Jedes Jahr mache ich mit der Pfarre
Unterstinkenbrunn eine Fußwallfahrt nach Mariazell. Eine kleine
Gruppe geht den ganzen Weg vom nördlichen Weinviertel bis zum großen
Marienwallfahrtsort, eine große Gruppe pilgert drei Tage lang.
Und jedes Jahr ist die Wallfahrt
altvertraut und doch wieder ganz anders. Wir gehen zwar meistens auf
der gleichen Wegstrecke, auch viele derer, die mitgehen, sind schon
bekannt.
Trotzdem ist die Wallfahrt immer
anders und neu: Weil das Wetter anders ist, weil es andere Themen
gibt für unsere Gespräche und Gebete, und eigentlich am meisten weil
ich, der ich auf Wallfahrt bin, anders geworden bin.
Am Beginn eines neuen Tages ist das
ähnlich: Vieles so vertraut, und doch wird dieser Tag wieder anders
und neu.
So bin ich dankbar für jede neue
Wallfahrt, und dankbar für diesen heutigen Tag, der auf mich wartet.
Montag, 12. 9. 2011
Auf unserer Wallfahrt nach Mariazell
hat einer bei einer Abzweigung gefragt: „Wo gehören wir hin?“
Diese Frage nach dem richtigen Weg hat
mir zu denken gegeben. Im Leben bin ich ja oft gefordert,
Entscheidungen zu treffen. Manche sind einfach zu fällen oder haben
keine großen Auswirkungen. Andere wirken noch lange nach – in meinem
Leben und in dem Anderer.
Mich da auch zu fragen, wo ich
hingehöre, könnte wohl oft eine Entscheidungshilfe sein: Zuerst gut
zuhören, was alles dafür und dagegen spricht. Nicht nur zu
überlegen, was „sich gehört“, sondern wo etwas seinen guten Platz
hat, wo es hingehört. Und vor allem nicht zu vergessen, dass ich
einen guten Platz habe, dass ich wo hingehöre.
Ich bin dankbar, dass ich glauben
kann, dass ich zu Gott gehöre.
Dienstag, 13. 9. 2011
Beim Gehen auf unserer Wallfahrt nach
Mariazell hat eine festgestellt, dass man manchmal gar nicht so auf
die Landschaft achten kann, weil man gerade sehr auf den Weg schauen
muss. Es ist ja wirklich so: Wenn wir nicht auf einer asphaltierten
Straße unterwegs sind, müssen wir immer wieder auf den nächsten
Schritt aufpassen, auf Wurzeln und Steine, die im Weg sind, auf
Unebenheiten oder Wasserlacken. Manchmal schauen wir auf den Boden,
weil wir schon recht müde sind vom Gehen. Um einen weiten Ausblick
genießen zu können, müssen wir dann stehen bleiben.
Im Alltag müssen wir auch oft sehr
konzentriert auf das achten, was jetzt vor uns liegt, woran wir
gerade arbeiten. Und gerade deswegen ist es auch notwendig, manchmal
den Blick in die Weite zu richten – um zu sehen, wo wir gehen und
die Richtung zu prüfen. Oder um einfach wieder einmal die Aussicht
zu genießen.
Ich wünsche Ihnen heute einen Moment
der Ruhe für einen Blick in die Weite.
Mittwoch, 14. 9. 2011
In der Mitte der Woche musste ich
heuer unsere Pfarrwallfahrt nach Mariazell für ein Begräbnis einen
Tag lang unterbrechen.
Bei meinem letzten Besuch bei dem Mann
im Hospiz hat er mich erkannt, konnte aber kaum mehr sprechen. „Grüß
Gott“, hat er gesagt – so viel habe ich verstanden. Nach wenigen
Sätzen habe ich nicht mehr recht gewusst, was ich sagen soll. Was
hat Bedeutung, wenn der Tod nahe ist?
So habe ich ihn gefragt, ob es ihm
recht ist, wenn wir beten. Beim Vater unser war er offensichtlich
ganz dabei – diese alten Worte bekommen so immer neu ihren Sinn:
„Dein Wille geschehe…“. Während ich gebetet habe, hat er für seinen
Kopf eine andere Position auf dem Polster gesucht, es ist mir so
vorgekommen, als ob er sich in dieses Gebet hineinschmiegt. Er war –
so hat es die pflegende Schwester dort ausgedrückt – „schon auf dem
Weg“. Auf dem Weg…, auch auf einem Pilgerweg….
