Am Anfang des Jahres werden gute
Vorsätze gefasst, doch schon nach wenigen Tagen meistens wieder
fallen gelassen. Zu schwach sind Menschen oft, zu stark ist das, was
wir den inneren Schweinhund nennen.
Menschen rechnen meistens mit ihrer
Stärke und Kraft, Gott tut das nicht. Er rechnet von vornherein mit
ihrer Schwachheit. Das wird auch in dem Bibelwort deutlich, das von
der Herrnhuter Brüdergemeinde als Wort des Jahres 2012 ausgelost
wurde. Es steht im 2. Korintherbrief (12, 9): Jesus Christus
spricht: Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.
Also gerade in Zeiten, in denen
Menschen sich ohnmächtig fühlen, da gilt ihnen die Verheißung, dass
Gott seine Stärke auch durch diejenigen zeigt, die schwach sind.
Gott ist nicht ein großer allmächtiger Herrscher, der über seine
Schöpfung regiert, sondern er offenbart den Menschen sein wahres
Wesen erst in der Ohnmacht. Das ist sicherlich nicht leicht zu
verstehen, aber wenn wir an das Geschehen in der Heiligen Nacht
denken, dann wird es rasch klar. Nicht ein Wunderkind wurde da
geboren, sondern ein einfaches schutzloses kleines Wesen. Gott wurde
in Jesus von Nazareth ein ohnmächtiges Menschenkind, damit er allen,
die an ihn glauben menschlich nahe sein kann.
Montag, 16.1.2012
Gott hat sich für die Ohnmacht entschieden
Wenn wir uns in der Welt umschauen,
dann scheint es, dass das Streben nach Macht ungebrochen ist. Das
ist verständlich, denn wer möchte sich schon gerne ohnmächtig
fühlen? Heute sind viele davon überzeugt, dass nur die Menschen
glücklich sind, die auch Macht haben. Wer schwach und ohnmächtig
ist, der steht auf der Seite der Verlierer.
Trotzdem fühlen sich sehr viele
Menschen ohnmächtig. Vielleicht war es ja immer so. Auch zu Zeiten
von Jesus gab es viel mehr Menschen, die sich ohnmächtig gefühlt
haben, als solche die mit Macht ausgestattet waren. Und sicherlich
dachten schon damals die Menschen, dass nur diejenigen ein
glückliches und schönes Leben führen können, die Macht haben.
Der Mensch wünscht sich Macht, aber
Gott hat sich für die Ohnmacht entschieden. Er ist ein Mensch
geworden und hat sein Leben als ein Kind begonnen, das ohnmächtig
ist und angewiesen auf Liebe, Schutz und Fürsorge. Deshalb wird sich
Jesus später allen Menschen zuwenden, vor allem jenen, die sich
kraftlos fühlen, schwach und hilflos fühlen. Ihnen sagt er: „Meine
Kraft ist in den Schwachen mächtig.“
Dienstag, 17.1.2012
Gott ist ein barmherziger und liebender Gott
Dass Gottes Kraft sich in den
Schwachen und Armen, in den Gebeugten und Entrechteten zeigt und
dort zum Ziel findet, wird in der gesamten Heiligen Schrift
vertreten.
Im Ersten Testament ist es der junge
David, der es mit Goliath aufnimmt und trotz seiner Unterlegenheit
siegt. Ich denke an Moses, der kein guter Redner war und sich am
Anfang bei seinem Volk nicht durchsetzten konnte. Ich denke an die
Frauen: Sara, Rebecca, Rahel, Hannah, die von Gott erhört und
schwanger wurden. Und ich denke auch an die Propheten, z.B. an
Jesaja. Er war überzeugt, dass Gott den glimmenden Docht nicht
auslöschen wird.“ (42,3)
Im Zweiten Testament finden wir genau
das gleiche bei Jesus. Er holt die Ausgegrenzten in die Mitte der
Gesellschaft zurück, er setzt sich mit den Sündern an einen Tisch
und er stellt ein Kind als Vorbild in die Mitte. Jesus selbst stirbt
in Einsamkeit und als Ohnmächtiger am Kreuz und von Gott auferweckt
wird.
Gott wirkt durch die Schwachen und
nimmt die Nöte der Ohnmächtigen in den Blick. Er ist ein Herrscher,
der über uns nicht mit strenger Hand regiert. Er ist ein
barmherziger und liebender Gott für alle, die Kleinen und die
Großen, die Schwachen und die Starken.
Mittwoch, 18.1.2012
Das Kreuz ist die Mitte des Glaubens
Ohnmacht ist ein Gefühl, das jeder
Mensch kennt. Aber niemand fühlt sich gerne ohnmächtig, denn es
bedeutet Schwäche und ist mit Angst verbunden. Gefühle der Ohnmacht
werden daher oftmals verdrängt und geleugnet.
Wie ohnmächtig sich Menschen fühlen
können, dass weiß Gott und kennt es aus seiner eigenen Geschichte
mit den Menschen. Er hat es selbst am Kreuz erlebt. Deshalb bleibt
es trotz der vielfältigen Verdrängung von Ohnmacht in unserer
modernen Gesellschaft die Aufgabe der Kirche, die Verkündigung des
Kreuzes Christi nicht verstummen zu lassen.
