Morgengedanken

Sonntag,  6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr, 
ORF Regionalradios

 

 

 

von Pfr. Erich Baldauf (Dornbirn, Vorarlberg)

 

 

Sonntag, 18. 09. 2011

 „Fürchte dich nicht!“ Dreihundertsechsundsechzigmal kann man in der Bibel diese Redewendung zählen. Es ist ein Wort, das von Gott, von Engeln, von Propheten und von Jesus zu Menschen in verschiedensten Situationen gesagt wird.

Die Zahlen sind in der Bibel kein Zufall, sie haben immer eine tiefere Bedeutung, die wir heute nicht immer entschlüsseln können. Hier ist allerdings klar: Über jedem Tag – auch im Schaltjahr – steht es wie ein Rufzeichen: „Fürchte dich nicht!“

 Fürchte dich nicht vor dem neuen Tag, nicht vor dem, was heute auf dich zukommen wird! Fürchte dich nicht vor den Begegnungen, mögen auch schwierige dabei sein. Fürchte dich nicht vor dem Gespräch, vielleicht Streitgespräch. Fürchte dich nicht vor der Arbeit, aber auch nicht vor der Ruhe und der Stille. Fürchte dich nicht vor dem Alleinsein! Fürchte dich nicht in der Krankheit. Fürchte dich nicht vor dem Sterben oder dem Begleiten eines Sterbenden.

Angst und Furcht kann man jemanden schwer ausreden. Sie können schwinden, wenn jemand festen Rückhalt hat. Es ist Gott, der Schöpfer, der dagegen ist, dass dein Leben verkümmert und dir sagt: „Fürchte dich nicht!“

 

 

 

Montag, 19. 09. 2011

 „Ich wünsche Ihnen einen guten Morgen!“  So grüßt mich regelmäßig Nico, ein Kind der Volksschule. Für viele Kinder führt der Schulweg an meiner Wohnung vorbei. Manche wirken verschlafen, in sich gekehrt, andere führen sehr angeregte Gespräche, nehmen nicht einmal wahr, was um sie herum passiert. Nico fällt auf mit dem Gruß: “Ich wünsche Ihnen einen guten Morgen!“

Ich spüre jeweils, dass diese Begegnung etwas mit mir macht. Sie freut mich. Sie hebt meine Stimmung. Ich bin dankbar. Es verbirgt sich für mich noch mehr im Wunsch des Nico. Ich bin erinnert an den Satz, den wir zu Beginn der Bibel mehrmals lesen: Der Herr sah alles an, was er gemacht hatte, er sah, dass es gut war.

Vielleicht ist heute Morgen bei ihnen noch nicht alles gut, ja sogar alles andere als gut. Die erste Schöpfungserzählung richtet sich an Menschen, die in großer Not und Bedrängnis lebten. Sie waren recht- und heimatlos, Verschleppte in der Fremde. Sie wurden an die Perspektive erinnert, die sie und wir erwarten dürfen. Er – Gott - wird die Geschichte so lenken, dass es gut wird.

Ich wünsche ihnen von Herzen - über diesen Tag hinaus – einen guten Morgen! Es wird der Tag kommen, an dem alles gut sein wird.

 

 

 

Dienstag, 20. 09. 2011

 „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein bleibt“ (Gen 2,18). Dieser  Satz aus der zweiten Schöpfungserzählung ist die erste wörtliche Rede Gottes an den Menschen. Es ist für ihn eine Selbstverpflichtung. Er schafft dann alle Arten von Pflanzen, dann alle Arten von Tieren. Es ist jeweils kein Geschöpf darunter, das dem Menschen entspricht, das dem Menschen das Alleinsein hätte nehmen können. Erst in der mit Lebensatem erfüllten Eva – übersetzt: „Menschin“ - hatte er eine wirkliche Partnerin, die ihm das gab, wonach er sich sehnte.

Es sind die Menschen, die mich Mensch werden lassen. So sehr ich einen Spaziergang in der Natur oder das Zusammensein mit einem Haustier schätze, ich bin froh um die Menschen, denen ich begegnen darf. Ihr Dasein, ihr Trost, ihr Mut Machen, ihre Rückmeldungen, auch ihre Kritik und die Grenzen, die sie mir aufzeigen, machen mein Leben spannend und zum Abenteuer.

Es ist nicht gut, dass der Mensch allein bleibt. Diesen Satz gilt es zu bedenken, wenn wir versucht sind, uns auf Grund von Sorgen in ein Schneckenhaus zurück zu ziehen. Es gilt ihn aber ebenso zu bedenken im Blick auf Menschen, denen heute das Alleinsein zu schaffen macht.

 

 

 

 

Mittwoch, 21. 09. 2011

Im Gedicht „Das Licht“ beschreibt der Dichter Rainer Malkowski die Erfahrung, als er eines Morgens blind vor dem Spiegel stand. Eine Operation an der Netzhaut war notwendig. Das Gedicht endet: „Aber dann kehrte es  - gemeint das „Augenlicht“ - wieder und ich habe mich flüsternd bedankt.“ Manches beginnen wir im Leben erst dann zu schätzen, wenn es beinahe oder ganz verloren ist.

