Ich habe zur
Predigt einen Stein in den Gottesdienst mitgebracht. Was kann man
mit diesem Stein alles tun? Die erste Antwort, ganz spontan von
einem Buben aus der ersten Reihe herausgerufen: "schmeißen". Lachen
in der Kirche. "Werfen" übersetze ich für anwesende deutsche Gäste.
Noch mehr Lachen in der Kirche.
Ich weiß
nicht, ob allen noch zum Lachen zu Mute ist, wenn tatsächlich ein
Stein geworfen wird. Kann ja sein, dass er, auf die Wasseroberfläche
eines Sees geworfen, einige Male aufspringend über das Wasser tanzt,
bevor er versinkt. Das zaubert ein Lachen ins Gesicht. Kann aber
auch sein, dass er auf jemanden geworfen wird, und das kann weh tun,
sehr weh. Das kann tödlich sein.
Und dann ganz
anders: "Man kann ihn bemalen." Dann wird der Stein etwas ganz
Persönliches. Vielleicht findet er den Weg zu jemanden als Geschenk
und erhält einen besonderen Platz, erinnert an eine schöne
Begegnung, an jemand, der einen gern hat.
Und noch
einmal anders: "Man kann damit Brücken und Häuser bauen." Dann
schaffen Steine Lebensraum, verbinden, was sonst getrennt ist.
"Lasst euch
als lebendige Steine zu einem geistigen Haus aufbauen", hat es in
der Lesung an jenem Sonntag geheißen. Begegnen uns nicht Tag für Tag
Menschen, die das Miteinander und Füreinander suchen und dran bauen?
Ein Stein verweist als Symbol auf sie, die als lebendige Steine zu
einem guten Leben beitragen.
Montag, 8.
August 2011
Vor einigen
Jahren habe ich entdeckt, dass es ganz kleine, durchaus
funktionsfähige Kompasse gibt, Durchmesser zweieinhalb Zentimeter.
Die sind leicht in der Hosentasche unterzubringen. Natürlich weniger
für eine abenteuerliche Entdeckungstour gedacht, sondern mehr als
leichtgewichtiges, nicht viel Raum brauchendes Mitbringsel. Etwas
für einen Platz, wo man wichtige Kleinigkeiten hinstellt.
Ich habe mir
gleich ein ganzes Paket davon bestellt. Einer ist bei mir geblieben.
Die anderen habe ich verschenkt.
Ich denke,
dass sie sprechen können. Natürlich nur für die, die ein Ohr dafür
haben. Das wichtige Gesprächsthema ist die Suche nach Orientierung
in unserem Leben, die Frage, wonach wir uns ausrichten, was unserem
Weg ein Ziel gibt, eine Richtung, und wie wir uns vergewissern, ob
wir auf dem rechten Weg sind. Wer einen Standpunkt einnimmt und
seinen Kompass entsprechend dreht, dem zeigt die Nadel die Richtung
nach Norden. Wenn ich weiß, wo ich hin will, dann kann ich mich so
orientieren.
Wenn ich weiß,
wo ich hin will. "Weißt du das?", spricht mein Kompass zu mir. Und
ich zu ihm: "Und wer sagt mir, dass die angezeigte Richtung nach
Norden tatsächlich stimmt und nicht störende Magnetfelder deine
Richtungsangabe verfälschen?"
In einer Zeit
unsicherer Orientierung werden wir nur durch einen intensiven Dialog
in der Suche nach dem Weg weiterkommen. Selbst ein Kompass wird da
fragwürdig.
Dienstag, 9.
August 2011
Den Dom St.
Jakob in Innsbruck besuchen im Jahr hunderttausende Touristen und
Kunstinteressierte. Je mehr ich mich selber in dieses Bauwerk
vertiefe, umso mehr lerne ich es schätzen und lieben.
Ganz neu habe
ich den Kirchenraum vor Jahren erlebt. Das ist mir wieder ganz
gegenwärtig geworden als ich vor einigen Monaten bei der Inspektion
der Säule eines Seitenaltares an einer fast unzugänglichen Stelle
einen Seidenfaden entdeckt habe. Überbleibsel einer nächtlichen
Aktion mit dem Dommesner, bei der wir in der Nacht von Karfreitag
auf Karsamstag eine künstlerische Intervention beseitigt haben.
