Morgengedanken

Sonntag,  6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr, 
ORF Regionalradios

 

 


von Pfarrerin Ingrid Tschank (Gols, Burgenland)

 

 

Sonntag, 15.1.2012
Gottes Ziel ist die Schwäche

Am Anfang des Jahres werden gute Vorsätze gefasst, doch schon nach wenigen Tagen meistens wieder fallen gelassen. Zu schwach sind Menschen oft, zu stark ist das, was wir den inneren Schweinhund nennen.

Menschen rechnen meistens mit ihrer Stärke und Kraft, Gott tut das nicht. Er rechnet von vornherein mit ihrer Schwachheit. Das wird auch in dem Bibelwort deutlich, das von der Herrnhuter Brüdergemeinde als Wort des Jahres 2012 ausgelost wurde. Es steht im 2. Korintherbrief (12, 9): Jesus Christus spricht: Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.

Also gerade in Zeiten, in denen Menschen sich ohnmächtig fühlen, da gilt ihnen die Verheißung, dass Gott seine Stärke auch durch diejenigen zeigt, die schwach sind. Gott ist nicht ein großer allmächtiger Herrscher, der über seine Schöpfung regiert, sondern er offenbart den Menschen sein wahres Wesen erst in der Ohnmacht. Das ist sicherlich nicht leicht zu verstehen, aber wenn wir an das Geschehen in der Heiligen Nacht denken, dann wird es rasch klar. Nicht ein Wunderkind wurde da geboren, sondern ein einfaches schutzloses kleines Wesen. Gott wurde in Jesus von Nazareth ein ohnmächtiges Menschenkind, damit er allen, die an ihn glauben menschlich nahe sein kann.

 

 

 

Montag, 16.1.2012
Gott hat sich für die Ohnmacht entschieden

Wenn wir uns in der Welt umschauen, dann scheint es, dass das Streben nach Macht ungebrochen ist. Das ist verständlich, denn wer möchte sich schon gerne ohnmächtig fühlen? Heute sind viele davon überzeugt, dass nur die Menschen glücklich sind, die auch Macht haben. Wer schwach und ohnmächtig ist, der steht auf der Seite der Verlierer.

Trotzdem fühlen sich sehr viele Menschen ohnmächtig. Vielleicht war es ja immer so. Auch zu Zeiten von Jesus gab es viel mehr Menschen, die sich ohnmächtig gefühlt haben, als solche die mit Macht ausgestattet waren. Und sicherlich dachten schon damals die Menschen, dass nur diejenigen ein glückliches und schönes Leben führen können, die Macht haben.

Der Mensch wünscht sich Macht, aber Gott hat sich für die Ohnmacht entschieden. Er ist ein Mensch geworden und hat sein Leben als ein Kind begonnen, das ohnmächtig ist und angewiesen auf Liebe, Schutz und Fürsorge. Deshalb wird sich Jesus später allen Menschen zuwenden, vor allem jenen, die sich kraftlos fühlen, schwach und hilflos fühlen. Ihnen sagt er: „Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.“

 

 

 

Dienstag, 17.1.2012
Gott ist ein barmherziger und liebender Gott

Dass Gottes Kraft sich in den Schwachen und Armen, in den Gebeugten und Entrechteten zeigt und dort zum Ziel findet, wird in der gesamten Heiligen Schrift vertreten.

Im Ersten Testament ist es der junge David, der es mit Goliath aufnimmt und trotz seiner Unterlegenheit siegt. Ich denke an Moses, der kein guter Redner war und sich am Anfang bei seinem Volk nicht durchsetzten konnte. Ich denke an die Frauen: Sara, Rebecca, Rahel, Hannah, die von Gott erhört und schwanger wurden. Und ich denke auch an die Propheten, z.B. an Jesaja. Er war überzeugt, dass Gott den glimmenden Docht nicht auslöschen wird.“ (42,3)

Im Zweiten Testament finden wir genau das gleiche bei Jesus. Er holt die Ausgegrenzten in die Mitte der Gesellschaft zurück, er setzt sich mit den Sündern an einen Tisch und er stellt ein Kind als Vorbild in die Mitte. Jesus selbst stirbt in Einsamkeit und als Ohnmächtiger am Kreuz und von Gott auferweckt wird.

Gott wirkt durch die Schwachen und nimmt die Nöte der Ohnmächtigen in den Blick. Er ist ein Herrscher, der über uns nicht mit strenger Hand regiert. Er ist ein barmherziger und liebender Gott für alle, die Kleinen und die Großen, die Schwachen und die Starken.

 

 

 

 

Mittwoch, 18.1.2012
Das Kreuz ist die Mitte des Glaubens

Ohnmacht ist ein Gefühl, das jeder Mensch kennt. Aber niemand fühlt sich gerne ohnmächtig, denn es bedeutet Schwäche und ist mit Angst verbunden. Gefühle der Ohnmacht werden daher oftmals verdrängt und geleugnet.

Wie ohnmächtig sich Menschen fühlen können, dass weiß Gott und kennt es aus seiner eigenen Geschichte mit den Menschen. Er hat es selbst am Kreuz erlebt. Deshalb bleibt es trotz der vielfältigen Verdrängung von Ohnmacht in unserer modernen Gesellschaft die Aufgabe der Kirche, die Verkündigung des Kreuzes Christi nicht verstummen zu lassen.

