In allen katholischen Kirchen der Welt wird heute ein Gedanke des
Propheten Jesaja vorgetragen. Der Geist Gottes des Herrn ruht auf
mir; denn der Herr hat mich gesalbt, er hat mich gesandt, damit ich
den Armen eine frohe Botschaft bringe und alle heile, deren Herz
zerbrochen ist, damit ich den Gefangenen die Entlassung verkünde und
den Gefesselten die Befreiung.
Vermutlich kann ich nicht zum großen
Weltveränderer werden, der in diesem Freudenwort beschrieben ist.
Doch der Blick in die Krippe zeigt mir, dass Gott meistens ganz
leise Mensch geworden ist, unbeachtet von der Öffentlichkeit, nicht
wahrgenommen von den Menschen. Das macht mir Mut.
Dieser Sonntag ist die Einladung, eine
kleine Freude zu schenken durch ein gutes Wort, durch einen
aufmerksamen Gedanken, durch das Bleiben bei einem einsamen
Menschen. So kann die Vision des Propheten in meinem Alltag
Wirklichkeit werden.
Ein zerbrochenes Herz beginnt zu
leuchten, ein in Gedanken gefesselter und eingesperrter Mensch
findet einen neuen Weg, ein in Einsamkeit Gefangener darf einem Du
begegnen.
Montag, 12. Dezember 2011
Der russische Schriftsteller Alexander
Solschenizyn erzählt, wie er als Häftling in Sibirien zusammen mit
anderen Gefangenen gefällte Holzstämme zersägen musste. Als sie
einmal einen der gespaltenen Stämme hochhoben, um ihn zu
zerschneiden, entdeckten sie, dass aus der toten Rinde ein frischer
Trieb herauswuchs. Die Gefangenen schrien auf. Dieser grüne Zweig
war für sie ein Zeichen, dass das Leben, dass ihr eigenes Leben
trotz Straflager nicht aussichtslos war.
Adventlich leben heißt, diesem
„Trotzdem“ Raum zu geben. Der große Philosoph Viktor Frankl würde
vielleicht sagen: Advent heißt trotzdem JA zum Leben sagen.
Dieser unerwartete grüne Spross ist
ein eindrückliches Zeichen, dass das Leben weitergeht.
Oft hat Jesus Menschen dieses
hoffnungsvolle „Trotzdem“ ermöglicht: den Aussätzigen, den
Unerwünschten seiner Zeit, den Kranken, jenen ohne Perspektive im
Leben.
Unser Alltag braucht immer wieder
dieses „Trotzdem“. Und das kann uns in jeder Lebenssituation, in
jeder Stunde auch des heutigen Tages geschenkt werden.
Ich wünsche uns adventliche Augen, die
diese Zeichen der Zukunft nicht übersehen.
Dienstag, 13. Dezember 2011
Vielleicht werden Sie heute wieder
eine Kerze am Adventkranz in Ihrer Stube anzünden. Es kommt mir vor,
als ob alles Warten der Welt im Advent zum Kranz gebunden wird. Das
Warten der Lasttragenden auf jene Kraft, die ihnen weiterhilft. Das
Warten der Deprimierten auf jenes Wort, das sie aufrichtet. Das
Warten der Kranken auf Heilung und Gesundheit. Das Warten der
Hungernden auf Brot und Wasser. Das Warten der Arbeitslosen auf
Anstellung. Das Warten der Flüchtlinge auf Asyl unter den Menschen.
Das Warten aller auf ein Leben mit Sinn.
Diesem Warten in unserem Leben kommt
zu Weihnachten ein stilles und zerbrechliches Wort entgegen. Es
heißt: Das Wort Gottes ist Fleisch geworden und hat unter uns
gewohnt.
Und das oft anders als wir denken. Das
Wort, das hier gemeint ist, kam als Kind in der Nacht, in einem
Stall. Unerkannt von den meisten. Nur die Hirten bemerkten, was da
vor sich geht. Vielleicht geschieht es auch uns, dass er uns -
mitten im Tag, mitten in unserem Leben - begegnet.
Der Ort Gottes ist in der Sehnsucht
und im Warten des Menschen. Ich wünsche Ihnen einen adventlichen
Tag, das heißt einen achtsamen Tag, der das Wesentliche nicht
übersieht.
Mittwoch, 14. Dezember 2011
Carl Lampert, der neue selige Märtyrer
aus Göfis in Vorarlberg schrieb kurz vor seiner Hinrichtung: Das
einzige wirksame Heilmittel gegen die Verzweiflung ist die Hoffnung.
Für Carl Lampert hatte diese Hoffnung
einen Namen – Jesus Christus.
Und er war von der tiefen Überzeugung
geprägt, dass schließlich alles Geschehen seinen Sinn und Zweck
gefunden hat. Das muss mich trösten, schreibt er.
Der trostreiche Lebensanker seines
Märtyrerweges, seines adventlichen Weges in den letzten Stunden, war
die Überzeugung, dass Gott jeden Augenblick seines Lebens mit ihm
verbunden ist.
