Morgengedanken

Sonntag,  6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr, 
ORF Regionalradios

 

 


von Pfarrer Martin Müller (Waiern, Kärnten)

 

 

Sonntag, 23. Oktober 2011

„Ohne Gott und Sonnenschein, holen wir die Ernte ein.“ Mit Slogans dieser Art wollte man in der ehemaligen DDR Menschen von der Absurdität des Glaubens überzeugen. Man wollte deutlich machen: Wenn etwas Gutes geschieht, dann braucht es weder Beten noch Glauben oder einen Herrgott. Da reichen Tatkraft, Maschinen und gute Organisation.

Ein einzelner Pfarrer wollte die Propaganda zum Atheismus nicht unwidersprochen lassen. Als die riesigen Kolchosemaschinen auf den Feldern ausgefahren sind, um die Ernte einzubringen, ließ er auf seinem Pferdefuhrwerk ein großes Schild anbringen mit den Worten: „Ohne Regen, ohne Gott, geht die ganze Welt bankrott.“ Ein mutiger Protest gegen autoritäre Meinungsmache von oben.

In der Zwischenzeit sind über 30 Jahre vergangen. Die riesigen Kolchosemaschinen sind längst verrostet, die alten Slogans verbraucht und die heutigen Landkarten kennen keinen Staat DDR mehr. Heute wissen wir, wie zerbrechlich wirtschaftliche Konjunktur und Wohlstand sein können.

In diesen Wochen werden landauf landab in den Kirchen Erntedankgottesdienste gefeiert. Sie erinnern uns daran, aus wessen Hand alle guten Gaben kommen. Sie erinnern uns, dass bei aller Tatkraft nichts im Leben selbstverständlich ist und wem wir danken dürfen.

 

 

 

Montag, 24. Oktober 2011

Eigentlich war Englisch Franziskas Lieblingsfach. Wie Sprachen überhaupt. Sie konnte sich ausdrücken und hatte Spaß daran. Aber in der ersten Stunde war überraschend ein Diktat angesagt und die meisten Mitschüler, wie sie, wurden unsicher und kleinlaut. Ist es richtig, was ich denke, ist es falsch? Hab ich recht hingehört?

Seltsam: in wenigen Augenblicken war das Selbstbewusstsein dahin. Die Seiten waren von roten Korrekturen und Fehlerzeichen nur so übersät, die Noten wurden schlechter und schlechter und Franziska hat die Lust an Englisch nach und nach verloren.

Bis eine neue Lehrerin kam und in der ersten Stunde spielerisch die lustigsten Lautmalereien veranstaltete. Richtig oder falsch war kein Thema – es musste nur wie Englisch klingen. In Franziska wurde die alte Lust an der Sprache wieder wach. Und als die Lehrerin sagte: „Ihr dürft Fehler machen! Man lernt eine Sprache nur, wenn man sich getraut und ausprobiert.“ Da war das Selbstbewusstsein wieder da und mit ihm der Spaß, sich in der Sprache auszudrücken und zu versuchen. Und welche Fortschritte die Schülerinnen in dieser Atmosphäre plötzlich gemacht haben!

„Du darfst Fehler machen!“ Wie ermutigend kann so ein Satz doch sein. Nicht nur in der Schule. Im Leben überhaupt. Und im Glauben. Weil ich immer weiß, dass ich von Gott gehalten bin.

 

 

 

Dienstag, 25. Oktober 2011

Der schulische Alltag ist oft ziemlich anstrengend. Für Lehrpersonen und Schüler gleichermaßen. Die ewigen Konflikte um Disziplin und Verhalten, immer neue Vorgaben von der Schulbehörde, Notendruck und Leistungsdenken. Dass gutes Lernen wesentlich mit Beziehung und Vertrauen zwischen Schülerinnen, Schülern und Lehrpersonen zu tun hat, das wird oft unterschätzt. Aber manchmal leuchtet es unvermutet auf.

Ein Lehrerkollege erzählt mir letzthin von einer kleinen, überraschenden Erfahrung in der ersten Schulstunde nach den Ferien. Er war wegen eines Sonderprojekts zwei Jahre von der Schule karrenziert gewesen. Und die kleinen Schülerinnen waren inzwischen junge Damen geworden. Wie er die Klasse am ersten Schultag betritt, stehen alle auf – und ein Mädchen sagt: „Herr Lehrer, sie wurden erwartet!“ Eine schönere Begrüßung hat er sich nicht vorstellen können.

Es freut sich jemand, wenn ich komme. Wo ich bin, werde ich gebraucht. Und wenn ich nicht da bin, gehe ich irgendwie ab. „Sie wurden erwartet!“

Wie sehr eine schöne Botschaft der Wertschätzung mitten im Alltag doch anspornt und Mut geben kann.

 

 

 

 

Mittwoch, 26. Oktober 2011

Es war ein begeisterndes Konzert und ein begeisterndes Duo. Ein virtuoser Umgang mit den Instrumenten, eine natürliche Stimme, die Freude und Leidenschaft zugleich ausdrückt und eine Leichtigkeit, die das Publikum mit nimmt auf eine Reise in faszinierende Klangwelten der Stimmen und der Instrumente. Leise und berührend, stark und mitreißend – ein Wechselbad der Begeisterung.

