„Gott spricht doch alle Sprachen!“ Felsenfest war der Schüler davon
überzeugt; die Stimme und der Blick ließen keine Zweifel zu. Ich
hatte eine Schulklasse, die bei uns im Bibelzentrum in Wien zu
Besuch war, gefragt, in wie viele Sprachen denn wohl die Bibel
übersetzt sei. Die Schülerinnen und Schüler überlegten kurz, dann
wurde es zunächst nur halblaut gemurmelt, schließlich immer lauter
und deutlicher gesagt: „Es gibt die Bibel in allen Sprachen der
Welt!“ Schließlich, so meinten die jungen Menschen, sollen alle
Menschen die Möglichkeit haben, die Bibel zu lesen und zu verstehen.
Christliche Kirchen brauchen schließlich die Bibel: Gottesdienst,
Predigt, Religionsunterricht, Seelsorge, persönliche Frömmigkeit –
all das braucht Bibel. Auch Nichtchristen sollen die Gelegenheit
haben, die Bibel zu lesen und sich ein Bild von ihrer Botschaft zu
machen. Die Bibel ist und bleibt in der Tat das mit Abstand am
meisten übersetzte Buch der Welt. Alljährlich werden die Zahlen
aktualisiert: Nach dem neuesten Stand ist zumindest ein Buch der
Bibel in staunenswerte 2.527 Sprachen übersetzt. Grund zu Freude und
Dankbarkeit ist das allemal. Doch: Ich musste die Schülerinnen und
Schüler aber enttäuschen. Noch längst gibt es nicht in allen
Sprachen der Welt eine Bibelübersetzung, noch warten Menschen in
vielen Teilen der Erde darauf, zu erfahren, was es heißt, dass Gott
auch ihre Sprache spricht!
Montag, 26. September 2011
„Gott spricht meine Sprache!“ Diese überraschende und berührende
Erfahrung machten nach dem Bericht in der Apostelgeschichte des
Lukas Menschen aus verschiedenen Gegenden des römischen Reiches in
Jerusalem. Sie erlebten, dass die Apostel ihnen die frohe Botschaft
vom gekreuzigten und auferstandenen Jesus in ihren jeweiligen
Sprachen verkündigen. Seit diesem ersten Pfingstfest machen in allen
Teilen der Erde Menschen die Erfahrung, dass Gott auch ihre Sprache
spricht: Immer dann, wenn eine Bibelübersetzung in ihrer
Muttersprache erarbeitet und schließlich nach mehreren Jahren
feierlich präsentiert wird. 6.909 Sprachen und Dialekte soll es
offiziellen Zählungen zufolge weltweit geben. Eine vollständige
Bibel, Altes und Neues Testament, liegt aber erst in 469 Sprachen
vor. Bibelübersetzung ist eine unerledigte Aufgabe, Bibelübersetzung
sollte aber allen Christinnen und Christen ein Herzensanliegen sein.
Nehmen wir es als selbstverständlich, dass es wohl die Bibel ohnehin
für alle gibt, weil wir im deutschsprachigen Raum die Qual der Wahl
zwischen einer Vielzahl der Übersetzungen haben? Im eigenen
Überfluss den Mangel der anderen gar nicht mehr wahrnehmen? Mir
lässt es keine Ruhe, dass noch so viele Sprachen auf eine
Bibelübersetzung warten – Glaube ist eine Herzensangelegenheit und
damit ist die Bibel in der Muttersprache so wichtig.
Dienstag, 27. September 2011
„Gott spricht meine Sprache.“ Der Jubel über die Fertigstellung der
ersten Bibelübersetzung in einer Sprache kennt oft kaum Grenzen.
