Von Georg Christoph Lichtenberg ist
uns das Wort überliefert: „Man sollte nie so viel zu tun haben, dass
man zum Nachdenken keine Zeit mehr hat.“ Mich bewegen Umfragen, die
deutlich machen, wie sehr Menschen unter Druck stehen, wie fordernd
und schwierig die Bewältigung des Lebens geworden ist. Die
beruflichen Herausforderungen steigen. Der Arbeitsdruck wächst. Eine
längere Zeit im Krankenstand kann man sich fast nicht mehr leisten.
Die Pflichten zu Hause und bei der Erziehung der Kinder bringen
viele Menschen an die Grenze. Sogar die Freizeit wird zum
Freizeitstress, denn ununterbrochen wird uns eingeredet, dass das
gewöhnliche Leben zuwenig Pfiff hat.
Gelingendes Leben gibt es nur, wenn es
auch Zeiten ohne Druck gibt, Ruhezeiten, die zum Nachsinnen und
Nachdenken einladen. Wer nicht mehr innehält, reagiert nur mehr und
hetzt allem hinterher. Nicht er steuert das Leben, sondern das Leben
steuert ihn. Gott sei Dank gibt es den Sonntag!
Montag, 23. Jänner 2012
Am Morgen haben wir die Chance, dem
Tag eine Ausrichtung zu geben, zumindest eine gewisse Orientierung.
Unter welchem Vorzeichen soll dieser Tag heute stehen? Was soll ihn
leiten? Was soll wichtig bleiben, durch alle Ereignisse und
Begegnungen hindurch? Vielleicht kann dabei ein Motto helfen, ein
Wort, das durch diesen Tag begleitet.
Menschen, die im Arbeitsleben stehen,
führen nicht selten eine „to do Liste“. Diese Liste enthält all das,
was zu erledigen und zu tun ist, alle kleineren und größeren
Aufgaben, die warten. Ganz oben auf dieser Liste stehen jene Dinge,
die besonders wichtig sind, die nicht vergessen werden dürfen, die
dringend sind und eine entschiedene Aufmerksamkeit benötigen. Wenn
Nebensächlichkeiten die Kraft aufbrauchen, dann bleibt nichts mehr
für das Wichtige. Die kostbare Zeit ist verbraucht und dahin.
„Achte auf das, was bei dir oben ist.
Dessen Geist kommt auf dich herab.“ So habe ich vor kurzem gelesen.
Was ganz oben steht, das hat Gewicht. Für das, was oben steht, nehme
ich mir Zeit. Dafür setze ich mich ein. Es prägt mein Denken und
Tun. Deshalb: Achte auf das, was oben ist in deinem Leben. Es prägt
den ganzen Tag. Es durchzieht die Fasern jeder Stunde.
Dienstag, 24. Jänner 2012
Es gibt wohl keinen Menschen, dem es
völlig gleichgültig ist, ob sein Leben gelingt oder nicht, ob das
Leben Sinn hat oder sinn-los ist, ob so etwas wie Freude da ist,
oder ob letztlich Frust und Enttäuschung den Ton angeben.
Wie kann mein Leben gelingen? Wie kann
es gut und sinnvoll sein? Viele Menschen machen die Erfahrung, dass
sie dann glücklich werden, wenn sie für andere ein Stück
Aufmerksamkeit und Liebe aufbringen. Wenn sich nicht alles nur um
sie selber dreht. Wenn die Freude und das Glück eines anderen
Menschen in ihrem eigenen Leben sich spiegelt. Wer sich einsetzt,
der gewinnt: Freude, Aufmerksamkeit, Mitgefühl, Sinn.
Ich kann mich noch gut an jene Zeit
erinnern, in der es ein hohes und erstrebenswertes Ziel war, jeden
Tag eine gute Tat zu vollbringen. Nichts Weltbewegendes, aber doch
etwas Kleines, und das dafür treu und verlässlich, jeden Tag.
„Was ist eine gute Tat?“, fragte einst
ein Ratsuchender einen weisen Menschen. Der Weise antwortete: „Eine
gute Tat lässt auf dem Antlitz eines anderen ein Lächeln zurück!“ Es
ist gut, bei anderen Menschen ein Lächeln hervorzubringen, und dann
darüber zu staunen, dass dieses Lächeln das eigene Gesicht heller
macht.
Mittwoch, 25. Jänner 2012
Viele beginnen den Tag mit der
Zeitung. Kaum aus dem Bett, gehört ihre ganze Aufmerksamkeit dem,
was sich Neues getan hat und worüber gesprochen und diskutiert wird.
Man muss ja schließlich informiert sein, wenn man mitreden will.
Hast du schon gehört? Weißt du schon das Neueste?
Und es bleibt keinem verborgen, dass
es unzählige Skandale gibt. Korruption und Machtmissbrauch,
finanzielle Unregelmäßigkeiten und persönliche Fehlleistungen,
vertuschtes Versagen und offenkundige Schuld. Manche Menschen werden
schwermütig, wenn sie die Zeitung lesen. Andere schlagen sich sofort
auf die Seite der Sündenbockjäger: Wer ist schuld? Wer hat versagt?