Auf die
Fastenzeit 2005 hin hat die Künstlerin Elke Maier den Dom St. Jakob
mit etwa 60 km Seidenfäden versponnen. Sie hat die Säulen der
Seitenaltäre miteinander verbunden, Faden für Faden, über die ganze
Breite des Innenraumes hinweg. Sie hat neue Beziehungen geknüpft,
sich in Wochen mühsamer Arbeit vom Eingang der Kirche dem Hochaltar
mit dem Allerheiligsten angenähert, hat im scheinbar Bekannten neue,
ganz unbekannte Räume erschlossen, sichtbar gemacht, hat im Spiel
des Lichtes Besucherinnen und Besuchern herrliche Stimmungen
aufleuchten lassen.
Bis auf den
heutigen Tag werde ich immer wieder auf dieses Kunstwerk
angesprochen. "Alles hängt an einem seidenen Faden" hat dadurch für
mich eine ganz andere, keine bedrohliche, sondern auch eine freudige
Bedeutung bekommen.
Mittwoch, 10.
August 2011
Die Lange
Nacht der Kirchen hat sich inzwischen gut etabliert. In bewährter
ökumenischer Zusammenarbeit gibt es jährlich ein abwechslungsreiches
Angebot. Kirchen öffnen ihre Räume. Es gibt Vielfältiges zu erleben
und zu sehen. Auch was normalerweise nicht zugänglich ist, wird
mancherorts geöffnet.
Eingeladen
wird dazu unter anderem auch mit Zündhölzern, auf denen das Datum
deutlich sichtbar drauf ist. Eine Restschachtel aus dem Jahr 2010
habe ich vor kurzem in die Hand bekommen. Sie hat mich daran
erinnert, dass diese Nacht, jedenfalls bei uns in Innsbruck, eine
sehr verregnete gewesen ist. Aber das hat dem Feuer der Begeisterung
für die Sache nicht geschadet. Ganz im Gegenteil.
Heute steht im
Namenstagskalender ein Heiliger, der auch mit dem Feuer in
Verbindung steht. Diakon Laurentius hat nach dem Tod des Papstes dem
Kaiser Valerian die Herausgabe der Kirchengüter verweigert und sie
unter den Armen verteilt. Sie hat er als die wahren Schätze der
Kirche bezeichnet. Auf einem glühenden Rost wurde er dafür zu Tode
gequält. Papst Leo der Große hat über ihn gesagt: "Das Feuer, das in
ihm brannte, half ihm, das äußere Feuer des Martyriums zu bestehen."
Das Feuer der
Begeisterung hilft, dass die Widerwärtigkeiten des Lebens nicht
alles bestimmen und tonangebend werden. Wenn in uns nur mehr Asche
ist, tut es gut, etwas, jemanden zu haben, der für uns wie ein
Zündholz ist, das das Feuer der Begeisterung wieder entfacht.
Donnerstag,
11. August 2011
Wer Geld hat,
der hat eine dicke Brieftasche. So war es jedenfalls einmal.
Heutzutage kann die Brieftasche auch ganz dünn sein, und die
Eigentümerin oder der Eigentümer hat doch viel Geld zur Verfügung.
Dünne Scheckkarten machen auch Brieftaschen dünn. Außer man hat
viele Karten für alles Mögliche in die für die neuen Bedürfnisse
adaptierten diversen Fächer eingepackt.
Dann und wann
eröffnet einem jemand beim Öffnen seiner Brieftasche einen kurzen
Blick auf das darin Verwahrte. Da lässt sich dann sehen, dass
abseits von vielen Karten noch etwas anderes, etwas sehr Wertvolles
drinnen ist. Oft gibt es da ein Foto von jemand zu sehen. Oder auch
ein Foto, wo mehrere darauf sind. Dann und wann habe ich auch ein
Heiligenbildchen zu Gesicht bekommen.
