Ich bin mit den Kindern am Hauptbahnhof. Über unseren Köpfen hängt
die große Tafel, die die Ankünfte der Züge anzeigt. „Schauts, da
steht es: in 10 Minuten kommt er an, der Zug aus Wien!“, ruft Anna
begeistert. Heute kommt ihre Taufpatin auf Besuch. Entschlossen
zieht sie uns Richtung Bahnsteig. Während wir auf den Zug warten,
denke ich mir: Anna weiß genau auf wen sie wartet. Sie hat zu Hause
alles auf den Besuch vorbereitet. Sogar das Bett hat sie mit ihren
acht Jahren für ihre Taufpatin überzogen. Nun ist Anna voller
Vorfreude. Sie freut sich auf ein konkretes Ereignis, von dem sie
genau weiß, dass es eintreten wird.
Jetzt im Advent ist auch viel von Ankunft und Vorfreude die Rede.
Wir sollen wachsam sein, denn wir kennen weder die Zeit noch die
Stunde. Wir wissen nur, wenn er wiederkommt, der Menschensohn, dann
wird alles anders. Das kann Unsicherheit auslösen. Muss es aber
nicht. Wir können uns vorbereiten. Wir können konkret etwas tun für
unsere Nachbarn, für jene, denen es schlechter geht als uns. So
können wir für eine menschengerechtere Welt sorgen und uns auf die
Ankunft des Menschensohnes vorbereiten.
Wenn wir wissen wofür wir es tun, wird es uns auch Freude machen.
Der Zug aus Wien fährt mit lautem Getöse am Bahnsteig ein. Die Türen
gehen auf und da, dort vorne, steigt sie aus. Schon rennt Anna los
und fliegt in die Arme ihrer lang erwarteten Taufpatin.
Montag, 28. November 2011
Du schaffst das!
„Du schaffst das!“ ist bei uns zu Hause zum geflügelten Wort
geworden. Es geht zurück auf ein Ereignis, dass sich vor ein paar
Jahren so abgespielt hat: Ich versuche mit dem Fahrrad und dem
Anhänger inklusive zwei Kindern drinnen den Berg hinaufzutreten.
Luft und Kraft drohen mir auszugehen. Simon strampelt leichtfüßig
neben mir her und sagt einfach: „Mama, du schaffst das!“ Die Kraft
ist zurückgekehrt und schon waren wir den Berg oben. Dieses ‚Du
schaffst das’ war nicht so ein schulterklopfendes ‚Du machst das
schon’, weil wir es ja von dir gewöhnt sind, dass du ein
unermüdliches Arbeitstier bist. Nein, dieses ‚Du schaffst das’ hat
etwas zu tun mit Vertrauen, das in mich gesetzt wird. Es ist dieses
Vertrauen in meine Fähigkeiten, das sich anfühlt wie eine Hand im
Rücken, die mich am Zurückfallen hindert. Dieses Vertrauen ist wie
ein Antrieb, der mich vorwärts gehen lässt um die mir gestellten
Aufgaben zu bewältigen. Und wenn es dann geschafft ist, stellt sich
neben der Zufriedenheit auch die Freude ein. Die Freude darüber,
wieder einmal etwas zustande gebracht zu haben, was ich mir vorher
so nicht zugetraut hätte.
So freue ich mich auf jeden Tag mit seinen ganz speziellen
Herausforderungen – frei nach dem Motto ‚Du schaffst das’.
Dienstag, 29. November 2011
Anna und die Geige
Seit Herbst erklingen neue Töne bei uns. Anna, unsere achtjährige
Tochter, hat es geschafft. Es hat einige Zeit gedauert bis Anna uns
davon überzeugt hatte, dass Geige das richtige Instrument für sie
ist. Und so wie es aussieht, hat sie Recht behalten. Mit großer
Sorgfalt, ja richtiggehend liebevoll, behandelt sie ihre Geige. Und
beim Üben steht sie da, als ob sie nie etwas anderes getan hätte.
Ihre ganze Körperhaltung drückt eines aus: Ich kann das! und dabei
strahlt ihr Gesicht vor Freude und auch Stolz.
Während ich auf der Couch sitze und Annas Spiel zuhöre, beginnen
meine Gedanken zu kreisen: Hartnäckigkeit fällt mir ein. Das heißt
für mich, ein Ziel nicht nur zu erreichen, um es dann zu vergessen,
sondern es auch umzusetzen und dabei keine Mühen der Ebene zu
scheuen. Hartnäckigkeit heißt für mich, um die eigenen Fähigkeiten
zu wissen und diese auch einsetzen zu wollen. Hartnäckigkeit
erfordert Überzeugungsarbeit zu leisten – bei jenen, die die
Umsetzung der Ziele ermöglichen oder verhindern können. Vereinfacht
gesagt heißt das: Anna liebt die Musik und übt deswegen jeden Tag
ein bisschen mehr. Dabei weiß sie um ihre Fähigkeiten und nützt ihre
Talente.
Mittwoch, 30 November 2011
Andreas hat einen Tipp
Simon hat sich mit ein paar Freunden getroffen. Sie sitzen bei uns
im Wohnzimmer. Gemeinsam bilden sie das Organisationskomitee für das
Klassenbuffet. Eine Idee jagt die andere. Das wollen sie vorbereiten
und jenes beschaffen. Es entsteht fast der Eindruck, als ob sie die
ganze Schule versorgen wollten. „Was machen wir jetzt wirklich? Ich
kenn mich nicht mehr aus“, stöhnt Simon. Da sagt Andreas: „Machen
wir doch eine Liste.“
Plötzlich muss ich innerlich grinsen. Schon wieder ist es ein
Andreas, der den richtigen Hinweis gibt. Jesus war mit seinen
Freunden am See Genezareth. Viele Menschen waren gekommen. Die
Verwirrung unter den Freunden Jesu war groß. Wie sollten sie Brot
für so viele Menschen auftreiben? Da gibt Andreas den Hinweis: „Hier
ist ein kleiner Junge, der hat fünf Gerstenbrote und zwei Fische.“
Wir wissen, wie die Geschichte weitergeht: Jesus übernahm. Er
verteilte die Brote und die Fische. Da gab es dann Nahrung für alle.