Die Schweizer Mystikerin Silja Walter
sagt es in einem Gedicht.
Was bin ich denn betrübt?
Ist hinter all den Dingen, die
scheinbar nicht gelingen doch einer, der mich liebt
und hinter Weh und Trauern, Einsamsein
und Kauern in einer kalten Welt,
ist Gott der vor dem Garten mich eine
Weile lässt warten,
bis ihm mein Herz gefällt.
Ist hinter all den Dingen, die
scheinbar nicht gelingen doch einer, der mich liebt.
Darin liegt eine adventliche
Sprengkraft. Gott stärkt jeden und jede, die dahinter schauen, die
sich diesem Geheimnis anvertrauen.
Donnerstag, 15. Dezember 2011
Carl Lampert, der vor wenigen Wochen
in Dornbirn selig gesprochene Märtyrer des Naziregimes, meint:
Heimatgedanken und Grüße.
Wie viele habe ich solche an all die
lieben Orte und Menschen geschrieben. Die Existenz von Heimat, von
einem Ort der Geburt, von einem Ort, an dem ich meinen Namen bekam,
ist ein unbezahlbares Geschenk, das uns Menschen trägt. Hilde Domin
hat es in wundervolle dichterische Worte gefasst:
Dein Ort ist, wo Augen Dich ansehen.
Du fielest, aber Du fällst nicht.
Augen fangen Dich auf.
Es gibt Dich, weil Augen Dich wollen,
Dich ansehen und sagen, dass es Dich
gibt.
Die Zuwendung ist das wichtigste
Lebensmittel für uns Menschen, als Kind genauso, wie als Erwachsene.
Viele Versuche mit Kindern in der Geschichte der Menschheit zeigen,
dass ein Mensch ohne Zuwendung, ohne Begegnung nicht leben kann.
Alles wirkliche Leben ist Begegnung. Isolation treibt in den Tod.
Der Advent führt uns behutsam hin zu
einem großen JA Gottes - zu uns und zu unserem Leben.
Mein Ort ist, wo Augen mich ansehen.
Ich wünsche Ihnen heute adventliche Blicke, die Sie und die Menschen
in Ihrer Nähe stärken.
Freitag, 16. Dezember 2011
In einem berührenden Vortrag erklärt
ein südamerikanischer Missionsbischof, dass die größte Form der
Armut das Unerwünschtsein ist. Arm sind jene, denen das Recht zu
leben abgesprochen wird. Der Blick auf Weihnachten zeigt, dass Jesus
selbst diesen Weg des Unerwünschten gegangen ist. Es war kein Platz
für sie in der Herberge. Unerwünschte gibt es viele in dieser Welt:
die Fremden, die Gestrauchelten, die Schuldigen, viele Ungeborene.
Die selige Mutter Teresa hat sich in
einer großartigen adventlichen Haltung besonders den Unerwünschten
zugewendet und die Solidarität mit ihnen gelebt. Sie schreibt in
einem Gebet:
Lieber Gott,
Du hast mir Mut gegeben,
darauf zu vertrauen, dass Du mich
annimmst.
Gib mir weiterhin die Kraft,
alle Unerwünschten so sehr zu lieben,
wie du mich liebst und mich annimmst.
Du weißt, Herr, dass Unerwünschte
die Ärmsten der Armen sind.
Reiche können ebenso unerwünscht sein
wie die Armen dieser kleinen Erde,
die du uns gegeben hast.
Lass uns alle teilhaftig sein
des Reichtums deiner Liebe,
dann werden wir auch einander annehmen
in deinem Reich auf Erden.
Samstag, 17. Dezember 2011
Der wichtigste Weg um das Geheimnis
Gottes besser verstehen zu können ist die Dankbarkeit. Das zeigt uns
ein Blick in die Weisheitsliteratur der geistlichen Erfahrung. Ein
dankbarer Mensch richtet den Blick seines Herzens auf etwas
Größeres, auf ein Du, das ihn beschenkt.
Wofür können wir heute danken?
Klemens Nodewald schenkt uns viele
Anregungen. Er schreibt: Nimm doch einmal am Tag Dein Herz in die
Hand. Streichle es zärtlich und innig und danke Gott, dass Du fühlen
und lieben kannst. Oder nimm einmal am Tag Deinen Geist, Deine
Vernunft und Fantasie in Deine Hände und staune und freue Dich, wozu
du fähig bist und danke Gott für alle Gaben und Talente, die Du wie
Schätze in Dir trägst. Nimm einmal am Tag Deinen Willen in beide
Hände. Spüre seine ganze Kraft und Energie und danke Gott für all
Deine Stärke. Nimm einmal am Tag Deine Seele in die Hand, berühre
sie ehrfürchtig und sanft und danke Gott, dass Du ihm unendlich
kostbar bist.
Dass wir ihm unendlich kostbar sind,
das zeigt er, indem er selber Mensch geworden ist im Stall von
Bethlehem. Ein Grund in diesen Tagen oft einmal DANKE zu sagen. Wir
dürfen wissen: jeder Atemzug ist ein Geschenk des Lebens.