Gegangen bin ich mit Trauer und mit
Zuversicht – dass da gerade einer das Ziel seiner Lebenswallfahrt
erreicht.
Donnerstag, 15. 9. 2011
Bei vielen Gesprächen auf unserer
sommerlichen Fußwallfahrt nach Mariazell kann ich feststellen, was
auch Befragungen schon ergeben haben: Die Dankbarkeit ist viel öfter
Motivation, auf eine Wallfahrt zu gehen, als um etwas zu bitten. Das
Gehen ist eine besondere Weise, ganzheitlich zu danken. Menschen
danken für einen Erfolg, zum Beispiel für eine bestandene Prüfung,
sie danken für ihre Kinder und die Familie, für eine gelungene
Beziehung oder schlicht und einfach für ihr Leben.
Und die Wallfahrt gibt selbst auch
wieder viele Gründe, dankbar zu sein: Die Verlangsamung, die das
Zu-Fuß-Gehen mit sich bringt, lässt die Schönheit einer Blüte in den
Blick kommen. Das Erleben der Gemeinschaft bringt Frohsinn über
einen aufmunternden Spaß. Das Herausgenommensein aus dem Alltag
lässt einfache Dinge wie einen Schluck Wasser, der den Durst löscht,
wieder glänzen. Wieder eine Tagesetappe geschafft zu haben, macht
einfach zufrieden.
Bei David Steindl-Rast lese ich:
„Dankbarkeit ist der Schlüssel zur Lebensfreude“.
Freitag, 16. 9. 2011
Bei der Wallfahrt, die unsere Pfarre
jeden Sommer macht, kommt der eine und die andere auch an die
eigenen Grenzen. Die Anstrengungen, die die Strecke mit sich bringt,
die Hitze, die wir heuer hatten, Blasen an den Füßen oder ein
Wespenstich – manchmal ist etwas dann zu viel. Unmittelbarer als im
Alltag spüren wir bei der Wallfahrt, was auch sonst gilt: Dass wir
nicht unbegrenzt leistungsfähig sind, dass wir Pausen brauchen, um
uns regenerieren zu können, dass wir die Hilfe anderer nötig haben.
Und gerade im Respektieren der Grenzen und im Annehmen dessen, was
andere für uns tun können, öffnet sich der Weg neu und an unserer
Grenze können wir über uns hinauswachsen, oder es entsteht
Begegnung: Wenn wir bei jedem Schritt bergauf wissen, dass wir
diesen Schritt nicht mehr gehen müssen; wenn wir spüren, wie gut
eine Pause tut; wenn wir über einem schönen Gespräch die Blasen an
den Füßen vergessen oder beim gemeinsamen Singen der Weg viel kürzer
wird.
Ich wünsche Ihnen heute den Mut,
Grenzen annehmen zu können und Achtsamkeit, die Hilfe, die dort
wartet, zu sehen.
Samstag, 17. 9. 2011
Wenn man einige Tage auf einer
Wallfahrt war, so wie wir im Sommer nach Mariazell gegangen sind,
dann erfährt man, dass der Satz „Der Weg ist das Ziel“ nur einen
Teil der Wahrheit beschreibt:
Natürlich geschieht auf dem Weg sehr
viel – das Erleben der Gemeinschaft, die Freude an der Natur, die
gemeinsamen Zeiten für Stille und Gebet, das Gehen selbst, mit
allem, was sich dabei auch löst.
Es ist aber dann jedes Jahr ein
besonderes Erlebnis, eine ganz eigene, berührende und tief bewegende
Freude, am Ziel anzukommen. Da ist zu spüren, wie alles
zusammenklingen könnte: Die eigene Mühe und Anstrengung auf dem Weg,
die Begleitung anderer und das große Geschenk, das ganz andere, das
das Ziel gleichzeitig auch ist.
Christian Morgenstern hat einmal
geschrieben: „Wer das Ziel nicht weiß, kann den Weg nicht haben.“
Mir persönlich lenkt die Wallfahrt den
Blick auf den, der das Ziel ist. So kann ich neu orientiert in
meinen Alltag zurückkehren.