von Wilhelm Achleitner (Bildungshaus Schloss Puchberg, Wels, OÖ)
Sonntag, 1. April 2012
Heute ist Palmsonntag, der Beginn der
Karwoche.
Der Frühling ist gekommen, das Grün
tritt hervor, die frischen Blätter zeigen sich, Blüten öffnen sich.
Wie jeden Morgen, wenn ich von der Wohnung ins Bildungshaus Schloss
Puchberg hinübergehe, bleibe ich für einige Minuten beim
Schlossteich stehen und blicke auf die Wiese, die zum Teich
hinunterführt. Ich sehe Schlüsselblumen, Buschwindröschen, Hänsel-
und Gretel-Blumen und frische Gräser. Ich berühre den Ast eines
Baumes und blicke auf die austreibenden Blätter. Ich atme
Frühlingsluft. Ich stehe und schaue. Ich freue mich über die
wiederbelebte Natur. Der Winter, die Kälte, der Frost sind vorüber,
sie haben die Natur nicht zerstören können. Das Leben beginnt neu.
Und für Sekunden erwachen in mir eine tiefe Dankbarkeit und eine
Ermutigung.
Heute geht Jesus nach Jerusalem
hinein, und sein Weg ans Kreuz, sein Weg in den Tod beginnt. Die
Kälte der Menschen wird Jesus vernichten. Wird sein Tod ihn für
immer von uns wegbringen, ihn wegschaffen aus der Gemeinschaft der
Menschen? Oder ist die Kraft des Lebens stärker? Wir werden sehen.
Montag, 2. April 2012
Vor dem Hof unseres Bildungshauses
Schloss Puchberg steht eine Schwebeliege, eine langsam schwingende
Schaukel. Ich lege mich hinein und sie beginnt sanft hin und her zu
schwingen. Meine Seele beruhigt sich. Sehr angenehm. Oben am
Schlossturm sehe ich Vögel, sehe ich Dohlen. Sie fliegen und sie
jagen einander. Ich höre ihre Schreie. Sie suchen die Begegnung, sie
spüren den Auftrag des Frühlings, sich zu paaren, für Nachwuchs zu
sorgen. Und auch in uns nimmt im Frühling die Sehnsucht nach intimer
Nähe zu. Erotik und Sexualität beleben uns, öffnen uns für die Lust
und schützen und bewahren uns vor Schwermut.
Als neuen Leitsatz für unsere Aufgabe
im Bildungshaus haben wir den Satz gewählt: „Begegnung, die
begeistert.“ Wir kommen zusammen, um lebendiger zu werden, um Wissen
zu vertiefen, Fähigkeit einzuüben und einen Geist zu spüren, der
über alles hinausweist und für Sekunden den Himmel öffnet.
Jesus in Jerusalem geht in der
Karwoche den Weg ans Kreuz. Er kann dies alles nicht mehr erleben.
Keinen Frühling, keine Lust, keine Schwebeliege. Verurteilt wird er
werden.
Wir hier im Frühling, Jesus dort. Wie
kann dies zusammenpassen? Wir werden sehen.
Dienstag, 3. April 2012
Nach den Morgengedanken werde ich in
die Küche gehen und das Frühstück vorbereiten. Kaffeeduft breitet
sich aus und lockt meine Frau aus dem Bett. Das frische Semmerl mit
der selbstgemachten Ribiselmarmelade weckt unsere Lebensgeister und
wir beginnen miteinander zu reden, unsere nächtlichen Träume zu
erzählen. Später wird aus der Küche der Geruch von frischen Speisen
unsere Freude auf das Mittagessen anregen. Wir essen und trinken,
wir riechen und verkosten die Lebensmittel und spüren, dass dies
unsere Lebensfreude steigert.
Während wir essen, wird Jesus gefangen
genommen und zum Gericht gebracht. Er wird gefoltert und verhöhnt,
und wir beißen ins Brot und genießen das Schnitzel. Jesus wird
verraten und wir werden satt und ruhen nach dem Essen aus. Von einer
Henkersmahlzeit für Jesus, einem besonderen Essen vor der
Hinrichtung, ist in den Heiligen Schriften nichts berichtet.
Jesus geht den Weg ans Kreuz und wir
essen und ruhen. Wie geht das zusammen? Wir werden sehen.
Mittwoch, 4. April 2012
Nicht jeder Morgen beginnt mit
angenehmen Gefühlen. Schon im Aufwachen überfällt uns eine
beunruhigende Sorge. Kann die berufliche Unzufriedenheit mit
wirtschaftlichen Einschränkungen und persönlichen Kränkungen sich
endlich auflösen? Leben unsere Kinder in Liebesbeziehungen, die
halten und Zukunft haben? Werden die alt gewordenen Eltern die Nacht
gut überstanden haben? Wird uns ein Telefonanruf zu ungewöhnlich
früher Zeit aufschrecken? Wir kennen die Angst und die Sorge. Sie
begleiten immer wieder unser Leben, unser Nachdenken und Grübeln.
Und manchmal wird unsere Angst übergroß.