Das, was
wertvoll ist oder durch Begegnungen wertvoll geworden ist, möchten
viele ständig bei sich tragen. Nicht nur im Herzen, nicht nur in
ihren Gedanken, sondern ganz anschaulich. Bei den vielen
Gelegenheiten, die Geldtasche zu öffnen, tut sich dann mehr auf als
der Blick auf die schnell schwindenden Eurovorräte, die man doch
erst vor kurzem hineingegeben hat, oder auf Scheckkarten, die das
bargeldlose Bezahlen möglich machen, wo dann das Erschrecken oft
erst beim Blick auf den Kontoauszug hochkommt. Da schaut man auf ein
kleines Bild, und darin tut sich eine ganze Welt auf. Sie macht das
Leben wertvoll.
Freitag, 12.
August 2011
Manchmal
laufen die Entwicklungen ganz anders als vorhergesagt. Vor einigen
Jahrzehnten hat man der Fahrradindustrie das baldige Aus prophezeit.
Wer wird noch mit dem Fahrrad fahren, wenn es mit dem Auto doch viel
schneller geht, es für immer mehr leistbar wird, man damit auch bei
schlechtem Wetter trocken ans Ziel kommt?
Und auf dem
Weg der Vollelektrifizierung aller Lebensbereiche hat man auch der
Kerzenindustrie das Aus prophezeit. Wer wird noch eine Kerze kaufen
und anzünden, wenn es doch mit einer kleinen Handbewegung möglich
ist, dunkle Räume bis ins letzte Eck zu erhellen, durch Dimmen die
Lichtstärke zu regulieren und damit Stimmung zu vermitteln?
Ja, sogar in
den Kirchen, haben manche gemeint, ist das Ende des Kerzenlichts
nahe gerückt. Der Augenschein vermittelt ein anderes Bild.
Bei einem
Besuch in der Kirche eine Kerze anzuzünden, gehört für viele zu
einer guten Gepflogenheit. Wer mit Kindern unterwegs ist, braucht
nicht viele Worte. Die Einladung zum Anzünden einer Kerze, das
Weggehen im Wissen, dass da eine Kerze brennt, geht unmittelbar ins
Gemüt. Eine festliche Stunde am Tisch mit Freunden, eine ruhige,
besinnliche Stunde im Licht einer Kerze, vielleicht sogar einer mit
viel Sorgfalt ausgesuchten oder persönlich gestalteten: da kann
elektrisches Licht nicht mithalten. Kerzenlicht vermittelt eine
ganze andere Stimmung. Da leuchtet zum Leben Wichtiges auf.
Samstag, 13.
August 2011
An ein
Geschenk meiner Mutter erinnere ich mich ganz genau. Ich war in der
siebten Klasse Gymnasium, und meine Uhr war aus der Sicht meiner
Mutter nicht mehr herzeigbar. Also hat sie mir zu meinem Geburtstag
eine neue Uhr geschenkt. Und wie das oft so ist, der Geschmack eines
Siebzehnjährigen und ihr Geschmack haben sich nicht getroffen. Meine
Begeisterung hat sich in Grenzen gehalten. Aber Zeiten und
Geschmäcker ändern sich. Viele Jahre später habe ich die Uhr
schätzen gelernt. Die Feder der Uhr wird durch Armbewegungen in
kleinen Schritten selbständig aufgezogen. Ganz gerne trage ich sie
auf Bergtouren. Vier Jahrzehnte hat sie inzwischen schon auf dem
Buckel. Ein robustes Stück. Seit meine Mutter das Zeitliche gesegnet
hat, ist mir ihr Geschenk noch wertvoller geworden. Ein schöner
Ausdruck übrigens "das Zeitliche segnen" für den Abschied aus dieser
Welt. Ja, meine Mutter war für mich und für viele ein Segen. Wenn
ich diese Uhr an den Arm gebe, sie vorher ordentlich schüttle und
sie mit meinen Bewegungen in Gang bringe und halte, dann ist etwas
von ihrem Segen erlebbar da.
Ich weiß
nicht, wie viel ich heute für diese Uhr erhalten würde. Was sie für
mich bedeutet, ist nicht in Geld aufzuwiegen. Ihr Wert liegt auf
einer ganz anderen Ebene als der des Geldwertes. Wenn einem jemand
zum Segen wird, dann ist das etwas sehr Wertvolles.