Und dann erzählen sie mitten drin, warum ihnen die Musik von Kind an so viel bedeutet. „Singen und beten haben wir daheim gelernt“, sagen sie und das Publikum ist ganz Ohr. „Das haben unsere Eltern mit uns gemacht, noch bevor wir richtig sprechen konnten.“

Und es klingt zwischen den Zeilen so, als würden sie ihren Eltern danke sagen für das, was sie an Liebe und Begeisterung in sie hinein gepflanzt haben.

Es trägt Früchte, wenn wir Eltern auf natürliche Weise unseren Kindern das weitergeben und vorleben, was uns wichtig ist. Ob Musik, Lesen, Beten, Handwerken, Zeichnen – der Same wird gelegt und die Saat geht auf.

 

 

 

Donnerstag, 27. Oktober 2011

Eine Gruppe beeinträchtigter Jugendlicher mit ihren Betreuern auf dem Weg nach Wien. Freude und ausgelassene Stimmung, denn auf das Konzert haben sie sich schon Monate lang gefreut, und auf die Reise und die vielen neuen Eindrücke…

Aber wie sie dann in der Jugendherberge übernachten und am nächsten Tag aufwachen, passiert etwas Trauriges: Sie kommen drauf, dass sie bestohlen wurden. Alles Geld ist fort, Ausweise und das Wichtigste – die Eintrittskarten zum ausverkauften Konzert. Man kann sich die Enttäuschung der beeinträchtigten Jugendlichen kaum vorstellen. Tränen ohne Ende.

Aber die Geschichte nimmt eine bewegende, glückliche Wendung. Als die Betreuer den Diebstahl bei der Polizei melden, finden sie einen echten Helfer, der ihnen zum Engel wird. Der Polizist nimmt die Diebstahlsmeldung nicht nur auf und tut seine Pflicht, er sucht Kontakt mit dem Veranstalter des Konzerts, schildert die Traurigkeit der Jugendlichen und organisiert – zur überschwänglichen Freude für alle - Ersatzkarten. Das Geld bleibt gestohlen, aber das Konzert können sie besuchen und die Freude ist unbeschreibbar.

Es kann viel bewegen, wenn Menschen nicht nur ihre Pflicht tun, sondern im Geist christlicher Nächstenliebe Gutes tun.

 

 

 

Freitag, 28. Oktober 2011

In Berlin hat man sich darüber köstlich amüsiert: Zwei Diebe sind in ein Elektrowarengeschäft der Stadt eingebrochen und wurden auf frischer Tat ertappt. Auf der Flucht haben sie alles getan, um ihren Verfolgern möglichst schnell zu entkommen. Selbst eine drei Meter hohe Mauer in einen Innenhof haben sie überwunden, und die Verfolger hatten das Nachsehen. Das Problem war nur: Die Mauer, die sie überwunden haben, war die Mauer zum Innenhof eines Gefängnisses. Als die Häftlinge mit ihren Wärtern dort die Situation erkannt und die Flüchtenden die ausweglose Lage begriffen haben, gab es im Gefängnis schadenfrohes Gelächter und lange Beifallskundgebungen. Die Einbrecher waren in ihrer kopflosen Hatz dort angekommen, wo sie ihre Verfolger eigentlich haben wollten.

Für mich ist diese Geschichte irgendwie beispielhaft. Im Wirtschaftleben sagt man uns, ohne Wachstum können wir unseren Wohlstand nicht erhalten. Wir wachsen grenzenlos. Wir betonieren Grünflächen zu, verbauen unberührte Natur, die unser Erholungsraum sein sollte. Handys und Computer befreien uns zu unbegrenzter Verfügbarkeit und unser Lebenstempo wird so rasant, dass sich manche vorkommen wie die Diebe in der Geschichte: auf der Flucht – fragt sich nur wovor und wohin.

Wer nicht am Ende im Gefängnis ankommen will, sollte auf das Wort der Bibel achten: „Selig ist, wer Gott vertraut und sich bescheidet mit dem, was er hat.“ (1.Tim 6,6)

 

 

 

Samstag, 29. Oktober 2011

Manche technischen Entwicklungen sind ja durchaus ein Segen und erleichtern das Leben. GPS-Navigationssysteme zum Beispiel. Sie helfen Ziele zu finden, wo man noch nie zuvor war. Durchaus hilfreich, aber trotzdem sollte man den Hausverstand auch bei guten technischen Hilfsmitteln nie ganz auf der Seite lassen.

Irgendwo in Tirol soll es passiert sein: Da hat ein Autofahrer ganz der freundlichen Stimme seines Navigationssystems vertraut. Sie wissen schon, das kluge Gerät, das exakt den kürzesten Weg beschreibt, wenn man das Ziel eingibt.

Eben das hat unser Autofahrer getan und ist exakt dorthin gefahren, wo das GPS es ihm angesagt hat. Zuerst war der Weg ja ganz einleuchtend, aber dann war da ein Schild „Sackgasse“ und die Straße wurde immer enger und enger. Und zu guter Letzt war die Straße so eng, dass es weder ein Vor, noch ein Zurück gab. Das Auto war stecken geblieben und musste von der Feuerwehr mühsam herausgezogen werden.

In der Bibel findet sich das Psalmwort: „Der Herr ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Weg.“ Auch im Leben brauchen wir manchmal Orientierungshilfen. Aber den Wegweisungen Gottes kann man sich immer anvertrauen, sie führen nie in die Sackgasse.