Morgengedanken

Sonntag,  6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr, 
ORF Regionalradios

 

 

 

von Generalvikar Jakob Bürgler (Innsbruck)

 

 

Sonntag, 22. Jänner 2012

Von Georg Christoph Lichtenberg ist uns das Wort überliefert: „Man sollte nie so viel zu tun haben, dass man zum Nachdenken keine Zeit mehr hat.“ Mich bewegen Umfragen, die deutlich machen, wie sehr Menschen unter Druck stehen, wie fordernd und schwierig die Bewältigung des Lebens geworden ist. Die beruflichen Herausforderungen steigen. Der Arbeitsdruck wächst. Eine längere Zeit im Krankenstand kann man sich fast nicht mehr leisten. Die Pflichten zu Hause und bei der Erziehung der Kinder bringen viele Menschen an die Grenze. Sogar die Freizeit wird zum Freizeitstress, denn ununterbrochen wird uns eingeredet, dass das gewöhnliche Leben zuwenig Pfiff hat.

Gelingendes Leben gibt es nur, wenn es auch Zeiten ohne Druck gibt, Ruhezeiten, die zum Nachsinnen und Nachdenken einladen. Wer nicht mehr innehält, reagiert nur mehr und hetzt allem hinterher. Nicht er steuert das Leben, sondern das Leben steuert ihn. Gott sei Dank gibt es den Sonntag!

 

 

 

Montag, 23. Jänner 2012

Am Morgen haben wir die Chance, dem Tag eine Ausrichtung zu geben, zumindest eine gewisse Orientierung. Unter welchem Vorzeichen soll dieser Tag heute stehen? Was soll ihn leiten? Was soll wichtig bleiben, durch alle Ereignisse und Begegnungen hindurch? Vielleicht kann dabei ein Motto helfen, ein Wort, das durch diesen Tag begleitet.

Menschen, die im Arbeitsleben stehen, führen nicht selten eine „to do Liste“. Diese Liste enthält all das, was zu erledigen und zu tun ist, alle kleineren und größeren Aufgaben, die warten. Ganz oben auf dieser Liste stehen jene Dinge, die besonders wichtig sind, die nicht vergessen werden dürfen, die dringend sind und eine entschiedene Aufmerksamkeit benötigen. Wenn Nebensächlichkeiten die Kraft aufbrauchen, dann bleibt nichts mehr für das Wichtige. Die kostbare Zeit ist verbraucht und dahin.

„Achte auf das, was bei dir oben ist. Dessen Geist kommt auf dich herab.“ So habe ich vor kurzem gelesen. Was ganz oben steht, das hat Gewicht. Für das, was oben steht, nehme ich mir Zeit. Dafür setze ich mich ein. Es prägt mein Denken und Tun. Deshalb: Achte auf das, was oben ist in deinem Leben. Es prägt den ganzen Tag. Es durchzieht die Fasern jeder Stunde.

 

 

 

Dienstag, 24. Jänner 2012

Es gibt wohl keinen Menschen, dem es völlig gleichgültig ist, ob sein Leben gelingt oder nicht, ob das Leben Sinn hat oder sinn-los ist, ob so etwas wie Freude da ist, oder ob letztlich Frust und Enttäuschung den Ton angeben.

Wie kann mein Leben gelingen? Wie kann es gut und sinnvoll sein? Viele Menschen machen die Erfahrung, dass sie dann glücklich werden, wenn sie für andere ein Stück Aufmerksamkeit und Liebe aufbringen. Wenn sich nicht alles nur um sie selber dreht. Wenn die Freude und das Glück eines anderen Menschen in ihrem eigenen Leben sich spiegelt. Wer sich einsetzt, der gewinnt: Freude, Aufmerksamkeit, Mitgefühl, Sinn.

Ich kann mich noch gut an jene Zeit erinnern, in der es ein hohes und erstrebenswertes Ziel war, jeden Tag eine gute Tat zu vollbringen. Nichts Weltbewegendes, aber doch etwas Kleines, und das dafür treu und verlässlich, jeden Tag.

„Was ist eine gute Tat?“, fragte einst ein Ratsuchender einen weisen Menschen. Der Weise antwortete: „Eine gute Tat lässt auf dem Antlitz eines anderen ein Lächeln zurück!“ Es ist gut, bei anderen Menschen ein Lächeln hervorzubringen, und dann darüber zu staunen, dass dieses Lächeln das eigene Gesicht heller macht.

 

 

 

Mittwoch, 25. Jänner 2012

Viele beginnen den Tag mit der Zeitung. Kaum aus dem Bett, gehört ihre ganze Aufmerksamkeit dem, was sich Neues getan hat und worüber gesprochen und diskutiert wird. Man muss ja schließlich informiert sein, wenn man mitreden will. Hast du schon gehört? Weißt du schon das Neueste?

Und es bleibt keinem verborgen, dass es unzählige Skandale gibt. Korruption und Machtmissbrauch, finanzielle Unregelmäßigkeiten und persönliche Fehlleistungen, vertuschtes Versagen und offenkundige Schuld. Manche Menschen werden schwermütig, wenn sie die Zeitung lesen. Andere schlagen sich sofort auf die Seite der Sündenbockjäger: Wer ist schuld? Wer hat versagt?

