von Christian Herret (Dreikönigsaktion d. kath. Jungschar, Wien)
Sonntag, 1.1.2012
Einen Stein ins Rollen bringen
Vor der malerischen Kulisse des Himalaya habe ich einen
Neujahrsvorsatz gefasst: Ich möchte gerne einen Stein ins Rollen
bringen.
Malerisch ist im Bergland von Nepal allerdings nur die Kulisse. Denn
das Leben der Menschen ist hart und entbehrungsreich. Wenn du vom
Sonnenaufgang bis weit in die Nacht hinein arbeiten musst um zu
überleben, dann bleibt dir kaum Zeit, dass du dir Gedanken über
deine Zukunft machst.
Vor einem Jahr ist Madhina, eine junge Sozialarbeiterin in die
abgelegene Gegend gekommen und hat begonnen, mit den Bäuerinnen zu
arbeiten. Sie haben über ihre Probleme geredet, was sie brauchen und
was ihnen fehlt. Dann haben sie eine Kooperative gegründet –
einfacher gesagt einen Sparverein. Jede von den Frauen zahlt einen
monatlichen Beitrag ein und gemeinsam diskutieren und bestimmen sie,
was mit dem Geld geschieht. Wer eine gute Idee hat bekommt einen
Kredit aus dem Topf als Starthilfe.
Madina hat uns Gärtnereien, Felder, Schweineställe und Chilifelder
gezeigt – all das haben die Bäuerinnen aus eigener Kraft im letzten
Jahr auf die Beine gestellt. „Wir sagen den Menschen nicht, was sie
zu tun haben. Wir säen den Wunsch nach einer besseren Zukunft und
bringen auf diese Weise den Stein ins Rollen.“ So hat uns Madhina
das Geheimnis des Erfolges erklärt.
Oft braucht es nicht viel mehr als einen solchen Anstoß, um Leben zu
verändern. Man muss nur einen Stein ins Rollen bringen und kann
dann zuschauen, was alles in Bewegung kommt.
Montag, 2.1.2012
Ich will die Welt nicht retten
Wenn man bei einem Hilfswerk arbeitet, das Projekte in
Entwicklungsländern unterstützt, dann kennt man eine Frage zur
Genüge: Bringt das überhaupt was, eure Unterstützung ist doch nur
ein Tropfen auf den heißen Stein. Ändern tut sich sowieso nichts.
Objektiv betrachtet haben die Skeptiker nicht ganz unrecht: All die
vielen Menschen, die sich engagieren, verhindern sicher nicht die
nächste Hungerkatastrophe, stoppen nicht Klimawandel und schon gar
nicht die zahlreichen Naturkatastrophen. Aber wer kann angesichts
der Not so vieler Menschen schon objektiv bleiben. Meine subjektive
Antwort lautet: Ich will die Welt gar nicht retten! Ich bin weder so
überheblich noch so wahnsinnig, dass ich mir das zutraue. Da sind
schon ganz andere gescheitert. Aber ich – und mit mir viele andere
– wir haben etwas anderes, eigentlich etwas viel Größeres im Sinn.
Jeder Mensch, der mit Unterstützung von Initiativen wie der
Sternsingeraktion, der Caritas, Nachbar in Not, dem Roten Kreuz oder
wie immer sie alle heißen, sein Leben zum Besseren wendet, hat
seiner persönlichen kleinen Welt schon ein viel freundlicheres
Gesicht verliehen.
Ich weiß schon, das wird zwar nicht die Welt retten, aber Millionen
von kleinen Welten! Und damit sind wir mehr als zufrieden.
Dienstag, 3.1.2012
Die Drei Weisen
Die Welt kann sich anscheinend an dem Bild der drei Weisen gar nicht
satt sehen. Zuletzt wurde es von den Medien bei der
Griechenlandkrise heraufbeschworen.
Bestehend aus Vertretern der EU, der Europäischen Zentralbank und
dem Internationalen Währungsfond sind die modernen Wirtschaftsweisen
nach Athen gezogen. Bethlehem haben sie verschont. Obwohl der
Vergleich wie jeder hinkt, ganz von der Hand zu weisen ist er nicht.
