von Pfarrer Dietmar Stipsits (Bad Tatzmannsdorf, Burgenland)
Sonntag,
06. Nov. 2011
„Doch
morgen, ja morgen, fang‘ ich ein neues Leben an! Und wenn net
morgen, dann übermorgen oder zumindest irgendwann fang ich wieder
ein neues Leben an!“ So heißt es in einem Lied der Band „Erste
Allgemeine Verunsicherung“ und das bringt eine Lebenseinstellung zur
Sprache, die wir wohl kennen: Das, was ansteht, aber unbequem ist,
auf den nächsten Tag zu verschieben. Oder es so groß und
überdimensioniert zu planen, dass der erste Schritt nie gewagt wird.
Das „Morgen“ oder „Übermorgen“, das das Lied der „EAV“ anspricht,
ist eigentlich ein „Nie“, der Sankt-Nimmerleinstag.
Das Lied
gehört nicht nur wegen der sehr eingängigen Melodie zu den
bekanntesten Liedern der Band, sondern weil der Text ein - den
meisten Menschen doch sehr bekanntes - Lebensgefühl widerspiegelt:
Wir möchten vieles ändern in unserem Leben, doch gute Vorsätze
werden oft nicht umgesetzt und schließlich bleibt alles beim Alten.
Mit meinen
Morgengedanken in dieser Woche möchte ich Sie einladen, fünf Fragen
zu stellen, wie Leben bewusst gestaltet werden kann.
Montag, 07.
Nov. 2011
1. Von wem
lasse ich mich (ver-)führen?
In der
bekannten „Sündenfall“-Geschichte im Buch Genesis werden Adam und
Eva von der Schlange in Versuchung geführt: „Wenn ihr davon esst,
werdet ihr wie Gott sein“ (vgl. Gen 3,5). Damit hat die Schlange
einen raffinierten Verdacht in den Kopf des Menschen gesetzt: Gott
neidet euch euer Glück. Was gut und böse ist, was euch gut tut oder
schadet, das braucht ihr euch doch nicht sagen zu lassen. Darüber
könnt ihr doch selbst entscheiden! Gott engt eure Freiheit ein, legt
euch Fesseln an, die nicht berechtigt sind. Befreit euch doch davon!
Nehmt euer Leben, euer Glück selbst in die Hand!
„Von wem
lasse ich mich führen?“ und „Von wem lasse ich mich verführen?“ –
mit diesen beiden Fragen konfrontiert uns die
„Sündenfall“-Geschichte. Ich persönlich beantworte für mich die
Frage „Von wem lasse ich mich führen?“ folgendermaßen: Auch wenn
mein Leben manchmal mühsam ist und schwer, wenn es mich mitunter
unendlich niederdrückt, auch dann und gerade dann ist Gott mit mir,
als der, dessen Sorge um mich niemals aufhört. Deshalb lasse ich
mich von Gott führen – jeden Tag aufs Neue.
Dienstag,
08. Nov. 2011
2. Bin ich
bereit, mich zu (ver-)ändern?
Bin ich
bereit, mich zu ändern, ist die zweite Frage, die ich in dieser
Woche stellen möchte. Und als Beispiel nenne ich den 75 Jahre alten
Abraham aus dem 12. Kapitel des Buches Genesis. Eigentlich ist es ja
verrückt, was uns diese uralte Abraham-Geschichte da erzählt. Einem
alten Menschen wird zugemutet, sämtliche Brücken hinter sich
abzubrechen, alles aufzugeben. Und Abraham folgt diesem Gott, ohne
viele Fragen zu stellen, ohne Sicherheiten von Gott einzufordern.
Mich
spricht diese Geschichte so an, weil ich das von mir selber kenne.
Oft bin ich gefangen in Gewohnheiten, weil ich mein Leben bis ins
letzte hinein planen möchte, ja kein Risiko, ja nichts
Unvorhergesehenes in Kauf nehmen. Ich behaupte, dass diese
Abraham-Geschichte unsere Sehnsucht wecken möchte, aus dieser
unseren oft total verplanten, versicherten Welt, aus unseren
festgefahrenen Lebensmustern auszubrechen, hin zu einer Welt, in der
es noch Überraschungen gibt und Abenteuer und die Lust, Neues zu
wagen, Neues zu entdecken.
Abraham
beantwortet die Frage: „Bin ich bereit, mich zu verändern?“ aufgrund
seiner Lebenserfahrungen mit: „Wage Neues, Gott gibt dir Kraft
dazu.“
Mittwoch,
09. Nov. 2011
3. Was
stärkt mich in der Krise?
Krisensituationen hat das Volk Israel vor allem in der Zeit der
Wüstenwanderung erfahren. Das 17. Kapitel des Buches Exodus erzählt
uns, dass auch in diesen kritischen Zeiten Gott sein Volk Israel
nicht allein lässt, dass Gott es ist, der den Menschen in Krisen
beisteht und hilft, zur Freiheit zu gelangen.
„Was stärkt
mich in der Krise?“, ist die dritte Frage in meinen Morgengedanken.