Eine Bibelübersetzung in der eigenen Sprache stärkt die Identität
und ist meist der Beginn eines geistlichen Aufbruchs in den Kirchen:
Ausgelassene Freudentänze, aber auch stille Freudentränen
begleiteten die Veröffentlichung des Neuen Testaments in Kimyal im
vergangenen Frühjahr. Auf West Papua in Indonesien versammelten sich
hunderte Menschen vom Volk der Kimyal als das kleine Flugzeug auf
der wackligen Graspiste landete: An Bord des Flugzeugs befand sich
kostbare Fracht - Kartons mit den ersten Neuen Testamenten in
Kimyal. Die Ältesten der Gemeinschaft nahmen das erste Paket in
Empfang. Ein Gebet wurde gesprochen: „Gott, der Plan, den du von
Anfang an für deine Kimyal hattest, ist jetzt endlich erfüllt. Gott,
heute hast Du dein Wort in meine Hände gelegt, wie du verheißen
hast, dafür lobe und preise ich dich.“ Brausender Jubel, Winken,
Pfeifen, Tänze, ein Fest der Freude für die Kimyal. – Und immer
wieder war voll Staunen von den Festgästen zu hören: „Wir haben die
Bibel in unserer Sprache“, „wir haben Gottes Wort in unserer eigenen
Sprache.“ Und in den Jubel mischt sich die Hoffnung, dass bald auch
das Alte Testament übersetzt sein wird!
Mittwoch, 28. September 2011
„Gott spricht meine Sprache“ – noch warten die Kissi in Guinea auf
die Fertigstellung der Bibelübersetzung in ihre Sprache. „Ich freue
mich sehr, dass bald die Bibel in meiner Muttersprache Kissi
erscheinen wird. Alle, die Kissi sprechen, freuen sich darauf. In
allen Kirchen wird es besondere Feiern geben“, so eine Lehrerin.
Knapp 350.000 Menschen in Guinea sprechen Kissi; seit 1962 gibt es
immerhin das Neue Testament in ihrer Sprache. Doch die politische
Instabilität, Unruhen und Rebellenübergriffe, aber auch die
Erkrankung eines Übersetzers haben die Arbeit an der
Bibelübersetzung in den vergangenen 30 Jahren immer wieder
zurückgeworfen. Doch jetzt, endlich, ist die Übersetzung fast
fertig. Im kommenden Jahr wird es die ganze Bibel auf Kissi geben.
Und die Erwartungen sind groß. Eine Hörbibel des Buches Daniel auf
Kissi war beispielsweise bereits vor 15 Jahren erschienen: „Sie hat
so viel Gutes bewirkt und ist zum Segen geworden. Wir dürfen noch
viel mehr Gutes erwarten, wenn wir endlich die ganze Bibel haben“.
„Ich habe beispielsweise einen Bibel-Vers schon oft auf Französisch
gelesen, aber die Bedeutung ist mir nie ganz klar geworden“.
Emannuel ist gut ausgebildet, spricht mehrere Sprachen, doch er
weiß: „Ich kann Gottes Wort viel besser in meiner Muttersprache
verstehen als in einer Zweitsprache.“
Donnerstag, 29. September 2011
„Gott spricht meine Sprache“, diese Erfahrung durften im heurigen
Frühjahr christliche Roma in Serbien machen. In Lesovac kamen etwa
300 Menschen zusammen, um das erste Markusevangelium in ihrer
Romasprache zu feiern. Diese Übersetzung ist aus der Praxis heraus
entstanden: Im Gottesdienst waren immer wieder einzelne Abschnitte
aus der neuen Übersetzung gelesen worden. Die Gläubigen konnten
Anregungen geben, wo sie etwas noch nicht klar verstanden oder wo
eine Formulierung sie besonders angesprochen hat. Weil es „ihre
eigene“ Übersetzung ist, kam das gedruckte Markusevangelium so gut
an; Gottesdienstbesucher begannen zu lesen, lebendige Gespräche über
das Gelesene kamen sogleich in Gang. Die Übersetzung der Bibel für
die Roma in Serbien erfüllt aber noch eine weitere Funktion: Die
