Morgengedanken

Sonntag,  6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr, 
ORF Regionalradios

 

 

 

von Benno Elbs (Feldkirch, Vorarlberg)

 

 

Sonntag, 11. Dezember 2011

In allen katholischen Kirchen der Welt wird heute ein Gedanke des Propheten Jesaja vorgetragen. Der Geist Gottes des Herrn ruht auf mir; denn der Herr hat mich gesalbt, er hat mich gesandt, damit ich den Armen eine frohe Botschaft bringe und alle heile, deren Herz zerbrochen ist, damit ich den Gefangenen die Entlassung verkünde und den Gefesselten die Befreiung.  

Vermutlich kann ich nicht zum großen Weltveränderer werden, der in diesem Freudenwort beschrieben ist. Doch der Blick in die Krippe zeigt mir, dass Gott meistens ganz leise Mensch geworden ist, unbeachtet von der Öffentlichkeit, nicht wahrgenommen von den Menschen. Das macht mir Mut.

Dieser Sonntag ist die Einladung, eine kleine Freude zu schenken durch ein gutes Wort, durch einen aufmerksamen Gedanken, durch das Bleiben bei einem einsamen Menschen. So kann die Vision des Propheten in meinem Alltag Wirklichkeit werden.

Ein zerbrochenes Herz beginnt zu leuchten, ein in Gedanken gefesselter und eingesperrter Mensch findet einen neuen Weg, ein in Einsamkeit Gefangener darf einem Du begegnen.

 

 

 

Montag, 12. Dezember 2011

Der russische Schriftsteller Alexander Solschenizyn erzählt, wie er als Häftling in Sibirien zusammen mit anderen Gefangenen gefällte Holzstämme zersägen musste. Als sie einmal einen der gespaltenen Stämme hochhoben, um ihn zu zerschneiden, entdeckten sie, dass aus der toten Rinde ein frischer Trieb herauswuchs. Die Gefangenen schrien auf. Dieser grüne Zweig war für sie ein Zeichen, dass das Leben, dass ihr eigenes Leben trotz Straflager nicht aussichtslos war.

Adventlich leben heißt, diesem „Trotzdem“ Raum zu geben. Der große Philosoph Viktor Frankl würde vielleicht sagen: Advent heißt trotzdem JA zum Leben sagen.

Dieser unerwartete grüne Spross ist ein eindrückliches Zeichen, dass das Leben weitergeht.

Oft hat Jesus Menschen dieses hoffnungsvolle „Trotzdem“ ermöglicht: den Aussätzigen, den Unerwünschten seiner Zeit, den Kranken, jenen ohne Perspektive im Leben.

Unser Alltag braucht immer wieder dieses „Trotzdem“. Und das kann uns in jeder Lebenssituation, in jeder Stunde auch des heutigen Tages geschenkt werden.

Ich wünsche uns adventliche Augen, die diese Zeichen der Zukunft nicht übersehen.

 

 

 

Dienstag, 13. Dezember 2011

Vielleicht werden Sie heute wieder eine Kerze am Adventkranz in Ihrer Stube anzünden. Es kommt mir vor, als ob alles Warten der Welt im Advent zum Kranz gebunden wird. Das Warten der Lasttragenden auf jene Kraft, die ihnen weiterhilft. Das Warten der Deprimierten auf jenes Wort, das sie aufrichtet. Das Warten der Kranken auf Heilung und Gesundheit. Das Warten der Hungernden auf Brot und Wasser. Das Warten der Arbeitslosen auf Anstellung. Das Warten der Flüchtlinge auf Asyl unter den Menschen. Das Warten aller auf ein Leben mit Sinn.

Diesem Warten in unserem Leben kommt zu Weihnachten ein stilles und zerbrechliches Wort entgegen. Es heißt: Das Wort Gottes ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt.

Und das oft anders als wir denken. Das Wort, das hier gemeint ist, kam als Kind in der Nacht, in einem Stall. Unerkannt von den meisten. Nur die Hirten bemerkten, was da vor sich geht. Vielleicht geschieht es auch uns, dass er uns - mitten im Tag, mitten in unserem Leben - begegnet.

Der Ort Gottes ist in der Sehnsucht und im Warten des Menschen. Ich wünsche Ihnen einen adventlichen Tag, das heißt einen achtsamen Tag, der das Wesentliche nicht übersieht.

 

 

 

Mittwoch, 14. Dezember 2011

Carl Lampert, der neue selige Märtyrer aus Göfis in Vorarlberg schrieb kurz vor seiner Hinrichtung: Das einzige wirksame Heilmittel gegen die Verzweiflung ist die Hoffnung.

Für Carl Lampert hatte diese Hoffnung einen Namen – Jesus Christus.

Und er war von der tiefen Überzeugung geprägt, dass schließlich alles Geschehen seinen Sinn und Zweck gefunden hat. Das muss mich trösten, schreibt er.

Der trostreiche Lebensanker seines Märtyrerweges, seines adventlichen Weges in den letzten Stunden, war die Überzeugung, dass Gott jeden Augenblick seines Lebens mit ihm verbunden ist.

