlich ein abwechslungsreiches Angebot. Kirchen öffnen ihre Räume. Es gibt Vielfältiges zu erleben und zu sehen. Auch was normalerweise nicht zugänglich ist, wird mancherorts geöffnet.

Eingeladen wird dazu unter anderem auch mit Zündhölzern, auf denen das Datum deutlich sichtbar drauf ist. Eine Restschachtel aus dem Jahr 2010 habe ich vor kurzem in die Hand bekommen. Sie hat mich daran erinnert, dass diese Nacht, jedenfalls bei uns in Innsbruck, eine sehr verregnete gewesen ist. Aber das hat dem Feuer der Begeisterung für die Sache nicht geschadet. Ganz im Gegenteil.

Heute steht im Namenstagskalender ein Heiliger, der auch mit dem Feuer in Verbindung steht. Diakon Laurentius hat nach dem Tod des Papstes dem Kaiser Valerian die Herausgabe der Kirchengüter verweigert und sie unter den Armen verteilt. Sie hat er als die wahren Schätze der Kirche bezeichnet. Auf einem glühenden Rost wurde er dafür zu Tode gequält. Papst Leo der Große hat über ihn gesagt: "Das Feuer, das in ihm brannte, half ihm, das äußere Feuer des Martyriums zu bestehen."

Das Feuer der Begeisterung hilft, dass die Widerwärtigkeiten des Lebens nicht alles bestimmen und tonangebend werden. Wenn in uns nur mehr Asche ist, tut es gut, etwas, jemanden zu haben, der für uns wie ein Zündholz ist, das das Feuer der Begeisterung wieder entfacht.

 

 

 

Donnerstag, 11. August 2011

Wer Geld hat, der hat eine dicke Brieftasche. So war es jedenfalls einmal. Heutzutage kann die Brieftasche auch ganz dünn sein, und die Eigentümerin oder der Eigentümer hat doch viel Geld zur Verfügung. Dünne Scheckkarten machen auch Brieftaschen dünn. Außer man hat viele Karten für alles Mögliche in die für die neuen Bedürfnisse adaptierten diversen Fächer eingepackt.

Dann und wann eröffnet einem jemand beim Öffnen seiner Brieftasche einen kurzen Blick auf das darin Verwahrte. Da lässt sich dann sehen, dass abseits von vielen Karten noch etwas anderes, etwas sehr Wertvolles drinnen ist. Oft gibt es da ein Foto von jemand zu sehen. Oder auch ein Foto, wo mehrere darauf sind. Dann und wann habe ich auch ein Heiligenbildchen zu Gesicht bekommen.

Das, was wertvoll ist oder durch Begegnungen wertvoll geworden ist, möchten viele ständig bei sich tragen. Nicht nur im Herzen, nicht nur in ihren Gedanken, sondern ganz anschaulich. Bei den vielen Gelegenheiten, die Geldtasche zu öffnen, tut sich dann mehr auf als der Blick auf die schnell schwindenden Eurovorräte, die man doch erst vor kurzem hineingegeben hat, oder auf Scheckkarten, die das bargeldlose Bezahlen möglich machen, wo dann das Erschrecken oft erst beim Blick auf den Kontoauszug hochkommt. Da schaut man auf ein kleines Bild, und darin tut sich eine ganze Welt auf. Sie macht das Leben wertvoll.

 

 

 

Freitag, 12. August 2011

Manchmal laufen die Entwicklungen ganz anders als vorhergesagt. Vor einigen Jahrzehnten hat man der Fahrradindustrie das baldige Aus prophezeit. Wer wird noch mit dem Fahrrad fahren, wenn es mit dem Auto doch viel schneller geht, es für immer mehr leistbar wird, man damit auch bei schlechtem Wetter trocken ans Ziel kommt?

Und auf dem Weg der Vollelektrifizierung aller Lebensbereiche hat man auch der Kerzenindustrie das Aus prophezeit. Wer wird noch eine Kerze kaufen und anzünden, wenn es doch mit einer kleinen Handbewegung möglich ist, dunkle Räume bis ins letzte Eck zu erhellen, durch Dimmen die Lichtstärke zu regulieren und damit Stimmung zu vermitteln?

Ja, sogar in den Kirchen, haben manche gemeint, ist das Ende des Kerzenlichts nahe gerückt. Der Augenschein vermittelt ein anderes Bild.

Bei einem Besuch in der Kirche eine Kerze anzuzünden, gehört für viele zu einer guten Gepflogenheit. Wer mit Kindern unterwegs ist, braucht nicht viele Worte. Die Einladung zum Anzünden einer Kerze, das Weggehen im Wissen, dass da eine Kerze brennt, geht unmittelbar ins Gemüt. Eine festliche Stunde am Tisch mit Freunden, eine ruhige, besinnliche Stunde im Licht einer Kerze, vielleicht sogar einer mit viel Sorgfalt ausgesuchten oder persönlich gestalteten: da kann elektrisches Licht nicht mithalten. Kerzenlicht vermittelt eine ganze andere Stimmung. Da leuchtet zum Leben Wichtiges auf.

 

 

 

Samstag, 13. August 2011

An ein Geschenk meiner Mutter erinnere ich mich ganz genau. Ich war in der siebten Klasse Gymnasium, und meine Uhr war aus der Sicht meiner Mutter nicht mehr herzeigbar. Also hat sie mir zu meinem Geburtstag eine neue Uhr geschenkt. Und wie das oft so ist, der Geschmack eines Siebzehnjährigen und ihr Geschmack haben sich nicht getroffen. Meine Begeisterung hat sich in Grenzen gehalten. Aber Zeiten und Geschmäcker ändern sich. Viele Jahre später habe ich die Uhr schätzen gelernt. Die Feder der Uhr wird durch Armbewegungen in kleinen Schritten selbständig aufgezogen. Ganz gerne trage ich sie auf Bergtouren. Vier Jahrzehnte hat sie inzwischen schon auf dem Buckel. Ein robustes Stück. Seit meine Mutter das Zeitliche gesegnet hat, ist mir ihr Geschenk noch wertvoller geworden. Ein schöner Ausdruck übrigens "das Zeitliche segnen" für den Abschied aus dieser Welt. Ja, meine Mutter war für mich und für viele ein Segen. Wenn ich diese Uhr an den Arm gebe, sie vorher ordentlich schüttle und sie mit meinen Bewegungen in Gang bringe und halte, dann ist etwas von ihrem Segen erlebbar da.

Ich weiß nicht, wie viel ich heute für diese Uhr erhalten würde. Was sie für mich bedeutet, ist nicht in Geld aufzuwiegen. Ihr Wert liegt auf einer ganz anderen Ebene als der des Geldwertes. Wenn einem jemand zum Segen wird, dann ist das etwas sehr Wertvolles.