Insgesamt ist es wichtig, sich den
dunklen Seiten des Menschen und damit auch den Abgründen des
gesellschaftlichen Lebens zu stellen. Es ist unverzichtbar, Sümpfe
trocken zu legen, das Gift in zwischenmenschlichen und politischen
Vorgängen zu benennen und gleichzeitig zu versuchen, das Leben zu
entgiften. Nur: Wer soll das machen? Ist der tägliche Hinweis mit
dem Zeigefinger ausreichend? Was ändert sich damit wirklich?
Von Mark Twain gibt es die Aussage:
„Wenn man einen Sumpf trocken legen will, darf man damit nicht die
Frösche beauftragen.“
Donnerstag, 26. Jänner 2012
Wenn von einem Menschen gesagt wird,
er sei „fromm“, dann denken wir vielleicht: Oje, schon wieder einer
von denen, die nicht mit beiden Beinen im Leben stehen, die alles
verklärt betrachten, die irgendwie weltfremd sind! Und es gibt sie
tatsächlich, jene Menschen, die über alles einen religiösen und
frommen Zuckerguss streuen und nicht verlegen sind, Gott damit in
Verbindung zu bringen.
Ich würde diese Menschen nicht als
„fromm“ bezeichnen, sondern vielleicht eher als „frömmelnd“. Fromm
zu sein meint etwas anderes. Simone Weil hat einmal gesagt: „Nicht
daran, wie einer von Gott redet, erkenne ich, ob seine Seele durch
das Feuer der göttlichen Liebe gegangen ist, sondern daran, wie er
von irdischen Dingen spricht.“
Die fromme und überhöht religiöse
Sprache ist nicht das, was zählt. „Fromme Sprüche“ sind tatsächlich
zu wenig. Wer die Nähe Gottes erfahren hat, der redet anders. In
dessen Worten, in dessen Umgang mit Menschen und mit dem, wie die
Welt nun einmal ist, wird deutlich, dass Gott nicht zuallererst
richtet, sondern rettet. Dass es sein Wille ist, dem Menschen mit
Achtung und Wertschätzung zu begegnen. Dass sich in den irdischen
Dingen ein Stück Himmel spiegelt.
Freitag, 27. Jänner 2012
Eine Frage beschäftigt viele Menschen:
Gönnt mir Gott mein Leben, meine Freude, meine Lust? Oder will er,
dass ich beladen und gedrückt durchs Leben gehe? Kann mich die
Schönheit dieses Lebens von Gott ablenken?
Wenn jemand zum Schluss kommt, dass
Gott uns die Lust am Leben neidet, dann ist es nicht verwunderlich,
wenn er Gott aus dem Leben streicht. Ohne Gott habe ich dann ja mehr
Freiheit! Ohne Gott kann ich mehr „Leben im Leben“ finden. Ohne Gott
werde ich dann sicher glücklicher! Ich brauche niemanden, der mein
Leben gängelt und mir das Schöne im Leben mies macht.
Könnte es sein, dass dieser Gedanke
von einem falschen, verdrehten Gottesbild ausgeht? Dass Gott eben
nicht einer ist, der mich beneidet, der meine Lust am Leben
beschneidet, sondern einer, der mich frei machen will? Dass seine
Gebote letztlich zu mehr Leben führen wollen?
Und was bleibt, wenn Gott weg ist?
Hans-Dietrich von Seydlitz hat den Satz geprägt: „Wenn wir nicht
mehr in Gottes Hand sind, bin ich gespannt, wer uns in die Finger
kriegt.“ Es ist gut, darüber nachzudenken: Wer oder was hat mich in
der Hand? Wer oder was klammert mich fest? Könnte es vielleicht
sogar Gottes Hand sein, die mich freier macht?
Samstag, 28. Jänner 2012
Es ist sehr hilfreich, wenn am Beginn
eines neuen Tages ein guter Gedanke steht. Das verändert den Beginn,
und auch den Tag.
Für heute ist mir ein schönes Wort von
Immanuel Kant in den Sinn gekommen. Er hat einmal geschrieben: „Ich
habe in meinem Leben viele kluge und gute Bücher gelesen. Aber ich
habe in ihnen allen nichts gefunden, was mein Herz so still und froh
gemacht hätte wie die vier Worte aus dem 23. Psalm: ‚Du bist bei
mir!’“
Damit wir im Leben froh werden, damit
das Leben glücken und gelingen kann, brauchen wir die Nähe und
Zuneigung von Menschen. Wenn ich weiß und es auch spüre, dass ich
geliebt bin, dass mir andere nahe sind und mich verstehen, dann kann
ich viel bewältigen und tragen. Ein lieber Mensch in meiner Nähe
gibt mir Halt und innere Stärke.
Das gilt umso mehr für Gott. Wenn Gott
bei mir ist, dann finde ich in ihm Geborgenheit und Halt. Dann baue
ich auf ein gutes Fundament. Dann können die Bretter des Lebens
schon auch einmal wanken. Dieses Wort aus dem Psalm ist ein guter
Start in den Tag. Immer wieder darf ich mir sagen: Gott. Du bist bei
mir.