Morgengedanken

Sonntag,  6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr, 
ORF Regionalradios

 

 

 

von Kräuterpfarrer Benedikt (= Prior Benedikt Felsinger, Stift Geras, NÖ)

 

  

Sonntag, 4.12.2011 / Der Kirschbaum

Am Rande des Weges nach Weihnachten hin stehen Bäume. Gleich einer Allee möchten sie uns nicht alleine lassen, sondern die Richtung weisen und unser Denken und Sinnen in die Tiefe führen, damit wir nicht oberflächlich dahintreiben auf einem Strom von Stimmungen und Gefühlen. Heute ist es der Kirschbaum.

Gerade jetzt hat er rein äußerlich nicht viel zu bieten. Er hat keinen Schmuck. Nur der Raureif schenkt ihm gelegentlich eine weiße Hülle gleich einer Stickerei. Soll ich daher weiterziehen?

Nein!

Ich bleibe und schneide mir ein paar Äste ab. Ich bringe sie in mein Haus und berge sie in einer Vase mit Wasser. Ich weiß, dass es die Hoffnung ist, die der Kirschbaum in seinen Knospen trägt. Noch sehe ich die Blüte nicht; doch ich weiß, dass er seiner Verwandten, der Rose, nacheifern wird, wenn er durch Wärme stimuliert, zu Weihnachten seine weißen Blumen dem Stern an der Krippe hinzufügt. In unserem Innern schlummert auch viel Gutes; vielleicht mehr, als wir uns zutrauen.

 

 

 

Montag, 5.12.2011 / Die Föhre

Auf der Straße in Richtung Weihnachten steht heute die Föhre, die man auch Kiefer nennt. Wenn ich in unseren Stiftshof gehe, dann steht da eine wunderschöne Schwarzföhre. Obwohl sie erst ca. 60 Jahre zählt, ist sie heute schon ein mächtiger Baum. Sie streckt ihre langnadeligen Äste aus, als würde sie diese zum Gebet erheben. Von meiner Empfindung her ist die Föhre ein Baum voll Lebensfreude und Licht.

Dort, wo die Kiefer frei steht, bildet sie eine charaktervolle Gestalt aus. Im Wald hingegen, in der Gemeinschaft mit Ihresgleichen oder anderen Bäumen, wächst sie bescheiden in die Höhe und liefert wertvolles Holz.

Die Kiefer bringt mir Licht und Freude. Vor der Verwendung der Glühbirne war es der Kienspan, der half, sich im Finstern zurechtzufinden. Vor Jahrmillionen ausgeflossenes Föhrenharz wiederum ist heute wertvoller Bernstein, der schmückt und heilt.

 

Der harzige Baum sagt mir heute: Schaffe Bleibendes durch ein Leben, das für andere da ist!

 

 

 

Dienstag, 6.12.2011 / Die Rotbuche

Heute bleibe ich auf meinem Weg nach Weihnachten hin wieder stehen und schau mir die Rotbuche an.

Edel ist ihre glatte, graue Rinde und fein und zart die Ästchen, mit denen sie rund um ihre oft mächtige Krone gleichsam den Himmel ertastet.

Der Frühling macht die Buche mit zartgrünen Blättern zum Hoffnungsträger für Licht und Wärme. Im Herbst hingegen zieht der Laubmantel der Buche alle Register von Gelb-, Rot- und Brauntönen, bevor die Blätter zu Boden fallen und darauf warten, fruchtbare Erde zu werden.

Jede Lebenszeit hat ihre eigene Farbe. Alle dunklen und hellen Schattierungen gehören dazu und dürfen sein. Viele wollen uns weismachen, dass allein die Farbe Rosarot zählt.

Doch die mütterliche Buche lehrt mich etwas anderes. Im Leben ist jeder Tag wertvoll.

Meine Existenz ist eher wie ein Blatt am Buchenbaum. Die Tage sind gezählt und irgendwann falle ich mit einer Fülle von Lebensfarbe zur Erde.

 

 

 

Mittwoch, 7.12.2011 / Der Feigenbaum

Im Heiligen Land, dort wo der Messias in Betlehem zur Welt kam, wächst und gedeiht ein besonderer Baum. Seine sonnengereiften Feigen geben ihm den Namen. Sie beinhalten neben viel Vitamin B1 vor allem Kalium und Kalzium, die das Denkvermögen unterstützen. Und zum Denken gehört immerhin das Erinnern.

