Landessuperintendent der Evangelisch-reformierten Kirche in
Österreich
Sonntag, 18.12.2012
Christkind
„Ich kenne eure Tricks schon“, rief
mein 8-jähriger Neffe Michael, als man ihm heuer wieder vom
Christkind erzählte. „Das ist doch alles erfunden. Das Christkind
gibt es doch gar nicht. Das haben sich nur die Eltern ausgedacht.“
Tausende Eltern sind in dieser
Situation, wenn die Kinder merken, dass alles nicht so ist, wie man
ihnen eingeredet hat. Und was sollen die Erwachsenen sagen: „Ja, du
bist sehr gescheit, jetzt gehörst du zu den Großen, gratuliere, dass
du draufgekommen bist.“ Ich sagte meinem Neffen etwas Anderes: „Zu
Weihnachten feiern wir den Geburtstag von Jesus.“
„Und warum gibt es den ganzen Wirbel
in den Einkaufsstraßen und die Weihnachtsmänner und geschmückten
Geschäfte? Was hat das alles mit Jesus zu tun?“
Und jetzt könnte ich erzählen von der
Werbung und der Wirtschaft, dass alles nur dazu da ist, dass die
Leute ihr Geld ausgeben, und es dann angeblich allen besser geht.
Bei der Frage, warum Christinnen und Christen denn diesen Geburtstag
Jesu feiern, sitzen Kinder und Erwachsene im selben Boot.
Denn nur für diejenigen, die davon
überzeugt sind, dass Gott Mensch geworden ist und dass dieser Mensch
gewordene Gott die Welt heil machen wird, ist Weihnachten mehr als
ein rauschendes Fest.
Montag, 19.12.2011
Jesus
„Wenn es das Christkind nicht gibt,
dann hat es vielleicht auch Jesus gar nicht gegeben“, rief mein
8-jähriger Neffe Michael empört. Was sage ich ihm darauf. Ich könnte
ihm kindheitsgemäß versuchen zu erklären, was man über Jesus im
Theologiestudium lernt, über Quellen, die sich wieder auf andere
Quellen berufen, über Spuren des Namens Christus außerhalb der
Evangelien, aber zielführend wäre das nicht. Es gibt wahrscheinlich
nicht das Christkind, wie wir uns das als Kinder vorgestellt haben,
ein kleines Mädchen in weißem Kleid und Flügeln oder so ähnlich,
aber es gibt das Christkind in unseren Herzen. Gott ist Mensch
geworden, um die ganze Erde zu beglücken. Dieser Mensch ist geboren
und aufgewachsen, wie du und ich, und er hat eine besondere Mission
gehabt. Die Menschen haben sich in seiner Nähe wohl gefühlt, er hat
nicht nur gepredigt und schöne Worte gemacht, sondern er hat Kranke
geheilt und Traurige fröhlich gemacht. Das war ganz echt, und diese
Geschichten haben sich wie ein Lauffeuer verbreitet. Daraus haben
Menschen über 2000 Jahre Kraft geschöpft. Dieser Jesus kann in jedem
von uns einen Platz haben und seine Liebe kann in uns leben und
wirken.
Dienstag, 20.12.2011
Geschenke
„Das Christkind bringt doch nicht die Geschenke, so ein Unsinn. Da
schreibe ich lieber einen Brief an die Oma statt ans Christkind, das
kommt auf dasselbe heraus.“
Eine weise Entscheidung meines 8-jährigen Neffen Michael. Es macht
keinen Unterschied, ob ich dem Christkind oder einem Menschen
schreibe. Bei aller Enttäuschung, dass es das Christkind in dieser
Form nicht gibt, auf die Geschenke möchte mein Neffe natürlich nicht
verzichten. Das hat er gelernt: Zu Weihnachten gibt es Geschenke.
Nun kann man über die Geschenkkultur streiten und die Auswüchse sind
zum Teil abstoßend. Weihnachten ist zu einem Konsumfest verkommen.
Der Kauf- und Verkaufsterror in unserer Gesellschaft wird in dieser
Zeit auf die Spitze getrieben. Aber das bedeutet nicht, dass man am
besten gar nichts mehr schenken soll. Zu Weihnachten hat uns Gott
ein wunderbares Geschenk und damit auch große Freude bereitet.
Freude ist ansteckend, und es ist eine gute Gelegenheit durch ein
Geschenk oder auch nur eine kleine Aufmerksamkeit einem anderen
Menschen zu sagen: Ich mag dich, ich schätze dich, ich bin froh,
dass es dich gibt.
Mittwoch, 21.12.2011
Christbaum
Aufgeregt wartete ich im Kinderzimmer, dann bimmelte ein kleines
Glöckchen und wir wurden ins Wohnzimmer eingelassen. Da stand der
Christbaum voll mit brennenden Kerzen und bunten Kugeln, Sternen und
Schokolade. Das Christkind hatte seine Schuldigkeit getan und war
schon wieder fort. Dieses Bild ist unvergesslich und hat sich in mir
eingeprägt. Heute, 40 Jahre später, bin ich noch immer dankbar für
den damaligen Zauber. Wir wurden nicht hinter das Licht geführt,
sondern in Staunen versetzt. Das Kind in der Krippe, wenn wir
glauben, was damals verkündigt wurde, kann uns auch heute noch in
Staunen versetzen, kann uns bewegen und uns zu Taten motivieren, wie
das bei den Hirten und den Weisen aus dem Morgenland der Fall war.