Auch die modernen Heiligen Drei haben sich auf die Suche gemacht, um
ihrem Gott zu huldigen und ihm Gaben zu bringen. Sie nennen ihn
Weltwirtschaftssystem und er ist einer der mächtigsten und
grausamsten Götter, die jemals angebetet wurden. Er duldet keinen
Widerspruch und verlangt bedingungslosen Gehorsam. Um ihn zu gütig
zu stimmen werden ihm derzeit in ganz Europa mächtige Opfergaben
dargebracht: Wir opfern ihm Teile unseres Gesundheits- und
Bildungssystems und sollte das noch nicht ausreichen, um ihn zu
besänftigen, würden uns die Weisen raten, dieser modernen Gottheit
unseren ganzen über Jahrhunderte mühsam erkämpften Sozialstaat zu
opfern. Mit diesen Gaben bauen sie dem neuen Allmächtigen riesige
Tempelburgen, die man auch als Banken oder als Ratingagenturen
kennt.
Zweitausend Jahre liegen zwischen den beiden Gottesbildern. Während
der eine schutzlos im Stall als neugeborenes Kind Mensch wird, hat
sich sein moderner Konterpart mit aller Kraft jeglicher menschlicher
Züge entledigt.
Mittwoch, 4.1.2012
Friede den Menschen auf Erden
In Chimaltenango, in Guatemala – einem Land, wo Gewalt Alltag ist
und laut Statistik auch nach dem Bürgerkrieg täglich 17 Menschen
eines gewaltsamen Todes sterben - lebt die 14jährige Jennifer. Auf
die Frage nach ihrem sehnlichsten Wunsch lautet ihre Antwort: Wenn
sie in der Früh aus dem Haus geht, will sie keine Angst mehr haben
müssen, ob sie ihre Mutter und ihre Schwester am Abend lebend
wiedersieht. Jennifer träumt von Sicherheit, von einem Leben in
Frieden.
“Friede den Menschen auf Erden”, singen die Engel aus der
Geburtsgeschichte Jesu im Lukasevangelium. Dieser „Friede auf Erden”
ist kein Wunsch, sondern eine Zusage Gottes. Er ist sozusagen das
Weihnachtsgeschenk an die Menschen zur Geburt von Jesus. Der Friede,
von dem der Engel spricht, ist mehr als eine schriftliche Erklärung,
ein Vertrag oder ein Friedensabkommen. Er zielt nicht einfach auf
Ruhe, Harmonie und die Abwesenheit von Konflikt und Streit ab. Die
Bibel hat eine umfassende Vorstellung vom Frieden. Dort geht es um
ein Leben in Würde und Gerechtigkeit, um das Wohlergehen aller. Es
herrscht Friede, wenn und vor allem auch weil es nach Gottes Willen
- für alle genug gibt von dem, was zum Leben notwendig ist.
Das Evangelium ist die Einladung zu einem solchen Leben, mehr noch –
eine Kampfansage, sich für eine solche Welt stark zu machen, damit
Jennifers Wunsch eines Tages in Erfüllung geht.
Donnerstag, 5.1.2012
Do they know it’s christmas time
Do they know it’s christmas time? Ich weiß nicht, wie oft ich in der
Vorweihnachtszeit diesen Gassenhauer gehört habe. Mit diesem Lied
haben Mitte der 1980er-Jahre 40 internationale Popstars einen der
größten Weihnachtshits aller Zeiten geschaffen. Da geht es um arme
Menschen in Afrika, die nichts zu essen haben und deren „Welt voller
Angst und Schrecken ist“. Do they know it’s christmas time? Wissen
die überhaupt, dass Weihnachten ist? Wir, die wir hier im Überfluss
leben, sollen ihnen das doch bitte erklären.
Jedes Jahr denke ich mir, dass da bezüglich Weihnachten ein gröberes
Missverständnis vorliegt. Zu Weihnachten feiern wir, dass Gott
Mensch geworden ist. Aber er ist nicht zu den Reichen und Mächtigen
gekommen, sondern inmitten der Armen und Ausgestoßenen – als einer
von ihnen – geboren worden.