Wenn ich am Weg nach Weihnachten hin heute beim Feigenbaum verweile, so fällt mir ein, dass diese alte Nutzpflanze ein heiliger Baum ist. Laut dem Evangelisten Matthäus bekam der Feigenbaum die Aufgabe von Jesus persönlich zugeteilt, Lehrmeister zu sein.

Dort lese ich: „Lernt etwas aus dem Vergleich mit dem Feigenbaum! Sobald seine Zweige saftig werden, und Blätter treiben, wisst ihr, dass der Sommer nahe ist.“ Wir werden also wachgerüttelt, die Zeichen der Zeit richtig zu deuten und aufmerksam das Leben zu gestalten.

 

Wenn ich wie der Feigenbaum mein Leben dem Licht zuwende, dann reift auch an mir manch gute Frucht.

 

 

 

Donnerstag, 8.12.2011 / Die Zypresse

Das Wahrzeichen Barcelonas ist die Kirche Sagrada Familia. Noch zu Lebzeiten des Architekten Antoni Gaudi entstand ihre Ostfassade, die sich mit der Geburt Christi auseinandersetzt.

Im Zentrum dieser Schauseite befindet sich in der Höhe des Giebels eine aus Stein geformte Zypresse, die von Tauben umflogen wird.

Wenn die Zypresse gern in den Mittelmeerländern auf den Friedhöfen ihren Standort hat, so erinnert die schlank nach oben strebende Konifere an das ewige Leben. Sie steht zudem zeichenhaft für die Treue, die über den Tod hinausgeht.

So lasse ich mich auf dem Weg nach Weihnachten hin von der Zypresse inspirieren.

Treue ist nicht unbedingt modern. In Zeiten des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umschwungs muss man wohl oder übel flexibel bleiben, meinen viele Parolen und Lebensentwürfe. Doch bleibt bei der so gut gemeinten Flexibilität nicht oft der Mensch auf der Strecke?

 

 

 

Freitag, 9.12.2011 / Die Lärche

Gleich jetzt in aller Frühe erhebe ich in meiner Phantasie das Auge auf zu den Bergen unserer Heimat. Egal, ob dort jetzt Schnee liegt oder nicht, schafft es ein Baum, auf sich aufmerksam zu machen. Es ist die Lärche, die ihre leuchtend gelben Nadeln noch einige Zeit behält, bevor sie den Winter über zu Boden rieseln.

Obwohl es kalt und unwirtlich ist, behält sie in ihrem strahlenden Gold ihre Heiterkeit.

Wenn ich heute also auf dem Weg nach Weihnachten hin stehen bleibe, erzählt mir die Lärche Folgendes:

Nimm alles Wandelbare im Leben gelassen an! Jammere nicht über Unvermeidbares, sondern geh mit dem, was Du hast, vertrauensvoll der Zukunft entgegen!

So wie die Lärche an den Hängen der Berge hochwächst, so kann auch mein Leben aus allen Niederungen aufsteigen, wenn ich mir der inneren Schätze meiner Seele bewusst werde. Dort hinein hat Gott mir das gelegt, was so dauerhaft werden kann wie Lärchenholz.

 

 

 

Samstag, 10.12.2011 / Die Tanne

Was ich für Weihnachten unbedingt brauche, ist ein Tannenbaum.

Kaum eine Tanne wächst krumm. Geradlinig führt sie im Laufe der Jahre ihren Stamm nach oben, um daran eine Astreihe nach der anderen auszubilden. Seit alters her ist sie ein Sinnbild für Schönheit, Stärke und Größe.

Wenn ich also einen makellos gewachsenen Christbaum oder eine alte Tanne im Wald sehe, dann weckt es in mir etwas, das ich auch für Weinachten benötige: die Ehrfurcht.

Vielleicht ist das ein mögliches Geschenk, das ich Mensch und Tier, Pflanze und Stein entgegenbringen kann. Ich kann sie mir aneignen, so dass ich die Ehrfurcht auch das ganze Jahr über parat habe.

Eine mögliche Münze, mit der ich diese Tugend erwerben kann, ist das Staunen.

Wenn ich bald auf die einfachen Hirten rund um die Krippe unter dem Christbaum schauen werde, dann kann ich von ihnen beides lernen: das Staunen und die Ehrfurcht!