Jesus ist in Jerusalem und verbringt
die Nacht im Ölberggarten. Er weiß, was ihm bevorsteht, wenn er
nicht flieht. Er ringt mit sich und mit Gott: „Wenn Du willst, nimm
diesen Kelch, das bittere Schicksal, von mir!“ Und die Angst
überfällt ihn und sein Angstschweiß dringt wie Blut aus seiner Haut.
Aber dann ergibt er sich: „Nicht mein Wille geschehe, sondern Gottes
Weg will ich gehen!“
Unsere Ängste kommen aus dem Leben und
wir wünschen das gute Leben für unsere Lieben und für uns selbst.
Jesu Angst bezieht sich auf seine bevorstehende Hinrichtung, die ihm
das Leben nehmen wird.
Wir mit unseren Lebensängsten, Jesus
mit seiner Todesangst. Wie geht das zusammen? Wir werden sehen.
Donnerstag, 5. April 2012
Wir feiern Geburtstage, Hochzeitstage
und Geburten. Wir kommen zusammen, erfreuen uns aneinander und
feiern mit festlichem Essen unsere Jubiläen und Festtage. Auf den
Tischen stehen Frühlingsblumen, Tulpen, Märzenbecher und
Schneeglöckchen. Wir erleben innige Gemeinschaft, lustige Gespräche.
Wir lachen.
Kürzlich haben wir die eiserne
Hochzeit meiner Schwiegereltern begangen – 65 Jahre Ehe. Und unser
erstes Enkelkind, der fünf Monate alte Simon ist dabei. Alle lieben
und herzen ihn. In unserem Bildungshaus Schloss Puchberg haben wir
ein Personalzimmer, in dem wir gemeinsam mittagessen. Auch dort
ernste und lustige Gespräche, lachen und reden und Gemeinschaft.
Jesus versammelt am Gründonnerstag
seine Jünger um sich, um sein letztes Abendmahl zu begehen. Keine
Frühlingsblumen auf den Tischen. Düstere Ahnungen sind im Raum. Ein
Freund wird ihn verraten. In diesem Abendmahl gründet er eine neue
Religion. Die Religion seiner ganzen Hingabe voller Liebe. Sich
selber mit Leib und Blut setzte er dafür ein. Mehr geht nicht.
Unsere Gemeinschaftsfeiern und das
letzte Abendmahl Jesu. Wie geht das zusammen? Wir werden sehen.
Freitag, 6. April 2012
Beim Einschlafen denken viele ans
Sterben. Sie könnten ja nicht mehr aufwachen. Am Morgen sind diese
Gedanken weg und wir wissen uns lebendig und haben die Nacht
überstanden. Hurra, wir leben noch! Aber zum Leben gehört es, immer
wieder einmal an den Tod zu denken. Unser Leben wird eines Tages zu
Ende gehen und vorüber sein. Und in hundert Jahren spricht niemand
mehr von uns. Überlegen Sie: Bei wie vielen Begräbnissen waren Sie
schon dabei? Wir sind von vielen Toten umgeben. Und können dies
hinnehmen.
Heute ist Karfreitag. Jesus wird
aufgehängt, am Kreuz ermordet. Er schreit seine Verzweiflung hinaus:
„Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“ Dieser Schrei
ist in die Weltgeschichte eingegangen. Der Schrei des göttlichen
Menschen Jesu. Ist nun alles vorbei, ist alles umsonst gewesen: die
Liebe, die Hoffnung, die Lebensfreude, die um Jesus entstanden sind?
Die Würde, die er in jedem hervorrief, besonders bei den Armen und
Ausgegrenzten? Kommt das von Jesus verkündete Reich Gottes nun doch
nicht? Wir werden sehen. Die Karwoche ist noch nicht am Ziel.
Samstag, 7. April 2012
In unserem Bildungshaus ist es nach
den besinnlichen Seminaren der Karwoche still geworden. Am
Karsamstag denken wir immer wieder an Jesus und sein Schicksal und
halten ein wenig den Atem an.
Was Mozart in der Musik, oder
Beethoven oder Anton Bruckner, das ist Jesus für die Religion - oder
Moses, Muhammad, Buddha oder auch Martin Luther. Das sind die großen
religiösen Begabungen.
Was bei Jesus überrascht, ist seine
überaus kurze Wirkungszeit von etwa 2 Jahren, in der eine enorme
humane und religiöse Energie entsteht, die bereits zwei Jahrtausende
andauert und sich immer wieder erneuert. Und hinzu kommt sein
Todesschicksal, dem er wegen seines unbeirrten Festhaltens an seiner
Gotteserfahrung nicht ausweicht. Das macht ihn einzigartig.
Von Jesus hat man den Eindruck, er
wirft sich ganz hinein in tiefste Mitmenschlichkeit, er nimmt auf
sich keine Rücksicht. Er bringt einen mächtigen Gottes- und
Liebes-Impuls in die Welt. Dieser wird niemals mehr verstummen.
Wir warten heute am Karsamstag darauf,
ob sich die Lebendigkeit und die Liebe Jesu gegen den Tod
durchsetzen werden. Und heute Nacht feiern wir den Glauben an seine
Auferstehung.
Ich wünsche Ihnen die Berührung mit
dem seligen Glück, dass der Tod nicht das Letzte ist, was wir
erleben.