Martin Luther hat das Kreuz in die Mitte seines Denkens gestellt und er hat darin die wahre Kraft und die Quelle seines Glaubens erkannt. Das hat vor allem auch damit zu tun, dass er sich selbst in seiner Schwachheit erkannt hat. Er ist zur Überzeugung gelangt, dass allein Gott durch seine Gnade den Menschen errettet und nichts anderes.

Was Martin Luther und viele seiner zeitgenössischen Denker begonnen haben, das mündete eines Tages in das ein, was wir Menschenrechte nennen. Sie verbürgen, dass auch diejenigen Menschen ein Recht auf Leben, Glück, Achtung und Respekt haben, die keine Macht haben.

Wenn ich mich auch manchmal in diesem Jahr 2012 schwach fühlen werde und wenn ich auch nicht „weiß, wohin Gott mich führt, ich weiß, dass er mich führt."

 

 

 

Donnerstag, 19.1.2012
Mut zur Ohnmacht

Jesus war in seiner Religion, dem Judentum, sehr stark verwurzelt. In der jüdischen Religion, die auch unsere Wurzel ist, gehört es unbedingt dazu, dass sich der Mensch seiner Schwachheit und Ohnmacht bewusst ist.

Im Bußgebet des jüdischen Gottesdienstes bekennen sich die Beter zu ihrer Ohnmacht und sie bitten Gott um Liebe und Zuwendung: „Lass Dich erbitten und versöhne dich mit dem elenden Geschlecht, denn es ist ohne Helfer. Wir wissen nicht, was wir tun sollen – sondern auf dich sind unsere Augen gerichtet. …Deine Liebe walte über uns! Komm uns mit deinem Erbarmen entgegen, denn wir sind schwach.“ (zit. nach Scheele, 74f.)

Gottes Kraft kann aber da wirken, wo Ohnmacht ausgesprochen und akzeptiert wird.

Wer sich der Ohnmacht aussetzt, wer Mut zur Ohnmacht entwickelt, wer in Demut seine Ohnmacht annimmt, kann Gott in sich wirken lassen, er wird offen für Gottes Willen. Denn Ohnmacht, die vor Gott gebracht wird, wird nicht mit Stärke und Macht beantwortet, sondern mit Erbarmen und Liebe.

 

 

 

Freitag, 20.1.2012
Gott ist an meiner Seite

Was im Jahr 2012 kommen wird, das weiß keiner von uns. Manchmal sagen wir, das sei auch gut so. Manchmal wüssten wir jedoch zu gerne, welche nächsten Schritte wir zu gehen haben. Glücklicherweise brauchen Christen keine Zukunftswahrsager, sie dürfen sich auf Gott verlassen.

Voll Gottvertrauen will ich in diesem Jahr darauf hoffen und daran festhalten, dass Gott in den nächsten 12 Monaten an meiner Seite sein wird, auch wenn ich vieles nicht verstehe.

Und wenn ich in diesem Jahr durch Dunkelheit gehen muss, dann will ich die Nähe Gottes suchen und mich an seiner Hand fest halten. Denn er kennt sich aus an jedem Ort und zu jeder Zeit. Er ist in den Schwachen mächtig. Wenn ich Angst sage, sagt er „habe nur Mut“.

Gott begleitet mich mit seiner Gnade und Zuwendung. Deshalb kann ich vor ihm sein, was und wer ich bin, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Ich darf die Zweiflerin sein, die Verunsicherte, die Suchende und die Unzufriedene, aber auch die überschäumend Glückliche. Einfach ich selbst, einfach stimmig mit mir.

 

 

 

Samstag, 21.1.2012
Lass dir an meiner Gnade genügen

Es gibt Momente, in denen ich mich wunderbar stark fühle. Ich meine, Bäume ausreißen und der Welt ein Loch schlagen zu können. Das Leben lehrt mich jedoch: Wenn ich mich am stärksten fühle, genügt der Biss einer winzigen Zecke und nichts in meinem Leben ist wie vorher.

Es gibt aber auch Momente, in denen ich mich sehr schwach fühle und meine, gar nichts schaffen zu können. Dann erkenne ich, dass es mit meiner eigenen Kraft nicht weit her ist.

Es kommt also gar nicht darauf an, ob ich mich stark oder schwach fühle. Es kommt darauf an, dass ich meine Kraft als die Kraft Gottes erkenne. Denn Gott spricht zu mir: „Lass dir an meiner Gnade genügen, ganz gleich, ob du dich stark oder schwach fühlst. Wenn du erkennt, dass meine Kraft es ist, die in dir wirksam ist, wenn du zulässt, dass meine Gnade es ist, durch die du lebst und bist, dann kannst du getrost deine Wege gehen.

Gottes Kraft ist nicht rohe Gewalt, sondern eine lebendige Kraft, sie wirkt nicht mit der Brechstange, sondern setzt meine Fähigkeiten, meine Begabungen und meine Talente in Bewegung. Gottes Kraft befähigt mich, mein Leben zu gestalten, mich zu freuen an Schönem und auch Schweres zu tragen.