Wer staunt, der wird demütig vor Gott und wird sich selber nicht zu
wichtig nehmen, nicht, dass ich vor Gott auf dem Bauch liegen oder
mich im Staub wälzen soll, aber es soll mir bewusst werden: Ich bin
zwar nur ein Körnchen im großen Universum, ein Stern, der
aufleuchtet und wieder verlöscht, aber Gott hat mich zu seinem
Ebenbild gemacht. Und er hat so vieles geschaffen, was mich auch
heute noch in Staunen versetzt und so wie damals es die Engeln getan
haben, kann ich nicht anders als ihn für seine Wunder zu loben, die
ich täglich schauen kann, gerade auch unter dem Christbaum, der
ebenso eine Gabe Gottes ist.
Donnerstag, 22.12.2011
Kreuz
Mein 8-jähriger Neffe Michael war enttäuscht, als er erfuhr, dass es
das Christkind nicht gibt und gleichzeitig löste diese Nachricht
eine Flut von Gedanken und Fragen aus. Warum hat sich Jesus als
Erwachsener von seinen Feinden gefangen nehmen und töten lassen?
Wenn er Gott ist, hätte er sich doch auch unsichtbar machen können.
Warum müssen Menschen leiden?
Wenn wir ehrlich sind, mühen wir uns mit diesen Fragen nach dem
Warum genauso ab, wie die Kinder.
Es ist nicht leicht zu akzeptieren, dass Jesus einen anderen Weg
gegangen ist als den, den wir uns für unsere eigenen Kinder
wünschen, nämlich den Weg des Glücks, der Zufriedenheit und des
Erfolgs. Jesus wollte den Menschen ganz nahe sein, er ist nicht den
Weg der Gewalt und nicht den Weg der Rechthaberei gegangen, nicht
den Weg der Täuschung und der Lüge, sondern konsequent den Weg der
Versöhnung, den Weg mit den Ausgestoßenen und Armen, mit den
Zukurzgekommenen und den Unterdrückten. Auf diesem Weg der Liebe und
Gewaltfreiheit hat er den Zorn auf sich gezogen, ist er selber unter
die Räder gekommen, heute wäre er als Gutmensch beschimpft worden,
und gleichzeitig wusste er, dass sein Vater ihn behütet, und auch
wir werden, wenn wir fallen, immer wieder von Gott aufgefangen.
Freitag, 23.12.2011
Überraschung
Na gut, das Christkind gibt es nicht, aber ich möchte mich trotzdem
überraschen lassen. Mein kleiner Neffe Michael hat den Entschluss
gefasst, für seine Schwester ein Packerl zu machen, aber was er
bekommt, das möchte er vorher nicht sehen. Der Wunsch nach
Überraschung bleibt also bestehen, selbst, wenn das Christkind, in
seinem Fall die Oma und seine Eltern, schon eine lange Liste mit
Wünschen bekommen haben, so bleibt ein Rest von Ungewissheit: Werde
ich wirklich bekommen, was ich mir gewünscht habe, oder wird da
etwas unter dem Christbaum liegen, mit dem ich überhaupt nicht
gerechnet habe? Auch Erwachsene lassen sich gerne überraschen und
haben mit Geschenken Freude. Jeder Mensch hat Wünsche: erfüllbare
und unerfüllbare. Manchmal ist es besser, wenn unsere Wünsche nicht
in Erfüllung gehen. Manchmal bekommen wir etwas, mit dem wir
gerechnet haben, aber Gott ist auch immer wieder für eine
Überraschung gut. Es ist immer etwas Besonderes, Menschen zu
begegnen, die über das Gute, das sie geschenkt bekommen, sich aus
ganzem Herzen freuen und die unangenehmen Überraschungen annehmen
aus der Hand Gottes und versuchen, auch daraus das Beste zu machen.
Samstag, 24.12.2011
Heiliger Abend
Millionen von Kinder fiebern dem Heiligen Abend entgegen, so auch
mein 8-jähriger Neffe Michael. In zahlreichen Häusern und Wohnungen
werden Kerzen an Christbäumen entzündet und Kinderaugen werden
leuchten, Geschenke werden ausgepackt, Weihnachtslieder gesungen, an
festlich gedeckten Tischen wird gegessen und in den Kirchen wird das
Weihnachtsevangelium gelesen. Die Geschäftigkeit hat ein Ende. Aber
bald danach ist alles vorbei. Die Weihnachtsstimmung wird von
Silvesterknallerei abgelöst. Weihnachten – nur ein Spuk? Eine große
Illusion für Kinder und auch für Erwachsene mit grellen Lampen und
viel Glitzer?
Selma Lagerlöf beendet ihre Weihnachtserzählung: „Die Heilige Nacht“
mit den Sätzen: „Nicht auf Lichter und Lampen kommt es an, sondern
was not tut ist, dass wir Augen haben, die Gottes Herrlichkeit sehen
können.“ Dieser göttliche Glanz hat nichts mit Kitsch und
Sentimentalität zu tun, sondern mit dem nackten Leben, wie es uns
begegnet. Dieser Glanz verklärt nicht, sondern zeigt die Dinge, wie
sie sind, das Schöne und das Grausame. Und so kann die Geburt Jesu
auch zur Geburt unseres Glaubens werden. Wer glaubt, sucht nicht den
Schein sondern die Wahrhaftigkeit, entlarvt Lüge und Täuschung und
wird immer auch zweifeln und wird durch manche drängende
Kinderfragen selber ins Nachdenken kommen. Und doch wird er spüren,
dass sich da etwas Besonders ereignet und die Welt sich verwandelt.