Existenzielle Krisen sind Teil unseres Lebens, behaupte ich, Zeiten,
in denen wir jeden Lebenswillen, jeden Mut und jede Hoffnung
verloren haben. Kein Antrieb beflügelt uns zu Aktivitäten, es
scheint, als ob eine zentnerschwere Last auf uns läge; das Leben
scheint nur noch dunkel zu sein.
Was stärkt
mich in der Krise? Als Seelsorger erfahre ich folgende Fragen als
hilfreich: Was und wer ist im Augenblick für mich wichtig, hat für
mein Leben Gewicht – hier und jetzt? Was und wer ist grundsätzlich
bedeutsam für mich, lässt mich frei atmen und dadurch wirklich
leben? Diese Fragen können mir dabei helfen, in Krisenzeiten wieder
Lust am Leben zu entdecken.
Donnerstag,
10. Nov. 2011
4. Worauf
achte ich bei meinen Mitmenschen?
Der Prophet
Samuel bekommt von Gott den Auftrag, einen Nachfolger Sauls zum
König zu salben (vgl. 1 Sam. 16). Wie stellt sich Samuel den neuen
König vor? Groß, kraftvoll, mutig, dynamisch, gewinnend, eine reife,
erfahrene Führernatur? So defilieren die Söhne Isais an Samuel
vorbei, einer kraftvoller als der andere. Aber keiner der sieben ist
der von Gott Erwählte.
Nun erteilt
Gott dem großen alten Samuel, dem geistigen Führer Israels, auf
seine alten Tage hin eine Lektion: „Sieh nicht auf sein Aussehen und
seine stattliche Gestalt, Gott sieht nämlich nicht auf das, worauf
der Mensch sieht. Der Mensch sieht, was vor den Augen ist. Der Herr
aber sieht das Herz“ (1 Sam 16,7).
Das Herz
ist in der Bibel die Mitte des Menschen, die Stelle, wo der Mensch
er selbst ist, wo die letzten Entscheidungen fallen über gut und
böse, wo der Mensch seine innere gute Stimme vernimmt.
Worauf
achte ich? Geht es auch mir – wie Samuel – um Äußerlichkeiten? Oder
schaue ich auf das Herz, also auf das, worauf es wirklich ankommt?
Freitag,
11. Nov. 2011
5. Was
macht mich lebendig?
„Was macht
mich lebendig?“, ist die letzte Frage in meinen Morgengedanken.
Diese Frage beantworte ich mit Friedrich Hölderlin, der in seinem
Roman „Hyperion“ meint: „Was wäre das Leben ohne Hoffnung?“
Wie eine
Forelle das Wasser, ein Computer Strom benötigt, so brauchen wir
Menschen die Hoffnung. Wenn einer nichts mehr hofft, nichts mehr zu
erhoffen hat, der hat sich aufgegeben, der sieht keine Zukunft mehr
für sein Leben.
Um meinem
Leben einen Sinn und damit auch Hoffnung zu geben, brauche ich
Beziehungen und Erfahrungen, die mich bereichern. Beziehungen zu
anderen Menschen, die mir zeigen, dass ich meinen Weg auch in
schwierigen Zeiten nicht alleine gehen muss, und Erfahrungen, wie
für mich persönlich das Bergwandern eine ist.
Wenn
ich nach einigen Mühen und Anstrengungen den Berggipfel erwandert
habe und bei herrlichem Wetter den wunderbaren Ausblick über die
gesamte Region genieße, erfüllt mich dieses „Gipfelereignis“ immer
wieder mit Staunen, Freude und viel Hoffnung. Und ich verspüre in
diesem Moment auf ganz andere Weise, als z. B. im Gottesdienst
Gottes Nähe.
Manchmal
frage ich mich selber: Welche Beziehungen oder welche Erfahrungen
erfüllen mich mit Hoffnung?
Samstag,
12. Nov. 2011
Kraft für
den Alltag
„Doch
morgen, ja morgen, fang‘ ich ein neues Leben an! Und wenn net
morgen, dann übermorgen oder zumindest irgendwann fang ich wieder
ein neues Leben an!“ Mit diesem Lied der österreichischen Band
„Erste Allgemeine Verunsicherung“ wollte ich in dieser Woche
einladen, das Leben bewusst anzusehen und zu gestalten.
Dabei ist
der erste Schritt der wichtigste – mag er auch noch so klein sein –
da mit ihm der Stillstand überwunden wird. Das gilt für alle
Bereiche unseres menschlichen Lebens: Der erste Schritt zur
Versöhnung, um Streit zu überwinden; der erste Schritt des Teilens,
um Armut zu lindern; der erste Schritt im Umweltschutz, um endlich
mit der Bewahrung der Schöpfung zu beginnen.
Christinnen
und Christen dürfen den ersten Schritt in der Hoffnung auf Gott
gehen. Wir müssen nicht den ganzen Weg schon überblicken; wir dürfen
losgehen im Vertrauen darauf, dass Gott das Ziel kennt und mich
führt. Und ich darf mit Antoine de Saint-Exupéry bitten: „Ich bitte
nicht um Wunder und Visionen, Herr, sondern um die Kraft für den
Alltag. Lehre mich die Kunst der kleinen Schritte.“