Die Schweizer Mystikerin Silja Walter sagt es in einem Gedicht.

Was bin ich denn betrübt?

Ist hinter all den Dingen, die scheinbar nicht gelingen doch einer, der mich liebt

und hinter Weh und Trauern, Einsamsein und Kauern in einer kalten Welt,

ist Gott der vor dem Garten mich eine Weile lässt warten,

bis ihm mein Herz gefällt.

Ist hinter all den Dingen, die scheinbar nicht gelingen doch einer, der mich liebt.

Darin liegt eine adventliche Sprengkraft. Gott stärkt jeden und jede, die dahinter schauen, die sich diesem Geheimnis anvertrauen.

 

 

 

Donnerstag, 15. Dezember 2011

Carl Lampert, der vor wenigen Wochen in Dornbirn selig gesprochene Märtyrer des Naziregimes, meint: Heimatgedanken und Grüße.

Wie viele habe ich solche an all die lieben Orte und Menschen geschrieben. Die Existenz von Heimat, von einem Ort der Geburt, von einem Ort, an dem ich meinen Namen bekam, ist ein unbezahlbares Geschenk, das uns Menschen trägt. Hilde Domin hat es in wundervolle dichterische Worte gefasst:

Dein Ort ist, wo Augen Dich ansehen.

Du fielest, aber Du fällst nicht. Augen fangen Dich auf.

Es gibt Dich, weil Augen Dich wollen,

Dich ansehen und sagen, dass es Dich gibt.

Die Zuwendung ist das wichtigste Lebensmittel für uns Menschen, als Kind genauso, wie als Erwachsene. Viele Versuche mit Kindern in der Geschichte der Menschheit zeigen, dass ein Mensch ohne Zuwendung, ohne Begegnung nicht leben kann. Alles wirkliche Leben ist Begegnung. Isolation treibt in den Tod.

Der Advent führt uns behutsam hin zu einem großen JA Gottes - zu uns und zu unserem Leben.

Mein Ort ist, wo Augen mich ansehen. Ich wünsche Ihnen heute adventliche Blicke, die Sie und die Menschen in Ihrer Nähe stärken.

 

 

 

Freitag, 16. Dezember 2011

In einem berührenden Vortrag erklärt ein südamerikanischer Missionsbischof, dass die größte Form der Armut das Unerwünschtsein ist. Arm sind jene, denen das Recht zu leben abgesprochen wird. Der Blick auf Weihnachten zeigt, dass Jesus selbst diesen Weg des Unerwünschten gegangen ist. Es war kein Platz für sie in der Herberge. Unerwünschte gibt es viele in dieser Welt: die Fremden, die Gestrauchelten, die Schuldigen, viele Ungeborene.

Die selige Mutter Teresa hat sich in einer großartigen adventlichen Haltung besonders den Unerwünschten zugewendet und die Solidarität mit ihnen gelebt. Sie schreibt in einem Gebet:

Lieber Gott,

Du hast mir Mut gegeben,

darauf zu vertrauen, dass Du mich annimmst.

Gib mir weiterhin die Kraft,

alle Unerwünschten so sehr zu lieben,

wie du mich liebst und mich annimmst.

Du weißt, Herr, dass Unerwünschte

die Ärmsten der Armen sind.

Reiche können ebenso unerwünscht sein

wie die Armen dieser kleinen Erde,

die du uns gegeben hast.

Lass uns alle teilhaftig sein

des Reichtums deiner Liebe,

dann werden wir auch einander annehmen

in deinem Reich auf Erden.

 

 

 

Samstag, 17. Dezember 2011

Der wichtigste Weg um das Geheimnis Gottes besser verstehen zu können ist die Dankbarkeit. Das zeigt uns ein Blick in die Weisheitsliteratur der geistlichen Erfahrung. Ein dankbarer Mensch richtet den Blick seines Herzens auf etwas Größeres, auf ein Du, das ihn beschenkt.

Wofür können wir heute danken?

Klemens Nodewald schenkt uns viele Anregungen. Er schreibt: Nimm doch einmal am Tag Dein Herz in die Hand. Streichle es zärtlich und innig und danke Gott, dass Du fühlen und lieben kannst. Oder nimm einmal am Tag Deinen Geist, Deine Vernunft und Fantasie in Deine Hände und staune und freue Dich, wozu du fähig bist und danke Gott für alle Gaben und Talente, die Du wie Schätze in Dir trägst. Nimm einmal am Tag Deinen Willen in beide Hände. Spüre seine ganze Kraft und Energie und danke Gott für all Deine Stärke. Nimm einmal am Tag Deine Seele in die Hand, berühre sie ehrfürchtig und sanft und danke Gott, dass Du ihm unendlich kostbar bist.

Dass wir ihm unendlich kostbar sind, das zeigt er, indem er selber Mensch geworden ist im Stall von Bethlehem. Ein Grund in diesen Tagen oft einmal DANKE zu sagen. Wir dürfen wissen: jeder Atemzug ist ein Geschenk des Lebens.