Sprache wird für die nächste Generation festgehalten. Da nicht alle
gut oder gerne lesen, wird auch eine Hörbibel dieses Evangeliums
produziert. Vielleicht gibt es schon nächstes Jahr eine Ausgabe der
vier Evangelien für die Roma in Serbien. Ein kleines Wörterbuch ist
dann auch noch geplant, denn manche junge Menschen kennen nicht die
Bedeutung von allen Worten. Einer der Bibelübersetzer freut sich:„Es
ist ein historischer Moment für die Roma bei uns im Land. Die
Roma-Gemeinden werden diese Übersetzung in den nächsten Jahren
verwenden. Und eines Tages wird sie vielleicht sogar in Schulen
verwendet. Es bedeutet uns so viel.“
Freitag, 30. September 2011
„Gott spricht meine Sprache“. Für diese Erfahrung dankbar sind auch
die zwei Millionen Tschuwaschen in der Tschuwaschischen Republik,
einer Teilrepublik der Russischen Föderation. Ihr Gebiet wird im
Osten und Norden von der Wolga begrenzt. Mit der Bibelübersetzung
für die Tschuwaschen wurde bereits 1991 begonnen, doch es sollte
fast 20 Jahre dauern, bis die Übersetzung fertig gestellt war. 1998
waren die Prophetenbücher der Bibel in Tschuwaschisch vorab
erschienen, 2001 immerhin eine Kinderbibel. Die vollständige
Bibelübersetzung wurde jetzt überaus positiv aufgenommen. Wieder
einmal wurde deutlich: Die erste Bibelübersetzung in eine Sprache
schenkt Identität, stärkt das Selbstbewusstsein, gibt der
Bevölkerungsgruppe öffentliche Anerkennung und bereichert das
kirchliche Leben mit wertvollen Impulsen. So werden Gottesdienste
jetzt auch auf Tschuwaschisch gefeiert, die Bibelübersetzung kommt
in Gemeinden und Schulen, aber auch in den Familien zum Einsatz.
Besonders im ländlichen Raum, wo viele Menschen die Gottesdienste
besuchen, hat die Bibel in der eigenen Sprache einen zentralen Platz
im Leben der Kirchen. Weil die Menschen die biblische Botschaft viel
klarer und besser verstehen, werden die Gemeinden lebendiger, nehmen
auch wieder mehr Menschen am Leben der Gemeinden teil.
Samstag, 1. Oktober 2011
„Gott spricht meine Sprache.“ Die Berichte über das Entstehen und
den Abschluss von neuen Bibelübersetzungen in anderen Teilen der
Erde bewegen mich sehr. Kein Glaube ohne Bibel, ja, ich möchte
ergänzen, Wachstum der Gemeinden gibt es besonders dort, wo es
erstmals eine Bibelübersetzung gibt: In Afrika ebenso wie in
Südamerika, in Asien oder auch in Ozeanien. So viele Völker und
Sprachen warten noch auf ihre Bibel! Andere haben eine
Bibelübersetzung, die aber so veraltet ist, dass sie überarbeitet
werden muss, damit junge Menschen die Botschaft verstehen und der
Glaube lebendig bleibt. Neue Bibelübersetzungen gehen oft mit
biblisch basierten Alphabetisierungsprogrammen einher. Die
Lebensbedingungen der Menschen verbessern sich ganzheitlich. Eine
Bibelübersetzung bewahrt Sprachen und stärkt die Identität derer,
die sie sprechen, die jetzt nicht mehr abhängig sind von
Übersetzungen in den Sprachen der einstigen Eroberer und Herrscher.
Ich könnte viel davon erzählen, wie Bibelübersetzungen für einzelne
Menschen, für Kirchen und Gemeinden, für ganze Volksgruppen zum
Segen werden, wie eine Bibelübersetzung dazu anregt, Lieder und
Gebete in der eigenen Sprache zu verfassen und Gottesdienste zu
feiern. So viel ist noch zu tun – damit es Wirklichkeit werden kann:
„Gott spricht alle Sprachen".