Die ersten, denen seine Geburt verkündet wird und die zu ihm kommen,
sind die Hirten – die Outlaws, die kein Zuhause haben, die auf der
untersten Stufe der Gesellschaft stehen. Das hat mich an diesem
Jesus immer besonders fasziniert: dass er sich klar positioniert,
deutlich macht, wessen Heiland er ist. Die Reichen und Mächtigen
machen ihm erst zwei Wochen später ihre Aufwartung: Die Sterndeuter
aus dem Osten, die später zu den Heiligen Drei Königen werden. Und
wie alle Reichen und Mächtigen müssen sie einen weiten Weg auf sich
nehmen um zum Gotteskind zu finden.
Freitag, 6.1.2012
Sternsinger
Wer arm ist, sei meistens auch faul und damit selber schuld, denkt
fast die Hälfte der Jugendlichen in unserem Lande. Nur jeder fünfte
glaubt, dass Armut auf Ungerechtigkeit in der Gesellschaft
zurückzuführen ist. Viele Jugendliche sind demnach stark auf sich
selber und den eigenen Erfolg konzentriert. Dieses Ergebnis einer
Studie der Jugendkulturforschung ist nicht besonders beruhigend.
Aber wundert uns das wirklich? „Leistung muss sich wieder
auszahlen.“ Ohne über den tieferen Inhalt und die Wirkungen einer
solchen Botschaft nachzudenken, wurde dieser Slogan über viele Jahre
hinweg von unzähligen Politikerinnen und Politikern
gebetsmühlenartig wiederholt. Mit zweifelhaftem Erfolg: Das so oft
geforderte Leistungsdenken dürfte bei vielen Jugendlichen stärker
angekommen sein als beabsichtigt.
Rund um den heutigen Dreikönigstag ziehen Kinder und Jugendliche mit
einer ganz anderen Botschaft von Haus zu Haus: Unsere Sternsinger
singen und werben für anscheinend überholte Werte wie Solidarität
und Nächstenliebe. Beim Sternsingen machen sie die Erfahrung, dass
es im Leben einen Wert darstellt, sich für etwas einzusetzen, wofür
sie nicht materiell belohnt werden. In unserer leistungsorientierten
Welt stellt dies für junge Menschen eine oft bereits „exotische“
Erfahrung dar. Aber oft sind es gerade diese exotischen Erfahrungen,
die ein Leben bereichern.
Samstag, 7.1.2012
Kanada vs Tharu
Kurz nach dem Ende der Weltklimakonferenz in Durban hat Kanada als
erstes Land seinen Austritt aus dem Kyoto-Protokoll erklärt. Die
anstehenden „Strafzahlungen“ in der Höhe von 10,5 Milliarden Euro
waren dem Klimasünder zu viel.
An der Grenze zwischen Indien und Nepal lebt das Volk der Tharu. Die
Tharu leben von dem, was sie auf ihren Feldern anbauen, und was
ihnen die Natur bietet. Sie betreiben untereinander Tauschhandel und
werfen nichts weg. Alles wird verwertet. Würde unsere Erde nur von
Tharu bevölkert sein, bräuchten wir keinen einzigen Gedanken an den
Klimawandel verschwenden. Aber es ist – mit unseren westlichen Augen
betrachtet - kein angenehmes, kein erstrebenswertes Leben. Null
Komfort, schlafen gehen, wenn’s dunkel wird, und ein paar Stunden
mit dem Ochsenkarren in die Stadt. Mit dem Auto würde man nur eine
Viertelstunde brauchen. Für ihre Entbehrungen bekommen sie aber
weder Lohn noch Dank. Im Gegenteil, immer öfter sind sie von den
Folgen des Klimawandels selbst betroffen, immer öfter tritt der nahe
Fluss über die Ufer und überschwemmt die Dörfer. Was das für
Menschen heißt, deren Häuser und Reisspeicher aus Ton gebaut sind,
braucht man nicht erklären.
Ich bin mir sicher, die Tharu würden – wenn das nur irgendwie
möglich wäre - gerne ganz einfach aus den Folgen der
Klimaveränderung „aussteigen“, die sie Ländern wie Kanada oder auch
Österreich zu verdanken haben.