Martin Luther hat das Kreuz in die
Mitte seines Denkens gestellt und er hat darin die wahre Kraft und
die Quelle seines Glaubens erkannt. Das hat vor allem auch damit zu
tun, dass er sich selbst in seiner Schwachheit erkannt hat. Er ist
zur Überzeugung gelangt, dass allein Gott durch seine Gnade den
Menschen errettet und nichts anderes.
Was Martin Luther und viele seiner
zeitgenössischen Denker begonnen haben, das mündete eines Tages in
das ein, was wir Menschenrechte nennen. Sie verbürgen, dass auch
diejenigen Menschen ein Recht auf Leben, Glück, Achtung und Respekt
haben, die keine Macht haben.
Wenn ich mich auch manchmal in diesem
Jahr 2012 schwach fühlen werde und wenn ich auch nicht „weiß, wohin
Gott mich führt, ich weiß, dass er mich führt."
Donnerstag, 19.1.2012
Mut zur Ohnmacht
Jesus war in seiner Religion, dem
Judentum, sehr stark verwurzelt. In der jüdischen Religion, die auch
unsere Wurzel ist, gehört es unbedingt dazu, dass sich der Mensch
seiner Schwachheit und Ohnmacht bewusst ist.
Im Bußgebet des jüdischen
Gottesdienstes bekennen sich die Beter zu ihrer Ohnmacht und sie
bitten Gott um Liebe und Zuwendung: „Lass Dich erbitten und versöhne
dich mit dem elenden Geschlecht, denn es ist ohne Helfer. Wir wissen
nicht, was wir tun sollen – sondern auf dich sind unsere Augen
gerichtet. …Deine Liebe walte über uns! Komm uns mit deinem Erbarmen
entgegen, denn wir sind schwach.“ (zit. nach Scheele, 74f.)
Gottes Kraft kann aber da wirken, wo
Ohnmacht ausgesprochen und akzeptiert wird.
Wer sich der Ohnmacht aussetzt, wer
Mut zur Ohnmacht entwickelt, wer in Demut seine Ohnmacht annimmt,
kann Gott in sich wirken lassen, er wird offen für Gottes Willen.
Denn Ohnmacht, die vor Gott gebracht wird, wird nicht mit Stärke und
Macht beantwortet, sondern mit Erbarmen und Liebe.
Freitag, 20.1.2012
Gott ist an meiner Seite
Was im Jahr 2012 kommen wird, das weiß
keiner von uns. Manchmal sagen wir, das sei auch gut so. Manchmal
wüssten wir jedoch zu gerne, welche nächsten Schritte wir zu gehen
haben. Glücklicherweise brauchen Christen keine Zukunftswahrsager,
sie dürfen sich auf Gott verlassen.
Voll Gottvertrauen will ich in diesem
Jahr darauf hoffen und daran festhalten, dass Gott in den nächsten
12 Monaten an meiner Seite sein wird, auch wenn ich vieles nicht
verstehe.
Und wenn ich in diesem Jahr durch
Dunkelheit gehen muss, dann will ich die Nähe Gottes suchen und mich
an seiner Hand fest halten. Denn er kennt sich aus an jedem Ort und
zu jeder Zeit. Er ist in den Schwachen mächtig. Wenn ich Angst sage,
sagt er „habe nur Mut“.
Gott begleitet mich mit seiner Gnade
und Zuwendung. Deshalb kann ich vor ihm sein, was und wer ich bin,
nicht mehr, aber auch nicht weniger. Ich darf die Zweiflerin sein,
die Verunsicherte, die Suchende und die Unzufriedene, aber auch die
überschäumend Glückliche. Einfach ich selbst, einfach stimmig mit
mir.
Samstag, 21.1.2012
Lass dir an meiner Gnade genügen
Es gibt Momente, in denen ich mich
wunderbar stark fühle. Ich meine, Bäume ausreißen und der Welt ein
Loch schlagen zu können. Das Leben lehrt mich jedoch: Wenn ich mich
am stärksten fühle, genügt der Biss einer winzigen Zecke und nichts
in meinem Leben ist wie vorher.
Es gibt aber auch Momente, in denen
ich mich sehr schwach fühle und meine, gar nichts schaffen zu
können. Dann erkenne ich, dass es mit meiner eigenen Kraft nicht
weit her ist.
Es kommt also gar nicht darauf an, ob
ich mich stark oder schwach fühle. Es kommt darauf an, dass ich
meine Kraft als die Kraft Gottes erkenne. Denn Gott spricht zu mir:
„Lass dir an meiner Gnade genügen, ganz gleich, ob du dich stark
oder schwach fühlst. Wenn du erkennt, dass meine Kraft es ist, die
in dir wirksam ist, wenn du zulässt, dass meine Gnade es ist, durch
die du lebst und bist, dann kannst du getrost deine Wege gehen.
Gottes Kraft ist nicht rohe Gewalt,
sondern eine lebendige Kraft, sie wirkt nicht mit der Brechstange,
sondern setzt meine Fähigkeiten, meine Begabungen und meine Talente
in Bewegung. Gottes Kraft befähigt mich, mein Leben zu gestalten,
mich zu freuen an Schönem und auch Schweres zu tragen.