Es gibt ein weiteres Licht, für das wir dankbar sein können. Es wird in der Schöpfungserzählung als erstes Werk erwähnt. Das erste, was Gott schafft, ist Licht. Es ist ein besonderes Licht, nicht jenes der Sonne, des Mondes oder der Sterne. Sie werden erst am vierten Tag geschaffen. Dieses erste Licht ist das Licht der Hoffnung. In diesem ersten Licht spiegeln sich Erfahrungen, wie: „Mir ist ein Licht aufgegangen“,  nach langer Zeit des Grübelns oder der Unkenntnis, oder:  „Ich sehe wieder ein Licht“, nach dunklen Stunden der Enttäuschung, der Ohnmacht und  Depression.

Wenn Gott sagt: „Es werde Licht.“ (Gen 1,3), dann dürfen wir es in der Weise verstehen, dass er für mich Hoffnung hat, dass er für mich Licht sieht, dass er eine Idee hat, wie ich, wie Menschen, einen Weg aus dem Dunkeln finden können. Vielleicht ist es auch eine Aufgabe, dieses Licht schätzen zu lernen, ehe es nicht mehr da ist.

 

 

 

Donnerstag, 22. 09. 2011

An manchen Tagen sind die Nachrichten voll von Hiobsbotschaften, voll von Berichten über Gewalt und Katastrophen. In meiner Umgebung lebt ein Mensch, der weigert sich überhaupt noch Nachrichten anzuhören. Es sei ihm zu viel. Es würde ihn mutlos machen.

Dass Ohnmachtsgefühle angesichts von großen Katastrophen entstehen, ist uns bewusst und dass dabei Menschen Gefahr laufen, handlungsunfähig zu werden, ebenso. Mit diesen Themen setzt sich bereits die biblische Sintfluterzählung auseinander. Noah baut eine Arche, um gegen die alles zerstörende Flut gerüstet zu sein. Er rettet mit ihr das Leben von Mensch und Tier. Zwei Gedanken der Erzählung möchte ich hervorheben:

Noah rettet nicht die ganze Welt, sondern er baut eine Arche. Rettende Archen bauen, das uns Mögliche tun, genügt. Unter Archen bauen verstehe ich Initiativen und Projekte, die in eine neue Zukunft weisen.

Der Name “Noah“ übersetzt meint: „Ruhe“ oder „Stille“. Jegliche Kraft zu einem zukunftsweisenden Handeln wächst vor allem aus der Ruhe und Stille. Wer sich Ruhe gönnt und sich auf Stille einlässt, dem oder der wird nicht langweilig, sondern wird neu die Kraft finden, das zu tun, was heute notwendig ist.

 

 

 

Freitag, 23. 09. 2011

Die Bibel interessiert sich für das Schicksal der kleinen, einfachen Leute.  Gerade der erste Schöpfungsbericht hat solche Menschen vor Augen. Sie leben als Verschleppte in Babylon, in der Fremde. Der Großteil arbeitet als Sklaven und ist der Willkür der Herren ausgesetzt.

Die Feststellung am Beginn der Erzählung, es herrschte das „Tohuwabohu“ – zu Deutsch Wirrwarr oder Chaos – beschreibt diese ihre Situation. In dieses Chaos bringt Gott zeitliche und räumliche Ordnung. Alles bekommt seinen Platz.   Aus diesem Chaos gestaltet ER – Gott - die Welt, die als gut erlebt wird.

Das Wissen, dass wir in chaotischen Situationen mit Gott rechnen dürfen und ER Neues schafft, begründet Hoffnung. Das Chaos kann für uns unterschiedliche Gesichter haben, wie: Krankheit, Arbeitslosigkeit, Mobbing, Burnout, Ohnmacht, Angst,  Tod, Trauer. Diese Situationen rufen den schöpferischen Gott auf den Plan. Und  Menschen, die mit Engagement gegen Chaos und chaotische Zustände zu arbeiten beginnen, werden seine Hilfe erfahren.

Gott schafft aus dem Chaos Neues. Mit diesem Gedanken beginne ich den Tag und muss nicht an der Welt, an Menschen oder Herausforderungen verzweifeln. 

 

 

 

Samstag, 24. 09. 2011

Es ist das Vermächtnis des Judentums an die Welt, die Rede von einem Gott, der ruht und die Einführung eines Tages in der Woche, an dem alle Menschen eingeladen sind zu ruhen. Es ist interessant, dass diese Ruhe umfassende Geltung hat. Sie wird dem Sklaven und Fremden zugestanden  (Deut 5,14), ebenso den Tieren (Deut 5,15) und der Schöpfung. Diese, die ganze Schöpfung umfassende,  Ruhe soll den Menschen daran erinnern, dass er frei ist.

Dieser Tag der Ruhe wurde in Israel nicht in einer wirtschaftlichen Blütezeit erfunden. Es war eine Zeit der Not, die der babylonischen Gefangenschaft. Das Volk kam zur Überzeugung, wir müssen uns diesen Tag leisten, damit die Würde der Schöpfung und die der Menschen gewahrt bleibe.

Es ist völliger Humbug zu meinen, man kann sich aus wirtschaftlichen Gründen den Tag der Ruhe nicht leisten. Betroffen wäre vor allem die gesellschaftliche Unterschicht, denn die Reichen  könnten es sich allemal richten.  

Die Forderung von Sonntagsarbeit ist nichts anderes als der Ruf nach Versklavung des Menschen und der Natur. Der Sabbat – der Sonntag – ist ein zweckfreier Tag menschlicher Würde. Genießen Sie bewusst und dankbar die Ruhe, die Freiheit und die Freundschaften und das, was sie in den Tagen der Arbeit geschaffen haben.