Insgesamt ist es wichtig, sich den dunklen Seiten des Menschen und damit auch den Abgründen des gesellschaftlichen Lebens zu stellen. Es ist unverzichtbar, Sümpfe trocken zu legen, das Gift in zwischenmenschlichen und politischen Vorgängen zu benennen und gleichzeitig zu versuchen, das Leben zu entgiften. Nur: Wer soll das machen? Ist der tägliche Hinweis mit dem Zeigefinger ausreichend? Was ändert sich damit wirklich?

Von Mark Twain gibt es die Aussage: „Wenn man einen Sumpf trocken legen will, darf man damit nicht die Frösche beauftragen.“

 

 

 

Donnerstag, 26. Jänner 2012

Wenn von einem Menschen gesagt wird, er sei „fromm“, dann denken wir vielleicht: Oje, schon wieder einer von denen, die nicht mit beiden Beinen im Leben stehen, die alles verklärt betrachten, die irgendwie weltfremd sind! Und es gibt sie tatsächlich, jene Menschen, die über alles einen religiösen und frommen Zuckerguss streuen und nicht verlegen sind, Gott damit in Verbindung zu bringen.

Ich würde diese Menschen nicht als „fromm“ bezeichnen, sondern vielleicht eher als „frömmelnd“. Fromm zu sein meint etwas anderes. Simone Weil hat einmal gesagt: „Nicht daran, wie einer von Gott redet, erkenne ich, ob seine Seele durch das Feuer der göttlichen Liebe gegangen ist, sondern daran, wie er von irdischen Dingen spricht.“

Die fromme und überhöht religiöse Sprache ist nicht das, was zählt. „Fromme Sprüche“ sind tatsächlich zu wenig. Wer die Nähe Gottes erfahren hat, der redet anders. In dessen Worten, in dessen Umgang mit Menschen und mit dem, wie die Welt nun einmal ist, wird deutlich, dass Gott nicht zuallererst richtet, sondern rettet. Dass es sein Wille ist, dem Menschen mit Achtung und Wertschätzung zu begegnen. Dass sich in den irdischen Dingen ein Stück Himmel spiegelt.

 

 

 

  

Freitag, 27. Jänner 2012

Eine Frage beschäftigt viele Menschen: Gönnt mir Gott mein Leben, meine Freude, meine Lust? Oder will er, dass ich beladen und gedrückt durchs Leben gehe? Kann mich die Schönheit dieses Lebens von Gott ablenken?

Wenn jemand zum Schluss kommt, dass Gott uns die Lust am Leben neidet, dann ist es nicht verwunderlich, wenn er Gott aus dem Leben streicht. Ohne Gott habe ich dann ja mehr Freiheit! Ohne Gott kann ich mehr „Leben im Leben“ finden. Ohne Gott werde ich dann sicher glücklicher! Ich brauche niemanden, der mein Leben gängelt und mir das Schöne im Leben mies macht.

Könnte es sein, dass dieser Gedanke von einem falschen, verdrehten Gottesbild ausgeht? Dass Gott eben nicht einer ist, der mich beneidet, der meine Lust am Leben beschneidet, sondern einer, der mich frei machen will? Dass seine Gebote letztlich zu mehr Leben führen wollen?

Und was bleibt, wenn Gott weg ist? Hans-Dietrich von Seydlitz hat den Satz geprägt: „Wenn wir nicht mehr in Gottes Hand sind, bin ich gespannt, wer uns in die Finger kriegt.“ Es ist gut, darüber nachzudenken: Wer oder was hat mich in der Hand? Wer oder was klammert mich fest? Könnte es vielleicht sogar Gottes Hand sein, die mich freier macht?

 

 

 

Samstag, 28. Jänner 2012

Es ist sehr hilfreich, wenn am Beginn eines neuen Tages ein guter Gedanke steht. Das verändert den Beginn, und auch den Tag.

Für heute ist mir ein schönes Wort von Immanuel Kant in den Sinn gekommen. Er hat einmal geschrieben: „Ich habe in meinem Leben viele kluge und gute Bücher gelesen. Aber ich habe in ihnen allen nichts gefunden, was mein Herz so still und froh gemacht hätte wie die vier Worte aus dem 23. Psalm: ‚Du bist bei mir!’“

Damit wir im Leben froh werden, damit das Leben glücken und gelingen kann, brauchen wir die Nähe und Zuneigung von Menschen. Wenn ich weiß und es auch spüre, dass ich geliebt bin, dass mir andere nahe sind und mich verstehen, dann kann ich viel bewältigen und tragen. Ein lieber Mensch in meiner Nähe gibt mir Halt und innere Stärke.

Das gilt umso mehr für Gott. Wenn Gott bei mir ist, dann finde ich in ihm Geborgenheit und Halt. Dann baue ich auf ein gutes Fundament. Dann können die Bretter des Lebens schon auch einmal wanken. Dieses Wort aus dem Psalm ist ein guter Start in den Tag. Immer wieder darf ich mir sagen: Gott. Du bist bei mir.