Manchmal weiß eine Gruppe nicht mehr weiter – so wie zum Beispiel
die Klassenbuffetgruppe. Dann kommt an der entscheidenden Stelle der
richtige Hinweis. Und schon fließen die Ideen in geordnete Bahnen.
So wünsche ich jeder Gruppe ihren Andreas. Ja, und allen, die
Andreas heißen, wünsche ich heute alles Gute zum Namenstag.
Donnerstag, 1. Dezember 2011
Der Adventkalender
Heute ist wieder ein besonderer Tag im Advent. Die Kinder beeilen
sich an diesem Morgen noch mehr, denn im Stiegenhaus hängt er schon
- der Adventkalender. Ab sofort sind es noch vierundzwanzig Tage bis
Weihnachten. Was? Nur noch vierundzwanzig Tage? Was da alles Platz
haben muss: Weihnachtsfeiern diverse, backen, basteln,
Schularbeiten, einkaufen, Nikolaus, Rorate, Adventfeiern,
Adventsingen, Vorspielstunden usw.
Trotzdem geht es sich jedes Jahr aus, dass am 24. das Christkind
kommt. Heuer habe ich mir selbst einen Adventkalender
zusammengestellt. Darin habe ich mir keine Arbeitsaufträge erteilt,
sondern mir kleine Auszeiten vermerkt. Es kann nämlich nicht alles
immer schneller und mehr werden.
In Zeiten der größten Hektik schlief Jesus. Daran muss ich oft
denken. Als nämlich der Sturm auf dem See ausbrach, waren die
Freunde Jesu total im Stress. Sie wussten weder ein noch aus.
Irgendwas musste man doch tun in diesen stürmischen Zeiten. Aber
Jesus schlief und hatte dann die Kraft Stille zu schaffen.
Mit meinem Adventkalender versuche ich in den hohen Wellen der
Vorweihnachtszeit kleine Rettungsanker zu setzen, die es mir
ermöglichen sollen, das Fest der Geburt Jesu in Ruhe und Stille zu
feiern.
Freitag, 2. Dezember 2011
Verschiedene Brillen
„Mama, das ist total spannend“, erzählt Angela. „Wir üben gerade in
Deutsch, wie unterschiedlich sich ein Ereignis darstellen lässt.
Dabei versuchen wir, den Stil verschiedener Zeitungen nachzuahmen
oder schreiben Berichte für verschiedene Altersgruppen. Wir schauen
dieses Ereignis sozusagen mit verschiedenen Brillen an. Am Schluss,
wenn dann alles fertig ist, können wir kaum glauben, dass es sich
bei dem wirklich um ein und dasselbe Ereignis handelt.“
Ich finde, dass das eine praktische Übung ist. Es muss mir immer
bewusst sein, dass es mehrere Weisen des Herangehens an ein Thema
gibt. Mit der Brille, also mit der Sichtweise auf ein Ereignis, wird
Weltanschauung transportiert und es ist meine Entscheidung, welche
Brille ich aufsetzen will.
Zwei Blinde bitten Jesus, sie sehend zu machen. Sie laufen ihm sogar
ins Haus nach. Jesus fragt, ob die beiden glauben, dass wirklich er
derjenige ist, der ihnen helfen kann. Ja, die zwei sind davon
überzeugt, dass die Brille Jesu die richtige für sie ist. Sie haben
sich dafür entschieden, die Welt in Zukunft durch die Augen Jesu
sehen und beurteilen zu wollen. Damit haben sie sich nicht für den
einfachsten, aber für einen schönen Weg entschieden. Ihre Brille
stellt nämlich den Menschen in den Mittelpunkt.
Samstag, 3. Dezember 2011
Der Brief ans Christkind
Es liegt ein Knistern in der Luft, etwas Aufregendes – ja, irgendwie
fast etwas Geheimnisvolles. Die Kinder sind gemeinsam im Zimmer
verschwunden. Ich höre sie tuscheln und lachen. Sogar durch die
geschlossene Tür merke ich ihr geschäftiges Treiben. Und dann am
Abend liegen sie da, auf der Fensterbank – die Briefe ans
Christkind.
In meinen Brief ans Christkind schreibe ich meine Wünsche,
Hoffnungen und Erwartungen. Ich nenne alle meine Wünsche, die die
ich mir selbst erfüllen kann und die, bei denen ich Hilfe brauche.
Auch meine Hoffnungen und Erwartungen formuliere ich. Es ist
schwierig, das alles zu Papier zu bringen. Sobald ich fertig bin,
kommen schon die ersten Zweifel – ist das nicht zu viel verlangt?
Wie soll das bloß gehen? Nein, nein es wird schon passen. Ans
Christkind kann man sich mit kleinen und großen Dingen wenden,
beruhige ich mich gleich wieder selbst. Ich werde es im Lauf der
Zeit merken, welche Wünsche, Hoffnungen und Erwartungen sich erfüllt
haben. Dabei werde ich mich auch erinnern, wer mir dabei geholfen
hat und wie mir das Christkind dabei entgegengekommen ist. Ich lege
meinen Brief jedenfalls auch auf die Fensterbank zu den anderen.
Am nächsten Morgen sind sie alle weg. Jetzt ist der Ball wieder bei
uns und beim Christkind, die Briefe zu bearbeiten.